Verwaltungsrecht

Fiktive Antragsrücknahme im Asylverfahren bei Nichterscheinen zur Anhörung

Aktenzeichen  W 8 S 20.30022

Datum:
15.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 330
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 25, § 33
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Erscheint ein Ausländer unentschuldigt nicht zur Anhörung im Asylverfahren, begründet die fingierte Antragsrücknahme bei Nichtbetreiben des Verfahrens bei Vorliegen der Voraussetzungen eine zwingende Pflicht zur Einstellung des Verfahrens (Anschluss an BVerwG BeckRS 2019, 11017). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste am 27. November 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. Dezember 2019 einen Asylantrag.
Der Antragsteller erhielt vom Antragsgegner schriftlich die “wichtige Mitteilung” mit der Belehrung über seine Mitwirkungspflichten in arabischer Sprache sowie weiter eine ausdrückliche Ladung zur mündlichen Anhörung zum 18. Dezember 2019 unter Hinweis auf die Folge des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG, welche ihm persönlich ausgehändigt wurden und deren Erhalt er auch mit seiner Unterschrift bestätigt hat. Der Antragsteller ist zur persönlichen Anhörung am 18. Dezember 2019 nicht erschienen.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2019 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Nr. 1). Weiter stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Algerien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Am 8. Januar 2020 erhob der Antragsteller zu Protokoll der Urkundsbeamtin im Verfahren W 8 K 20.30021 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Sofortverfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung führte der Antragsteller im Wesentlichen aus: Er habe leider den Termin beim Bundesamt für die Anhörung vergessen und sei daher nicht zu dem besagten Termin erschienen. Nachdem er sein Versäumnis bemerkt gehabt habe, sei er nochmals zum Bundesamt gegangen und habe um Widereinsetzung in den vorherigen Stand und um einen neuen Interviewtermin gebeten. Dies sei ihm jedoch verwehrt worden. Er sei zum Verwaltungsgericht geschickt worden, um gegen den ablehnenden Bescheid Klage zu erheben.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 9. Januar 2020, den Antrag abzulehnen.
Des Weiteren teilte die Antragsgegnerin mit, dass im Hinblick auf die höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage, ob sich aus dem Urteil des EuGH vom 19. Juni 2018 ergebe, dass die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes zu laufen beginnen dürfe, die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung wie folgt geändert werde: “Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Ablehnungsantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.” Die zuständige Ausländerbehörde sei informiert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 8 K 20.30021) und die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antragsteller begehrt bei verständiger Würdigung des Vorbringens die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 38 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylG statthaft, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antrag wurde fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Klage- und Antragsfrist des § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt. Es spricht auch viel dafür, dass der Antragsteller ein Rechtschutzbedürfnis hat, da die Möglichkeit eines Wideraufnahmeantrages nach § 33 Abs. 5 AsylG im Vergleich zu einer gerichtlichen Entscheidung über Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides nicht gleichwertig ist, da nicht sichergestellt ist, dass der Antragsteller andernfalls keine Nachteile erleidet. Hinzu kommt vorliegend, dass der Antragsteller nach seinem Vorbringen nochmals zum Bundesamt gegangen sei und um Widereinsetzung in den vorherigen Stand sowie um einen neuen Interviewtermin gebeten habe, was ihm jedoch mit Verweis auf das Verwaltungsgericht verwehrt worden sei (vgl. VG Ansbach, B.v. 25.1.2019 – AN 17 S 19.30019 – juris m.w.N.).
Der Antrag ist aber unbegründet, weil die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende gerichtliche Interessensabwägung ergibt, dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt, nachdem die summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
Denn die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ist rechtmäßig, weil das Asylverfahren des Antragstellers zurecht gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG eingestellt worden ist. Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt wird (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG), wenn der betreffende Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gesetzlich gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Altern. vermutet, wenn der Antragsteller eine Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung ist gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nur widerlegt, wenn der Antragsteller unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umständen beruht, auf die er keinen Einfluss hatte.
Erscheint ein Ausländer unentschuldigt nicht zur Anhörung, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kein Wahlrecht. Die zwingende Folge der fingierten Antragsrücknahme bei Nichtbetreiben des Verfahrens begründet bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Pflicht zur Einstellung des Verfahrens (BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – InfAuslR 2019, 309). So liegt der Fall hier.
Der Antragsteller ist vorliegend der Ladung vom 5. Dezember 2019 zur persönlichen Anhörung am 18. Dezember 2019 nicht nachgekommen, ohne dass er einen Nachweis der unverschuldeten Versäumnis erbracht hat. Der Antragsteller gab vielmehr schlicht an, er habe den Termin beim Bundesamt vergessen und sei deshalb nicht zum Termin erschienen. Dies ist ihm anzulasten.
Der Antragsteller wurde des Weiteren zum Termin am 18. Dezember 2019 ordnungsgemäß geladen, insbesondere wurde er auf die Rechtsfolgen der Nichtwahrnehmung des Anhörungstermins entsprechend § 33 Abs. 4 AsylG hingewiesen. Der Antragsteller wurde in der ihm ausgehändigten “wichtigen Mitteilung” über seine Mitwirkungspflichten belehrt. Diese schriftliche Mitteilung wurde ihm auch in arabischer Sprache ausgehändigt, wie er mit seiner Unterschrift bestätigte. Die Belehrung ist in ausreichend verständiger Sprache und mit gesetzesentsprechendem Inhalt wiedergegeben worden. Die Ladung zum Anhörungstermin ist ihm zudem persönlich ausgehändigt worden. Der Antragsteller hat hierfür unterschrieben. Eine Fehlerhaftigkeit der Belehrung bzw. sonstiger Mängel der Ladung (vgl. dazu Heusch, in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 24. Ed., Stand: 1.11.2019, § 33 AsylG Rn. 7 ff.; Marks, Kommentar zum Asylgesetz, 10. Aufl. 2019, § 33 Rn. 23 ff.) sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller vorgebracht. Der Antragsteller hat insbesondere lediglich angemerkt, dass er zum Termin nicht erschienen sei, weil er diesen Termin vergessen habe. Dass sein Versäumnis auf eine mangelhafte oder missverständliche Belehrung über seine Mitwirkungspflichten bzw. eine fehlerhafte Übersetzung oder eine nicht ordnungsgemäße Ladung zurückzuführen sein könnte, hat der Antragsteller nicht einmal ansatzweise geltend gemacht.
Die Ausreisefrist von einer Woche ergibt sich aus § 38 Abs. 2 VwGO.
Schließlich ist die mit der Antragserwiderung vom 9. Januar 2020 erfolgte Änderung zum Beginn der Ausreisefrist, wonach der Antragsteller nunmehr aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen, nicht zu beanstanden und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, sondern erfolgt zu seinen Gunsten.
Relevante zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erkennbar und vom Antragsteller auch nicht vorgebracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Der entsprechende Antrag ist persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in welcher der Antragsteller vor der Einstellung des Verfahrens zu wohnen verpflichtet war. Stellt der Antragsteller einen neuen Asylantrag, gilt dieser als Antrag im Sinne des Satzes 2 (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 2 ff. AsylG).

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