Aktenzeichen M 17 S 15.31602
Leitsatz
Von einer persönlichen Anhörung im Falle eines Zweitantrags kann gem. § 71a Abs. 2 S. 2 AsylG idR nur abgesehen werden, wenn das Bundesamt die Akten des in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Asylverfahrens vorliegen hat (ebenso VG Aachen BeckRS 2015, 50006). Eine schriftliche Stellungnahme kann nur genügen, wenn sich daraus sicher und zuverlässig beurteilen lässt, dass das Vorbringen eindeutig unschlüssig ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. November 2015 in Nr. 3 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Palästinenser aus …, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Glaubensrichtung. Nach eigenen Angaben verließ er im Sommer 2009 sein Herkunftsland und reiste auf dem Landweg über Ägypten (6 Tage), Türkei (1 Monat), Bulgarien (4 Jahre), Serbien (1 Woche), Ungarn (4 Tage) und Österreich (6 Tage) am 15. Juni 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Laut Eurodac-Abfrage stellte der Kläger Asylanträge in Bulgarien (am 2.12.2009, am 20.9.2011, am 26.6.2012 und am 14.2.2014), Ungarn (am 10.6.2014) und Österreich (am 11.6.2014).
Bei der Asylantragstellung am 8. Juli 2014 in der Außenstelle München des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im folgenden Bundesamt) erklärte der Antragsteller, er habe sich gewöhnlich in Syrien aufgehalten.
Auf Anfrage des Bundesamtes teilte die Dublin Unit der Republik Bulgarien mit Schreiben vom 30. Januar 2015 (Bl. 54 der Behördenakte – d. BA) mit, dass der Antragsteller mehrfach in Bulgarien einen Asylantrag gestellt habe. Sein letzter Antrag vom 14. Februar 2014 sei mit Bescheid vom 20. Mai 2014 abgelehnt worden.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2015 wurde dem Antragsteller Gelegenheit gegeben, zu den Ergebnissen der in anderen Mitgliedstaaten durchgeführten Schutzverfahren Stellung zu nehmen. Er wurde darauf hingewiesen, dass bei einem erfolglosen Verfahren im ersten Mitgliedstaat Voraussetzung für die Durchführung eines weiteren Verfahrens in Deutschland sei, dass sich die Lage nach dem Verlassen des Mitgliedstaates, in dem zuerst Schutz beantragt wurde, geändert habe oder neue Umstände oder Erkenntnisse vorliegen müssten, die eine günstigere Entscheidung ermöglichen würden.
Am 4. August 2015 ließ der Antragsteller dem Bundesamt durch seinen Bevollmächtigten eine Stellungnahme, datiert auf den 23. Juli 2015 (Bl. 77 f. d. BA), übersenden, in der er erklärte, sein Antrag auf Schutz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union sei abgelehnt worden. Auf die Frage nach Gründen, die einer Rückkehr in sein Heimatland entgegenstehen, erklärte der Antragsteller, nicht in seine Heimat zurückkehren zu können, weil er Angst um sein Leben habe. Sein Bruder sei verhaftet und ins Gefängnis verbracht worden, um den Antragsteller zur Rückkehr zu zwingen. Die Organisation Hamas verfolge seine Familie und ihn. Sie werfe ihm wahrheitswidrig vor, während der Revolution 2007 jemanden getötet zu haben. Seine Familie und er würden verfolgt, weil sie Anhänger von Arafat und der PLO seien. Sein Vater sei wegen des Antragstellers von der Hamas derart terrorisiert worden, dass er an einem Herzinfarkt verstorben sei. Die Grenzen des … seien auf beiden Seiten gut bewacht, so dass es keine Möglichkeit gebe, in seine Heimat zurückzukehren. In das Land könnten nicht einmal Nahrungsmittel oder Medizin geschleust werden. Den Menschen dort fehle es an allem und sie würden dort politisch unterdrückt. Zudem sei seine rechte Hand von einer Phosphorbombe stark verletzt worden, weshalb er stark traumatisiert sei.
