Aktenzeichen 19 CE 17.550
ARB 1/80 Art. 7, Art. 13
ARB 2/76 Art. 7
ZP Art. 41 Abs. 1, Art. 59
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
Leitsatz
1. Unschädlich hinsichtlich des Erlöschen eines Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG sind nur Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen. (Rn. 11 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Voraussetzungen des Privilegierungstatbestandes des § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG liegen nicht vor, wenn zum Zeitpunkt der Ausreise aus Deutschland nicht die positive Prognose gestellt werden konnte, dass der Lebensunterhalt für den Fall einer zukünftigen Rückkehr gesichert wäre. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 kann sich ein türkischer Staatsangehöriger nur dann berufen, wenn er die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaates auf dem Gebiet der Einreise beachtet hat und sich dementsprechend rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Staates befindet. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hat der nachziehende personensorgeberechtigte ausländische Elternteil unter bewusster Umgehung des nationalen Visumverfahrens den Familiennachzug bewerkstelligt, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn das Ermessen nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausgeübt wird. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 4 S 16.898 2017-03-01 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. November 2016, mit dem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Nr. 1 des Bescheides), der Antragsteller zur Ausreise aufgefordert (Nr. 2) und die Abschiebung unter Setzung einer Ausreisefrist angedroht worden ist, und auf Unterlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nach § 123 Abs. 1 VwGO durch den Antragsgegner weiter verfolgt, ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Antragsteller, ein im Jahr 1983 im Bundesgebiet geborener türkischer Staatsangehöriger, erhielt erstmals am 25. März 1997 eine Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz, die nach mehrfacher Verlängerung am 14. November 2002 in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis mündete. Diese galt seit der Einführung des Aufenthaltsgesetzes im Jahr 2005 als Niederlassungserlaubnis fort. Der Antragsteller ist Vater der am 13. April 2002 geborenen deutschen Tochter A. F. und des am 3. September 2005 geborenen deutschen Sohnes E. F. Für diese Kinder wird ein gemeinsames Sorgerecht ausgeübt. Am 18. September 2006 kam die weitere deutsche Tochter N.E.F. zur Welt, für die der Antragsteller kein Sorgerecht innehat. Der Antragsteller, der mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist (Verurteilung durch das Landgericht C. vom 16.7.2008 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung; Verurteilungen von 2009 und 2010 zu Geldstrafen; Verurteilung durch das Amtsgericht C. vom 23.2.2011 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung) und seit Juli 2010 Sozialleistungen bezog, verzog am 6. März 2011 in die Türkei, leistete dort Wehrdienst ab (20.2.2012 bis 20.5.2013), arbeitete anschließend an der Rezeption eines Hotels, heiratete eine türkische Staatsangehörige, mit der er zwischenzeitlich in Scheidung lebt, und wurde im Jahr 2014 Vater eines türkischen Kindes.
Auf Nachfrage wurde ihm von der Ausländerbehörde am 28. April 2015 mitgeteilt, dass sein Aufenthaltstitel erloschen sei. Ein beantragtes Schengen-Visum für einen Besuchsaufenthalt wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. Februar 2016 abgelehnt.
Am 4. März 2016 reiste der Antragsteller ohne Visum ins Bundesgebiet ein.
Gegen die Ablehnung der am 22. August 2016 beantragten Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug durch Bescheid vom 17. November 2016 hat der Antragsteller Eilantrag gestellt, den das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 1. März 2017 mit der Begründung abgelehnt hat, die Abschiebungsandrohung sei rechtmäßig, weil die Niederlassungserlaubnis erloschen sei. Auf den Privilegierungstatbestand nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG könne sich der Antragsteller nicht berufen, da der Lebensunterhalt nicht gesichert sei und ein Ausweisungsinteresse bestehe. § 51 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei auf einen Inhaber einer Niederlassungserlaubnis, der die Personensorge für deutsche Kinder besitze, nicht analog anwendbar. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers aus Art. 7 ARB 1/80 sei ebenfalls erloschen, da er mit seinem nahezu fünfjährigen Aufenthalt in der Türkei (6.3.2011 bis 4.3.2016) seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert habe. Der Antrag nach § 123 VwGO auf einstweilige Duldung des Antragstellers sei nicht begründet, weil der Antragsteller nicht mit dem auch in Ansehung des Assoziationsrechts EWG-Türkei erforderlichen Visum eingereist sei, ein Absehen vom Visumerfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG nach der gerichtlichen Interessensabwägung (wegen insoweit nicht erfolgter Ermessensausübung der Behörde) nicht gerechtfertigt und ihm eine Nachholung des Visumverfahrens zumutbar sei. Die ablehnende Entscheidung stehe auch mit Unionsrecht (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2a, Art. 21 Abs. 1 AEUV) im Einklang.
