Verwaltungsrecht

Freiheitsstrafe, Zulassungsverfahren, Berufung, Entziehungsanstalt, Ausweisung, Zulassung, Ermessensentscheidung, Therapie, Einreise, Bundesgebiet, Kokain, Feststellung, Heroin, Gesellschaft, Zulassung der Berufung, Zeitpunkt der Entscheidung, Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  19 ZB 20.1460

Datum:
24.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50228
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 5 K 19.2522 2020-04-28 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der Kläger, ein am 4. September 1967 geborener und im Alter von drei Jahren in das Bundesgebiet eingereister griechischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. April 2020, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14. November 2019 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt des Klägers für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt (Nr. I des Bescheids), die Feststellungswirkungen auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristet (Nr. II des Bescheids) und dem Kläger unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung, insbesondere nach Griechenland, angedroht (Nrn. III und IV des Bescheids).
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegen nicht vor.
1. Die Berufung des Klägers ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
Der Kläger rügt, es bestehe bei ihm keine gegenwärtige, konkrete und hinreichend schwere Wiederholungsgefahr. Er befinde sich seit dem 28. April 2020 nicht mehr im Bezirkskrankenhaus, sondern im Probewohnen in eigener Wohnung. Zuvor habe er erfolgreich die stationäre Therapie nach § 64 StGB (Maßregelvollzug) durchlaufen und aufgrund der positiven Entwicklung die letzte Erprobung beginnen können. Seit dem 15. Juni 2020 arbeite er fest angestellt in einem griechischen Restaurant. Er habe das Unrecht der von ihm begangenen Tat und die grundlegende Fehlerhaftigkeit seines dieser Tat zu Grunde liegenden damaligen Lebenswandels eingesehen und bedauere sein vormaliges Verhalten zutiefst. Die Entscheidung des Strafgerichts zur Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt sei auch bei der Prognose der Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen. Der Kläger sei weiterhin hochmotiviert, die im Strafurteil angeordnete Drogentherapie erfolgreich abzuschließen. Dieser Weg sei praktisch erfolgreich beendet, weil er am Ende der letzten Stufe der Therapie sei. Aus dem Bericht der Entziehungsanstalt vom 4. Dezember 2019 ergebe sich der bisherige Erfolg der Unterbringung. Zu sehen sei dabei, dass die Straftat nicht nur aufgrund der Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sei, sondern eben auch zur Finanzierung derselben. Losgelöst von der Betäubungsmittelabhängigkeit, die letztlich eine Erkrankung darstelle, bestehe keinerlei Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Annahme weiterer Straftaten. Nachdem die Therapie derart erfolgreich fast bis zum Ende gebracht sei, erscheine die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unter Berücksichtigung der langen Dauer des Aufenthalts nicht vertretbar. Das Verhalten des Klägers weise auch auf eine weitere hohe Motivation unabhängig von staatlichen Vorgaben hin, die Drogenabhängigkeit als Krankheit zu verstehen und hinter sich zu lassen, weil er sein Leben in Deutschland ohne Straftaten und Drogen erfolgreich weiterleben wolle. Diese positive Entwicklung zeige seine Einstellung zum Rechtssystem der Bundesrepublik insoweit, als er weder Drogen konsumiere noch Drogen konsumieren wolle und keine Straftaten wegen der Drogenabhängigkeit oder aus sonstigen Gründen begehen wolle. Der Kläger weise während seines 50-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keine Vorstrafen auf. Im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr sei deshalb hervorzuheben, dass der Kläger überhaupt lediglich eine Verurteilung in seinem strafrechtlichen Vorleben habe. Es bestehe – insbesondere unter Berücksichtigung der fast erfolgreich bekämpften Drogenabhängigkeit – überhaupt kein Anlass zu der Annahme, eine erneute Straffälligkeit würde erfolgen. Zu sehen sei auch, dass es sich um überwachte Drogengeschäfte gehandelt habe, die für das Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln letztlich keine konkrete Gefahr für die Gesellschaft dargestellt hätten. Hinsichtlich der Integration in die Gesellschaft, die für sich genommen die Wiederholungsgefahr beeinflusse, sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits heute wieder arbeite, eine eigene Wohnung habe und – wegen ausschließlich negativen Befunden bei den zeitlich unvorhergesehenen Drogenscreenings – in die letzte Stufe der Therapie habe gelangen können. Der verwaltungsgerichtlichen Auffassung, der Kläger sei bereits in der Vergangenheit nach Zeiten der Drogenabstinenz wieder rückfällig geworden, könne nicht gefolgt werden, da der Grund für seinen erstmaligen Drogenkonsum die Trennung von seiner Lebensgefährtin bzw. seine Arbeitslosigkeit gewesen sei. Gerade in der Therapie seien Verhaltensmuster erlangt worden, die bei Frustration und Lebenskrisen eine alternative Handlungsweise ermöglichten und durchführen ließen, die die Bewältigung ohne Konsum von Drogen ermögliche. Das verwaltungsgerichtliche Urteil leide auch unter dem Mangel, dass dem Kläger der besondere Schutz des § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU nicht zugestanden worden sei. Bei einer Einreise im Jahr 1970 und einer Inhaftierung im Jahr 2017 liege eine derart tiefe Integration in die Bundesrepublik Deutschland vor, dass eine Integrationsunterbrechung in nachvollziehbarer Weise nicht begründet werden könne. Die Integrationstiefe sei auch vor der Inhaftierung nicht nur – wie das Verwaltungsgericht meine – in geringem Maße ausgeprägt gewesen. Der Kläger habe zwar die Schule abgebrochen. Dies sei aber erst in der elften Klasse des Gymnasiums erfolgt, sodass er wohl mit dem Abschluss der zehnten Klasse die mittlere Reife erworben habe. Der Abbruch der Schule in einem so späten Stadium zur Unterstützung des Bruders bzw. des Vaters sei kein vorwerfbares Verhalten und spreche sicher nicht gegen die Integration. Auch seien die ehemals hohen Schulden des Klägers kein Problem hinsichtlich der Frage der Rückfälligkeit oder der wiederholten Straffälligkeit. Der Kläger habe die Regelinsolvenz bestritten, sodass die geordnete Schuldenbereinigung jedenfalls ein Grund dafür sei, dass er wieder auf die Füße komme und ihn keine Altschulden an einem erfolgreichen Berufsweg hindern würden. Die Integration des Klägers sei schon aufgrund der Einreise in das Bundesgebiet mit drei Jahren, aber auch der ca. 46-jährigen Präsenz im Bundesgebiet bis zur Inhaftierung, sehr intensiv. Wenn man auch annehmen wolle, dass die Untersuchungs- und Strafhaft, als erzwungene unfreiwillige Herausnahme aus dem normalen bürgerlichen Leben, eine Unterbrechung der Integration hervorrufen könne, sei die freiwillige, mit Zustimmung des Klägers erst mögliche Maßregel der Therapie gemäß § 64 StGB keine der Zeiten, die die Integration unterbrechen würde. Die Therapie setze gerade die Hinwendung zur Gesellschaft voraus, sodass sie nicht mit einer Gefängnisstrafe gleichzusetzen sei. Der Kontakt zu seinen (volljährigen) Kindern sei nie abgerissen. Es sei rechtlich unzutreffend, dem Kläger den besonderen Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zu versagen. Das verwaltungsgerichtliche Urteil verstoße gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Durch die Aufenthaltsbeendigung des seit 50 Jahren im Bundesgebiet lebenden griechischen Staatsangehörigen werde der Schutzbereich nicht mehr berührt, sondern wegen des ausschließlichen Bezugs des Klägers in allen Lebensbereichen zur Bundesrepublik ausgehöhlt. Die Notwendigkeit der getroffenen Verlustfeststellung lasse sich nicht aus der Natur und Schwere der Straftat, deretwegen der Kläger verurteilt worden sei, ableiten. Die Straftat des Klägers stelle eine Einzelentscheidung dar, die keine Rückschlüsse auf ein drogenstrafrechtliches Vor- oder Nachleben zulasse. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebe sich, dass die Höhe der gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafe jedenfalls nicht so schwerwiegend sei, dass ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG und Art. 2 GG von vornherein ausgeschlossen wäre. Im Hinblick auf die überlange Dauer des Aufenthalts und des Alters des Klägers bei Einreise und des Alters bei einer beabsichtigten Aufenthaltsbeendigung werde das europäische Grundrecht auf Achtung des Privatlebens nicht gewährt. Auch bei einer Abwägung zwischen den Interessen der Bundesrepublik auf Aufenthaltsbeendigung und den Interessen des Klägers auf Verbleib im Bundesgebiet erscheine keine Lösung ermessensfehlerfrei, die unter Berücksichtigung der durch die Therapie im Rahmen des Maßregelvollzugs nach § 64 StGB jedenfalls erreichten Minimierung der Wiederholungsgefahr für den Kläger die Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet bedeuten würde. Aus den gleichen Gründen sei auch die Dauer der Befristung von sieben Jahren unverhältnismäßig und aufzuheben. Sie sei im Hinblick auf die lange Dauer des Aufenthalts, die Einmaligkeit der Verurteilung und die Tatsache, dass er die Bundesrepublik als sein Heimatland bezeichnen könne, unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft.
