Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  10 ZB 19.613

Datum:
31.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13756
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, 4, 5, § 124a Abs. 4 S. 4
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
FreizügG/EU § 3 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Ein Drittausländer hat kein eigenständiges Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik, wenn der Ehegatte von dem das Aufenthaltsrecht abgeleitet wird, vor Einreichung der Scheidung das Bundesgebiet verlässt, da das akzessorische Aufenthaltsrecht des Ausländers aus dem Drittstaat bereits mit dem Wegzug des Ehegatten erloschen ist. (Rn. 9)  (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Zulassungsgrund der Divergenz liegt nicht vor, wenn die Begründung nicht darlegt, welchen tragenden abstrakten Rechtssatz das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, der einem Rechtssatz der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine unzulässigen Überraschungsentscheidung stellt es nicht dar, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligen entspricht. Gerichte haben keine generelle Pflicht die Beteiligten vorab auf ihre Rechtsauffassung hinzuweisen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 K 18.5145 2019-02-21 Ent VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2018 weiter, mit dem der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundegebiet festgestellt sowie der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte und einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, der Kläger zum Verlassen des Bundesgebiets bis zum 5. November 2018 verpflichtet und seine Abschiebung nach Indien angedroht wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.). Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachte Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO noch die weiter zumindest der Sache nach angeführten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung bzw. eines Verfahrensmangels im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 VwGO.
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung erweist sich als zulässig. Die Antragsbegründung vom 10. April 2019 erfüllt (noch) die formellen Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 und 5, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Zwar hat der Kläger in seiner Begründungsschrift (nur) ausgeführt, dass das angegriffene Urteil eine „Überraschungsentscheidung“ darstelle, „unrichtig“ bzw. „zu Unrecht“ ergangen sei, „im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts“ stehe, „Rechtsmängel zum Nachteil des Klägers“ aufweise bzw. „von der obergerichtlichen Rechtsprechung“ abweiche, ohne immer deutlich zu machen, auf welchen Zulassungsgrund sich seine jeweiligen Ausführungen beziehen. Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – juris Rn. 12; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33 m.w.N.) für eine den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe nicht notwendig, dass der Kläger ausdrücklich eine der in § 124 Abs. 2 VwGO normierten Ziffern oder die dort angeführten tatbestandlichen Voraussetzungen benennt. Ebenso ist es unschädlich, wenn der Kläger sein Vorbringen dem falschen Berufungszulassungsgrund zuordnet oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt. Es reicht vielmehr aus, wenn das Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags zumindest der Sache nach eindeutig einem oder mehreren Zulassungsgründen zuzuordnen ist. Die abschließende Aufzählung von Zulassungsgründen in § 124 Abs. 2 VwGO legt es nahe, dies als Mindestvoraussetzung für eine den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechende Darlegung zu verlangen.
Diese Mindestvoraussetzungen werden durch die Zulassungsbegründung in Bezug auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4 und Nr. 5 VwGO (noch) erfüllt. Denn in angemessener Würdigung des klägerischen Vortrags kann dieser dahingehend ausgelegt werden, dass der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, Divergenz und Verfahrensmängel geltend gemacht werden. Dies legen zumindest die von der Klägerbevollmächtigten gewählten, o.g. Formulierungen nahe.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist aber unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch liegen die Zulassungsgründe der Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (2.) oder eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (3.) vor bzw. sind hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier in Bezug auf die gegenüber dem Kläger erfolgte Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts und der Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht der Fall.
a) Soweit der Kläger einwendet, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts „unrichtig“ sei, dass die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei, da es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an einer ladungsfähigen Anschrift gefehlt habe (zur Pflicht zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift: BayVGH, B.v. 9.8.2016 – 10 CE 16.1145, 10 C 16.1146 – juris Rn. 15; B.v. 26.1.2016 – 10 CE 15.2640 – juris Rn. 20), kann dies vorliegend letztlich offen bleiben, weil die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt wird, nachdem die Klage „darüber hinaus … auch“ als unbegründet erachtet wurde. Zu dieser selbständig tragenden Begründung liegen aber die Zulassungsvoraussetzungen (s.u.) nicht vor (zu diesem Erfordernis: vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2016 – 3 B 38.16 u.a. – juris Rn. 3; B.v. 9.12.1994 – 11 PKH 28.94 – juris -Ls-).
b) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, dass im streitbefangenen Urteil „zu Unrecht“ die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids mangels ordnungsgemäßer Anhörung bejaht worden sei und damit der Sache nach insofern (auch) ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend macht, dringt er damit ebenfalls nicht durch. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht unter dem Aspekt der Pflicht zur Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheids nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG keine Rechtsfehler festgestellt. Art. 28 BayVwVfG regelt den Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren. Absatz 1 verpflichtet die Behörde, den Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte des Betroffenen eingreift. Dies umfasst – über die eigentliche Stellungnahmemöglichkeit hinaus – die vorherige Unterrichtung des Beteiligten über den beabsichtigten Verwaltungsakt sowie im Nachgang die Pflicht, das Vorgebrachte zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft zu berücksichtigen (Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 34). Allerdings übersieht der Kläger, dass der Anwendungsbereich der Norm hinsichtlich der Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis schon nicht eröffnet ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.10.1982 – 3 C 46.81 – juris Rn. 35; OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.6.2011 – OVG 10 B 1.11 – juris Rn. 45; OVG MV, B.v. 23.6.2014 – 3 M 58/14 – juris Rn. 6). Denn eine Verletzung der Anhörungspflicht liegt in den Fällen nicht vor, in denen der Erlass eines Verwaltungsakts abgelehnt wird, der erst eine Rechtsposition begründen soll. Im Übrigen hat der Kläger im Rahmen der von der Beklagten als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgelegten Stellungnahme vom 23. Juli 2018 die Gelegenheit wahrgenommen, die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen, hier insbesondere zur Dauer der Ehe und damit zur Frage eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach dem Aufenthaltsgesetz, vorzutragen. Da eine Anhörung im Hinblick auf die auch im Bescheid ausgesprochene Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht erforderlich war bzw. diese ordnungsgemäß erfolgte, kommt es auf die vom Kläger weiter thematisierte Problematik der Heilung einer fehlerhaften Anhörung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG nicht weiter an (zu den Voraussetzungen hierfür vgl. etwa BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5.14 – juris Rn. 17 m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.10.2018 – 10 CS 18.102 – juris Rn. 20 f.; B.v. 13.11.2017 – 15 ZB 16.1885 – juris Rn. 8 bis 10).
c) Schließlich begründet auch der Einwand des Klägers, dass die Auffassung des Erstgerichts, wonach er nach § 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU kein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangt habe, weil er mit seiner rumänischen Ehefrau zum Zeitpunkt ihres Fortzugs und auch weiterhin verheiratet sei sowie mit ihr über ein Jahr im Bundesgebiet zusammengelebt habe, „im Gesetz keine Stütze“ finde, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung. § 3 FreizügG/EU regelt die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen von Unionsbürgern, die sich in Ausübung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten in der Bundesrepublik aufhalten. Gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU genießen drittstaatsangehörige Familienangehörige ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht, wenn sie dem Unionsbürger nachziehen oder ihn begleiten. In den Absätzen 3 bis 5 der Vorschrift sind Konstellationen geregelt, in denen die Familienangehörigen ihr Aufenthaltsrecht beibehalten, auch wenn der Unionsbürger verstirbt, wegzieht oder die familiären Bindungen durch Scheidung oder Aufhebung der Ehe beendet werden. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass nach dem Wegzug der Ehefrau des Klägers am 22. Januar 2017 nach Rumänien als eigenständiges Freizügigkeitsrecht allenfalls ein solches aus § 3 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU wegen Fortbestands des Aufenthaltsrechts von drittstaatsangehörigen Ehegatten nach Scheidung von Unionsbürgen in den Blick genommen werden könnte, allerdings die Vorschrift ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nur im Falle einer Scheidung oder Aufhebung der Ehe vermittle (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 3 Rn. 96; Tewocht in BeckOK Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand 1.2.2019, § 3 Rn. 30; Oberhäuser in NK-Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 38). Verlässt der Unionsbürger, von dem der Drittausländer sein Aufenthaltsrecht ableitet, vor Einreichung der Scheidung das Bundesgebiet, so besteht kein Raum mehr für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, da das akzessorische Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten bereits mit dem Wegzug erloschen ist (vgl. EuGH, U.v. 16.7.2015 – C-218/14 – juris Rn. 62). Da die Ehe unstreitig fortbesteht, scheidet ein Freizügigkeitsrecht aus § 3 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU schon deswegen aus, ohne dass es auf das zusätzliche Vorliegen einer der in § 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4 FreizügG/EU genannten Varianten ankommt.
2. Der weiter benannte Zulassungsgrund Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist schon nicht hinreichend im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt. Hierzu hätte der Kläger neben der genauen Benennung des Gerichts und der zweifelsfreien Angabe seiner Divergenzentscheidung aufzeigen müssen, welcher tragende Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte tragende Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze hätte er so einander gegenüberstellen müssen, dass die Abweichung erkennbar wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 – juris Rn. 18; B.v. 18.4.2019 – 10 ZB 18.2660 – juris Rn. 9 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73).
Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung nicht gerecht (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Der Kläger legt nicht dar, welchen tragenden abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, der einem Rechtssatz der von ihm angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 24.6.2010 – 3 C 14.09 – BVerwGE 137, 199 Rn. 37; U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11) widersprechen würde. Vielmehr führt der Kläger die seiner Auffassung nach für seine Rechtsansicht sprechenden Urteile an, ohne diesen einen oder mehrere tragende Rechtssätze des Verwaltungsgerichts gegenüberzustellen und legt dar, weshalb das Verwaltungsgericht bei Beachtung der angeführten tragenden Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts – seiner Ansicht nach – zu einer anderen rechtlichen Bewertung hätte gelangen müssen. Er macht demzufolge der Sache nach ernstliche Richtigkeitszweifel geltend, die aber – wie oben dargelegt (s. II.1 b)) – im Hinblick auf die hier inmitten stehende Frage der Heilungsmöglichkeit einer unterbliebenen Anhörung schon nicht entscheidungserheblich waren.
3. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.
Der Kläger rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das Verwaltungsgericht die Klage wegen Fehlens einer ladungsfähigen Anschrift als unzulässig abgelehnt habe, ohne dass ihm die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, zu dem dieser Annahme des Gerichts zugrunde liegenden Sachverhalt Stellung nehmen zu können. Es handle sich insofern um eine Überraschungsentscheidung.
Zunächst kann sich der Kläger auf den geltend gemachten Verfahrensmangel schon deswegen nicht mit Erfolg berufen, weil die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt wurde – neben der Unzulässigkeit der Klage „darüber hinaus … auch“ auf ihre Unbegründetheit – und zu dieser selbständig tragenden Begründung die Zulassungsvoraussetzungen, wie oben dargelegt, nicht vorliegen.
Unabhängig davon greift die Rüge einer Überraschungsentscheidung auch in der Sache nicht. Denn eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. z.B. BVerfG, B.v. 1.8.2017 – 2 BvR 3068/14 – juris Rn. 51; BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D – juris Rn. 8 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.11.2018 – 10 ZB 18.1906 – juris Rn. 4). Von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung kann aber nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligen entspricht oder von ihm für unrichtig gehalten wird. Nach ständiger Rechtsprechung besteht keine, auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitende, generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche oder rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt.
Vorliegend hat das Gericht ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 21. Februar 2019 (s. S. 3) ausdrücklich auf den Aspekt der Pflicht zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift und den Umstand, dass eine Kostenrechnung an den Kläger nicht habe zugestellt werden können, hingewiesen. Zu der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2019 sind aber weder der Kläger noch seine Bevollmächtigte erschienen. Der am gleichen Tag gestellte Antrag auf Terminsverlegung wurde abgelehnt. Hat ein Rechtsmittelführer tatsächlich nicht an der mündlichen Verhandlung in erster Instanz teilnehmen können – so wie es der Kläger aufgrund seines ärztlichen Attests wegen „akuter Erkrankung“ geltend macht -‚ muss auch dargelegt werden‚ dass das Erstgericht einen Terminsverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kommt nur dann in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Verlegung i.S.v. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vorliegt und dem Gericht unterbreitet worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2006 – 10 B 9.06 – juris Rn. 9). Hier ist demgegenüber nicht substantiiert vorgetragen‚ dass der Antrag auf Terminsverlegung vom Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben abgelehnt worden wäre. Die Möglichkeit der Teilnahme eines am verwaltungsgerichtlichen Verfahren Beteiligten an der mündlichen Verhandlung trägt dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs Rechnung. Hat der Beteiligte einen Prozessbevollmächtigten‚ der ihn im Termin vertreten kann‚ ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör regelmäßig genügt‚ wenn dieser an der mündlichen Verhandlung teilnehmen kann (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann‚ VwGO‚ 15. Aufl. 2019, § 102 Rn. 6). Insbesondere verlangt Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht‚ dem Beteiligten neben seinem Anwalt die Möglichkeit zu persönlichen Erklärungen zu geben (BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 17 m.w.N.). Gründe, aus denen die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht an der mündlichen Verhandlung hätte teilnehmen können, wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.
Das Verwaltungsgericht hatte das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und der Kläger hat dem Gericht auch nicht (substantiiert) mitgeteilt, was für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit gesprochen hätte. Nachdem es ihm obliegt, Gebrauch von den verfahrensrechtlich gebotenen Möglichkeiten zu machen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, bleibt seiner Rüge bereits deshalb ohne Erfolg (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1982 – 9 C 912.80 – juris Rn. 11 f. m.w.N.; B.v. 18.4.1983 – 9 B 2337.80 – juris Rn. 1; B.v. 22.5.2006 – 10 B 9.06 – juris Rn. 9).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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