Verwaltungsrecht

Grundsätze für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei Herkunft aus Afghanistan

Aktenzeichen  M 25 K 14.30972

Datum:
17.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 130148
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Für die Begründung einer asylrechtlich relevanten Verfolgung genügt es nicht, auf die unsichere Lage in Afghanistan im Allgemeinen zu verweisen. Vielmehr bedarf es der glaubhaften Darlegung einer individuellen Verfolgung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom … November 2016 entschieden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Klageverfahren rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nach der derzeit geltenden Fassung des Aufenthalts- und Asylgesetzes keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG. Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
1.1. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Schutzsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung bzw. Gefährdung die volle Überzeugung gewinnen. Auf die Glaubhaftigkeit der Schilderung des Klägers und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und die Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerfG (Kammer), B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Schutzsuchende im Wesentlichen gleichbleibende, möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
1.2. In Anwendung dieser Grundsätze ist beim Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG festzustellen.
Es lässt sich auch nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Afghanistan oder im Falle einer Rückkehr dorthin von im oben genannten Sinne relevanter Verfolgung betroffen war bzw. betroffen sein wird.
1.2.1. Der Kläger hat eine ihn individuell betreffende Verfolgung schon gar nicht geltend gemacht, sondern im Wesentlichen auf die unsichere Lage in Afghanistan im Allgemeinen verwiesen. Das Gericht folgt insoweit der überzeugenden Begründung des Bescheids, auf den nach § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen wird. Auch das Vorbringen des Klägers im Klageverfahren führt diesbezüglich nicht zum Erfolg.
1.2.2. Auch der Umstand, dass der Kläger Schiit ist, führt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Schiiten unterliegen in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung; sie sind derzeit und in überschaubarer Zukunft jedoch keiner an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt. Auch durch den neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird diese Einschätzung nicht erschüttert. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Auch unter Berücksichtigung des schweren Selbstmordanschlags vom … Juli 2016, bei dem 85 Menschen ums Leben gekommen und rund 240 Menschen verletzt worden seien und der sich fast ausschließlich gegen Schiiten gerichtet habe (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016 – im Folgenden: Lagebericht –, S. 10), verfügen die Verfolgungshandlungen, denen die Schiiten in Afghanistan ausgesetzt sind, nach Auffassung des Gerichts nicht über die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte.
1.2.3. Das gleiche gilt hinsichtlich der tadschikischen Volkszugehörigkeit des Klägers. Nach dem jüngsten Lagebericht beträgt der Anteil der Tadschiken im Vielvölkerstaat ca. 25%. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten (Lagebericht, S. 9). Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung von Tadschiken hat der Kläger nicht vorgetragen, solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
1.2.4. Soweit der Kläger der Auffassung ist, dass er als junger afghanischer Mann der Gefahr einer Rekrutierung ausgesetzt ist, hat er weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung konkrete Umstände geschildert, die eine individuelle Gefahr einer Zwangsrekrutierung und eine drohende Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG für ihn begründen könnten. Der Vortrag ist insofern unsubstantiiert, es handelt sich um eine bloße Befürchtung.
Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die erforderliche Verfolgungsdichte für alle jungen männlichen afghanischen Staatsangehörigen hinsichtlich der Gefahr einer Zwangsrekrutierung in Afghanistan besteht, wenn es auch in Einzelfällen zu zwangsweisen Rekrutierungen kommt (vgl. hierzu auch OVG NRW, B.v. 18.8.2016 – 13 A 1642/16.A -, juris Rn. 4 ff.). Dies genügt jedoch nicht für die Annahme einer gruppengerichteten Verfolgung von Männern im jungen bzw. wehrfähigen Alter.
Der nach alledem unverfolgt ausgereiste Kläger hat daher bei seiner Rückkehr nicht mit relevanter Verfolgung zu rechnen.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG.
Subsidiärer Abschiebungsschutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 AsylG die Verhängung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
2.1. Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegen nicht vor. Dem Kläger droht auch eigenen Angaben zufolge nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe.
2.2. Dem Kläger droht auch kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG infolge Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung.
Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den – mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG insoweit identischen – Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 60 AufenthG Rn. 35). Dies gilt gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. §§ 3c, 3d AsylG auch dann, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und kein ausreichender staatlicher oder quasistaatlicher Schutz zur Verfügung steht.
Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.11.2012, § 60 AufenthG Rn. 124 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz a.F.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine persönliche Bedrohung hat der Kläger weder erlitten noch geltend gemacht. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht dem Kläger auch nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken oder aufgrund seines schiitischen Glaubens (s.o.).
2.3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Denn er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass er in seinem Herkunftsland einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt wäre.
2.3.1. Vom Vorliegen eines solchen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen, oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht (vgl. BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 ZB 14.30101 – juris Rn. 20), und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt sind (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 – Diakité zur identischen Regelung des Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004, NVwZ 2014, 573, Rn. 32 und 34).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt.
Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss indes ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei ihrer Rückkehr in das betreffende Land oder in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – Elgafaji, Slg. 2009, I-921).
2.3.2. Die Frage, ob die in Afghanistan oder in Teilen Afghanistans stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil der Kläger nach Überzeugung des Gerichts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre.
Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise qualitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C9/08 – BVerwGE 134, 188).
Der Kläger stammt nach seinen Angaben aus einem Dorf in der Nähe von … in der Provinz …, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär darauf abzustellen ist.