Mit seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, die Kinder des Antragstellers hätten ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Vater und seien auf dessen Lebenshilfe angewiesen. Die Niederlassungserlaubnis sei nicht erloschen, da der Antragsteller sich auf die Privilegierungen nach § 51 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG berufen könne. Für die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts komme es nicht auf den Zeitpunkt des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis, sondern auf den Zeitpunkt der Wiedereinreise an. Auch zeige der gesetzgeberische Wille, dass die Niederlassungserlaubnis eines sorgeberechtigten Vaters deutscher Kinder nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht erlöschen solle. § 51 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei auf den sorgeberechtigten Elternteil deutscher Kinder analog anwendbar. Das assoziationsrechtliche Daueraufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 bestehe weiter, da zum einen der Auslandsaufenthalt zur Ableistung eines Wehrdienstes unschädlich sei und zum anderen in der übrigen Zeit des Auslandsaufenthalts der Kontakt zu den drei deutschen Kindern aufrecht erhalten worden sei. Durch die unmittelbare Arbeitsaufnahme nach Wiedereinreise werde belegt, dass der Integrationszusammenhang nicht unterbrochen worden sei. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch auf einstweilige Duldung wegen seines Anspruches auf einen Aufenthaltstitel zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Die Standstillklauseln des ARB 2/76 und 1/80 seien auch bei der erstmaligen Einreise zu berücksichtigen, so dass der Antragsteller habe visumfrei einreisen dürfen. Auf die Einhaltung eines Visumverfahrens dürfe nicht allein aus ordnungsrechtlichen Gründen verwiesen werden (auf EuGH, U.v. 29.3.2017 – C-653/15 Tekdemir – wurde hingewiesen). Das Gericht habe im Rahmen der Interessensabwägung zum Absehen vom Visumerfordernis nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Antragsteller bei einer Nachholung des Visums aus seiner Festanstellung gerissen würde und die Kinder erneut mit Verlustängsten konfrontiert würden.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Die zur Begründung der Beschwerde dargelegten Gründe, die vom Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen sind, rechtfertigen nicht die begehrte Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Antrag des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung und den Antrag nach § 123 VwGO auf Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen abgelehnt. Der Antragsteller ist wegen Erlöschens seiner Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig; auf die Privilegierungstatbestände nach § 51 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG kann sich der Antragsteller nicht berufen (1.). Ein Duldungsgrund wegen rechtlicher Unmöglichkeit nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf eine Vereitelung des Anspruches auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG besteht wegen unerlaubter Einreise (ohne das nach § 5 Abs. 2 AufenthG erforderliche Visum) nicht (2.).
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die in Nr. II des Bescheids des Antragsgegners vom 17. November 2016 angedrohte Abschiebung ist angesichts der Regelungen in Art. 21a VwZVG und § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zulässig; er ist jedoch unbegründet, weil dem Antragsteller das geltend gemachte Aufenthaltsrecht nicht (mehr) zusteht und die Abschiebungsandrohung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Bestand haben wird.
Die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG aufgrund des langjährigen Auslandsaufenthalts vor und nach Ableistung der Wehrpflicht und der Familiengründung im Ausland erloschen (1.1.); auf einen Privilegierungstatbestand nach § 51 Abs. 2 AufenthG kann sich der Antragsteller nicht berufen (1.2.). Auch ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers nach Art. 7 ARB 1/80 ist wegen des jahrelangen Auslandsaufenthalts erloschen (1.3.).
1.1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grunde ausreist; nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt der Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist ist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist.