Aus diesem Vorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
1.1 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, da die Integrationsverbindungen des Klägers jedenfalls durch die Verbüßung der langjährigen Haftstrafe abgerissen seien, habe er sich nicht in den letzten zehn Jahren i.S.d. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU im Bundesgebiet aufgehalten, sodass entgegen der Auffassung der Beklagten die Rechtsgrundlage der Verlustfeststellung nicht § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU, sondern § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU sei, ist nicht zu beanstanden.
Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe als solche unterbrechen grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts i.S.d. § 6 Abs. 5 AufenthG. Allerdings ist für die Zwecke der Feststellung, ob eine Haftstrafe zu einem Abreißen des zuvor geknüpften Bandes der Integration zum Aufnahmemitgliedstaat geführt hat, gleichwohl eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt. Im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung sind die Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe zusammen mit allen anderen Anhaltspunkten zu berücksichtigen, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Gesichtspunkte ausmachen, wozu gegebenenfalls der Umstand zählt, dass der Betroffene in den letzten zehn Jahren vor seiner Inhaftierung seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat hatte (EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16, C-424/16, C-316/16, C-424/16 – juris Rn. 70; U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 33 ff. jeweils zu Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der RL 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG). Ein Unionsbürger, der eine Freiheitsstrafe verbüßt und gegen den eine Ausweisungsverfügung ergeht, erfüllt somit einen zehnjährigen Aufenthalt, sofern eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte zu dem Schluss führt, dass die Integrationsbande, die ihn mit dem Aufnahmemitgliedstaat verbinden, trotz der Haft nicht abgerissen sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art der die verhängte Haft begründenden Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs (EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16, C-424/16, C-316/16, C-424/16 – juris Rn. 83).
Das Verwaltungsgericht ist deshalb von einer Unterbrechung der Integrationsbande ausgegangen, weil die ursprünglich vorhandenen Integrationsverbindungen zunächst sukzessive und letztlich mit der Verbüßung der Haftstrafe abgerissen seien. Diese Auffassung ist nicht in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat die Lockerung der Integrationsverbindungen in wirtschaftlich-beruflicher (während der Zeit als selbstständiger Gastronom angesammelte massive Schulden in Höhe von 2 Millionen Euro; Arbeitslosigkeit im Zeitraum 2009 bis 2010 und ab 2016 bis zur Inhaftierung) und familiärer Hinsicht (seit 2007 von seiner Lebensgefährtin getrennt; ledig; volljährige und nicht auf seine Unterstützung angewiesene Kinder) sowie unter Berücksichtigung der Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers (nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin bis zum Jahr 2010 und ab 2016), der Art und Schwere der Straftat sowie der Umstände ihrer Begehung (besonders schwere Straftat ; trotz fehlender Vorstrafen, teilweisem Geständnis, teilweiser Sicherstellung der Betäubungsmittel und geleisteter Aufklärungshilfe Verurteilung zu einer hohen Haftstrafe) ausführlich und überzeugend dargelegt. Diese Auffassung wird ausweislich der Ausführungen im strafgerichtlichen Urteil vom 16. März 2018 vom sachverständigen Gutachter bestätigt, der – ebenfalls – eine „nachlassende berufliche und soziale Integration“ festgestellt hatte. Soweit der Kläger meint, der Maßregelvollzug sei nicht mit einer Haftstrafe vergleichbar, weil