Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eines in Italien anerkannten subsidiär Schutzberechtigten

Aktenzeichen  Au 7 S 17.50127

Datum:
8.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2 S. 2, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
RL (EU) 32/2013 Art. 51, Art. 52 Abs. 1 S. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Es bstehen keine europarechtlichen Bedenken, § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf einen vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrag anzuwenden. Auch das BVerwG hält ausweislich des Vorlagebeschlusses an den EuGH vom 23.03.2017 (BeckRS 2017, 111628, BeckRS 2017, 110809 und BeckRS 2017, 111620) an seiner bisherigen Rchtsprechung (BeckRS 2015, 54736) nicht mehr fest. (Rn. 20 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ernstliche Zweifel hat das Gericht auch nicht dahingehend, dass Abschiebungsverbote nach Italien gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für anerkannte international Schutzberechtigte verneint worden sind. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wir abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Androhung der Abschiebung nach Italien.
1. Der nach eigenen Angaben am … 1988 im Bundesstaat … (Nigeria) geborene Antragsteller gibt an, nigerianischer Staatsangehöriger, Volkszugehörigkeit Warrake, katholischen Glaubens zu sein. Er reiste nach eigenen Angaben am 17. März 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 19. März 2014 meldete er sich in … als Asylsuchender.
Am 27. März 2014 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.
An diesem Tag (23.3.2014) fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Der Antragsteller gab u.a. an, er habe Nigeria am 26. November 2012 verlassen. Er sei über Niger (1 Tag), Libyen (3 Monate) nach Italien gereist. In Italien habe er sich neun Monate aufgehalten und dort im März 2013 einen Asylantrag gestellt.
Das Bundesamt stellte im Aktenvermerk vom 20. September 2016 (Bundesamtsakte Bl. 41) fest, dass ein Aufnahmeersuchen an Italien wegen Fristablaufs nicht mehr möglich sei.
Am 7 Oktober 2016 wurde der Antragsteller beim Bundesamt persönlich angehört. Dabei gab der Antragsteller u.a. an, er habe keine Personalpapiere, da es in Nigeria üblich sei, dass man keine Papiere besitze. Er habe Nigeria am 26. November 2012 verlassen. Er habe sich in Libyen drei Monate und in Italien neun Monate aufgehalten. In Italien habe er einen Asylantrag gestellt. Er sei von den italienischen Behörden auch angehört und zu seinen Fluchtgründen befragt worden. Er habe in Italien dieselben Fluchtgründe angegeben, die er heute erzähle. Im Jahr 2014 sei er in Italien als Flüchtling anerkannt worden. Er habe in Italien betteln müssen und habe keine Wohnung gehabt. Weil die wirtschaftliche Situation so schlecht gewesen sei, sei er nach Deutschland weitergereist. Seine italienischen Dokumente, auch sein Flüchtlingsreisepass, befänden sich bei einem Freund in Italien. Seine Aufenthaltserlaubnis sei drei Jahre gültig gewesen.
Zu den Gründen für seinen Asylantrag führte der Antragsteller aus, seine Mutter sei am 25. November 2012 bei einem Bombenanschlag, für den Boko Haram verantwortlich gewesen sei, ums Leben gekommen. Nach dem Bombenanschlag habe er Angst gehabt, dass ihm auch etwas passieren könne und deswegen habe er das Land verlassen. Er sei deswegen nicht in die südlichen Landesteile Nigerias gegangen, weil er nicht mehr über seine verstorbene Familie habe nachdenken wollen.
Im Januar 2017 gingen beim Bundesamt die italienischen Aufenthaltsdokumente des Antragstellers ein. Es handelte sich um eine italienische Aufenthaltserlaubnis, „Permesso Di Soggiorno“, ausgestellt am 23. Dezember 2013 mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 22. Dezember 2016. Als Grund für die Aufenthaltserlaubnis (Tipo Di Permesso“) wird subsidiärer Schutz („Prot. Sussidaria“) angegeben. Außerdem wurde einen Reiseausweis für Flüchtlinge („Titolo Di Viaggi Per Stranieri“) vorgelegt, ausgestellt am 24. Dezember 2013 mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 22. Dezember 2016. Die kriminaltechnische Untersuchung der Personalpapiere ergab keine Manipulationen.