Am 22. September 2015 wurde dem Antragsteller rechtliches Gehör zum Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 und 2 Aufenthaltsgesetz – AufenthG) gewährt.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 wiederholte und vertiefte der Bevollmächtigte des Antragstellers sein bisheriges Vorbringen.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 25. November 2015, der als Einschreiben am 25. November 2015 laut Aktenvermerk (Bl. 107 d. BA) zur Post gegeben wurde, den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab (Nr. 1), verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2), forderte den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung nach Israel (Palästinensisches Autonomiegebiet/…) auf, Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen (Nr. 3), und befristete das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller bereits in seinem bulgarischen Asylverfahren die Gelegenheit gehabt habe, den Sachverhalt mitzuteilen, auf den er sich nach dem Inhalt seiner Stellungnahme auch jetzt in Deutschland beruft. Soweit der Antragsteller ohne nähere Zeitangaben ausführe, der Bruder sei seinetwegen verhaftet worden und sein Vater sei wegen des Terrors der Hamas an einem Herzinfarkt verstorben, sei unklar, ob diese Angaben bereits im bulgarischen Asylverfahren haben berücksichtigt werden können. Der bei Übersendung der Stellungnahme bereits anwaltlich vertretene Antragsteller wäre jedoch verpflichtet gewesen, die genannten Umstände zeitlich einzuordnen, um die Prüfung der Voraussetzungen von § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG zu ermöglichen. Da er dies versäumt habe, sei sein Vorbringen insoweit unschlüssig. Zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, etwa durch eine (informatorische) Anhörung, sei das Bundesamt im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles nicht verpflichtet. Der Antragsteller habe in Europa mehrere erfolglose Asylverfahren betrieben und halte sich seit mindestens sechs Jahren außerhalb seiner Heimatregion … auf. Aus dem zeitlichen Ablauf der Asylantragstellung (in Ungarn und Österreich habe der Antragsteller das Ergebnis der Asylverfahren gar nicht abgewartet, sondern sei sofort weitergereist) sei abzuleiten, dass er nach der Ablehnung seiner Asylanträge in Bulgarien jedenfalls in Ungarn, Österreich und Deutschland nicht wirklich Schutz vor Verfolgung begehrt habe bzw. begehre, sondern diese Asylanträge aus anderen Motiven gestellt habe. Eine Anhörung sei nach § 71a Abs. 2 Satz 2 Asylgesetz (AsylG) nicht erforderlich, weil der Sachverhalt durch die Erstbefragung vom 8. Juli 2014 und die schriftliche Stellungnahme des Antragstellers hinreichend geklärt sei. Gegen die Glaubwürdigkeit des Antragstellers spreche, dass dieser im deutschen Asylverfahren zunächst wahrheitswidrig behauptet habe, in Syrien gelebt zu haben. Diese Behauptung stehe im Widerspruch zu seiner Angabe, er sei vom Heimatland nach Ägypten ausgereist; in der Stellungnahme habe der Antragsteller den … als seine Heimat bezeichnet. Zudem lägen Abschiebungsverbote nicht vor. Dem Antragsteller drohe im … mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter und relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Dabei sei nicht entscheidungserheblich, ob die Hamas im … staatliche Gewalt ausübe oder als nichtstaatlicher Akteur anzusehen sei. Der Antragsteller habe durch seine Stellungnahme nicht glaubhaft gemacht, dass für ihn gegenwärtig, mindestens sechs Jahre nach seiner Ausreise aus …, dort noch die konkrete Gefahr der Folter, Misshandlung oder erniedrigenden Bestrafung bestehe. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in … führten nicht zu der Annahme, dass bei seiner Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Wenngleich die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung im … durch israelische Handelsblockaden beeinträchtigt sei und das hohe Bevölkerungswachstum für die langfristige Entwicklung als sehr problematisch zu bezeichnen sei, bestehe gegenwärtig noch keine akute humanitäre Notlage. Der Antragsteller habe eine ihm drohende individuelle Gefahr nach § 60 Abs. 7 AufenthG im … nicht überzeugend dargelegt. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 71 a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71 a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Die Befristung auf 30 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen, da der Antragsteller im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen verfüge, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2015 Klage (M 17 K 15.31601). Gleichzeitig beantragte er mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2015, dem Verwaltungsgericht München am selben Tage zugegangen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 4. Dezember 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. November 2015 anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache jedoch nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Bei interessengerechter Auslegung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) ist der Eilantrag allein auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im angegriffenen Bundesamtsbescheid unter Ziffer 3. des Tenors ausgesprochene Abschiebungsandrohung gerichtet.
2. Der zulässige Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, hat in der Sache Erfolg, da an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 25. November 2015 ernstliche rechtliche Bedenken bestehen (§ 71a Abs. 4 i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes des Bundesamtes bestehen. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprächen, dass sie einer rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhalten. Dies ist hier der Fall.
