Aktenzeichen W 8 S 18.32428
AsylG § 24 Abs. 1 S. 3, § 30 Abs. 3 Nr. 2, § 36 Abs. 4 S. 1
Leitsatz
Ist die Frage der Glaubhaftigkeit und Nachhaltigkeit der Konversion vom Islam zum Christentum offen und durch die persönliche Anhörung des Antragstellers im Hauptsacheverfahren zu klären, bestehen ernstliche Zweifel am Offensichtlichkeitsausspruch auch im Falle einer Identitätstäuschung. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2018 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger, der nach eigenen Angaben am 27. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und am 15. März 2016 einen Asylantrag stellte.
Zur Begründung seines Asylantrages brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor: Er sei afghanischer Staatsangehöriger. Afghanistan habe er im Jahr 2006 verlassen. Im Jahr 2010 sei er in Moskau zum Christentum übergetreten. Gegen einen ablehnenden Bescheid erhob der Antragsteller im Verfahren W 1 K 18.30683 am 14. Februar 2017 Klage. Anlässlich einer durch die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken durchgeführten ausländerrechtlichen Sicherheitsbefragung gab der Antragsteller seinen nunmehrigen Namen an und legte einen iranischen Personalausweis vor. Der Antragsteller erklärte, er habe sich aus Furcht vor Abschiebung zunächst als afghanischer Staatsbürger ausgegeben. Zu seiner Konversion vom Islam zum Christentum legte der Antragsteller noch eine Taufurkunde aus dem Jahr 2009 in russischer Sprache vor. Sowohl in Kitzingen als auch in der Nähe seines Wohnorts in Aschaffenburg habe er eine Kirche besucht.
Mit Bescheid vom 16. November 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf acht Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller sein Herkunftsland unter dem Eindruck einer tatsächlich oder drohenden Verfolgung verlassen habe. In der Gesamtschau aller Umstände sei weiter nicht davon auszugehen, dass sich der Antragsteller im Iran öffentlich als Christ bezeichne oder durch entsprechendes Handeln in sonstiger Weise so dort wahrgenommen würde. Allein wegen der formellen Konversion zum Christentum seien bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten.
Am 28. November 2018 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 18.32426 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen ausführen: Das Vorbringen des Antragstellers bezüglich seiner Verfolgung im Heimatland und seines christlichen Glaubens sei nicht ohne weiteres als unglaubhaft einzustufen. Die Rückkehr in den Iran könne dem Antragsteller nicht zugemutet werden. Gerade zum Christentum konvertierte Muslime könnten staatlichen Repressionen ausgesetzt sein. Selbst wenn man von offenen Erfolgsaussichten ausgehe, wäre das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung über die Klage nicht zwangsweise abgeschoben zu werden, angesichts der nicht ausschließbaren drohenden Gefahr höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer möglichst umgehenden Abschiebung.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 30. November 2018, den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (einschließlich der Akten der Verfahren W 8 K 18.32426 und W 1 K 18.30683) und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheides vom 16. November 2018 ist zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
Der Antrag ist auch begründet, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Prüfungsmaßstab für die Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs ist die Frage, ob ernstliche Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts vorliegen. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166).
Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Ein unbegründeter Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert (§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146; B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamts in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe bei der gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2018 zu beanstanden, und zwar insbesondere, weil an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen ernsthafte Zweifel bestehen, so dass sich die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet nicht aufdrängt. Vielmehr ist insbesondere durch die Frage der Glaubhaftigkeit und Nachhaltigkeit der Konversion vom Islam zum Christentum offen und durch die persönliche Anhörung des Antragstellers im Hauptsacheverfahren zu klären.
Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugestehen, dass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG vorliegen, weil der Antragsteller zweifelsohne über seine Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht hat, indem er sich zunächst unter Vorlage falscher Papiere als afghanischer Staatsangehöriger ausgegeben hat. Er hat seine diesbezüglichen Angaben auch nicht bis zum Ende der Anhörung in dem betreffenden Asylverfahren korrigiert. Vielmehr hat er zunächst auf seine falsche Identität beharrt und erst anlässlich einer Sicherheitsbefragung durch die Zentrale Ausländerbehörde am 16. April 2018 seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit preisgegeben (vgl. Heusch, in Beck´scher Online-Kommentar, Ausländerrecht, hrsg. v. Kluth/Heusch, 19. Edition, Stand: 1.8.2018, § 30 AsylG Rn. 41 m.w.N.).
Gleichwohl war die aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil allein die Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 30 Abs. 3 AsylG für ein Offensichtlichkeitsverdikt nicht ausreicht. Die qualifizierte Antragsablehnung als offensichtlich setzt vielmehr die vorangegangene Einstufung des Asylantrags als unbegründet voraus. Erforderlich ist in jedem Fall, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung nach § 3 AsylG droht und auch sonst die Voraussetzungen des § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nicht vorliegen (vgl. Heusch, Heusch, in Beck´scher Online-Kommentar, Ausländerrecht, hrsg. v. Kluth/Heusch, 19. Edition, Stand: 1.8.2018, § 30 AsylG Rn. 30; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 30 AsylG Rn. 10; Schröder in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 30 AsylG Rn. 16).
Insofern hat das Gericht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) ernstliche Zweifel, an der Einstufung des Asylantrags als unbegründet. Denn angesichts des Vorbringens des Antragstellers bestehen Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen. Der Antragsteller hat vorgetragen in Russland vom Islam zum Christentum konvertiert zu sein. Er hat eine Taufurkunde vorgelegt. Der Antragsteller hat weiter vorgebracht sowohl in Kitzingen als auch nunmehr in der Nähe von Aschaffenburg die Kirche zu besuchen. Weiter hat er missionarische Aktivitäten behauptet.
Das Gericht sieht bei diesem Vorbringen zumindest die begründete Möglichkeit einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Konversion des Antragstellers vom Islam zum Christentum. Denn nach ständiger Rechtsprechung der Kammer führt ein ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswechsel eines Iraners zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. zuletzt etwa U.v. 29.10.2018 – W 8 K 18.31774), weil und soweit der Betreffende tatsächlich Grund zur Befürchtung hat, nach seiner Rückkehr in den Iran verfolgt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 4.10.2018 – C-56/17 – juris). Ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Person des Antragstellers tatsächlich vorliegen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest offen und im Rahmen des anhängigen Klageverfahrens nach persönlicher Anhörung des Antragstellers durch das Gericht zu entscheiden. Das betreffende Vorbringen des Antragstellers ist jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignet. Der Offensichtlichkeitsausspruch mit der Folge einer sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist im Ergebnis nicht gerechtfertigt (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG).
Das Gericht verkennt zusammengefasst nicht die gravierende Verletzung der Mitwirkungspflichten des Antragstellers nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG. Jedoch bleiben demgegenüber – und erst im Hauptsacheverfahren im Rahmen der Anhörung des Antragstellers zu klärende – offene Fragen, so dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen als Basis für eine Ablehnung des Asylbegehrens als offensichtlich unbegründet durchschlagende Zweifel verbleiben.
Nach alledem lässt sich das Ablehnen des Asylbegehrens als offensichtlich unbegründet mit der Folge der sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung nicht aufrecht erhalten, weil das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung über die Klage nicht abgeschoben zu werden, angesichts der bei einer Abschiebung in den Iran möglicherweise drohenden Gefahren das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug der Abschiebung überwiegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.