Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage wegen Zuerkennung internationalen Schutzes

Aktenzeichen  Au 2 K 16.31963

Datum:
7.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3c, § 3d Abs. 2, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Regierung der Region Puntland in Somalia ist grundsätzlich willens und in der Lage, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Zwar verfügt sie nur über vergleichsweise wenige Sicherheitskräfte; bisher hat sich deren Anzahl jedoch als ausreichend erwiesen, um die generellen Sicherheitsbedürfnisse zu erfüllen. (redaktioneller Leitsatz)
2 In Puntland besteht derzeit kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen könnte. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagte zu dem Termin nicht erschienen ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Parteien sind form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind nicht erfüllt. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B. v. 21.71989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3).
Dabei ist es Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen (BVerwG, B. v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 – juris Rn. 2; B. v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – juris Rn. 8; B. v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3 f.).
In Anwendung dieser Maßstäbe kann die Klägerin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen. Sie konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts dartun, Somalia (hier: Puntland) unter dem Druck bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung verlassen zu haben. Die vom Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid festgehaltenen Zweifel an dem vorgetragenen Bedrohungsszenario konnte die Klägerin auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht ausräumen. Insofern ist der Vortrag der Klägerin zu mehreren zentralen Aspekten nicht in sich stimmig. Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihres individuellen Verfolgungsschicksals im Wesentlichen auf die Bedrohung und einen Bombenanschlag durch Al-Shabaab wegen der Tätigkeit ihres Ehemannes für die somalische Regierung. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass sich der Vorfall im März 2015 ereignet haben soll, so ist es für das Gericht nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin – trotz der von ihr geschilderten erheblichen Bedrohungslage – noch weitere drei Monate zugewartet hat, bis sie ihre Heimat im Juni 2015 (Bl. 30, 32 der BA-Akte; Bl. 44 der Gerichtsakte) verlassen hat. Auf diese Ungereimtheiten angesprochen erklärt die Klägerin beim Bundesamt und in der Klagebegründung, in diesen drei Monaten versucht zu haben, in Somalia ihre Familienangehörigen ausfindig zu machen. In der mündlichen Verhandlung behauptete die Klägerin erstmals, bereits am 15. März 2015 aus Somalia ausgereist zu sein. Widersprüchlich und damit unglaubhaft sind des Weiteren die Angaben zum Verbleib der Familienangehörigen, insbesondere ihrer fünf Kinder. Wird zunächst behauptet, sie befänden sich bei einer Schwester in Somalia (Bl. 44 der Gerichtsakte), so erklärte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass sie sich nunmehr in Äthiopien befänden. Ferner fällt auf, dass die von der Klägerin angegebenen Namen ihres Ehemannes unterschiedlich sind. Selbst wenn es sich bei den in der Anhörung am 30. Juni 2016 und in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen Namen nur um verschiedene Schreibweisen handeln sollte, so decken sich diese nicht mit dem bei der Registrierung der persönlichen Daten erfassten Namen (Bl. 47 BA-Akte). Auch weichen Alter bzw. das Geburtsdatum um mindestens zwei Jahre voneinander ab. Insofern fällt weiter auf, dass – neben Alter und Namen des Ehemanns – auch ansonsten die Angaben der Klägerin zu ihrem Ehemann vage, ungenau bzw. teilweise widersprüchlich sind. Weder kenne sie den genauen Dienstgrad, noch stimmen die beim Bundesamt bzw. in der Klagebegründung genannten Einsatzorte mit den in der mündlichen Verhandlung angegebenen Standorten überein.
Aber selbst wenn der klägerische Vortrag als wahr unterstellt wird, ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegend bereits deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin nicht in ihrer Heimat um Schutz vor Verfolgung nachgesucht (§ 3d AsylG). Als Grund hierfür führte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung Differenzen wegen unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit an. Dies überzeugt nicht. Die Klägerin ist Angehörige der Darod, dem Hauptclan in Puntland (EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Security Situation, Februar 2016, S. 69). Zudem erklärte die Klägerin noch in der Anhörung beim Bundesamt, selbst nie Probleme mit der Polizei oder den Behörden gehabt zu haben. Auch ist davon auszugehen, dass Puntland grundsätzlich in der Lage und willens ist, Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylG zu bieten. Zwar verfügt die Regierung von Puntland nur über vergleichsweise wenige Sicherheitskräfte. Bisher hat sich deren Anzahl aber als ausreichend erwiesen, um die generellen Sicherheitsbedürfnisse im Land zu erfüllen (vgl. BVwG Österreich, B. v. 12.8.2015 – W149 1415653-1 – S. 10).