Unschädlich sind nur Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen. Fehlt es an einem dieser Merkmale, liegt ein der Natur nach nicht nur vorübergehender Grund vor. Neben der Dauer und dem Zweck des Auslandsaufenthalts sind bei der Prüfung, ob die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund erfolgt ist, alle objektiven Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers und insbesondere seine Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland nicht allein ankommen kann. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur dann, wenn der seiner Natur nach nicht vorübergehende Grund bereits im Zeitpunkt der Ausreise vorlag, sondern auch dann, wenn er erst während des Aufenthalts des Ausländers im Ausland eintrat (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – BVerwGE 134, 27 bis 41, Rn. 21 m.w.N.). Wesentlich ist auch die Dauer der Abwesenheit: Je länger sie währt und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- und Erholungsaufenthalt im Ausland hinausgeht, desto mehr spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehender Natur ist.
Grundsätzlich können Aufenthalte zur Ableistung der Wehrpflicht oder der Absolvierung von zeitlich begrenzten Ausbildungsabschnitten während der Schul- oder Berufsausbildung als ihrer Natur nach vorübergehende Gründe für Auslandsaufenthalte anzusehen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. 12. 2012 – 1 C 15/11 – NVwZ-RR 2013, 338; BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 10 ZB 11.2156 – juris Rn. 8). Die Ableistung des Wehrdienstes durch einen Ausländer im jeweiligen Staat seiner Staatsangehörigkeit stellt einen „berechtigten Grund“ für die Abwesenheit vom Bundesgebiet dar, da sie der Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht dient und zwangsläufig – ungeachtet der konkreten Dauer des Wehrdienstes – mit einer längeren Abwesenheit vom Bundesgebiet verbunden ist (vgl. BayVGH, U.v. 23.1.2018 – 10 BV 16.1578 – juris Rn. 23; OVG Berlin-Bbg, U.v. 11.5.2010 – OVG 12 B 26.09 – juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 15.10.2009 – 19 CS 09.2194 – juris Rn. 8; VGH BW, B.v. 31.7.2007 – 11 S 723/07 – juris).
Je weiter sich jedoch die Aufenthaltsdauer im Ausland über die Zeit hinaus ausdehnt, die mit begrenzten Aufenthaltszwecken typischerweise verbunden ist, desto eher liegt die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Grundes im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nahe. Der Aufenthaltstitel erlischt daher dann, wenn der Auslandsaufenthalt auf unbestimmte Zeit angelegt ist (VGH BW, U.v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – juris Rn. 43 m.w.N.) bzw. wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat (BVerwG, U.v. 11.12.2012 – 1 B 15.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 10 ZB 15.1706 – juris Rn. 6). Eine Ausreise zum Zwecke einer Familiengründung im Ausland ist ihrem Zweck nach auf einen Auslandsaufenthalt auf unabsehbare Zeit gerichtet und erfolgt daher aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund, insbesondere wenn dabei gleichzeitig die Bindungen im Bundesgebiet wie ein Beschäftigungsverhältnis oder eine eigene Wohnung nicht fortbestehen (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 19 CS 16.1785 -; B.v. 3.12.2015 – 10 ZB 13.2438 – juris).
Nach diesen Maßstäben ist der Antragsteller bereits aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG ausgereist. Die Ausreise aus dem Bundesgebiet am 6. März 2011 erfolgte nahezu ein Jahr vor Ableistung der Wehrpflicht, die der Antragsteller im Zeitraum zwischen dem 20. Februar 2012 und dem 20. Mai 2013 absolviert hat. Der lange Zeitraum bis zur Aufnahme des Wehrdienstes spricht daher schon dafür, dass die Ausreise nicht im Zusammenhang mit einem abzuleistenden Wehrdienst stand, sondern der Aufenthalt von vornherein auf unbestimmte Zeit angelegt war. Selbst wenn die Ausreise zunächst aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grund – nämlich ausschließlich zur Ableistung des Wehrdienstes – erfolgt wäre, hätte sich spätestens mit der sich an den Wehrdienst anschließenden Berufstätigkeit und der Eheschließung sowie Familiengründung in der Türkei im nachfolgenden Zeitraum von drei Jahren der Lebensmittelpunkt des Antragstellers ins Ausland verlagert. Die Aufrechterhaltung des Kontaktes aus der Ferne zu seinen in Deutschland lebenden Kindern vermag daran nichts zu ändern, da sie aufgrund der neuen Lebensplanung des Antragstellers auf Dauer angelegt war. In Anbetracht des jahrelangen Auslandsaufenthalts ist auch der Erlöschensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG gegeben, zumal die Zeiträume vor und nach der Ableistung des Wehrdienstes die nach § 51 Abs. 3 AufenthG zulässige Überschreitensfrist von drei Monaten um ein Vielfaches überschreiten.