Am 6. April 2017 wurde der Antragsteller zur Zulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG angehört. Er gab u.a. an, er habe zwar in Italien Flüchtlingsschutz für zwei oder drei Jahre erhalten, habe aber keine Unterkunft und keine Arbeit gehabt. Er habe auf der Straße leben und betteln müssen. Gleichzeitig mit der Entscheidung über den Flüchtlingsschutz, das sei im Januar 2014 gewesen, habe man ihn auf die Straße gesetzt. Die italienische Entscheidung sei hier nur deswegen zum Thema geworden, weil er sich im Oktober 2016 seine italienischen Papiere von einem Freund habe schicken lassen und dann mit diesen Papieren von der Polizei aufgegriffen worden sei.
2. Mit Bescheid vom 12. April 2017, der dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 19. April 2017 zugestellt wurde, wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2). Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Italien angedroht, sollte er die Ausreisefrist von einer Woche nicht einhalten. Es wurde verfügt, dass er nicht nach Nigeria abgeschoben werden darf (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, da Italien dem Antragsteller bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt habe. Ihm seien italienische Aufenthaltspapiere für von subsidiärem Schutz Begünstigte ausgestellt worden.
3. Am 25. April 2017 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 12. April 2017 erheben. Die Klage, über die noch nicht entschieden wurde, wird unter dem Aktenzeichen Au 7 K 17.50126 geführt.
Zugleich beantragte er gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung nach Italien oder einen anderen Staat – mit Ausnahme von Nigeria – anzuordnen.
Zur Begründung der Klage und des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesamt habe den Antrag zu Unrecht als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Antragstellers nach Italien angeordnet. Es bestünden hier ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, so dass die Aussetzung der Abschiebung anzuordnen sei. Insbesondere habe hier nicht vom Vorliegen eines Zweitantrags im Sinne des § 71a AsylG ausgegangen werden dürfen. Das Bundesamt habe es unterlassen, die Akten für das Verfahren des Antragstellers beizuziehen. Nur dann wäre der von § 51 VwVfG vorausgesetzte Vergleich möglich, ob neues Vorbringen vorliege. Unabhängig hiervon habe der Antragsteller einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Art. 3 Dublin III-VO, da überstellte Asylbewerber bzw. Dublin-Rückkehrer Gefahr laufen, in Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgesetzt zu werden. Insoweit liege eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr vor, weil die betroffenen Flüchtlinge elementare Grundbedürfnisse nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen könnten. Hierzu zähle insbesondere auch eine länger dauernde Obdachlosigkeit. Es lägen keine sonstigen Erkenntnisse vor, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Italien eine ausreichende Unterkunftsmöglichkeit erhalte. Individuelle Zusicherungen gebe Italien nicht mehr ab. Die Personen, denen in Italien der internationale Schutzstatus zugesprochen worden sei, seien nicht weniger schutzbedürftig als Asylbewerber. Vorliegend sei der Bescheid des Bundesamts aber vor allem deshalb aufzuheben, weil der Antragsteller seinen Asylantrag vor dem 20. Juli 2015 gestellt habe. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 23. Oktober 2015 – 1 B 41.15 – entschieden habe, dürften vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge auf Grund der Übergangsregelung in Art. 51 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU nicht allein deshalb als unzulässig behandelt werden, weil dem Antragsteller in einem anderen europäischen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden sei.
Die Antragsgegnerin übermittelte am 28. April 2017 die Behördenakten, äußerte sich aber in der Sache nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig, da er innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt wurde. Er ist auch statthaft, weil § 36 Absatz 1 AsylG in der aktuellen, seit 6. August 2016 geltenden Fassung – mit den Änderungen aus Artikel 6 des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016 (BGBl I S. 1939 ff.) – ausdrücklich auch auf unzulässige Asylanträge im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG Anwendung findet.
2. Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Das Gericht hat insgesamt keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids (§ 36 Abs. 4 AsylG).
a) Die Antragsgegnerin ist zu Recht davon ausgegangen, dass bereits ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Antragsteller internationalen Schutz gewährt hat und deshalb sein in Deutschland gestellter Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig ist. Denn der Antragsteller hat in Italien subsidiären Schutz erhalten, der dem internationalen Schutz zuzurechnen ist (Art. 2a Qualifikationsrichtlinie – RL 2011/95/EG und § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Dies ergibt sich zweifellos aus der italienischen Aufenthaltserlaubnis (Permesso Di Soggorno, Bundesamtsakte Bl. 65/66), die diesen Schutzstatus (Prot. [Protezione] Sussidaria) ausdrücklich ausweist. Zudem hat auch der Antragsteller selbst angegeben, dass sein Asylantrag in Italien positiv verbeschieden wurde (s. S. 3 des Anhörungsprotokoll vom 7.10.2016, Bundesamtsakte Bl. 59) Dass diese Aufenthaltserlaubnis mittlerweile (am 22.12.2016) abgelaufen ist, ändert nichts an dem Status des Antragstellers als subsidiär schutzberechtigte und damit dem „internationalen Schutz“ unterfallende Person. Dieser Status bleibt unabhängig vom Aufenthaltsort bestehen und bedarf einer förmlichen Beendigung (so Art. 19 QualifikationsRL; in Deutschland Widerruf nach § 73b AsylG), wenn nach Auffassung der zuständigen Behörden die schutzbegründenden Umstände weggefallen sind. Gleichzeitig ist die Aufenthaltserlaubnis ohne weiteres verlängerbar, soweit dem keine zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenstehen (Art. 24 Abs. 2 QualifikationsRL). Über ein förmliches Verfahren zur Beendigung seines Schutzstatus gegenüber dem Antragsteller ist nichts bekannt. Auch die Antragsgegnerin hat der von den italienischen Behörden gewährten Schutzgewährung dadurch Rechnung getragen, dass sie eine Abschiebung nach Nigeria in ihrem Bescheid ausdrücklich ausgeschlossen hat.
Als Folge des unzulässigen Asylantrages war daher unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (s. § 36 Abs. 1 AsylG) die Abschiebung nach Italien als dem Staat, in dem der Antragsteller vor Verfolgung sicher war, gemäß § 35 AsylG anzudrohen.
Das Gericht hat auch keine europarechtlichen Bedenken, die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf einen – wie hier -vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrag anzuwenden. Soweit der Antragsteller sich insoweit auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 – 1 B 41/15 – beruft, trifft es zwar zu, dass das Bundesverwaltungsgericht seinerzeit entschieden hat, bei der alleinigen Zuerkennung von subsidiärem Schutz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union dürfe ein vor dem 20. Juli 2015 geäußertes Asylbegehren nicht allein wegen dieses subsidiären Schutzes als unzulässig eingestuft werden. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht sich für seine damalige Auslegung zu § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf die Umsetzungsfristen des Art. 51 Unterabsatz 1 und die Übergangsregelung in Art. 52 Unterabsatz 1 der Verfahrensrichtlinie RL 2013/32/EU berufen.
An dieser Rechtsprechung hält das Bundesverwaltungsgericht aber nicht mehr fest. Denn es hat mit Beschluss vom 23. März 2017 in drei anhängigen Verfahren (Az.: 1 C 20.16, 1 C 17.16 und 1 C 18.16 – jeweils juris), in denen jeweils eine Abschiebung nach Bulgarien in Frage steht, den Europäischen Gerichtshof zur Klärung von Fragen angerufen, die die Sekundärmigration von Asylsuchenden betreffen, insbesondere geht es um die – für den vorliegenden Fall entscheidungserhebliche – Auslegung und zeitliche Anwendbarkeit der in der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie n.F.) eröffneten Möglichkeit, einen Asylantrag schon dann als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat subsidiären Schutz erhalten hat. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht u.a. folgende Frage (Frage 1) vorgelegt:
„Steht die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, wonach in Umsetzung der gegenüber der Vorgängerregelung erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU ein Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist, wenn dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, soweit die nationale Regelung mangels nationaler Übergangsregelung auch auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge anzuwenden ist?
