Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag im Asylverfahren – Homosexualität im Iran

Aktenzeichen  14 ZB 19.30324

Datum:
20.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1240
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Wird die Beweiswürdigung als solche gerügt, scheidet eine allein darauf gestützte Gehörsverletzung aus. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Aufklärungspflicht als solche gehört nicht zum Regelungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG und vermittelt deswegen auch grundsätzlich nicht den Zulassungsgrund einer Verletzung rechtlichen Gehörs. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 18.31314 2018-12-04 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S.v. § 78 Abs. 3 AsylG ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, sind sie nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers zuzulassen.
1.1. Entgegen der klägerischen Einschätzung ist nicht davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht klägerischen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hätte.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) kann darin liegen, dass entscheidungserheblicher Vortrag von einem Gericht nicht zu Kenntnis genommen wird oder unerwogen bleibt (BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85 u.a. – BVerfGE 83, 216/229 f.; BVerwG, B.v. 1.10.1993 – 6 P 7.91 – NVwZ-RR 1994, 298). Allerdings sind die Gerichte nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 12.10.1988 – 1 BvR 818/88 – BVerfGE 79, 51/61 m.w.N.). Dies ist nur der Fall, wenn Tatsachen oder Tatsachenkomplexe übergangen werden, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt (BVerwG, B.v. 1.10.1993 – 6 P 7.91 – NVwZ-RR 1994, 298 m.w.N.). Dagegen vermag die Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG, B.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273).
Die Antragsbegründung geht selbst davon aus, dass das Verwaltungsgericht die Homosexualität des Klägers nicht in Frage gestellt hat – es ist also nicht gerügt, dass das Verwaltungsgericht die klägerische Homosexualität als solche nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hätte.
1.2. Soweit die Antragsbegründung die erstinstanzlichen Schilderungen des Klägers zu seinen Erlebnissen als Homosexueller im Iran als glaubwürdig erachtet, so liegt darin letztlich eine Kritik an der gegenteiligen Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das den Vorverfolgungsvortrag des Klägers als unglaubhaft und frei erfunden eingeschätzt hat und weitgehend gemäß § 77 Abs. 2 AsylG dem streitgegenständlichen Bescheid gefolgt ist, der (dort S. 5 zweiter Absatz) unter anderem davon ausgegangen ist, dass der Kläger nicht plausibel hat darlegen können, dass ihm überhaupt homosexuelle Handlungen im Iran nachgewiesen werden konnten.
Wird die Beweiswürdigung als solche gerügt, scheidet eine allein darauf gestützte Gehörsverletzung aus. Denn in der Regel sind die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 – 10 B 19.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Nr. 67 Rn. 4 m.w.N.). Zwar kann die Beweiswürdigung ausnahmsweise verfahrensfehlerhaft i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein, wenn sie objektiv willkürlich ist, gegen Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet, was vorliegend schon nicht vorgetragen ist. Dabei läge auch bei einer mit derart schweren Mängeln behafteten Sachverhaltswürdigung ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs i.S.v. § 138 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO nicht vor (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2018 – 14 ZB 17.30263 – juris Rn. 8 m.w.N.). Ein Gehörsverstoß kann sich in diesem Zusammenhang nicht aus Fehlern der Beweiswürdigung als solcher, sondern – wenn überhaupt – aus spezifisch auf das rechtliche Gehör bezogenen Fehlern ergeben, etwa wenn gleichzeitig eine Überraschungsentscheidung vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.1987 – 4 C 30.85 – NJW 1988, 275), was vorliegend aber weder dargelegt noch ersichtlich ist.
1.3. Soweit die Antragsbegründung rügt, in Anbetracht der Tatsache, dass auch das Verwaltungsgericht von der Homosexualität des Klägers ausgegangen sei, sei das Verwaltungsgericht zumindest verpflichtet gewesen, sich näher mit der Gefährdungslage auseinanderzusetzen, wobei sie unter Hinweis auf eine “allgemeine Auskunftslage” die Verfolgungsrisiken Homosexueller im Iran als gerade auch unabhängig von einer Vorverfolgung schildert, so ist damit ein Gehörsverstoß schon deshalb nicht hinreichend dargetan i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, weil es insoweit an einer hinreichenden Bezeichnung konkreter Erkenntnismittel fehlt, aus denen sich Aussagen über die Lage Homosexueller im Iran ergeben sollen.
1.4. Schließlich begründet die klägerische Kritik, das Verwaltungsgericht habe seine Pflicht, sich näher mit der Gefährdungslage auseinanderzusetzen, verletzt, einen Gehörsverstoß auch insoweit nicht, als darin eine sog. Aufklärungsrüge enthalten sein sollte.
Es ist auch insoweit zunächst zu sehen, dass die Antragsbegründung keinerlei konkrete Erkenntnismittel bezeichnet, aus denen sich ihre Schilderung der Verfolgungsrisiken Homosexueller im Iran ergeben sollen – vielmehr spricht sie nur unspezifisch von der “allgemeinen Auskunftslage” und genügt insoweit den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht.