Die Provinz Kandahar wird von der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, Internet: www.unama.unmissions.org) der Südregion Afghanistans (Provinzen: Nimroz, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Zabul) zugeordnet.
Der Jahresbericht der UNAMA (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2016 Protection of Civilians in Armed Conflict 2016, Februar 2017 – im Folgenden: UNAMA-Jahresbericht 2016) geht für das Jahr 2009 von 2441 getöteten oder verletzten Zivilisten in der Südregion aus (UNAMA-Jahresbericht 2016, S. 14). Bei einer Einwohnerzahl von ca. 2,75 Millionen betrug das Risiko für Zivilpersonen, Opfer eines Anschlags zu werden, somit 0,0887%. Hochgerechnet auf das Jahr 2016 (2989 Tote und Verletzte) betrug das Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, 0,1086%. Das Risiko, als Zivilperson in der Südregion in der Provinz Kandahar Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, liegt damit immer noch unter der vom Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13.10) für weit von der Erheblichkeitsschwelle entfernt erachteten Gefahrendichte von 0,125%.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die allgemeine Gefahr bei dem Kläger durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzt. Der Kläger hat auch keine geltend gemacht. Sie ergeben sich auch nicht aus seiner tadschikischen Volks- und schiitischen Religionszugehörigkeit.
3. Der Abschiebung des Klägers steht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
3.1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.
Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt.
Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen.
Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 60 AufenthG Rn. 35 f.). Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre. Dabei sind lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen.
Nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dann infrage, wenn die umschriebenen Gefahren nicht durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind (U.v. 13.6.2016 – 10 C 13/12 – BVerwGE 147, 8 ff., juris Rn. 24).
3.1.1. Eine derartige menschenrechtswidrige Schlechtbehandlung hat der Kläger weder erlitten noch bei seiner Rückkehr zu befürchten.
3.1.2. Eine unmenschliche Behandlung droht dem Kläger nicht aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen in Afghanistan.
Unzureichende wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsland können in Ausnahmefällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Asylbewerbers darstellen, ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG begründen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Dies gilt in den Fällen, in denen die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, zurückzuführen sind.
Wenn jedoch die Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führen, ist zu berücksichtigen, ob es den Betroffenen gelingt, die elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (EGMR, U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681 ff.; U.v. 7 und 20 der 5. 2008 – 26565/05 – N/Vereinigtes Königreich; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris). Unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls ist von einem sehr hohen Niveau hinsichtlich des erforderlichen Gefährdungsgrad auszugehen (BayVGH, U.v. 21.10.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19).
In Afghanistan ist die Lage indes nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107 – juris Rn. 25). Besondere individuelle Umstände, aufgrund derer der Kläger einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung unterworfen wäre (vgl. dazu BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107 – juris Rn. 25), liegen nicht vor.
3.2. Der Abschiebung des Klägers steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
3.2.1. Individuelle nur dem Kläger drohende Gefahren liegen nicht vor. Diesbezüglich hat der Kläger nichts vorgetragen.
3.2.2. Es besteht auch kein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz.
Im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entsprechend wird die Frage geprüft, ob bei Gefahren, die der Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein drohen, und bei denen eine politische Leitentscheidung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, ausnahmsweise Verfassungsrecht in Fällen einer extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot erforderlich macht. In diesem Zusammenhang wird auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Herkunftsland berücksichtigt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – juris Rn. 15 ff.).
Der Kläger wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan, hier in seine Heimatsprovinz Kandahar, und insbesondere im Hinblick auf die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen nicht mit der für die entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt.
Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan ist zwar weiterhin schlecht (vgl. Lagebericht 2016, S. 23 f.). Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien- und Stammesverbänden. Der Kläger kann jedoch als arbeitsfähiger, gesunder Mann auch ohne nennenswertes Vermögen bei einer Rückkehr nach Afghanistan durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in … ein kleines Einkommen erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums bestreiten (vgl. dazu BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris OS 1, Rn. 4). Dem steht auch nicht entgegen, dass sich der Kläger zuvor überwiegend nicht in Afghanistan, sondern im Iran aufgehalten hat. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass auch für Afghanen, die sich nicht in Afghanistan aufgehalten haben, jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger – eine der Landessprachen (hier: Dari) beherrschen, die Chance besteht, durch Gelegenheitsarbeiten in … ein kleines Einkommen zu erzielen (BayVGH, B.v. 4.1.2017, a.a.O., juris Rn. 7). Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert somit grundsätzlich nicht am fehlenden vorherigen Aufenthalt im Heimatland, wobei der Kläger und seine Familie sich vorliegend vor der Ausreise sogar in Afghanistan aufgehalten haben. Der Kläger hat den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht und spricht eine der beiden Landessprachen. Ein spezielles „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ ist nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 4.1.2017, a.a.O., juris Rn. 7).
Auch in der als inländische Fluchtalternative infrage kommenden Hauptstadt … könnte der Kläger unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe und Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten sein Überleben sichern (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2012 – 13a B 11.30439 in st.Rspr.).
4. Die nach Maßgabe der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keinen Aufenthaltstitel und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt. Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Androhung nicht entgegen. Nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu bezeichnende Staaten, in die eine Abschiebung nicht erfolgen darf, sind nicht ersichtlich. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich unmittelbar aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
5. Der Kläger trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).
6. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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