Nach § 71a AsylG ist nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Fall eines Asylantrags im Bundesgebiet (Zweitantrag) ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (Wiederaufgreifen des Verfahrens) vorliegen.
Zwar ist davon auszugehen, dass in Bulgarien ein Asylverfahren erfolglos im Sinne des § 71a AsylG abgeschlossen wurde und die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (2.1.), jedoch bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin, da das Bundesamt den Antragsteller vor der Entscheidung nicht persönlich angehört hat (2.2.) sowie erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen und damit ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen ist (2.3.). Insoweit kann offen bleiben, ob § 71a AsylG unionsrechtskonform ist (VG Berlin, B. v. 17.7.2015 – 33 L 164/15.A – juris Rn. 10 ff.; VG München, U. v. 7.2.2013 – M 11 K 12.30661 – juris Rn. 21; a. A. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. (2014), § 71a Rn. 3 ff.).
2.1. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass es sich bei dem am 8. Juli 2014 in der Außenstelle München des Bundesamtes gestellten Asylantrag um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG handelt, da ein Asylverfahren in dem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) Bulgarien, erfolglos abgelehnt wurde. Der Antragsteller gab in dem von ihm am 23. Juli 2015 ausgefüllten Fragebogen selbst an, dass sein Antrag auf Zuerkennung des internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union abgelehnt wurde (Bl. 77 d. BA). Der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in Bulgarien wird darüber hinaus durch die Stellungnahme der Dublin Unit Bulgaria vom 30. Januar 2015 (Bl. 54 d. BA) bestätigt. Darin wurde auf Anfrage dem Bundesamt mitgeteilt, dass der letzte Asylantrag des Antragstellers vom 14. Februar 2014 mit Bescheid vom 20. Mai 2014 abgelehnt wurde („His last application dated 14.02.2014 and was rejected with decision dated 20.05.2014“).
Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 VO (EG) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
2.2. Gleichwohl bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin, da sie den Antragsteller vor der Entscheidung nicht persönlich angehört hat. Nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylG gelten für das Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, die §§ 12 bis 25, 33, 44 bis 54 AsylG entsprechend. Ein Asylsuchender ist nach § 24 Abs. 1 Satz 3 und § 25 AsylG zwingend zu seinem Verfolgungsschicksal persönlich anzuhören. Mit dieser Pflicht korrespondiert zugleich ein subjektives Recht des Asylbewerbers auf eine persönliche Anhörung (Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU). Sie bildet neben der Sachverhaltsermittlung das Kernstück des Verfahrens vor dem Bundesamt und kann weder durch die Anhörung eines Vertreters noch durch eine schriftliche Stellungnahme ersetzt werden (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016 § 25 Rn. 12).
Nach § 71a Abs. 2 Satz 2 AsylG kann von einer persönlichen Anhörung nur dann abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. Hiervon dürfte zumindest i.d.R. von vornherein nur dann ausgegangen werden können, wenn aufgrund etwa vorliegender schriftlicher Ausführungen je nach deren Ausführlichkeit bereits zuverlässig und sicher beurteilt werden kann, dass das Vorbringen eindeutig (offensichtlich) unschlüssig ist (Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, 104. Aktualisierung 2015, § 71a Rn. 23 ff.). Nach Teilen der Literatur und der Rechtsprechung (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. (2014), § 71a Rn. 16; VG Aachen, B. v. 4.8.2015 – 8 L 171/15.A – juris Rn. 25) kann von einer persönlichen Anhörung sogar nur dann abgesehen werden, wenn das Bundesamt die Akten des Asylverfahrens eines anderen Mitgliedstaats vorliegen hat. Denn nur dann ist der von § 51 VwVfG vorausgesetzte Vergleich möglich, ob ein neues Vorbringen vorliegt.