Unabhängig davon gehören Verstöße gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO als solche im Ausgangspunkt nicht zu den Verfahrensmängeln, auf die der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG gestützt werden kann (SächsOVG, B.v. 16.6.2009 – A 3 A 310/07 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 12.1.2012 – 14 ZB 11.30140 – juris Rn. 4; B.v. 29.8.2017 – 11 ZB 17.31081 – juris Rn. 4 m.w.N.). Denn die Aufklärungspflicht als solche gehört nicht zum Regelungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG und vermittelt deswegen auch grundsätzlich nicht den Zulassungsgrund einer Verletzung rechtlichen Gehörs (BVerfG, B.v. 18.2.1988 – 2 BvR 1324/87 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 19.10.1998 – 27 ZB 98.30836 – juris Rn. 4). Zwar kann die Ablehnung eines Beweisantrags zu einem Gehörsverstoß führen, wenn sie keine Stütze im Prozessrecht (§ 86 Abs. 2 VwGO) findet (BVerfG, B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141/143 f.; B.v. 27.1.1995 – 1 BvR 1430/94 – NJW 1995, 1417; OVG Bremen, B.v. 29.12.2011 – 2 A 216/10.A – juris Rn. 3 m.w.N.). Das setzt aber voraus, dass ein solcher Beweisantrag auch gestellt worden ist.
Vorliegend jedoch hat die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 3. Dezember 2018 keinen Beweisantrag i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO gestellt und auch nicht dazu vorgetragen, weshalb ihr Derartiges nicht möglich gewesen wäre. Die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art 103 Abs. 1 GG), erfordert aber regelmäßig die substantiierte Darlegung des Klägers, dass er sämtliche ihm verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, U.v. 29.6.2015 – 10 B 66.14 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 25.8.2016 – 14 ZB 16.30133 – juris Rn. 4).
1.5. Dahinstehen kann dabei im Hinblick auf die Gehörsrüge die Frage, ob die Richtigkeit des argumentativen Kerngedankens des angegriffenen Urteils – dass angesichts der vom Verwaltungsgericht angenommenen Unglaubhaftigkeit des klägerischen Vorverfolgungsvortrags nicht beachtlich wahrscheinlich sei, dass den iranischen Behörden die Homosexualität des Klägers bekannt würde (UA Rn. 31) – ernstlich zweifelhaft ist.
Denn diese Frage würde nicht das Verfahren und insbesondere nicht das rechtliche Gehör, sondern die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung betreffen, die im Asylprozess gerade nicht zu einer Berufungszulassung führen kann, weil der Gesetzgeber in § 78 Abs. 3 AsylG keine dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechende Regelung vorgesehen hat.
2. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG kommt nicht in Betracht.
2.1. Klägerseits wird zunächst die Tatsachenfrage für grundsätzlich klärungsbedürftig gehalten, ob Homosexuelle, die bei Entdeckung ihrer Homosexualität nach der allgemeinen Auskunftslage einem erheblichen Gefährdungspotenzial bis hin zur Todesstrafe unterliegen, allein durch die Homosexualität einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit unterliegen, weil permanente Entdeckungsgefahr bestehe.
Des Weiteren will der Kläger grundsätzlich geklärt wissen, ob in Anbetracht der Tatsache, dass auch nach der derzeit gültigen Rechtsprechung offen gelebte Homosexualität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehe, es einem Homosexuellen zuzumuten sei, seine Sexualität in seinem Heimatland zu unterdrücken und zu verstecken, um Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen.
Die Frage, ob Homosexuelle im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen ihrer sexuellen Veranlagung – auch ohne Vorverfolgung – in die Gefahr politischer Verfolgung geraten, sei vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 15. März 1988 – 9 C 278.86 – (BVerwGE 79, 143) positiv entschieden worden. Es müsse deshalb höchstrichterlich geklärt werden, ob diese im Jahr 1988 und 1989 geltende Rechtsprechung auch heute noch Bestand habe.
2.2. Mit diesem Vortrag ist eine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht dargelegt i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG.
2.2.1. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage im konkreten Rechtsstreit klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist, dass diese Frage sich als klärungsbedürftig, insbesondere nicht schon höchst- oder obergerichtlich geklärt und nicht direkt aus dem Gesetz zu beantworten erweist und dass ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 28.7.2010 – 14 ZB 09.422 – juris Rn. 8 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG im Hinblick auf § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930 – juris Rn. 2).
2.2.2. Vor diesem Hintergrund ist hinsichtlich der zweiten Frage nach der Zumutbarkeit eines Unterdrückens oder Versteckens der eigenen Homosexualität die Klärungsbedürftigkeit in der Antragsbegründung nicht hinreichend dargelegt i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG.
Die Antragsbegründung befasst sich nicht näher mit den insoweit bereits erfolgten Klärungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach die sexuelle Ausrichtung einer Person so bedeutsam für deren Identität ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten (EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2013:720 Rn. 46) und außerdem nicht erwartet werden kann, dass ein Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (EuGH, U.v. 7.11.2013 a.a.O. Rn. 71).
Es bestand vorliegend Anlass, sich mit dieser Rechtsprechung zu beschäftigen, weil diese vom angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteil explizit zitiert wird (UA Rn. 28). Dass das Verwaltungsgericht im Zuge seiner weiteren Prüfung auf die besagten unionsrechtlichen Klärungen wiederum nicht näher argumentativ eingegangen ist, ändert nichts daran, dass sich jedenfalls auch die Antragsbegründung damit nicht näher befasst.
2.2.3. Auch bei der ersten Frage nach der beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit allein durch die Homosexualität wegen permanenter Entdeckungsgefahr genügt die Antragsbegründung den Darlegungsanforderungen nicht.
Es ist schon nicht hinreichend dargelegt, inwieweit es angesichts der besagten unionsrechtlichen Klärungen (EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2013:720 Rn. 46, 71; siehe 2.2.2.) überhaupt auf die Frage der permanenten Entdeckungsgefahr ankommen sollte, nachdem ohnehin eine Geheimhaltung der Homosexualität nicht verlangt werden kann.
3. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

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