Verwaltungsrecht

Ernsthafte Gefahr für Konvertiten bei Abschiebung in den Iran

Aktenzeichen  W 8 K 17.30383

Datum:
4.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
VwVfG VwVfG § 51
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1. Bei sich dauerhaft entwickelnden Sachverhalten wie bei der Religionskonversion ist bei Asylfolgeanträgen maßgeblich auf die Taufe als der nach außen erkennbaren Manifestation der Konversion abzustellen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Muslimische Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, sind spätestens dann einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt, wenn sie sich im Iran zu ihrem christlichen Glauben bekennen und Kontakt zu einer solchen Gruppierung aufnehmen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Nummern 2 bis 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Januar 2017 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nur teilweise – wie tenoriert – begründet.
Die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – ZAR 2017, 236) betreffend die Nummer 1 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Januar 2017 ist unbegründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG nicht vorliegen. Das Gericht folgt insoweit dem streitgegenständlichen Bescheid und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend merkt das Gericht lediglich an, dass sich bei dauerhaft entwickelten Sachverhalten wie bei der Religionskonversion maßgeblich auf die Taufe als der nach außen erkennbaren Manifestation der Konversion abzustellen ist (vgl. dazu HessVGH, U.v. 23.2.2010 – 6 A 189/09.A – Asylmagazin 2010, 120). Hinzu kommt, dass nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes im Iran Apostasie, der Abfall vom Islam, erst angenommen wird, wenn der eigentliche Übertritt in eine andere, dem Iran nicht zurechenbare Glaubensgemeinschaft, vorgenommen wird. Im Fall christlicher Glaubensgemeinschaften ist für einen Apostasievorwurf die Taufe notwendig (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Schwerin vom 25.8.2015). Der entscheidende Qualitätsumschwung ist mit der Taufe erfolgt. Der Taufe folgende christliche Aktivitäten, wie Besuche von Gottesdiensten und weitere kirchliche Veranstaltungen, dienen hingegen der Verfestigung und dem Ausleben des neuen Glaubens, ohne dass ein neuer Fristlauf im Sinne des § 51 Abs. 3 VwVfG in Gang gesetzt wird.
Im Hinblick auf die Vorfluchtgründe können die nunmehr vorgelegten Atteste auch nicht als neue Beweismittel gewertet werden. Denn Sachverständigengutachten können allenfalls dann als neue Beweismittel angesehen werden, wenn sie selbst auf neuen Tatsache oder neuen Beweismitteln beruhen, schon um den im Bereich subjektiv wertender Beurteilung und Einschätzung bestehende Missbrauchsmöglichkeiten vorzubeugen, die durch Vorlage immer neuer Gutachten ständig zu einem Wiederaufgreifen des Verfahrens führen könnte (Schönenbroicher in Beckscher Online-Kommentar, AuslR, Hrsg. Kluth/Heusch, 12. Edition Stand 1.11.2016, § 71 AsylG Rn. 24). Ein geeignetes neues Beweismittel in Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG kann nur angenommen werden, wenn dem Gutachten neue bzw. nicht bekannte Tatsachen zugrunde liegen oder dieses auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen bzw. Methoden beruht, die erst nachträglich gefunden wurden. Kein neues Beweismittel ist anzunehmen, wenn dessen Inhalte auch in früheren Verfahren schon zur Verfügung gestanden hätten (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylG, Bd. 3 Stand: Mai 2015, § 71 Rn. 242).
Soweit nunmehr ärztliche Unterlagen vorgelegt wurden, ist anzufügen, dass diese teilweise verspätet vorgelegt wurden, teilweise nicht den Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechen. Im Übrigen hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass die Behandlung von psychischen Erkrankungen auch im Iran möglich ist. Soweit eine mögliche Selbstmordgefahr der Klägerin im Falle der Abschiebung angesprochen wird, stellt dies allenfalls ein inlandsbezogenes und nicht zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis dar, so dass dies insofern auch ebenfalls für das vorliegende Verfahren irrelevant ist.
Die Klage ist jedoch im Hilfsantrag begründet.
Die Nummern 2 und 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Januar 2017 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Denn die Klägerin hat einen Anspruch festzustellen, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Denn nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist bei der Ablehnung eines Folgeantrags als unzulässig festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 20).
Die Klägerin hat vorliegend einen Anspruch auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 und 9 EMRK. Denn unter Berücksichtigung der ins Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen besteht zurzeit im Iran eine konkrete Gefahr für konvertierte Christen, jedenfalls unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden. Der Begriff der tatsächlichen Gefahr bzw. eines ernsthaften Risikos in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist mit der beachtlichen Wahrscheinlichkeit vergleichbar (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67). Erniedrigende oder unmenschliche Maßnahmen sind aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthaft zu befürchten; stichhaltige Gründe für die Annahme des Realrisikos einer solchen Misshandlung sind gegeben. An der Feststellung der drohenden Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Obergerichte (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl, U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183 – jeweils mit weiteren Nachweisen) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Die konkrete Gefahr, jedenfalls unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden, resultiert dabei daraus, dass Christen häufig von iranischen Behörden und Sicherheitskräften drangsaliert, festgenommen, verhört, ohne Kontakte in Haft gehalten, misshandelt, gefoltert, angeklagt und verurteilt werden. „Outen“ als Christ ist in der derzeitigen Lage im Iran extrem gefährlich. Von einer sehr bedrohlichen Lage für konvertierte Christen im Iran ist auszugehen. Aufgrund dieser Erkenntnisse kommt der Hessische Verwaltungsgerichtshof (vgl. U.v. 28.1.2009 – 6 A 1867/07.A – juris, der allerdings § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anwendet) im Lichte einer verfassungs- und europakonformen Auslegung zu der Erkenntnis, dass muslimische Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, spätestens dann einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sind, wenn sie sich im Iran zu ihrem christlichen Glauben bekennen und Kontakt zu einer solchen Gruppierung aufnehmen. Sie müssen dann mit Inhaftierung, körperlichen Übergriffen, Einschüchterungen und oder sonstigen erniedrigenden Maßnahmen durch iranische Sicherheitskräfte rechnen. Die Gefahrenmomente haben sich so verdichtet, dass von einer konkreten Gefahr für jeden einzelnen Konvertierten auszugehen ist. Denn gerade wenn bei christlichen Konvertiten entsprechende Maßnahmen gegen Angehöriger bestimmter Personengruppen mehr oder weniger regelmäßig angewandt werden, begründet dies ein allgemein wirkendes Abschiebungsverbot, so dass eine ernsthafte Gefahr anzunehmen ist (vgl. Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 60 AufenthG, Rn. 34 ff.). Demnach besteht im Fall einer ernsthaften Konversion ein Abschiebungsverbot (vgl. in der Sache genauso HessVGH, U.v. 28.1.2009 – 6 A 1867/07.A – allerdings mit Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG; VG Stuttgart – U.v. 30.6.2008 – A 11 K 1623/08; VG Hamburg – U.v. 24.4.2008 – 10 A 291/07 – jeweils bezüglich § 60 Abs. 5 AufentG i.V.m. Art. 3 bzw. 9 EMRK – alle juris).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerin eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Klägerin aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Klägerin vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerin bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 sowie OVG NRW, B.v. 20.1.2016 – 13 A 1868/15.A – juris; BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte die Klägerin ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Klägerin schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Klägerin sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerin legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Klägerin, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte ihre christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
Das Gericht merkt ausdrücklich an, das es die Religionskonversion nunmehr für aufrichtig, glaubhaft und nachhaltig hält. Dazu trägt auch bei, dass die Klägerin trotz der für sie negativen Bundesamtsbescheide und trotz des für sie nachteiligen Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 5. August 2016 nicht von ihrem christlichen Weg abgegangen ist. Vielmehr hat sie, wie die Klägerbevollmächtigte zu Recht ausgeführt hat, ihren christlichen Weg weiterverfolgt und ihren christlichen Glauben seitdem weiter verfestigt. Dies spricht für eine aufrichtige Konversion und gegen asyltaktische Erwägungen, zumal sie mittlerweile seit fast fünf Jahren in Deutschland Christin ist und ihr Christsein lebt.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Sie erläuterte, dass sie im Iran als Moslem geboren sei, aber nicht so recht an den Islam geglaubt habe. Zunächst sei sie wegen ihres Verlobten, der konvertierter Bahá’í gewesen sei, auch zu den Bahá’í. Sie sei jedoch nicht lange dort gewesen. Das Christentum habe sie richtig erst in Deutschland kennengelernt. Aus Sicht des Gerichts hat die Klägerin den abermaligen Wechsel erst vom Islam zu den Bahá’í und dann von den Bahá’í zum Christentum infolge ihrer Lebensumstände im Iran mit der Beziehung zu ihrem Verlobten sowie nach der Trennung und Ausreise infolge der Kontakte zum Christentum in Deutschland plausibel erläutert. Die Klägerin schilderte, dass sie, nachdem sie in Deutschland das Christentum kennengelernt habe und seinerzeit in Bad Königshofen getauft worden sei, insbesondere in der christlichen Gemeinde in … aktiv sei, wo sie lebe. Die Klägerin beschrieb ausführlich ihre christlichen Aktivitäten mit dem Kirchgang am Sonntag und der Teilnahme an der christlichen Feier sowie weiteren christlichen Veranstaltungen etwa auch zu Martin Luther. Außerdem besuche sie einen Seniorentreff und lese dort aus der Bibel vor bzw. singe christliche Lieder. Darüber hinaus nehme sie auch an Kindergottesdiensten teil. Sie sei in der Krabbelgruppe aktiv und trage so zur christlichen Erziehung der Kinder bei. So lebt die Klägerin ihre christlichen Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen nach außen hin über ihr privates Bibelstudium und ihre privaten Gebete hinaus.
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Klägerin ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagiert. Die Klägerin gab ehrlich an, dass sie auch gegenüber anderen Moslems in ihrer Unterkunft aufgrund ihrer freundschaftlichen Art immer etwas über die Bibel erzähle, damit diese das Christentum kennenlernten. Sie erzähle, warum Jesus Christus auf die Erde gekommen sei und lese Anderen aus der Bibel vor. Dies mache sie in ihrer Unterkunft hauptsächlich bei Nichtchristen, aber auch bei den sonstigen Veranstaltungen gegenüber Christen. So habe sie auch schon eine iranische Familie in Bad Königshofen zum Christentum bewegt. Diese habe sich taufen lassen. Sie habe aber auch schon insofern negative Erfahrungen gemacht, als Moslems in ihrer Unterkunft, die ihren christlichen Glauben nicht tolerierten, ihr gegenüber aggressiv geworden seien. Ihre Mutter habe ebenfalls mitbekommen, dass sie getauft sei, gerade als diese in Deutschland gewesen sei. Ebenso wüssten sowohl ihre Geschwister in Deutschland als auch in ihrem Heimatland über ihre Konversion Bescheid. In ihrer Familie seien keine fanatischen und strenggläubigen Moslems. Sie hätten letztlich ihren neuen Glauben respektiert. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Klägerin bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Die Klägerin verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte sie – in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte die Klägerin zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass sie dies verinnerlicht hat. Die Klägerin erklärte: Im Christentum sei Jesus Gottes Sohn und selbst Gott. Im Islam werde dies als „Laberei“ bezeichnet. Jesus Christus sei aus Sicht des Islams nur ein Prophet. Im Islam dürfe man im Übrigen lügen. Man dürfe vier Frauen haben. Der Islam sei eine einzige Anti-Frauen-Religion. Im Christentum habe sich Gott umgewandelt. Er habe einen Leib gefunden, um die Schuld auf sich zu nehmen und uns von den Sünden zu befreien und das ewige Leben zu schenken. Nach drei Tage sei Jesus Christus auferstanden. Es komme daher, dass unsere Vorfahren schuldig gewesen seien. Adam und Eva hätten verbotener Weise vom Baum der Erkenntnis von gut und schlecht gegessen. Seitdem seien wir alle sündig geworden. Gott habe aber die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen Sohn auf die Erde geschickt und geopfert habe, um uns von den Sünden zu befreien. Jesus Christus sei gekreuzigt worden und habe die Schuld auf sich genommen. Er sei kein Sünder. Jesus Christus sei gleichzeitig Gott.
Die Klägerin offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihre Gewissensschritt zusätzlich belegen, wie etwa einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte die Klägerin auch christliche Gebete, wie das „Vater unser“. Die Klägerin bezog sich zudem auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Die Klägerin erklärte weiter, sie könne sich nicht vorstellen, wieder die Religion zu wechseln und zu einer anderen Religion zu gehen oder gar zum Islam zurückzukehren. Seit sie Christin sei, habe sie die Ruhe gefunden. Im Islam habe sie immer Angst vor Gott und Probleme mit der Gewalt gehabt. Aber seitdem Jesus Christus ihre Sünden auf sich genommen habe, habe sie die Ruhe. Die Klägerin erklärte weiter nachvollziehbar, dass sie sich nicht vorstellen könne, bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran ihre Religion zu verheimlichen. Die Leute wüssten, dass sie die Religion gewechselt habe und nicht mehr beim Islam sei. Sie habe hier in Deutschland schon bei Leuten missioniert, die keine Christen seien, und sie werde dies auch im Iran weitermachen. Alle Moslems hätten Angst vor Gott. Sie wolle ihnen erklären, dass dies falsch sei und dass sie keine Angst vor Gott haben müssten.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerin vor und nach ihrer Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerin bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Klägerin hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie hat ihre Konversion anhand der von ihr gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerin missionarische Aktivitäten entwickelt, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 14.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Die Klägerin hat insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Nach alledem war die Beklagte unter Aufhebung der Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 und 9 EMRK besteht. Infolgedessen war auch die Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides aufzuheben, weil mit der zwingenden Feststellung eines dauerhaften Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 VwGO auch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG und folgt dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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