Aktenzeichen 10 ZB 18.1638
FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 3
StGB § 67e
Leitsatz
Von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr kann bei einem Drogenabhängigen nicht ausgegangen werden, solange er nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (BayVGH BeckRS 2018, 14531, BeckRS 2017, 133209). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 1 K 17.1056 2018-07-03 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen die mit Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2017 erfolgte Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland, das auf fünf Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot und die Abschiebungsandrohung in die Niederlande weiter.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die den Verurteilungen des Klägers, insbesondere der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten wegen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten des Klägers erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellt. Der Kläger sei mehrfacher Wiederholungstäter. Seine langjährige Drogensucht sei derzeit noch nicht erfolgreich therapiert. Trotz der guten Ansätze für eine erfolgreiche Absolvierung der Therapie und des bisherigen erfolgreichen Verlaufs sei die Therapie noch nicht abgeschlossen. Es fehle auch noch die notwendige Nachsorgebehandlung.
Der Kläger wendet sich mit seinem Zulassungsvorbringen gegen die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht angestellten negativen Gefahrenprognose. Das Bezirkskrankenhaus bescheinige dem Kläger, dass er erfolgreich an seinen Problemen arbeite. Er habe auch eine Krise in seiner Beziehung ohne Rückfall in den Suchtmittelkonsum überstanden. Seit 10. August 2018 wohne er bei seiner Freundin und führe die Therapie nur noch ambulant fort. Auch sei er beruflich erfolgreich reintegriert. Aufgrund der gezeigten Therapiefähigkeit und -bereitschaft sei nicht mehr von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Dieses Vorbringen vermag jedoch nicht zur Zulassung der Berufung zu führen. Die von der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht nach § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU angestellte Gefahrenprognose hält einer rechtlichen Überprüfung stand. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen der Rspr. des EuGH und des EGMR). Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Insbesondere hat es die Gefahr der Wiederholung weiterer schwerwiegender Straftaten des Klägers im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität zu Recht bejaht. Denn das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. BayVGH B.v. 14.6.2018 – 10 ZB 18.794 – juris Rn. 6; B.v. 20.10.2017 – 10 ZB 17.993 – juris Rn. 6, B.v. 20.3.2018 – 10 ZB 17.2512 – Rn. 5) zu Recht davon ausgegangen, dass von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Kläger nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Hiervon kann beim Kläger trotz seines positiven Therapieverlaufs bis heute nicht ausgegangen werden. Denn er konnte sich bislang nicht eine ausreichend lange Zeit außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren. Er befindet sich derzeit in der Phase der Beurlaubung vom Maßregelvollzug, in der seine Abstinenzfähigkeit im Rahmen des bestehenden Empfangsraums unter alltagsnahen Bedingungen weiter erprobt werden soll (Beschluss des Amtsgerichts Memmingen vom 3. Oktober 2018 über die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt). Auch das Bezirkskrankenhaus geht in seiner Stellungnahme gemäß § 67e StGB vom 31. August 2018 bei der Kriminalprognose davon aus, dass das erreichte Behandlungsergebnis noch nicht hinreichend unter alltagsnahen Bedingungen erprobt sei, so dass aktuell aus sachverständiger Sicht noch nicht erwartet werden könne, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine weiteren rechtswidrigen Taten infolge seines Hanges begehen werde. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine „rechtliche Absicherung“ – wie der Kläger meint -, sondern um eine neben der Behandlungs- und Sozialprognose selbständige Prognose zum Risiko der Begehung weiterer Straftaten, der für die Beurteilung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr bei einer Verlustfeststellung eine entscheidende Bedeutung zukommt. Daher wird in der Stellungnahme auch die Empfehlung ausgesprochen, durch eine Beurlaubung von mindestens sechs Monaten die Abstinenzfähigkeit zu erproben. Dieser Zeitraum ist aktuell noch nicht abgelaufen. Daneben hat das Verwaltungsgericht bei seiner Gefährdungsprognose auch darauf abgestellt, dass der Kläger schon seit langer Zeit seinen Lebensunterhalt nicht mehr durch eine Erwerbstätigkeit sichergestellt hat, und auch das umfangreiche Vorstrafenregister aus den Niederlanden berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund ist es trotz des bisher erfolgreichen Verlaufs der Drogentherapie im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger sich zur Finanzierung seiner – noch nicht dauerhaft überwundenen – Betäubungsmittelsucht erneut dem Drogenhandel zuwenden wird.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).