Das Bundesamt hat die Akten über das Verfahren des Antragstellers in Bulgarien nicht beigezogen. Es ist deshalb schon nicht ersichtlich, auf welche Tatsachengrundlage es seine Entscheidung gestützt hat. Aber auch die schriftliche Stellungnahme des Antragstellers vom 23. Juli 2015 genügt nicht, um nach den Anforderungen des § 71a Abs. 2 Satz 2 AsylG von einer persönlichen Anhörung abzusehen. Aus der Stellungnahme kann nicht bereits zuverlässig und sicher das Vorbringen des Antragstellers als eindeutig (offensichtlich) unschlüssig beurteilt werden. Der Antragsteller schildert in seinen schriftlichen Ausführungen vom 23. Juli 2015 im Wesentlichen, aus Angst um sein Leben nicht mehr in sein Herkunftsland zurückkehren zu können, da er Repressionen von Mitgliedern der Hamas befürchte. Zudem sei seine rechte Hand von einer Phosphorbombe stark verletzt worden, weshalb er stark traumatisiert sei. Dass dieser Vortrag von vornherein und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt, weder einen Verfolgungsgrund noch ein Abschiebungsverbot zu begründen vermag, kann im Hinblick auf die Herkunftsregion Palästinensisches Autonomiegebiet/… nach der derzeitigen Erkenntnislage nicht mit der gebotenen Sicherheit dargetan werden. Jedenfalls, wenn es für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG auf die Glaubhaftigkeit des Antragstellers ankommt, ist eine persönliche Anhörung im Verfahren nach § 71a AsylVfG erforderlich. Dadurch dass das Bundesamt die Glaubwürdigkeit des Antragstellers aufgrund seiner Behauptung, er habe in Syrien gelebt, in Frage stellt, hätte es bereits aus diesem Grund eine persönliche Anhörung durchführen müssen.
Den Ausführungen des Bundesamtes, eine Anhörung sei nicht erforderlich, weil der Sachverhalt durch die Erstbefragung vom 8. Juli 2014 und die schriftliche Stellungnahme des Antragstellers hinreichend geklärt sei, kann daher wegen der dem Antragsteller zur Last gelegten Widersprüchlichkeit seiner Angaben nicht gefolgt werden.
Insbesondere der Umstand, dass der Antragsteller in Europa mehrere erfolglose Asylverfahren betrieben hat und sich seit mindestens sechs Jahren außerhalb seiner Heimatregion … aufhält, vermag ein Absehen von einer persönlichen Anhörung ebenfalls nicht ermessensfehlerfrei zu begründen. Dieser Umstand erfüllt für sich gesehen nicht die Voraussetzung, dass die Anhörung für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist (§ 71a Abs. 2 Satz 2 AsylG). Der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens ist nur ein Tatbestandsmerkmal des § 71a Abs. 1 AsylG. Ob hingegen auch Wiederaufgreifensgründe nach § 51 VwVfG vorliegen, kann allein mit der Kenntnis über in anderen Mitgliedstaaten erfolglos abgeschlossene Asylverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden. Aus dem zeitlichen Ablauf der Asylantragstellung (in Ungarn und Österreich habe der Antragsteller das Ergebnis der Asylverfahren gar nicht abgewartet, sondern sei sofort weitergereist) kann das Bundesamt nicht die Hypothese ableiten, dass der Antragsteller nach der Ablehnung seiner Asylanträge in Bulgarien jedenfalls in Ungarn, Österreich und Deutschland nicht wirklich Schutz vor Verfolgung begehre, sondern diese Asylanträge aus anderen Motiven gestellt habe. Diese als Hypothese formulierte Vermutung entbehrt der erforderlichen Tatsachengrundlagen.
2.3. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 25. November 2015 bestehen auch deshalb, weil erhebliche Gründe dafür sprechen, dass Wiederaufgreifensgründe nach §§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (§ 71a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG) im Falle des Antragstellers vorliegen und damit der streitgegenständliche Bescheid einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
§ 51 VwVfG verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).
Ein weiteres Asylverfahren ist nur durchzuführen, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
2.3.1. Da der Lauf der dreimonatigen Präklusionsfrist frühestens mit der Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet am 15. Juni 2014 beginnt (Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 71a AsylVfG, Rn. 29; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylVfG Rn. 11) ist die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit Asylantragstellung am 8. Juli 2014 gewahrt.