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht.
a) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin in Somalia die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe drohen könnte (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), liegen nicht vor. Die Gefahr einer im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht nicht. Zwar hat die Klägerin in der Klagebegründung geschildert, Opfer eines Anschlags gewesen zu sein und im Anschluss daran von Al-Shabaab bei der Suche nach ihren Familienmitgliedern geschlagen, beleidigt und mit dem Tode bedroht worden zu sein. Insofern hat das Gericht aber aus oben dargelegten Gründen durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens.
b) Aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG kann die Klägerin ebenfalls keinen drohenden ernsthaften Schaden infolge eines innerstaatlichen Konflikts für sich ableiten. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (EuGH, U. v. 30.1.2014 – Rs C-285/12 – juris Rn. 27 ff.). Die Schutzgewährung greift auch dann ein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt nur auf einen Teil des Staatsgebietes erstreckt (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; U. v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198). Besteht ein bewaffneter Konflikt mit einem solchen Gefahrengrad nicht landesweit, ist bzgl. der anzustellenden Gefahrenprognose auf den Zielort der Abschiebung abzustellen. Dabei kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer seinem subjektiven Blickwinkel nach strebt. Vielmehr ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Ein Abweichen von dieser Regel kann jedenfalls nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ihm Schutz gewähren soll (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; B. v. 14.11.2012 – 10 B 22.12 – juris; zur Frage der „tatsächlichen Zielregion“ BayVGH, U. v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris Rn. 23; OVG NW, B. v. 15.10.2012 – 13 A 2010/12.A – juris).
In der Herkunftsregion der Klägerin besteht nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismaterialien indes keine Konfliktlage im oben dargestellten Sinn. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung, die nur innere Autonomie anstrebt, aber keine Unabhängigkeit; die Region ist nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Somalia vom 1. Dezember 2015 (Stand: November 2015) von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. Puntland wird allgemein als relativ friedlich und stabil eingestuft, obschon Al-Shabaab von Süd-/Zentralsomalia nordwärts drängt und Puntland wachsender Bedrohung ausgesetzt ist. Die Sicherheitskräfte reagierten hierauf mit militärischen Operationen, um Anschläge von Al-Shabaab zu verhindern. Mehrere Anschläge sind in Puntland verübt worden. Am erheblichsten war ein Selbstmordattentat mit sieben getöteten und zehn verletzten Personen in der Stadt …. Andere Aktivitäten Al-Shabaabs sind vor allem in Bosaso und in den Galgala-Bergen zu verzeichnen gewesen (EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Security Situation, Februar 2016, S. 70). In den Galgala-Bergen wurde 2014 eine militärische Operation gegen Al-Shabaab durchgeführt, der zur Wiedererlangung der Kontrolle durch die Regierung führte (siehe ausführlich „Galgala campaign“ in: https:…). Für Puntland kann das Stabilitätsniveau zur Sicherheitssituation als ‚hoch‘ angegeben werden. Dies gilt selbstverständlich nur für jene Gebiete, die sich unter Kontrolle der Regierung befinden. Ausnahmen sind daher einige Küstengebiete (Piraten, Ras Caseyr) und die Golis-Berge (Galgala-Rebellen). Die Regierung von Puntland verfügt nur über vergleichsweise wenige Sicherheitskräfte. Bisher hat sich deren Anzahl aber als ausreichend erwiesen, um die generellen Sicherheitsbedürfnisse im Land zu erfüllen (vgl. BVwG Österreich, B. v. 12.8.2015 – W149 1415653-1 – S. 10).
Dessen ungeachtet wäre die Klägerin auch im Hinblick auf den subsidiären Schutzstatus auf die Inanspruchnahme internen Schutzes zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3d AsylG), um den sie nicht nachgesucht hat (s.o.).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen