Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft eines staatenlosen Palästinensers

Aktenzeichen  AN 9 K 16.31190, AN 9 K 16.31191, AN 9 K 16.31192

Datum:
22.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 34
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Wegen der Registrierung als palästinensische Flüchtlinge bei UNRWA scheitert die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft iSd § 3 Abs. 1 AsylG an der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 S. 1 AsylG, da die UNRWA zu den Schutz und Beistand leistenden Organisationen und Einrichtungen iSd Vorschrift zählt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Solange die Betreuung der Personengruppe durch die UNRWA fortdauert, und der einzelne Flüchtling Teil dieser Personengruppe bleibt, bestehen Schutz und Beistand der UNRWA iSd § 3 Abs. 3 S. 2 AsylG grundsätzlich fort. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein die Tatsache, dass palästinensische Flüchtlinge im Libanon einer schwierigen Situation gegenüberstehen, die unter anderem durch Armut und mangelnde Aufstiegschancen geprägt ist, genügt bei weitem nicht für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Sind sämtliche medizinisch indizierten Operationen zur Versorgung einer Behinderung im Libanon durchgeführt worden, und bestehen auch in den vorgelegten Attesten keine Zweifel an deren fachgerechter Durchführung, spricht eine Vermutung dafür, dass die ausreichende medizinische Versorgung im Libanon gewährleistet ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
1. Die Bescheide der Beklagten vom 9. August 2016, Az.: …, Az.: … und Az.: …, sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. In dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung steht ihnen ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG nicht zu. Auch die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG stehen ihnen nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. 1953 II S. 560) ist einem Ausländer nach § 3 Abs. 1, 4 AsylG zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder wenn er sich aus den genannten Gründen außerhalb des Landes befindet, in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Als Verfolgungshandlungen sind nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG solche Handlungen anzusehen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach § 3a Abs. 2 AsylG zählen dazu unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, diskriminierende gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, wie auch unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, insbesondere wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Bei den Akteuren, von denen die Verfolgung ausgeht, muss es sich nach § 3c AsylG um den Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatliche Akteure handeln, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, wirksamen und dauerhaften Schutz vor Verfolgung zu bieten. Für die Frage, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er das entsprechende zur Verfolgung führende Merkmal tatsächlich aufweist, ausreichend ist, dass es ihm von dem Verfolgungsakteur im Sinne des § 3c AsylG zugeschrieben wird.
Ob eine solche Bedrohungslage für den Ausländer vorliegt und ihm bei seiner unterstellten Rückkehr politische Verfolgung droht, hat das Gericht anhand einer Prognose zu beurteilen (vgl. BVerwG, U.v. 6.3.1990 – 9 C 14.89). Auszugehen ist hierfür zunächst von seinem bisherigen Schicksal, weil in der Vergangenheit liegenden Umständen auch Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft zukommt (vgl. BVerwG, U.v.27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 23; EuGH, U.v. 2.3.2010 – C-175/08 – juris, Rn. 92 ff.), aber auch nachträglich eingetretene Ereignisse sind zu berücksichtigen, weil nach § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf solchen Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Die Prognoseentscheidung hat am Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12). Es ist danach zu fragen, ob bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände des Falls ein vernünftig denkender und besonnener Mensch es ablehnen müsste, in sein Land zurückzukehren, weil die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.1988 – 9 C 32.87 – juris, Rn. 16; U.v. 15.3.1988 – 9 C 278.86 – juris, Rn. 23; Vorlagebeschluss v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris, Rn. 37). Entscheidend ist also der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, U.v. 23.7.1991 – 9 C 154.90 – juris, Rn. 28; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris, Rn. 17). Diese wird noch nicht berührt, wenn die politische Verfolgung lediglich eine theoretische Möglichkeit darstellt. Nicht zu fordern ist aber auch, dass der mathematische Wahrscheinlichkeitsgrad in jedem Fall 50% übersteigt, auch eine geringere Wahrscheinlichkeit kann hier ausreichend sein. Zu berücksichtigen ist insbesondere die Schwere des befürchteten Eingriffs. So macht es etwa für die Erwägungen eines besonnenen Menschen einen erheblichen Unterschied, ob er bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat lediglich eine geringe Freiheitsstrafe oder eine Geldbuße zu erwarten hat, oder aber ob ihm Folter, Misshandlung oder gar die Todesstrafe drohen (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris, Rn. 17; Vorlagebeschluss v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris, Rn. 37). An die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Verfolgung im Falle der Rückkehr sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer und einschneidender die zu erwartende Verfolgungshandlung ist.
§ 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG enthält die Ausschlussklausel, wonach ein Ausländer dann nicht Flüchtling nach Abs. 1 ist, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Art. 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt.
Ausgehend davon ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG nicht zuzuerkennen.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG scheitert schon an der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Zu den hier genannten Schutz und Beistand leistenden Organisationen und Einrichtungen zählt auch die durch Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 302/IV vom 8. Dezember 1949 errichtete United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (UNRWA), deren Aufgabe in der Hilfeleistung für palästinensische Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon, in Syrien, der West Bank und dem Gazastreifen besteht. Schutz und Beistand genießen alle Personen, die bei der UNRWA als Palästina-Flüchtlinge registriert sind (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.1992 – 1 C 21.87 – Rn. 22, juris). Die Kläger sind allesamt als palästinensische Flüchtlinge beim UNRWA Hilfswerk unter der Registrierungsnummer … registriert (vgl. Bl. 107 der Bundesamtsakte) und dem Residential Centre Museitbe II im Gebiet Beirut zugewiesen. Sie unterfallen damit der Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG. Danach bleibt es bei der Anwendbarkeit von § 3 Abs. 1 und 2 AsylG, wenn ein solcher Schutz oder Beistand nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist. Dies liegt bei den Klägern nicht vor. Voraussetzung für § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG ist nicht, dass der einzelne Flüchtling im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung von der UNRWA tatsächlich Hilfsleistungen erhält, sondern vielmehr dass er (noch) der Personengruppe angehört, deren Betreuung die UNRWA entsprechend ihrem Mandat übernommen hat. Solange die Betreuung der Personengruppe fortdauert und er Teil dieser Personengruppe bleibt, bestehen Schutz und Beistand der UNRWA i.S.d. § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG grundsätzlich fort. Aus diesem Grund ist es auch unbeachtlich, dass die Kläger im Jahr 2002 nach Dubai ausgereist sind und damit den Schutz durch die UNRWA nicht mehr in Anspruch nehmen, da dies freiwillig geschah. Die Bestimmungen der Genfer Konventionen sollen nämlich nach deren Art. 1 Abschnitt D Abs. 2 nicht schlechthin, sondern nur dann anwendbar sein, wenn Schutz und Beistand durch die UNRWA nicht mehr gewährleistet werden können, etwa weil die Organisation selbst diese aufgibt. Bei einer freiwilligen Aufgabe des UNRWA-Schutzes ist dieses gerade nicht der Fall (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1991 – BVerwGE 88, 254 (264 ff.); EuGH, U.v. 19.12.2012 – C-364/11). Es ist im Übrigen auch davon auszugehen, dass es den Klägern möglich sein wird, bei ihrer Rückkehr in den Libanon die Unterstützung der UNRWA wieder in Anspruch zu nehmen. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass ihnen nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter, der Klägerin zu 3), im Januar 2008 eine erneute Registrierungskarte durch die UNRWA ausgestellt wurde, obwohl die Familie zu diesem Zeitpunkt nicht im Libanon, sondern in Dubai lebte.
Das Gericht geht aber auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht davon aus, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe im Libanon begründete Furcht vor Verfolgung haben müssen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt. Eine unmittelbare oder mittelbare Gruppenverfolgung der Palästinenser kann nicht angenommen werden.
Palästinenser kamen ursprünglich infolge der Gründung des Staates Israel im Jahr 1949 und nach dem Krieg im Jahr 1967 als Flüchtlinge in den Libanon. 1949 wurde zu ihrer Unterstützung auch die UNRWA durch die Vereinten Nationen gegründet, bei ihr sind im Libanon derzeit zwischen 425.000 (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Dezember 2015) und 504.000 (UNHCR, The Situation of Palestinian Refugees in Lebanon, Februar 2016) palästinensische Flüchtlinge registriert. Davon leben schätzungsweise 270.000 Personen tatsächlich im Land. Sie wohnen in zwölf über das Land verteilten Flüchtlingslagern. Ihre Situation dort ist als prekär zu bezeichnen und sie unterliegen wirtschaftlichen und politischen Einschränkungen. So ist es ihnen etwa verwehrt, Grund und Boden zu erwerben und es wird von ihnen stets eine Arbeitserlaubnis verlangt. Gleichwohl verfügen sie über die UNRWA über einen sicheren Aufenthaltsstatus (vgl. AA, Lagebericht Libanon, Dezember 2015). Soweit Palästinenser ohne Aufenthaltsrecht zur Ausreise aufgefordert werden, ist dies eine ordnungs- bzw. ausländerrechtliche Maßnahme des libanesischen Staates ohne verfolgungsrelevante Diskriminierung, die gegen alle illegalen Einwanderer unabhängig von der Volkszugehörigkeit angewandt wird.
Repressionen allein aufgrund der palästinensischen Volkszugehörigkeit, die so gravierend wären, dass sie eine schwerwiegende und systematische Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten, ergeben sich für das Gericht indes aus den zugrunde liegenden Erkenntnismitteln nicht. Eine Gruppenverfolgung ist daher nicht anzunehmen.
Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr im Libanon aus individuellen Gründen staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wären. Was den Vortrag des Klägers zu 1) anbelangt, er sei zwischen 1998 und 2002 insgesamt fünfmal von der syrischen Armee festgenommen und geschlagen bzw. gefoltert worden, weil diese ihn verdächtigt habe, den damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat zu unterstützen, so ist dieser Vortrag schon nicht glaubhaft. Bei seiner Befragung vor dem Bundesamt hat der Kläger hierzu geschwiegen, und auch in der mündlichen Verhandlung brachte er zunächst nur die angeblichen Inhaftierungen vor. Später schob er noch nach, er sei auch geschlagen und gefoltert worden. Dass ein derart einschneidendes Erlebnis quasi nebenbei erwähnt und zudem gesteigert vorgebracht wird, macht es unglaubhaft – für das Gericht liegt der Schluss nahe, dass es frei erfunden ist.
Aber auch bei Wahrunterstellung wären die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG nicht gegeben. Zum einen ist schon fraglich, ob Handlungen der syrischen Armee überhaupt dem libanesischen Staat zugerechnet werden können. Auch wenn man ein Übergreifen des syrischen Bürgerkriegs auf die nördlichen Landesteile des Libanons und eine Kontrolle durch die syrische Armee für möglich hielte, stünden den Klägern inländische Fluchtalternativen zur Verfügung. Zum anderen ist Jassir Arafat seit dem Jahr 2004 tot, eine Wiederholung der Verfolgung aus diesen Gründen erscheint im Falle der Rückkehr daher unwahrscheinlich.
Die Kläger zu 2), 3), 4) und 5) haben eigene Verfolgungsgründe nicht vorgetragen und solche sind auch nicht ersichtlich.
1.2 Den Klägern steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht zu. Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG erhält ein Ausländer subsidiären Schutz, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Hierzu zählen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Für das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale hat das Gericht auf Grundlage der im vorliegenden Erkenntnismittel keine Anhaltspunkte, und die Kläger haben nichts dergleichen vorgetragen. Allein die Tatsache, dass sie als palästinensische Flüchtlinge im Libanon einer schwierigen Situation gegenüberstehen, die unter anderem durch Armut und mangelnde Aufstiegschancen geprägt ist, genügt bei weitem nicht für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Ob die in den angegriffenen Bescheiden zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, dass ein Übergreifen des syrischen Bürgerkriegs auf den Norden des Libanons im Bereich des Möglichen liegt, zutrifft, ist letztlich nicht entscheidungserheblich. Auch in diesem Fall stünde den Klägern eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Das ihnen ursprünglich zugewiesene Camp liegt nicht im Norden des Libanon, sondern in der Gegend von Beirut. Außerdem genießen nach Angaben des UNHCR bei der UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge innerhalb des Libanons zumindest grundsätzlich Bewegungsfreiheit (vgl. UNHCR, The Situation of Palestinian Refugees in Lebanon, Februar 2016).
1.3 Aus den genannten Gründen können die Kläger auch nicht hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG verlangen.
1.4 Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegen bei der Klägerin zu 3) und dem Kläger zu 5) nicht vor. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. § 60 Abs. 7 Satz 3 und 4
AufenthG stellen ausdrücklich klar, dass es nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, und dass eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vorliegt, wenn sie nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Erforderlich aber auch ausreichend ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h., dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris, Rn. 15). Erforderlich zur Feststellung der Krankheit bzw. Behinderung und zur Prognose über ihren weiteren Verlauf ist stets ein fachärztliches Attest, das den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris, Rn. 15).
Nach diesen Maßstäben scheitert ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG bei der Klägerin zu 3) schon daran, dass bei ihr eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist. Aus dem in der Bundesamtsakte befindlichen Schreiben des Gesundheitsamts des Landratsamts … sowie dem fachärztlichen Attest des Oberarzts … an der … Kinderklinik vom 23. März 2015 geht hervor, dass ihre Behinderung auf einen Ertrinkungsunfall am 26. September 2009 zurückzuführen ist, infolgedessen sie reanimiert und zwei Tage maschinell beatmet wurde. Infolge der Sauerstoffunterversorgung kam es zu einer Hirnschädigung. Sie ist daher insgesamt in ihrer körperlichen Entwicklung zurückgeblieben, insbesondere ihr Bewegungsapparat funktioniert nicht einwandfrei, weshalb sie auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Dafür, dass sich der Gesundheitszustand im Falle der Abschiebung wesentlich verschlechtern könnte bzw. dass eine solche Verschlechterung überhaupt möglich ist, enthält das Attest keine Anhaltspunkte. Dies ist für das Gericht auch nachvollziehbar, da die Hirnschädigung durch ein einmaliges Unglücksereignis hervorgerufen wurde, nunmehr abgeschlossen ist und insofern keinen fortschreitenden Prozess darstellt. Die in dem Attest geforderten Therapiemaßnahmen (zur Verbesserung der mentalen und motorischen Entwicklung) zielen auf eine mögliche Verbesserung des Gesundheitszustandes, ob diese der Klägerin zu 3) im Libanon zur Verfügung stehen würden, ist jedoch für § 60 Abs. 7 AufenthG unbeachtlich.
Auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG hat auch der Kläger zu 5) keinen Anspruch. Eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ist bei einer Abschiebung in den Libanon nicht zu erwarten. Ausweislich des vorläufigen Entlassungsbriefs der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum … vom 12. Januar 2015 und des Oberarztes … an der … Kinderklinik vom 23. März 2015 leidet der Kläger zu 5) seit seiner Geburt an einem Hydrocephalus, weswegen es infolge des gesteigerten Hirndrucks bei ihm bereits im Säuglingsalter zu einer Hirnschädigung gekommen ist. Die medizinisch erforderlichen operativen Eingriffe zur fachgerechten Einsetzung eines Shunts und die infolge seines Wachstums notwendig gewordenen Folgeoperationen wurden nach Angaben seiner Eltern, der Kläger zu 1) und 2), allesamt im Libanon durchgeführt, unter anderem am amerikanischen Universitätsklinikum in … und im …Krankenhaus – ebenfalls in … Im Libanon lebte der Kläger zu 5) mit seinen Eltern bis zum Jahr 2002, und damit bis zu seinem vierten Lebensjahr, weitere Operationen fanden im Jahr 2009 ebenfalls im Libanon statt, eine davon war notwendig, weil eine Operation in Dubai zuvor nicht fachgerecht durchgeführt worden war. Da sämtliche medizinisch indizierten Operationen zur Versorgung seiner Behinderung im Libanon durchgeführt worden sind, und auch in den vorgelegten Attesten keine Zweifel an deren fachgerechter Durchführung angemeldet werden, spricht für das Gericht eine Vermutung dafür, dass die ausreichende medizinische Versorgung des Klägers zu 5) im Libanon gewährleistet ist. Dass sich diese Situation in der jüngsten Vergangenheit wesentlich verschlechtert haben soll, wurde nicht vorgetragen und diesen Schluss legen auch die dem Gericht zur Verfügung stehenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel nicht nahe. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts verfügt der Libanon – bei leichten regionalen Unterschieden – über eine relativ gute medizinische Versorgung, die Ärzteschaft umfasst viele Spezialisten, die zu einem großen Teil im westlichen Ausland studiert und auch praktiziert haben. Krankenhäuser, die auch sehr spezielle Behandlungen durchführen können, sind vorhanden. Auch alle international gängigen Medikamente sind im Libanon erhältlich, die Einfuhr von Medikamenten aus Deutschland ist möglich. Bei der UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge werden grundsätzlich vom Gesundheitsdienst der UNRWA versorgt, deren Versorgung indes Leistungen der Nachsorge (qualifizierte Krankenhausversorgung) nur unzureichend abdeckt (vgl. AA, Lagebericht Libanon, Dezember 2015). Daher unterstützt die UNRWA palästinensische Flüchtlinge auch bei den Kosten für weitergehende Gesundheitsversorgung in UNRWA-Vertragskran-kenhäusern (vgl. UNHCR, The Situation of Palestinian Refugees in Lebanon, Februar 2016). Darüber hinaus ist den vorgelegten Attesten zu entnehmen, dass die Behinderung derzeit ausreichend operativ und medikamentös versorgt ist und lediglich das stets vorhandene Risiko einer Shuntdysfunktion besteht. Zu einem Verstopfen oder einem bakteriellen Befall des Shunts kann es auch in Deutschland kommen, dass sich dieses Risiko im Falle der Abschiebung signifikant erhöhen könnte, ist nicht dargetan. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann daher nicht festgestellt werden.
Der vom Kläger zu 1) vorgetragene Bluthochdruck entbehrt der Substantiierung durch ein fachärztliches Attest.
1.5 Die Abschiebungsandrohungen in der jeweiligen Ziffer 5 der angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig. Sie durften vom Bundesamt nach § 34 Abs. 1 AsylG ausgesprochen werden, weil die Kläger weder als Asylberechtigte, noch als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anzuerkennen waren, und auch keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (siehe Ziffern 1.1 bis 1.4). Auch einen sonstigen Aufenthaltstitel besitzen sie nicht.
Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Bescheide des Bundesamts vom 9. August 2016 Bezug genommen.
Nach alledem waren die Klagen vollumfänglich abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

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