Die Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG verstößt nicht wegen des gleichzeitigen Verlusts des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts (vgl. nachfolgend 1.3.) gegen Unionsrechts bzw. Assoziationsrecht, insbesondere nicht gegen die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation – ZP (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand 12/2015, § 51 AufenthG Rn. 14).
Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.
Die Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG stellt jedenfalls dann keinen Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP dar, wenn der Aufenthaltstitel des Betroffenen auch nach dem bei Inkrafttreten des ARB 1/80 geltenden deutschen Ausländerrecht erloschen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6.08 – juris; OVG NRW, B.v. 30.3.2010 – 18 B 111/10 – juris). Vorliegend wäre wegen des mehrjährigen Auslandsaufenthalts des Antragstellers auch aufgrund der Vorgängerregelungen § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 und § 9 Abs. 1 AuslG1965 das Erlöschen eingetreten, sodass eine Verschlechterung der Rechtsposition des Antragstellers durch die Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht vorliegt.
1.2. Der Antragsteller kann sich nicht auf die Privilegierungstatbestände nach § 51 Abs. 2 AufenthG berufen.
Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, erlischt nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummern 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummern 5 bis 7 besteht. Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erlischt die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers nicht nach Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummern 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummern 5 bis 7 besteht.
Die Voraussetzungen des Privilegierungstatbestands des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor, weil zum Zeitpunkt der Ausreise aus Deutschland nicht die positive Prognose gestellt werden konnte, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit Juli 2010 durchgehend Leistungen nach SGB II bezog, für den Fall einer zukünftigen Rückkehr nach Deutschland gesichert wäre. Dieser Zeitpunkt und nicht der Zeitpunkt der beabsichtigten Wiedereinreise ist maßgeblich bei der Prognose, ob der Lebensunterhalt in Zukunft auf Dauer oder zumindest auf absehbare Zeit im Falle eines erneuten Aufenthalts in Deutschland gesichert ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 1 C 14.16 – juris Rn. 15). Dass bei § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Prognose auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Erlöschensvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 oder 7 AufenthG abzustellen ist, ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte. Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass insbesondere älteren ausländischen Arbeitnehmern das einmal erworbene Aufenthaltsrecht in Deutschland auch bei längeren Auslandsaufenthalten auf Dauer erhalten werden sollte, wobei auf den speziellen Fall des Bezugs einer Rente wegen Alters, verminderter Erwerbsfähigkeit, Arbeitsunfalls oder Berufskrankheit abgestellt wurde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Privilegierung der Vorgängerregelung § 44 Abs. 1a und 1b AuslG erfüllt waren, war der Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen (z.B. der längerfristigen Ausreise aus Deutschland), nicht hingegen ein in der Zukunft liegender Zeitpunkt einer beabsichtigten Wiedereinreise. Die erworbene Rechtsstellung sollte von Anfang an gesichert werden. Wenngleich die Prognose der Unterhaltssicherung zukunftsgerichtet ist und dem Zweck dient, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern (vgl. BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 10.12 – BVerwGE 146, 198 Rn. 17), ist im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit maßgeblicher Prognosezeitpunkt der des Erlöschens eines Aufenthaltsrechts. Nach der gesetzlichen Konzeption wird durch § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis kraft Gesetzes verhindert. Es ist hingegen nicht ihr „Wiederaufleben“ vorgesehen (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017, a.a.O.).
Danach konnte der Antragsteller trotz seines rechtmäßigen Aufenthalts von mehr als 15 Jahren im Bundesgebiet in Anbetracht seines Sozialleistungsbezugs und seiner Erwerbsbiographie (keine abgeschlossene Ausbildung, Arbeitslosigkeit von 2003 bis 2006, wechselnde Beschäftigungen), deretwegen zum Zeitpunkt der Ausreise keine positive Prognose der Sicherung des Lebensunterhaltes zu stellen war, nach Verlagerung seines Lebensmittelpunktes ins Ausland und somit freiwilliger Aufgabe seiner Lebensführung im Bundesgebiet auf den Bestand seines Aufenthaltsrechtes nicht vertrauen.