er durch intensive Auseinandersetzung mit der Suchtproblematik und sonstigen Problematik auf ein drogenfreies Leben in der Bundesrepublik Deutschland abziele und die Therapie geradezu die Hinwendung zur Gesellschaft voraussetze, gesteht er selbst zu, dass durch die Therapie die Voraussetzungen für eine Integration in die Gesellschaft erst wieder geschaffen werden sollen. Dies bestätigen auch die Ausführungen in den Therapieberichten der Entziehungsanstalt vom 4. Dezember 2019 und vom 20. März 2020, wonach der Kläger die – erst während der Unterbringung – gewährten Lockerungen dazu nutze, seine familiären Bande „wieder zu stärken und seine Kinder zu unterstützen“. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwiefern der – vom Verwaltungsgericht dargelegte und vom Gutachter im Strafverfahren bestätigte – vor der Inhaftierung begonnene Prozess der Lockerung der Integrationsverbindungen während des 15-monatigen Vorwegvollzugs gestoppt worden sein soll, zumal der Kläger während des Haftaufenthalts untherapiert war (aus der dem Strafgericht vorgelegten Mitteilung der Justizvollzugsanstalt vom 23.6.2017 geht ausweislich der Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil vom 16.3.2018 hervor, dass beim Kläger Entzugserscheinungen aufgetreten seien und eine methadongestützte Entzugsbehandlung notwendig gewesen sei).
1.2 Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ist weiter von den für eine Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts erforderlichen schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung auszugehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren und die Fernhaltung des Klägers vom Bundesgebiet erfordern.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungs- und Verlustfeststellungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18).
Das im Verlustfeststellungsbescheid dargelegte Verhalten des Klägers belegt eine schwerwiegende Gefahr der öffentlichen Ordnung i.S.v. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU (zu diesem Gefahrenbegriff vgl. Nr. 6.4.1 AVwV FreizügG/EU).
Der Kläger ist im Bundesgebiet zwar nur ein Mal, dafür im erheblichen Maße strafrechtlich in Erscheinung getreten. Mit strafgerichtlichem Urteil vom 16. März 2018 ist der Kläger wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden (die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und ein Vorwegvollzug von 15 Monaten wurden angeordnet). Soweit der Kläger insoweit verharmlosend ausführt, es habe sich um überwachte Drogengeschäfte gehandelt, die für das Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln letztlich keine konkrete Gefahr für die Gesellschaft dargestellt hätten, verkennt er, dass ausweislich der strafgerichtlichen Feststellungen nicht die gesamte Menge der verkauften Drogen sichergestellt habe werden können sowie dass im Rahmen der Strafzumessung die teilweise Sicherstellung der Drogen zugunsten des Klägers berücksichtigt worden ist und er trotzdem zu einer erheblichen Strafe verurteilt werden musste.
Nach den strafgerichtlichen Feststellungen hat der Kläger die Taten auch begangen, um seine eigene Sucht zu finanzieren. Der Gutachter hat in seinem mündlichen Gutachten vor dem Strafgericht insoweit ausgeführt, dass eine Polytoxikomanie festgestellt werden könne, es beim Kläger zu einer deutlichen und mehrjährigen durch Übung erworbenen intensiven Neigung hinsichtlich des regelmäßigen Konsums von Kokain und Heroin gekommen sei (ein Haargutachten vom 16.6.2017 hat ergeben, dass der Kläger etwa im Zeitraum Juli 2016 bis Mai 2017 intensiv Heroin und Kokain, gelegentlich Methamphetamin und Cannabisprodukte, sporadisch Oxycodon und wiederholt Buprenorphin konsumiert hat) und eine körperliche Abhängigkeit bestanden habe. Daher hat das Verwaltungsgericht zu Recht einen Zusammenhang zwischen der Straffälligkeit und dem Drogenproblem des Klägers angenommen.
Die durch die Delinquenz indizierte Gefährlichkeit des Klägers ist bislang nicht beseitigt.
Der am 12. Mai 2017 festgenommene Kläger, der sich ab dem 13. Mai 2017 zunächst in Untersuchungs- und danach in Strafhaft befunden hat, befindet sich weiterhin in dem seit 14. August 2018 begonnenen Maßregelvollzug. Er kann bislang keinen erfolgreichen Abschluss der Therapie vorweisen. Von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr kann daher schon aus diesem Grund nicht ausgegangen werden.
Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – juris Rn. 9; B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.), da die Erfolgschancen einer Therapie im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (die Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: August 2013 des Bundesverbandes für Stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. – Teil 1 – lassen auf eine Misserfolgsquote nach einem Jahr von 70% und mehr schließen; nach Klos/Görgen – Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 25 ff. – sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme; vgl. insoweit auch Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 47: „bescheidene Erfolge“). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).
Der Senat verkennt insoweit nicht, dass positive Berichte der Entziehungsanstalt über den Therapieverlauf im Maßregelvollzug vorliegen. Bei der Einschätzung des Gewichts des Therapieberichts vom 4. Dezember 2019, wonach insbesondere die gute Mitarbeit des Klägers in therapeutischen Gesprächen und seine erkennbare Motivation hinsichtlich der Aufarbeitung seiner Suchtbiografie prognostisch günstig erschienen, und des Therapieberichts vom 20. März 2020, wonach insbesondere die gewährten Vollzugslockerungen bisher ohne Probleme verlaufen seien und sich der Kläger absprachebereit und zuverlässig verhalten habe, ist aber zu berücksichtigen, dass – wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466 – juris, insbesondere Rn. 48) im Einzelnen dargelegt und belegt hat – zu einer effektiven Drogenbehandlung ein enges Vertrauensverhältnis erforderlich ist, der Therapeut kein verlängerter Arm des Staates ist und Therapieberichte keine objektive Bewertung oder gar Begutachtung darstellen, weswegen Therapiestellungnahmen als einseitige Stellungnahmen zu bewerten sind und die Therapieeinrichtung regelmäßig dann eine günstige Prognose abgibt, wenn sie – wie vorliegend – nicht vom Klienten durch einen erheblichen Verstoß gegen ihre Regeln zu einem disziplinarischen Therapieabbruch genötigt worden ist. Der Senat verkennt zudem nicht, dass der Kläger die stationäre Therapie in der Entziehungsanstalt absolviert hat, dass er seit dem 28. April 2020 nicht mehr im Bezirkskrankenhaus, sondern in einer eigenen Wohnung lebt (vermutlich zusammen mit seinem Bruder) und dass – mangels entgegenstehender Anhaltspunkte – von keinen Drogenrückfällen auszugehen ist. Allerdings ist bislang auch kein strafvollstreckungsrechtlicher Beschluss im Hinblick auf die Aussetzung der Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ergangen, obwohl die Entziehungsanstalt in ihrer Einschätzung vom 20. März 2020 erklärt hat, die Entlassung aus dem Maßregelvollzug sei bei weiterhin positiven Verlauf „ca. im Sommer 2020“ geplant. Selbst im Falle eines (in Kürze ergehenden) strafvollstreckungsrechtlichen Aussetzungsbeschlusses (dieser würde zwar ein wesentliches Indiz darstellen, eine Bindung des Senats an die strafvollstreckungsgerichtlichen Prognosen betreffend die Straf- und Maßregelaussetzung zur Bewährung bestünde aber nicht) ist zu erwarten, dass der Kläger zunächst noch einem engmaschigen Kontroll- und Nachsorgekonzept aus Konsumverboten, Kontrollmaßnahmen, Resozialisierungsgeboten und Meldepflichten unterliegen wird.
Dass eine Freiheitsstrafe gegenüber dem Kläger zum ersten Mal vollzogen worden ist, spricht ebenfalls nicht gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern kann (BayVGH, B.v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 12). Die Straftaten des Klägers beruhen aber (zumindest auch) auf einer Suchtmittelabhängigkeit des Klägers, die weiterhin besteht. Daher kann ohne den erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie und die Glaubhaftmachung einer damit verbundenen Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden.