2.3.2. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass keine nachträgliche Sach- und Rechtsänderung (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) zugunsten des Antragstellers seit der ablehnenden Entscheidung der bulgarischen Behörden am 20. Mai 2014 eingetreten ist. Zwar ist eine wesentliche Veränderung der politischen Lage und der Machtverhältnisse im Palästinensischen Autonomiegebiet seit der Regierungsübernahme der Hamas im Jahr 2007 nicht eingetreten. Die vorrangig in Betracht kommenden Auseinandersetzungen zwischen der den … dominierenden Hamas sowie gemäßigteren palästinensischen Organisationen, insbesondere der Fatah, sind jedenfalls im … nach Abschluss des Versöhnungsabkommens (vgl. dazu etwa, FR v. 14.5.2011, SZ v. 29.4.2011, ICG v. 20.7.2011 sowie „Die Zeit (online)“ v. 25.11.2011) bereits seit geraumer Zeit weitgehend eingestellt (so bereits OVG Nds, U. v. 26.1.2012 – 11 LB 97/11 – juris); im Juni 2014 einigten sich Fatah, Hamas und weitere palästinensische Fraktionen auf eine nationale Einheitsregierung aus parteiungebundenen Ministern (FAZ v. 8.12.2015; amnesty international report 2015 Palästina, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/palaestina). Angesichts der fortdauernden Annäherung zwischen Hamas und Fatah ist derzeit jedenfalls auch keine Verschlechterung der Lage hinsichtlich eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes im Sinne des § 4 AsylG absehbar (VG München, U. v. 1.2.2016 – M 17 K 16.30040). Grundsätzlich könnte aber eine geänderte Sachlage im Palästinensischem Autonomiegebiet durch die Militäroperation der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (Operation Protective Edge), die am 26. August 2014 beendet wurde, eingetreten sein, da seither eine latent fortbestehende, in ihrem Ausmaß nunmehr schwankenden Auseinandersetzungen zwischen Israel, und der Hamas als faktische Machthaber im … besteht (zu der gleichwohl für einen anzunehmenden bewaffneten innerstaatlichen Konflikt fehlende Gefahrendichte vgl. VG München, U. v. 1.2.2016 – M 17 K 16.30040).
2.3.3. Zudem sprechen derzeit – solange die bulgarische Asylverfahrensakte nicht vorliegt und sich daraus nichts Gegenteiliges ableiten lässt – gravierende Gründe dafür, dass der Antragsteller ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren in Bulgarien geltend zu machen.
a) Zum einen ist zweifelhaft, ob der Antragsteller sämtliche Verfolgungsgründe bereits in dem bulgarischen Asylverfahren vorgebracht hat bzw. dort hätte vorbringen können. Soweit der Antragsteller schildert, dass sein Bruder durch die Hamas verhaftet und ins Gefängnis verbracht worden sei, um den Antragsteller zur Rückkehr zu zwingen, was möglicherweise – bei Unterstellung der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens – zu einer qualitätsmäßigen Änderung des individuell für sich geltend gemachten Verfolgungsgrundes führen könnte, fehlt es an einer zeitlichen Einordnung dieses Ereignisses. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes geht dies nicht zulasten des Antragstellers, da ihm wegen der unterlassenen persönlichen Anhörung gerade die Möglichkeit genommen wurde, seine Verfolgungsgründe nachvollziehbar und plausibel darzulegen, worunter auch die zeitliche Konkretisierung der geschilderten Ereignisse fällt.
b) Aber selbst hinsichtlich der Verfolgungsgründe, die der Antragsteller in zeitlicher Hinsicht bereits in dem bulgarischen Asylverfahren hätte vorbringen können (Verfolgung durch die Hamas, Traumatisierung durch Verletzung aufgrund einer Phosphorbombe), spricht vieles dafür, dass der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, diese Gründe in dem bulgarischen Asylverfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG).
Ein Asylverfahren im Sinne des § 71a AsylVfG ist jedes Asylverfahren, das im Einklang mit den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK durchgeführt wurde (VG Aachen, B. v. 4.8.2015 – 8 L 171/15.A – juris). Für die sichereren Vertragsstaaten ist aufgrund des Konzepts der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – BVerfGE 94, 49, juris Rn. 181) bzw. des hinter der Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (vgl. Art. 78 AEUV) stehenden „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“, das auf der Annahme beruht, alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, beachten die Grundrechte, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie – QualRL), der GFK sowie in der EMRK finden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und 493/19, C-411/10, C-493/10 – Slg 2011, I-13905, juris Rn. 10 ff., 75, 78, 80) keine Prüfung der Beachtung der Regeln im Einzelfall erforderlich. Eine Ausnahme hiervon kommt nur in Sondersituationen in Betracht (Vgl. Hailbronner, AuslR, Bd. 4, § 71a AsylVfG Rn. 12; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 71a Rn. 11). Für eine solche Sondersituation müssten systemischen Mängel des bulgarisch Asylverfahrens vorliegen.
