Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Berufungszulassung in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  13a ZB 17.31111

Datum:
30.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2234
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4, § 78 Abs. 4 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige besteht im Allgemeinen keine Gefahrenlage, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG führt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Sind nach Ablauf der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 S. 1 AsylG neue, selbständige Gründe für das Vorliegen eines Zulassungstatbestandes aus § 78 Abs. 3 AsylG entstanden, sind diese nicht im Berufungszulassungsverfahren zu berücksichtigten, sondern in einem Folgeantragsverfahren. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 17.30982 2017-08-07 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. August 2017 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). So sei im Kontext von § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG klärungsbedürftig, „ob es aufgrund der Verschärfung des Konfliktes in Afghanistan seit 2016, des rückläufigen Wirtschaftswachstums und der massiven Zahl von Rückkehrern noch sachgerecht ist, eine Unterscheidung zwischen ‚sicheren‘ und ‚unsicheren‘ Gebieten in Afghanistan vorzunehmen, oder ob vielmehr zwischenzeitlich von einem landesweiten Konflikt mit … einer allgemeinen ‚Verfolgungsintensität‘ in dem Sinne, welcher für die Zuerkennung von wenigstens subsidiärem Schutz nach dem Gesetz erforderlich ist, auszugehen ist und deshalb auch inländische Fluchtalternativen für den Kläger in Afghanistan tatsächlich und entgegen dem angegriffenen Urteil nicht mehr gegeben sind.“ Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es in Afghanistan innerstaatliche Fluchtalternativen bzw. sichere Gebiete gebe, in die er ohne Gefahr für Leib und Leben im Sinne einer gesteigerten Intensität des afghanischen Konflikts zurückkehren könne, sei nicht zutreffend, da sie nicht mehr der aktuellen Sicherheitslage entspreche und auf überholten Erkenntnissen beruhe. Auch die entsprechende bisherige Einschätzung in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 13a ZB 17.30314 – n.V.; B.v. 28.3.2017 – 13a ZB 17.30212 – juris) sei nicht mehr aktuell. So habe der UNHCR in seinen Anmerkungen vom Dezember 2016 sinngemäß mitgeteilt, dass aus seiner Sicht in Afghanistan die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gegeben seien. Laut UNHCR sei aufgrund einer Verschärfung des Konflikts seit 2016, eines rückläufigen Wirtschaftswachstums und einer massiven Zahl von Rückkehrern eine Unterscheidung zwischen „sicheren“ oder „unsicheren“ Gebieten in Afghanistan nicht mehr sachgerecht, vielmehr bedürfe es stets einer Prüfung der besonderen Umstände jedes einzelnen Asylbewerbers. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 12.3.2008 – 2 BvR 378/05 – InfAuslR 2008, 263 – juris) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 30.5.2013 – Rs. C-528/11 – NVwZ-RR 2013, 660 – juris) komme den Stellungnahmen des UNHCR besondere Bedeutung zu. Auch der Bundesaußenminister habe unter dem Eindruck des schweren Anschlags auf die Deutsche Botschaft in Kabul die Notwendigkeit einer Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan anerkannt und diese für Juli 2017 angekündigt. Angesichts der Anschläge in Kabul mit mehr als 1.000 zivilen Opfern seit 2017 könne von einer hinreichenden Sicherheitslage im Ballungsraum Kabul nicht mehr gesprochen werden. Die aufgeworfene Frage sei für eine Vielzahl von Asylverfahren, in denen afghanische Kläger auf inländische Fluchtalternativen verwiesen würden, von Bedeutung. In seinem Fall wäre richtigerweise der subsidiäre Schutzstatus, hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuzuerkennen gewesen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Unabhängig davon, ob vorliegend die Darlegungsanforderungen aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfüllt sind, ist die klägerseitig aufgeworfene Frage jedenfalls nicht klärungsbedürftig. Es ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6 m.w.N.; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 6 m.w.N.). Der Zulassungsantrag gibt insoweit keinen Anlass zur erneuten Überprüfung. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass sich die im Zulassungsantrag vom 23. August 2017 in Bezug genommenen Erkenntnismittel naturgemäß auf die Lage in Afghanistan zum damaligen Zeitpunkt beziehen und daher von vornherein nicht geeignet sind, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, die auf neueren Erkenntnissen beruht, in Frage zu stellen.
Soweit die klägerseitig aufgeworfene Frage auf das Fehlen inländischer Fluchtalternativen in Afghanistan nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG abzielt, so kann dieser zudem bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zukommen, da sie einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU (vgl. BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 15 ZB 18.31513 – juris Rn. 8; B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 29.9.2018 – 13 A 3333/18.A – juris Rn. 8-13; B.v. 20.6.2017 – 13 A 903/17.A – juris Rn. 16-19).
Auch hinsichtlich des nunmehrigen klägerischen Vortrags einer ernstlichen urologischen Erkrankung (geplante Operation zur Behandlung bzw. Entfernung des linken Hodens im Juli 2018) bleibt der Zulassungsantrag ohne Erfolg.
Zwar sind bei der Entscheidung über den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich auch entscheidungserhebliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage zu berücksichtigen, die erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind; dies gilt jedoch nur für vom Kläger innerhalb der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG hinreichend dargelegte Änderungen (vgl. BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – juris Rn. 8-11; B.v. 11.11.2002 – 7 AV 3.02 – juris Rn. 10 f.; SächsOVG, B.v. 23.10.2015 – 5 A 80/15.A – juris Rn. 13 f.; OVG NW, B.v. 24.6.2014 – 18 A 979/12 – juris Rn. 3; OVG Berlin-Bbg, B.v. 29.6.2006 – OVG 12 N 63.05 – juris Rn. 4; NdsOVG, B.v. 16.9.2003 – 9 LA 218/03 – juris Rn. 3 f.; ThürOVG, B.v. 31.3.1999 – 3 ZKO 1331/97 – juris Rn.9 f.). Soweit ein Zulassungsgrund innerhalb der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG bereits den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt ist, kann dieser Sachvortrag zudem nach Ablauf der Frist noch konkret ergänzt werden (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53). Der Vortrag neuer, selbständiger Gründe für das Vorliegen eines Zulassungstatbestands aus § 78 Abs. 3 AsylG nach Ablauf der Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG kann jedoch im Zulassungsverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2003 – 6 ZB 98.32057 – juris Rn. 7; B.v. 8.5.2000 – 19 ZB 00.30935 – juris Rn. 2; B.v. 7.10.1998 – 19 ZB 98.34159 – juris Rn. 3; B.v. 11.2.1998 – 19 ZB 98.30433 – juris Rn. 3; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53). Hinsichtlich nach Ablauf der Antragsfrist aus § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG eingetretener Änderungen der Sach- oder Rechtslage ist ein Asylkläger nach alledem grundsätzlich auf die Stellung eines Folgeantrags nach § 71 AsylG zu verweisen (vgl. BayVGH, B.v. 21.6.2004 – 26 ZB 97.31239 – juris Rn. 12).
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze kann der klägerische Vortrag einer ernstlichen urologischen Erkrankung vorliegend keine Berücksichtigung finden. Die Antragsfrist aus § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG endete mit Blick auf die am 18. August 2017 erfolgte Zustellung des Urteils am Montag, 18. September 2017; der erstmals mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2017 erfolgte Vortrag einer urologischen Erkrankung des Klägers ist daher vorliegend nicht von Relevanz. Es handelt sich bei diesem Vortrag ersichtlich auch nicht um eine zulässige Ergänzung des fristgerecht erfolgten Zulassungsvortrags, sondern um einen gänzlich neuen Sachvortrag.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

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