Die vom Kläger weiterhin ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung ist schwerwiegend. Dies ergibt sich bereits daraus, dass (schon) die (einmalige) Verurteilung des Klägers eine Verlustfeststellung eines zehn Jahre im Bundesgebiet sich aufhaltenden Unionsbürgers rechtfertigen könnte (§ 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU). Darüber hinaus wird durch diese vom Kläger ausgehende Gefahr ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Von einem solchen kann ausgegangen werden, wenn die von dem Unionsbürger ausgehende Gefahr allgemein anerkannte und gesetzlich festgelegte Werte und Normen in einem Maße beeinträchtigt, das ein Einschreiten seitens des Staates erforderlich macht. Dazu gehört – wie hier – auch die effektive Bekämpfung von Drogenhandel (Nr. 6.2.3 AVwV FreizügG/EU).
1.3 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen bei Erlass der Verlustfeststellung pflichtgemäß ausgeübt, ist nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Die Beklagte hat in ihrer Ermessensentscheidung zutreffend die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland, die familiäre Situation des Klägers, die Intensität der sozialen und kulturellen Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland und zum Heimatstaat des Klägers berücksichtigt. Es war insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger im Bundesgebiet straffällig geworden und dafür erheblich belangt worden ist. Insbesondere seine drei im Bundesgebiet lebenden, volljährigen Kinder haben den Kläger nicht davon abgehalten, Drogen zu konsumieren und Straftaten zu begehen. In Anbetracht der Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr ist für die Familie zumutbar, den Kontakt auf andere Weise aufrechtzuerhalten. Somit hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Klägers höher gewichtet als dessen Interesse, weiterhin im Bundesgebiet zu leben.
1.4 Soweit der Kläger rügt, die verfügte Befristung der Wirkungen der Verlustbestellung auf eine Dauer von sieben Jahren sei im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet und der Einmaligkeit der Verurteilung unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft, ergeben sich daraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Hinblick auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU.
Die Wirkungen der Verlustfeststellung sind gem. § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU von Amts wegen zu befristen. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (EuGH, U.v. 17.6.1997 – C-65/95, C-111/95 – juris Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist nicht vorgesehen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 23).
Es ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag. Im Fall einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen. In der Regel stellt ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont dar, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung – insbesondere jüngerer Menschen – kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 27).
Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen, und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall auch zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 28).
Die von der Beklagten getroffene Abwägung ist nicht zu beanstanden. Bei der bereits festgestellten erheblichen Wiederholungsgefahr und den zu berücksichtigenden persönlichen und familiären Bindungen (vgl. die Ausführungen zu Nrn. 1.2 und 1.3) lässt die durch die Beklagte vorgenommene Fristbemessung keinen Rechtsfehler zulasten des Klägers erkennen; insbesondere gebietet auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesichts der dargelegten Umstände keine Festsetzung einer Frist von weniger als sieben Jahren. Zukünftig eintretende Umstände wären im Rahmen eines Antrags nach § 11 Abs. 4 AufenthG zu berücksichtigen.
1.5 Auch aus dem Vorbringen des Klägers, die von der Beklagten vorgenommene Verlustfeststellung verstoße gegen Art. 8 EMRK, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Die Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention haben das Recht, einen straffälligen Ausländer auszuweisen, wenn sie ihre Aufgabe der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wahrnehmen. Jedoch müssen ihre Entscheidungen, soweit sie ein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht beeinträchtigen würden, in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig sein (EGMR, U.v. 13.10.2011 – Nr. 41548/06, Trabelsi/Deutschland – juris Rn. 53). Es ist insoweit ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner/Niederlande, Nr. 46410/99 – juris Rn. 43). Dabei ist die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat zu prüfen, die Dauer seines Aufenthalts im Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter, den Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen die Kinder des Beschwerdeführers in dem Land begegnen können, in das der Betroffene auszuweisen ist und die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gaststaat und zum Bestimmungsland (EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner/Niederlande, Nr. 46410/99 – juris Rn. 57 ff.).