Auch der Privilegierungstatbestand des § 51 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kommt dem Antragsteller weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck zugute. Nach dem eindeutigen Wortlaut sind ausländische Ehegatten begünstigt, die mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft leben. Der Antragsteller ist nicht Ehegatte einer Deutschen. Eine analoge Anwendung auf den Antragsteller als Vater deutscher Kinder scheidet angesichts des eindeutigen Wortlauts, mangels Regelungslücke und auch mangels Vergleichbarkeit aus, nachdem der Antragsteller mit seinen deutschen Kindern nicht in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hat.
1.3. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass auch das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht des Antragstellers aus Art. 7 ARB 1/80 erloschen ist.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erlischt ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nur dann, wenn es gemäß Art. 14 ARB 1/80 rechtmäßig aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit beschränkt wurde oder wenn der Rechtsinhaber das Gebiet des aufnehmenden EU-Mitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum und ohne berechtigte Gründe verlässt (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 – Ergat, Rs. C-329/97 – juris Rn. 45 ff.; EuGH, U.v. 8.12.2011 – Ziebell, C-371/08 – juris Rn. 49). Ob ein türkischer Staatsangehöriger das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen und dadurch sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren hat, richtet sich danach, ob er seinen Lebensmittelpunkt aus Deutschland wegverlagert hat. Je länger der Auslandsaufenthalt des Betroffenen andauert, desto eher kann von der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes in Deutschland ausgegangen werden. Ab einem Auslandsaufenthalt von ungefähr einem Jahr müssen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sein Lebensmittelpunkt noch im Bundesgebiet ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 19/14 – BVerwGE 151, 377 bis 386; LS 1 und 2 in Fortentwicklung von BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6.08 – BVerwGE 134, 27).
Daran gemessen, ist hier – ausgehend von einem nahezu drei Jahre andauernden Aufenthalt ohne berechtigten Grund allein nach der Ableistung der Wehrpflicht – der Zeitraum nicht mehr unerheblich gewesen. Es kommt hinzu, dass die Rechtsstellung der durch den Assoziationsratsbeschluss Begünstigten im Hinblick auf den in Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG festgelegten zeitlichen Rahmen durch das Besserstellungsverbot des Art. 59 ZP nach oben hin begrenzt wird (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – juris Rn. 27). Die letztgenannte Vorschrift bestimmt, dass der Türkei (hier: türkischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen) in den durch das Zusatzprotokoll erfassten Bereichen (hier: Freizügigkeit der Arbeitnehmer) keine günstigere Behandlung gewährt werden darf als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft untereinander einräumen; die Unionsbürger betreffenden Regelungen wirken dabei auf die richterrechtliche Ausformung der assoziationsrechtlichen Stellung und ihrer Verlustgründe als Orientierungsrahmen ein (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009, a.a.O. Rn. 27; BayVGH, B.v. 15.10.2009 – 19 CS 09.2194 – juris Rn. 3 ff.). Der Auslandsaufenthalt des Antragstellers übersteigt die für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in Art. 16 Abs. 4 Richtlinie 2004/38/EG geregelte Mindestfrist von zwei Jahren für den Verlust des Daueraufenthaltsrechts; seine Auffassung verstößt somit gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 ZP. Eine Dauer von mehr als zwei Jahren Auslandsaufenthalt ist geeignet, die Integration eines türkischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet grundlegend infrage zu stellen, selbst wenn dieser hier geboren wurde und seine Sozialisation erfahren hat, ohne vor der Ausreise längere Zeiträume im Ausland zugebracht zu haben. Nach den vorliegenden objektiven Gegebenheiten hat der Antragsteller spätestens nach Beendigung seines Wehrdienstes in der Türkei ein „neues Leben“ begonnen, dort geheiratet und eine Familie gegründet. Ausreichende Indizien dafür, dass mit dieser Lebensplanung, die er für weit mehr als zwei Jahre realisiert hat, von vornherein keine endgültige Abkehr vom Bundesgebiet verbunden sein sollte, sind auch bei Berücksichtigung der im Bundesgebiet lebenden Kinder des Antragstellers nicht ersichtlich.