Erlaubt die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU den Mitgliedstaaten insbesondere eine rückwirkende Umsetzung der erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU mit der Folge, dass auch vor der nationalen Umsetzung dieser erweiterten Ermächtigung gestellte, zum Zeitpunkt der Umsetzung aber noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge unzulässig sind?“
Zur Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht im o.g. Beschluss u.a. Folgendes aus (Rn. 20 bis 25):
„(1) Es bedarf zunächst der Klärung durch den Gerichtshof, ob der genannte Unzulässigkeitstatbestand auf die hier im November 2013 gestellten Asylanträge in zeitlicher Hinsicht bereits Anwendung finden kann. Nach nationalem Recht (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist es an sich geboten, § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch auf vor seinem Inkrafttreten gestellte Anträge anzuwenden, soweit über diese noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Der darin liegenden “unechten Rückwirkung“ steht nationales Verfassungsrecht im konkreten Fall nicht entgegen (so der Sache nach bereits BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29 Rn. 28 ff.). Das Vertrauen der Betroffenen in den Fortbestand der alten Rechtslage wiegt nach Auffassung des Senats weniger schwer als das mit der Neuregelung verfolgte Ziel, Sekundärmigration nach erfolgter Schutzgewährung in Übereinstimmung mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU zu vermeiden. Das gilt jedenfalls in Fällen, in denen die neue Richtlinie – wie hier – bereits in Kraft war, als der Schutzsuchende seinen Asylantrag in Deutschland gestellt hat. In einem solchen Fall musste er mit einer möglichen Umsetzung des neuen Unzulässigkeitsgrundes jedenfalls rechnen.
Ohne eine Übergangsbestimmung wäre auch unionsrechtlich Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU bzw. das diese Regelung umsetzende nationale Recht auf Altanträge anwendbar. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Richtlinie unmittelbar auch auf die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts anzuwenden, der unter der Geltung der alten Rechtslage entstanden ist (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 – C-297/12 [ECLI:ECLI:EU:C:2013:569], Filev u.a. – Rn. 40), hier also auf alle Anträge, die noch nicht bestandskräftig beschieden sind.
Die Richtlinie 2013/32/EU enthält aber in Art. 52 Abs. 1 eine Übergangsbestimmung, deren Auslegung für den vorliegenden Fall klärungsbedürftig ist. Danach wenden die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Artikel 51 Absatz 1 auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz nach dem 20. Juli 2015 oder früher an (Satz 1). Für vor diesem Datum gestellte Anträge gelten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85/EG. Die Anträge auf internationalen Schutz sind hier vor dem 20. Juli 2015 und zugleich auch vor Umsetzung der erweiterten Ablehnungsmöglichkeit des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU in das nationale Recht gestellt worden. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entspricht in Fällen, in denen dem Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat nur subsidiärer Schutz gewährt worden ist, zwar den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU, nicht jedoch den Anforderungen des Art. 25 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2005/85/EG; er ist deshalb insoweit mit der Richtlinie 2005/85/EG unvereinbar.