Die Verlustfeststellung stellt sich auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK aufgrund seiner erheblichen Straffälligkeit, der bestehenden Wiederholungsgefahr und der familiären Situation auch unter Berücksichtigung des langen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht als unverhältnismäßig dar (vgl. die Ausführungen zu Nrn. 1.2 und 1.3). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger den Kontakt zu seinem Heimatland niemals verloren hat. Er hat in der Vergangenheit mehrmals selbstständig griechische Restaurants betrieben und ist auch derzeit in einem griechischen Restaurant angestellt. Den Ausführungen im strafgerichtlichen Urteil kann zudem entnommen werden, dass er in den Jahren 2014/2015 ein Jahr lang in Griechenland gelebt hat. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht diesbezüglich angegeben hat, der schriftsätzliche Vortrag (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren) bezüglich des einjährigen Auslandsaufenthalts in Griechenland sei irrtümlicherweise erfolgt, ist aufgrund der auf seinen Angaben beruhenden Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil bereits nicht nachvollziehbar, zumal diese Angaben nicht im Widerspruch zu anderen Angaben gestanden haben und sich der Aufenthalt in den Lebenslauf des Klägers überschneidungsfrei einfügt. Dass er (auch) in dieser Zeit im Bundesgebiet umgezogen ist, hat er jedenfalls nicht substantiiert dargelegt.
Soweit der Kläger aus dem von ihm angeführten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (U.v. 26.3.1992 – Beldjoudi/Frankreich, Nr. 12083/86; U.v. 13.7.1995 – Nasri/Frankreich, Nr. 19465/92) günstige Rechtsfolgen für sich herleiten will, weil die dortigen Kläger zu höheren Haftstrafen verurteilt worden seien (eine substantiierte Auseinandersetzung mit den Entscheidung erfolgte jedoch nicht), verkennt er, dass nur der Beschwerdeführer im ersten Verfahren eine höhere Einzelverurteilung als der hiesige Kläger aufweist und dass sich die dort entschiedenen Fälle vom vorliegenden Fall in signifikanter Weise unterscheiden, insbesondere hinsichtlich der familiären Bindungen im Aufnahmestaat und der Bindung zum Herkunftsstaat.
1.6 Die klägerische Rüge, die Verlustfeststellung verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 GG, führt nicht zur Zulassung der Berufung aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger hat insoweit nicht dargelegt, dass eines seiner (volljährigen) Kinder bzw. Geschwister auf seine Unterstützung angewiesen ist.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), die der Kläger ihr zumisst.
Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, warum der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr. vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, „ob die Zeiten des Maßregelvollzugs im Rahmen des § 64 StGB den Zeiten in Untersuchungs- oder Strafhaft im Hinblick auf die Unterbrechung der Integration gleichstehen“, rechtfertigt die Zulassung der Berufung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht. Die Frage stellt sich vorliegend schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die ursprünglich vorhandenen Integrationsverbindungen zunächst sukzessive und letztlich bereits mit Verbüßung der Haftstrafe abgerissen sind (und nicht erst durch den Maßregelvollzug).
3. Der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor.
Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift weist eine Rechtssache dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Für die Darlegung der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten genügt dabei die allgemeine Behauptung eines überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrads nicht. Vielmehr ist erforderlich, dass sich die Kläger mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil substanziell auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, hinsichtlich welcher aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung auftretenden Fragen sich besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten ergeben sollen (BayVGH, B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – juris Rn. 21 m.w.N.). Eine Rechtssache weist besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn eine kursorische, aber sorgfältige, die Sache überblickende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt. Die Offenheit des Ergebnisses charakterisiert die besondere rechtliche Schwierigkeit und rechtfertigt – insbesondere zur Fortentwicklung des Rechts – die Durchführung des Berufungsverfahrens (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 16, 25, 27). Dabei ist der unmittelbare sachliche Zusammenhang des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO mit Abs. 2 Nr. 1 VwGO in den Blick zu nehmen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 25).
Da der Kläger zur Begründung des Zulassungsgrunds der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf seine Ausführungen zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verweist und die dort aufgeworfene Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist, liegt daher auch keine besondere rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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