Verwaltungsrecht

Flüchtlingsanerkennung wegen der Strafbarkeit homosexuellen Verhaltens in Uganda

Aktenzeichen  M 25 K 13.30413

Datum:
21.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

In Uganda droht Homosexuellen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unverhältnismäßige Strafverfolgung, die die Anerkennung als Flüchtling rechtfertigt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. April 2013 wird in Nrn. 2-4 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Der Bescheid des Bundesamts ist – soweit er hinsichtlich der Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter nicht bereits bestandskräftig geworden ist – rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist deshalb aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Flüchtling anzuerkennen.
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlungen entschieden werden obwohl die Beklagte nicht erschienen ist, da in den Ladungen zu den mündlichen Verhandlungen jeweils darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist jeweils form- und fristgerecht geladen worden.
1. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Das Gericht ist nach dem persönlichen Eindruck, den es vom Kläger gewonnen hat, von der Glaubhaftigkeit des Vortrags und der Glaubwürdigkeit des Klägers überzeugt.
1.1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer „Flüchtling“ im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – zur Definition dieser Begriffe vgl. § 3b Abs. 1 AsylG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
1.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beim Kläger vor. Der Kläger hat vorgetragen, dass er aufgrund seiner Homosexualität in Uganda verfolgt wurde und bei einer Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsse. Dies ist glaubhaft.
Diese Einschätzung beruht auf dem persönlichen Eindruck, den der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung der Hauptsache gemacht hat. Der Kläger hat sich bei seiner informatorischen Anhörung nicht in unauflösbare Widersprüche verstrickt, Fragen umgehend widerspruchsfrei beantwortet und insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Das vorgetragene Verfolgungsschicksal hält das Gericht für glaubhaft. Als Homosexueller hat der Kläger in Uganda auch flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten (vgl. dazu Auskunft des Bundesamt vom 14.6.2016, Aktenvermerk vom Gerichtsakte, Blatt 185 der Gerichtsakte, Bescheid des Bundesamts vom 14.12.2015, Blatt 110 der Gerichtsakte).
1.2.1. Zunächst gehört der Kläger als Homosexueller einer sozialen Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG an.
In Uganda droht einer Person, die einer Straftat überführt ist, die mit „Geschlechtsverkehr wider der Natur“ bezeichnet wird, gemäß Sektion 145 des Strafgesetzbuchs von 1950 (Penal Code Act 1950) eine Freiheitsstrafe, die im Höchstfall lebenslang ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union erlaubt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind (vgl. EuGH U.v. 7.11.2013 – C 199/12 – juris Rn. 49).
1.2.2. Der Kläger hat bei seiner Rückkehr nach Uganda aufgrund seiner Homosexualität auch flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Als „Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden. Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Die Furcht vor Verfolgung ist „begründet“, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936).
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) von nicht staatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Dem Kläger droht eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung von Seiten des Staates.
Homosexueller Geschlechtsverkehr, dessen Versuch sowie als „unsittliche Praktiken“ erfasstes homosexuelles Verhalten stehen nach Section 145 ff. des Penal Code Act unter Strafe.
Allerdings stellt der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher nach der Rechtsprechung des EuGH noch keine Verfolgungshandlung dar. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder bestrafende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar (vgl. EuGH, Urteil vom 7.11.2013, a.a.O., Rn. 61).Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist es für eine Verfolgung also nicht hinreichend, dass Uganda – wie zahlreiche Staaten – insbesondere homosexuellen Geschlechtsverkehr unter Strafe stellt.
Allerdings ergibt sich aus den Erkenntnismitteln, dass Section 145 ff. des Penal Code Act in Einzelfällen durchaus zur Verhängung einer Freiheitsstrafe führt.
Das Auswärtige Amt hat zwar mit Auskunft vom 3. April 2014 an das Verwaltungsgericht Karlsruhe und mit Auskunft vom 16. Juli 2014 an das Verwaltungsgericht München mitgeteilt, eine strafgerichtliche Verurteilung wegen homosexueller Betätigung sei in Uganda bisher nicht erfolgt. Diese Auskünfte erscheinen indes überholt.
In jüngerer Zeit (August und September 2015) wurde über zwei ugandische Strafverfahren gegen Männer wegen Verletzung von Section 145 des Penal Code Act berichtet, die in beiden Fällen mit Verurteilungen zu zehn Jahren Strafhaft endeten (vgl. The Sunrise, http://www.sunrise.ug/news/201508/sodomy-verdict-empowers-fighters-of-gay-abuses.html und September 2015, vgl. The Observer, http://observer.ug/news-headlines/39965-sodomy-chris-mubiru-sentenced-to-10-years), wenngleich Chris Mubiru mittlerweile offenbar im April 2016 aufgrund einer unrechtmäßigen Beweisverwertung wieder aus der Haft entlassen wurde (vgl. Newvision, http://www.newvision.co.ug/new_vision/news/1422518/court-overturns-mubiru-sodomy-sentence). Sowohl die Strafsache gegen „Shabaz Muhammed“ als auch gegen „Chris Mubiru“ betrafen (teilweise) Geschlechtsverkehr mit jungen, teilweise minderjährigen, Männern, die zudem unter Drogeneinfluss standen.
Die strafrechtliche Verurteilung erfolgte jedoch nicht wegen Umständen, die auch nach dem nationalen Recht der EU-Mitgliedstaaten als strafbar gelten und die daher vom Geltungsbereich des internationalen Schutzes auszunehmen sind (vgl. EuGH, U.v. 7.11.2013, a.a.O., Rn. 66). Vielmehr erfolgte die Verurteilung allein wegen des festgestellten Analverkehrs unter Homosexuellen.
Nachfolgend äußerte sich auch der ugandische Präsident Museveni, der betonte, neue Gesetzes seien entbehrlich, weil einvernehmliche homosexuelle Beziehungen bereits strafbar seien (Washington Blade, Ugandan president says anti-gay law ‚ not necessary‘, 14. September 2015, http://www.washingtonblade.com/2015/09/14/ugandan-president-says-anti-gay-law-not-necessary/). Diese Äußerung steht in offensichtlichem Widerspruch zur öffentlichen Erklärung der ugandischen Regierung vom 7. Juli 2014 (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht München vom 16.7.2014), dass es – entgegen dem Wortlaut des Anti-Homosexuality Acts – nicht ihre Absicht sei, Homosexualität als solche zu kriminalisieren.
Das Gericht verkennt nicht, dass es auch zivilgesellschaftliche Protestbewegungen von Angehörigen sozialer Minderheiten in Uganda gibt. Dies kann in Zukunft dazu führen, dass Homosexuelle in Uganda ohne begründete Furcht vor Verfolgung leben können. Gegenwärtig ist dies jedoch nicht der Fall.
Unter Würdigung dieser Erkenntnismittel ist die Einzelrichterin davon überzeugt, dass der Kläger in Uganda mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Form einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung erlitte.
Nach diesen Ausführungen war der Bescheid vom 29. April 2013, mit dem das Bundesamt den Asylantrag abgelehnt hat, aufzuheben, soweit dem die ausgesprochene Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegensteht. Einer Entscheidung über die weiteren Anträge bedurfte es nicht, da sie nur hilfsweise gestellt waren und der Kläger mit seinem Hauptantrag Erfolg hat.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die jeweilige vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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