Mit Vorlagefrage 1 soll daher geklärt werden, wie die zitierte Übergangsregelung der Richtlinie bezogen auf eine solche Fallgestaltung auszulegen ist. Der Senat hat in einem früheren Verfahren entschieden, dass Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2013/32/EU der Anwendung einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf Flüchtlingsschutz unzulässig sind, wenn dem Antragsteller zuvor bereits subsidiärer Schutz in einem anderen Mitgliedstaat gewährt worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 – 1 B 41.15 – NVwZ 2015, 1779 Rn. 11 f.). Nach dieser Auslegung gelten die in Umsetzung der Richtlinie 2013/32/EU ergangenen nationalen Rechtsvorschriften für vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge nur, soweit sie mit der Richtlinie 2005/85/EG in Übereinstimmung stehen. Dies beruht auf der Annahme, dass die in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2013/32/EU eröffnete Möglichkeit, die in Umsetzung der neuen Richtlinie ergangenen nationalen Rechtsvorschriften auch schon auf vor diesem Datum gestellte Anträge anzuwenden („oder früher“), nur Bedeutung hat, soweit es um günstigere Bestimmungen im Sinne von Art. 5 Richtlinie 2005/85/EG geht. Nationale Vorschriften zur Umsetzung der Neufassung der Richtlinie, die von den Bestimmungen der Richtlinie 2005/85/EG zum Nachteil des Antragstellers abweichen, dürfen hingegen nach dieser Auslegung aufgrund der Bestimmung in Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2013/32/EU auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge nicht angewendet werden. Die Übergangsregelung schützt nach diesem Verständnis das Vertrauen der Antragsteller, die ihren Antrag vor Ablauf der am 20. Juli 2015 verstrichenen Umsetzungsfrist (vgl. Art. 51 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU) gestellt haben, darauf, von Rechtsnachteilen durch die Umsetzung der neuen Richtlinie verschont zu bleiben.
Diese Auslegung der Übergangsvorschrift durch den Senat ist in der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte teilweise auf Widerspruch gestoßen (vgl. VG Aachen, Urteil vom 9. Dezember 2015 – 8 K 2119/14.A – juris Rn. 70; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Februar 2016 – 2a K 2466/15.A – InfAuslR 2016, 209 = juris Rn. 26 ff.; VG Minden, Urteil vom 10. Mai 2016 – 10 K 2248/14.A – juris Rn. 214 ff., VG Darmstadt, Beschluss vom 6. März 2017 – 3 L 1068/17 DA.A – juris Rn. 6). Die abweichende Auffassung geht davon aus, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, Rechtsvorschriften, die die neue Richtlinie umsetzen, auch schon auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge für anwendbar zu erklären. Dies folge aus dem Zusatz „oder früher“ in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2013/32/EU. Zwar bestimme Satz 2 der Regelung für vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge die Anwendbarkeit des in Umsetzung der Richtlinie 2005/85/EG ergangenen Rechts und stehe damit in einem gewissen Widerspruch zu Satz 1. Dieser Widerspruch sei aber dadurch zu erklären, dass der Zusatz „oder früher“ in Satz 1 der Vorschrift erst am Ende des Rechtssetzungsverfahrens in die Regelung aufgenommen wurde. Nach dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 22. Oktober 2009 habe die Übergangsvorschrift eine feste Stichtagsregelung enthalten sollen. Erst durch den Standpunkt (EU) Nr. 7/2013 des Rates in erster Lesung vom 6. Juni 2013 (ABl. C 179 E S. 27) seien in Satz 1 die Wörter „oder früher“ eingefügt worden. Dabei sei versäumt worden, die Regelung in Satz 2 entsprechend anzupassen. Satz 2 ist nach dieser Auslegung nur eine Auffangregelung für den Fall, dass die Mitgliedstaaten die neue Richtlinie nicht vor dem 20. Juli 2015 umgesetzt bzw. das neue Recht nicht auf vor diesem Zeitpunkt gestellte Anträge für anwendbar erklärt haben. Bei vor dem 20. Juli 2015 gestellten Anträgen ist eine nationale Regelung danach unionsrechtskonform, wenn sie entweder den Vorgaben der neuen oder den Vorgaben der alten Richtlinie entspricht.