Zwar bestehen angesichts der grundlegenden Veränderungen im Laufe des Jahres 2014 in Bezug auf Bulgarien nach aktuellem Kenntnisstand derzeit wohl keine durchgreifenden Bedenken, dass entsprechende systemische Mängel des bulgarischen Asylverfahrens vorliegen, die den Betroffenen an der Geltendmachung seiner Verfolgungsgründe (unverschuldet im Sinne des § 51 Abs. 2 VwVfG) gehindert hätten (BayVGH, U. v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – juris; VGH BW, U. v. 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 – juris; UNHCR, „UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“ vom 2.1.2014 – abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/52c598354.html; UNHCR, „Bulgarien als Asylland – Anmerkungen zur aktuellen Asylsituation in Bulgarien“ vom April 2014 – abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des Bundesamtes; amnesty international, „Suspension of Returns of Asylum-Seekers to Bulgaria Must Continue“ vom 31.3.2014 – abrufbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/EUR15/002/2014/en; amnesty international, „Amnesty report 2015 Bulgarien“ – abrufbar unter: https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/bulgarien; European Asylum Support Office (EASO), „Special Support Plan to Bulgaria“ vom 5.12.2014 – abrufbar unter: http://easo.europa.eu/wp-content/uploads/SSP-BG-2014-12-03.pdf; Pro Asyl, Presseerklärung vom 23.5.2014: „Schwere Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen in Bulgarien“ – abrufbar unter: http://ww.proasyl.de/de/presse/detail/news/schwere _menschenrechtsverletzungen_an_fluechtlingen_in_bulgarien; Pro Asyl, „Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien“ vom April 2015 – abrufbar unter: http://ww.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2015/Bulgarien_Broschu _re_Web_END.pdf; Asylum Information Database (aida), „Country Report Bulgaria“, Stand: 30.9.2015 – abrufbar unter: http://www.asylumineurope.org/reports/country/bulgaria; European Council on Refugees and Exiles (ECRE), „ECRE reaffirms its call for the suspension of transfers of asylum seekers to Bulgaria under the recast Dublin Regulation“ vom 7.4.2014 – abrufbar unter: http://www.ecre.org/component/down loads/downloads/873.html; Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Hamburg und das VG Aachen vom 30.11.2015 und 27.1.2016 – abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des Bundesamtes).
Gleichwohl war die Situation Asylsuchender in Bulgarien zur Zeit des Asylverfahrens des Antragstellers in Bulgarien vom 14. Februar 2014 (Asylantrag) bis 20. Mai 2014 (Ablehnung des Asylantrags) – nach einem Anstieg der Asylanträge zu Beginn des Jahres 2014 – teilweise heftiger Kritik ausgesetzt. So ging der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) im Januar 2014 davon aus, dass in Bulgarien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestünden und plädierte dafür, Abschiebungen nach Bulgarien zunächst auszusetzen (vgl. „UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“ vom 2.1.2014). Dieser Einschätzung schlossen sich amnesty international (vgl. „Suspension of Returns of Asylum-Seekers to Bulgaria Must Continue“ vom 31.3.2014), European Council on Refugees and Exiles (vgl. „ECRE reaffirms its call for the suspension of transfers of asylum seekers to Bulgaria under the recast Dublin Regulation“ vom 7.4.2014) und Pro Asyl (vgl. Presseerklärung vom 23.5.2014: „Schwere Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen in Bulgarien“) an. Auch in der Stellungnahme von Pro Asyl vom 30. Mai 2014 wird auf die von UNHCR Anfang 2014 festgestellten Mängel im bulgarischen Asylsystem Bezug genommen und eine Aussetzung von Dublin-Überstellungen nach Bulgarien gefordert. Trotz seiner aktualisierten Bestandaufnahme vom April 2014 („Bulgarien als Asylland – Anmerkungen zur aktuellen Asylsituation in Bulgarien“, Seite 2 und 17), in der das UNHCR ungeachtet fortbestehender ernsthafter Mängel einen generellen Aufschub aller Dublin-Überstellungen nach Bulgarien nicht länger für gerechtfertigt, sondern nur bei Personen mit besonderen Bedürfnissen oder besonderer Schutzwürdigkeit empfiehlt, von einer Überstellung abzusehen, sprechen daher ohne Vorlage der bulgarischen Asylakten gravierende Gründe dafür, dass der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, seine Verfolgungsgründe in dem bulgarischen Asylverfahren nach den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK geltend zu machen.
3. Dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG stattzugeben.
4. Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.