Die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist auch ansonsten ersichtlich rechtmäßig. Der Antragsteller ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da sein Aufenthaltstitel erloschen ist. Die Ausreisepflicht ist auch vollziehbar (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Der Antragsteller ist am 4. März 2016 ohne Visum unerlaubt eingereist (§§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2, 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG, vgl. nachfolgend 2.).
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung des Eilantrages nach § 123 VwGO auf einstweilige Aussetzung der Ausreisepflicht wegen eines Aufenthaltsrechts zum Familiennachzug richtet, bleibt sie ebenfalls ohne Erfolg. Ein Duldungsgrund wegen rechtlicher Unmöglichkeit nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG besteht nicht aufgrund der behaupteten Vereitelung des Anspruches auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, da die Einreise ohne das erforderliche Visum nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und unerlaubt erfolgt ist. Die Visumpflicht verstößt nicht gegen die assoziationsrechtlichen Standstillklauseln des Art. 7 ARB 2/76 und Art. 13 ARB 1/80 (vgl. 2.1.). Die gerichtliche Interessenabwägung zum Absehen vom Visumerfordernis nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist nicht zu beanstanden (2.2.).
2.1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend einen glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch verneint, da die Abschiebung nicht aus rechtlichen Gründen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur verfahrensmäßigen Sicherung eines Aufenthaltsrechts aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG unmöglich ist.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt wird. Eine rechtliche Unmöglichkeit im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn sich etwa aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht, innerstaatlichem Verfassungsrecht oder einfachem Gesetzesrecht sowie in innerstaatliches Recht inkorporiertem Völker- und Völkervertragsrecht ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ergibt (vgl. NdsOVG, B.v. 11.9.2018 – 13 ME 392/18 – juris Rn. 7).
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG, wonach ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen ist, kann allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis folgen, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (vgl. NdsOVG, B.v. 11.9.2018, a.a.O. Rn. 7; B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3; OVG NRW, B.v. 11.1.2016 – 17 B 890/15 – juris Rn. 6; OVG LSA, B.v. 24.2.2010 – 2 M 2/10 – juris Rn. 7; OVG Bremen, B.v. 27.10.2009 – 1 B 224/09 – juris Rn. 16). Dem in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und auch der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte.
Ausnahmsweise kann zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung einer Abschiebung dann geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (vgl. OVG NRW, B.v. 12.2.2008 – 18 B 230/08 – juris Rn. 3; OVG LSA, B.v. 14.10.2009 – 2 M 142/09 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 3.1.2006 – 10 CE 05.2925 – juris Rn. 4).
Vorliegend sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Aufenthaltstitels zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 AufenthG schon nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der Antragsteller unterliegt als türkischer Staatsangehöriger gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. EG Nr. L 81 S. 1 ) grundsätzlich der Visumpflicht, da die Türkei zu den in Anhang I der EG-VisaVO aufgeführten Staaten gehört. Nach bestandskräftiger Ablehnung der Erteilung eines Schengen-Visums vom 18. Februar 2016 ist der Antragsteller am 4. März 2016 unerlaubt eingereist, d.h. nicht mit dem für den Familiennachzug nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 6 Abs. 3 AufenthG erforderlichen Visum, so dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliegt.
Das nationale Visumerfordernis verstößt nicht gegen die assoziationsrechtlichen Standstillklauseln aus Art. 13 ARB 1/80 bzw. Art. 7 ARB 2/76 oder Art. 41 Abs. 1 ZP. Die Standstillklauseln beinhalten kein Einreise- oder Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Aufnahme einer Arbeitnehmertätigkeit oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit, sondern lediglich ein Verschlechterungsverbot. Die Stillhalteklauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 und des Art. 41 Abs. 1 ZP werden nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes als gleichartig und mit derselben Zielrichtung einer schrittweisen Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit angesehen (vgl. EuGH, U.v. 7.8.2018 – C-123/17 Nefiye Yön – InfAuslR 2018, 354 ff., Rn. 66).
Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Vorgängerregelung, der am 01.12.1976 in Kraft getretene Beschluss Nr. 2/76 des Assoziationsrates über die Durchführung des Artikels 12 des Abkommens von Ankara vom 20.12.1976 (ARB 2/76) sieht in Art. 7 vor, dass die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen. Zwar ist der ARB 2/76 an sich grundsätzlich nicht mehr anzuwenden, weil der ARB 1/80 für die türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen günstigere Regelungen enthält. Zur Vermeidung möglicher Verschlechterungen zwischen dem Inkrafttreten von ARB 2/76 am 1. Dezember 1976 und dem Datum des Inkrafttretens des Art. 13 ARB 1/80 am 1. Dezember 1980 wird aber Art. 7 ARB 2/76 durch Art. 13 ARB 1/80 nicht verdrängt (vgl. EuGH, U.v. 7.8.2018 – C-123/17 Nefiye Yön – InfAuslR 2018, 354 ff., Rn. 51 ff). Nach Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.
Da vorliegend keine selbständige Erwerbstätigkeit des Antragstellers im Raum steht, ist das Verschlechterungsverbot des Art. 41 Abs. 1 ZP nicht einschlägig. Die Stillhalteklauseln nach Art. 13 ARB 1/80 und Art. 7 ARB 2/76 knüpfen an einen ordnungsgemäßen Aufenthalt an, so dass Einreisebestimmungen die Stillhalteklauseln an sich nicht berühren. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bedeutet der Begriff „ordnungsgemäß“ im Sinne von Art. 13 ARB 1/80, dass der türkische Arbeitnehmer oder sein Familienangehöriger die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung beachtet haben muss, so dass seine Lage im Hoheitsgebiet dieses Staates rechtmäßig ist (vgl. EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-225/12 Demir – juris Rn. 35). Auf diese Stillhalteklausel kann sich ein türkischer Staatsangehöriger daher nur dann berufen, wenn er die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise beachtet hat und sich dementsprechend rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Staates befindet (vgl. EuGH, U.v. 21.10.2003 – C-317/01 Abatay – juris). Einreisende unter bewusster Umgehung der Einreisebestimmung, mithin in betrügerischer oder missbräuchlicher Absicht können sich nicht auf die Standstillklauseln berufen (vgl. EuGH, U.v. 20.9.2007 – C-16/05 Tum und Dari – juris Rn. 64; U.v. 21.2.2006 – C-255/02, Halifax u. a. – Rn. 68).
Die hier vorliegende Fallkonstellation eines Familiennachzugs zu deutschen Kindern ist mit der vom Europäischen Gerichtshof aufgrund der Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts entschiedenen Fallkonstellation eines Familiennachzugs zum Assoziationsberechtigten und der dafür erforderlichen Visumpflicht nicht vergleichbar, da der deutsche Staatsangehörige ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht zu vermitteln vermag (vgl. EuGH, U.v. 7.8.2018 – C-123/17 Yön – juris; BVerwG, EuGH-Vorlage v. 26.1.2017 – 1 C 1/16 – BVerwGE 157, 221-235, juris Rn. 24; BVerwG, U.v. 6.11.2014 – 1 C 4.14 – juris Rn. 15; U.v. 10.12.2014 – 1 C 15/14 – juris Rn. 14). Ebenso ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vom 29. März 2017 zum Visumerfordernis für minderjährige Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers (Az. C-652/15 Tekdemir) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Gegensatz zum vorliegenden Fall sah der Europäische Gerichtshof in der Visumspflicht für unter 16-jährige Drittstaatsangehörige eine nachträgliche Beschränkung, da diese Personengruppe nach der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in Deutschland anwendbaren nationalen Regelung für die Einreise in diesen Mitgliedstaat und den Aufenthalt dort vom Erfordernis einer Aufenthaltserlaubnis befreit waren (§ Abs. 2 Nr. 1 AuslG 1965). Auch im Verfahren Tekdemir konnte der dortige Kläger einen ordnungsgemäßen Aufenthalt aus dem assoziationsrechtlichen Status des Vaters ableiten. Abgesehen davon kann sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes das Visumerfordernis beim Familiennachzug zu einem Assoziationsberechtigten selbst als „neue Beschränkung“ aus Gründen der effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationsströme gerechtfertigt sein. Aussagen des Gerichtshofs zur Zumutbarkeit der Nachholung eines Visumverfahrens (vgl. EuGH, U.v. 29.3.2017 – C-652/15 Tekdemir – juris Rn. 49) sind damit im Lichte einer angenommenen Verschlechterung bzw. „neuen Beschränkung“ zu sehen, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
Der Antragsteller hätte auch nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von ARB 2/76 als auch von ARB 1/80 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG 1965 (BGBl. I, S. 1341 ff.) für seinen Aufenthalt zur Erwerbstätigkeit eines Visums bedurft. Da somit vorliegend nicht die Verschlechterung des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts eines ordnungsgemäß hier lebenden Familienangehörigen im Raum steht, folgt aus den assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln nicht das Erfordernis einer visumfreien Einreise des Antragstellers.
