Verwaltungsrecht

Erfolgloses Eilverfahren eines afghanischen Flüchtlings gegen eine Abschiebungsanordnung nach Schweden

Aktenzeichen  M 2 S 18.50957

Datum:
5.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8136
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29, § 34a
Dublin III-VO Art. 3, Art. 13, Art. 17
GRCh Art. 3, Art. 4

 

Leitsatz

1. Die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der GFK, der EMRK und der GRCh entspricht, ist nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt; vielmehr sind an die Feststellung systemischer Mängel hohe Anforderungen zu stellen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Entscheidungszeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Schweden aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für … (Bundesamt) vom 21. März 2018.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 19. Februar 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 6. März 2018 einen Asylantrag, nachdem er bereits am 21. Februar 2018 ein Asylgesuch geäußert hatte. Eine EURODAC-Recherche ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Schweden.
Am 8. März 2018 wurde vom Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Schweden gerichtet. Mit Schreiben vom 14. März 2018 teilte die schwedische Agentur für Migration ihre Bereitschaft zur Wideraufnahme des Antragstellers mit.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21. März 2018, dem Antragsteller zugestellt am 27. März 2018, wurde in Nummer 1 der Antrag auf Asyl als unzulässig abgelehnt, in Nummer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, in Nummer 3 die Abschiebung nach Schweden angeordnet und in Nummer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Antragsteller hat am 29. März 2018 zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 21. März 2018 erhoben. Mit gleichzeitig gestelltem Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Nr. 3 des Bescheids vom 21. März 2018 anzuordnen.
Das Bundesamt hat die Verfahrensakte elektronisch vorgelegt. Eine Antragstellung oder Äußerung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist wegen Nichteinhaltung der einwöchigen Antragsfrist unzulässig.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, da die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
1. Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Schweden – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für die Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert.
2. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist hier mit Blick auf Schweden der Fall.
Schweden ist als Mitgliedsstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des EURODAC-Treffers „SE1 …“ einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Dublin-III-VO.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Schweden für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend vom Vortrag des Antragstellers und nach dem EURODAC-Treffer hat er in Schweden einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Schweden wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „SE1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der VO (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013). Der für den Antragsteller vorliegende EURODAC-Treffer erbringt den Nachweis der Asylantragstellung in Schweden zudem mit normativer Rechtmäßigkeits- und Richtigkeitsgewähr des Unionsrechts (vgl. Art. 23 der VO (EU) Nr. 603/2013).
Das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, Art. 23 Abs. 2 der Dublin-III-VO wurde am 8. März 2018 gestellt und von der schwedischen Agentur für Migration mit Schreiben vom 14. März 2018 positiv beschieden.
3. Die Abschiebung nach Schweden kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Schweden als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Schweden infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Schweden aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen. In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist einhellig anerkannt, dass das schwedische Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen nicht an systemischen Mängeln leidet (vgl. aktuell z.B. VG München, B.v. 11.1.2018 – M 9 S 17.52808 – juris Rn. 29; VG Berlin, B.v. 18.12.2017 – 9 L 676.17 A – juris Rn. 8; VG München, B.v. 2.5.2017 – M 1 S 17.50978 – juris Rn. 15; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 26.4.2017 – 13 A 348/17.A – juris sowie VG Düsseldorf, B.v. 4.1.2017 – 12 K 9475/16.A – in der Vorinstanz; VG Würzburg, B.v. 3.4.2017 – W 1 S 17.50167 – juris Rn. 19 m.w.N.). Der vom Antragsteller befürchtete Umstand, dass ihm in Schweden die Abschiebung nach Afghanistan drohe, steht dem nicht entgegen, da sein Asylantrag in Schweden abgelehnt wurde; vor diesem Hintergrund ist auch die Möglichkeit der Abschiebung nach Afghanistan nichts rechtlich Angreifbares, sondern gerade Ausdruck der gegenseitigen Anerkennung asylrechtlicher Entscheidungen unter den EU-Mitgliedstaaten.
4. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO notwendig machen, liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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