Der Senat kann ohne die Klärung der Auslegung der Übergangsbestimmung, um die er den Gerichtshof mit Teilfrage 1 der Vorlagefrage 1 ersucht, nicht an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten. Für den Fall, dass sich die zuletzt dargestellte Auffassung als grundsätzlich zutreffend erweisen sollte, stellt sich die weitere Frage, ob die nationalen Vorschriften, die die Richtlinie 2013/32/EU umsetzen, auf alle vor dem 20. Juli 2015 gestellten Anträge angewendet werden können oder nur auf solche, die nach Inkrafttreten der nationalen Rechtsvorschrift, die die neue Richtlinie umsetzt, gestellt worden sind (Teilfrage 2 der Vorlagefrage 1). Wenn die in Umsetzung der Richtlinie 2013/32/EU ergangene Rechtsvorschrift im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz schon in Kraft gewesen sein muss, um auf den Antrag Anwendung finden zu können, wären die Asylanträge der Kläger nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Denn die Anträge sind im November 2013 gestellt worden, § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist aber erst im August 2016 in Kraft getreten. Kommt es auf den Zeitpunkt der Umsetzung im nationalen Recht nicht an, sind die Anträge der Kläger hingegen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig (soweit sich nicht aus der Beantwortung der Vorlagefragen 2 oder 3 etwas anderes ergibt).“
Damit ist die entscheidungserhebliche Frage, ob ein – wie im vorliegenden Fall – vor dem 20. Juli 2015 gestellter Asylantrag aufgrund der Übergangsregelung in Art. 51 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU nicht allein deshalb als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG behandelt werden darf, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist, jedenfalls im Zeitpunkt dieser Entscheidung (noch) nicht obergerichtlich geklärt.
Das erkennende Gericht hält die Rechtsauffassung der Verwaltungsgerichte (vgl. VG Aachen, U.v. 9.12.2015 – 8 K 2119/14.A – juris Rn. 70; VG Gelsenkirchen, U.v. 19.2.2016 – 2a K 2466/15.A – InfAuslR 2016, 209 = juris Rn. 26 ff.; VG Minden, U.v. 10.5.2016 – 10 K 2248/14.A – juris Rn. 214 ff.; VG Darmstadt, B.v. 6.3.2017 – 3 L 1068/17 DA.A – juris Rn. 6), die der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 23. Oktober 2015 (Az.: 1 B 41.15, juris) entgegengetreten sind, für überzeugend und schließt sich dieser Rechtsmeinung an, zumal ja auch das Bundesverwaltungsgericht erkennen lässt, dass es u.a. diese Rechtsprechung der o.g. Verwaltungsgerichte zum Anlass für seinen Vorlagebeschluss vom 23. März 2017 (Az.: 1 C 20.16, 1 C 17.16 und 1 C 18.16 – jeweils juris Rn. 24) genommen hat.
Damit hat das Gericht keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffenen Unzulässigkeitsentscheidung im streitbefangenen Bescheid. Denn erhebliche Gründe, die dafür sprechen, dass die Maßnahme (hier die auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung) einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris), liegen entsprechend den obigen Ausführungen nicht vor.
b) Ernstliche Zweifel hat das Gericht auch nicht dahingehend, dass Abschiebungsverbote nach Italien gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint worden sind. Denn anders als während des Asylverfahrens, für das die Migranten einen Anspruch auf Betreuung und Unterkunft haben (vgl. Art. 17 bis 19 Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EG) und dem in Italien angesichts der Vielzahl der dort ankommenden Schutzsuchenden nicht immer systemgerecht entsprochen worden ist, gibt Kapitel VII der QualifikationsRL 2011/95/EU (insbesondere Art. 20 bis 33) für anerkannte international Schutzberechtigte lediglich vor, dass sie über dieselben Rechte wie eigene Staatsangehörige beim Zugang zu Wohnraum, Bildung, medizinischer Versorgung, Beschäftigung oder Sozialhilfeleistungen verfügen müssen. Eine staatliche Verpflichtung zur finanziellen Unterstützung, Versorgung oder Unterbringung aller Einzelpersonen folgt daraus ebenso wenig wie aus den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. EGMR, Urteile vom 4.11.2014, Nr. 29217/12 „Tarakhel“ und vom 5.2.2015, Nr. 51428/10). Selbst wenn der Antragsteller also bei seinem Voraufenthalt in Italien unter schwierigen Bedingungen leben musste, so rechtfertigt dies nicht die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes dorthin, das dann letztlich für jeden aus Italien eingereisten Ausländer oder dortigen Staatsangehörigen gelten müsste, der wegen finanzieller Schwierigkeiten das Land verlassen hat.
Darüber hinausgehende gravierende persönliche Umstände, die gesondert zu berücksichtigen sein könnten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen.
Nach allem war der Antrag abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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