Aktenzeichen M 22 S 18.52859
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. Abs. 7 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2, Abs. 4
Leitsatz
Systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Spanien bestehen nicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 13. September 2018 verfügte Anordnung der Abschiebung nach Spanien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger der Republik Tansania und gehört der Volksgruppe der Muhaya an. Er stellte am 26. Juni 2018 einen förmlichen Asylantrag. Gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab der Antragsteller an, er habe Tansania im April 2016 verlassen und sich für ca. zwei Jahre legal mit Aufenthaltstitel in Uganda aufgehalten. Danach sei mit dem Flugzeug nach Spanien (Madrid) eingereist und mit einem Anschlussflug am … Mai 2018 nach Deutschland (Frankfurt) gekommen. Er habe ein Schengen-Visum für Spanien besessen, das ihm die französische Vertretung in …, Uganda, ausgestellt habe.
Eine Anfrage des Bundesamts vom 26. Juni 2018 ergab für den Antragsteller einen VIS-Treffer (= Visa-Informationssystem, Visum Nr. FRA* …*). Dem Antragsteller wurde demnach am 13. April 2018 in …, Uganda, von der Vertretung des französischen Außenministeriums (Ministère des Affaires Etrangères) ein Kurzaufenthaltsvisum (Dauer des erlaubten Aufenthalts: 15 Tage) für die Schengen-Staaten, stellvertretend für das Land Spanien, ausgestellt (Bl. 4 f. der Bundesamtsakte). Das Visum war demnach gültig vom 25. April 2018 bis zum 25. Mai 2018.
Die Antragsgegnerin richtete mit Schreiben vom 25. Juli 2018 ein Aufnahmeersuchen an Spanien, das die spanischen Behörden zunächst mit Schreiben vom 30. August 2018 ablehnten, da nicht eindeutig geklärt sei, dass der Antragsteller in den Bereich der Mitgliedsstaaten eingereist sei, indem er das Visum benutzt habe. Ein Nachweis über die Reise des Antragstellers sei nicht beigefügt. Die Antragsgegnerin teilte den spanischen Behörden daraufhin am 31. August 2018 mit, dass sie mit der Zurückweisung des Aufnahmeersuchens nicht einverstanden sei und übermittelte gleichzeitig das Flugticket des Antragstellers von Madrid nach Frankfurt, datierend auf den … Mai 2018. Mit Schreiben vom 13. September 2018 akzeptierten die spanischen Behörden das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin schließlich.
Mit Bescheid vom 13. September 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Nr. 3) und befristete das gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Laut der in Bundesamtsakte befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Antragsteller am 21. September 2018 zugestellt.
Der Antragsteller ließ hiergegen mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom … September 2018, bei Gericht per Telefax am selben Tag eingegangen, Klage erheben (Az.: M 22 K 18.52858) mit dem Antrag, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. September 2018 aufzuheben.
In demselben Schriftsatz ließ der Antragsteller außerdem beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung des Antrags wird vorgebracht, dass der Großvater des Antragstellers ein deutscher Missionar in Tansania gewesen sei. Der Antragsteller suche daher nach Verwandten in Deutschland, eine Abschiebung nach Spanien würde eine unbillige Härte darstellen.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte dieses, des zugehörigen Klageverfahrens sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der fristgerecht (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) erhobene Antrag ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1. Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und dem Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der angefochtene Bescheid dagegen bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht.
2. Vorliegend erweist sich die im Bescheid des Bundesamtes vom 13. September 2018 verfügte Abschiebungsanordnung, die zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützt wurde, voraussichtlich als rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr.1 lit. a) AsylG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) zuständig ist.
2.1 Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Spanien – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für den Antrag auf Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin-III-VO und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert.
2.2 Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Diese Kriterien finden in der in Kapitel III der Dublin-III-VO genannten Reihenfolge Anwendung, Art. 7 Abs. 1 der Dublin-III-VO.
Bei Anwendung dieser Kriterien ist Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 i.V.m Abs. 2 Satz 1 und 2 Dublin-III-VO, da der Antragsteller mit einem von den französischen Behörden stellvertretend für Spanien ausgestellten Visum, welches seit weniger als sechs Monaten seit der Asylantragstellung abgelaufen ist, in den Schengen-Raum bzw. in den Anwendungsbereich der Dublin-III-VO eingereist ist. Der Umstand der Ausstellung des Visums für Spanien unterliegt keinen Zweifeln; er ergibt sich bereits aus dem eigenen Vortrag des Antragstellers sowie aus dem VIS-Treffer. Die Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Antragsgegnerin übergegangen. Insbesondere wurde das Gesuch um Aufnahme des Antragstellers am 25. Juli 2018 und damit innerhalb von drei Monaten nach der Asylantragstellung an Spanien gerichtet (vgl. Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO). Die spanischen Behörden haben schließlich das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin ausdrücklich innerhalb der zweimonatigen Frist akzeptiert (vgl. Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO) und sich für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers für zuständig erklärt. Damit ist vorliegend Spanien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
2.3 Die Abschiebung nach Spanien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden. Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung nach Spanien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Spanien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 86 ff.; BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris Rn. 6).
Dies ist in Bezug auf Spanien zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG) nicht der Fall. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Spanien bestehen. Das Gericht schließt sich insoweit der bisher einhelligen Bewertung des Verwaltungsgerichts München und anderer Verwaltungsgerichte an (vgl. u.a. VG München, B.v. 22.2.2018 – M 2 S 18.50431 – juris Rn. 18 ff.; U.v. 13.6.2017 – 10 K 240/15.A – juris Rn 116 ff.; B.v. 10.5.2017 – M 8 S 17.51200 – juris Rn. 20 ff.; VG Würzburg, B.v. 23.5.2018 – W 8 S 18.50234 – juris Rn. 15 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 28.7.2017 – 12 L 2824/17.A – juris Rn. 22 ff.).
2.4 Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO notwendig machen, sind – ebenso wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse – nicht ersichtlich. Der Vortrag des Antragstellers, er suche in Deutschland nach Verwandten, ist erkennbar nicht geeignet, ein Abschiebungshindernis zu begründen. Die Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, da es sich um Vorbringen handelt, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen daher gleichfalls keine Bedenken.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).