2.2. Die vom Verwaltungsgericht getroffene Interessensabwägung zum Absehen vom Visumerfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist nicht zu beanstanden.
Zwar hat die Ausländerbehörde, die davon ausging, dass ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen eines bestehenden Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht vorliegt, eine solche Ermessensentscheidung nicht getroffen. Dies führt aber nicht dazu, dass ein vorläufig zu sichernder Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels dahingehend bestünde, dass im Wege der einstweiligen Anordnung eine Duldung zu erteilen wäre, bis geklärt ist, ob ein Ausweisungsgrund vorliegt, oder bis zu einer eventuellen Ermessensausübung der Ausländerbehörde. Vielmehr ist in einem solchen Fall ausnahmsweise auch im Rahmen des § 123 VwGO eine gerichtliche Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2014 – 10 CS 14.1534 – juris Rn. 9; Sächs.OVG, B.v. 30.4.2014 – 3 B 17/14 – juris Rn. 7 ff.). Das Verwaltungsgericht hat sie vorliegend im Hinblick auf die bewusste Umgehung des Visumverfahrens zu Recht zu Lasten des Antragstellers vorgenommen.
Ausgehend von ihrem Zweck einer wirksamen Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung sind Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG prinzipiell eng auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 15/14 – juris Rn. 20; Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR 12. Aufl. 2018, § 5 Rn. 140). Es soll dem Anreiz entgegengewirkt werden, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren zu honorieren. Die bewusste Umgehung des Visumverfahrens soll nicht folgenlos bleiben, um dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung nicht zu entwerten (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2014, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben steht vorliegend zwar wegen der minderjährigen deutschen Kinder des Antragstellers ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den personensorgeberechtigten Antragsteller nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG inmitten, wobei aufgrund der noch nicht getilgten strafrechtlichen Verurteilungen des Antragstellers trotz des langen Zeitraums seit der Tatbegehung gleichwohl ein aktuell bestehendes Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstehen könnte. Das Verwaltungsgericht hat jedoch zutreffend darauf abgestellt, dass weder Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht auf Einreise und Aufenthalt gewährleisten und dies auch für den Nachzug zu berechtigterweise in Deutschland lebenden Familienangehörigen gilt. Hat der nachziehende personensorgeberechtigte Elternteil – wie vorliegend der Antragsteller – unter bewusster Umgehung des nationalen Visumverfahrens den Familiennachzug bewerkstelligt, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn das Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausgeübt wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Es wurden keine Umstände des Einzelfalls dargetan bzw. glaubhaft gemacht, aufgrund derer die Nachholung des Visumverfahrens derzeit oder gar dauerhaft nicht zumutbar wäre. Dies gilt insbesondere in Anbetracht dessen, dass die elterliche Sorge des Antragstellers bereits während seines langjährigen Auslandsaufenthalts vom Ausland her ausgeübt wurde und eine familiäre Lebensgemeinschaft mit den Kindern im Bundesgebiet nicht bestand und besteht. Eine vorübergehende Trennung zur Nachholung des Visumverfahrens ist daher zumutbar. Auch die Berufstätigkeit des Antragstellers vermag eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens nicht zu begründen.
Eine Sicherung des geltend gemachten Aufenthaltsrechts durch Aussetzung der Abschiebung erscheint zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich, vielmehr ist es dem Antragsteller zumutbar, auszureisen und die Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. Visums vom Ausland zu betreiben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).