Verwaltungsrecht

Interner Schutz vor Verfolgung durch die Poro-Society in Sierra Leone

Aktenzeichen  RN 14 K 17.32472

Datum:
17.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15202
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c
AsylG § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Vor einer Verfolgung durch einen Geheimbund (hier: Poro-Society) besteht eine Ausweichmöglichkeit innerhalb der Republik Sierra Leone jedenfalls in den Großstädten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Vorgaben des § 60a Abs. 2c S. 2 und 3 AufenthG zum Nachweis des Bestehens einer Erkrankung finden nicht nur bei der Beurteilung eines inländischen Abschiebungshindernisses – insbesondere einer Reiseunfähigkeit – Anwendung, sondern auch im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (BayVGH BeckRS 2018, 8660; HambOVG BeckRS 2016, 53130). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts, den Kläger nicht als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm nicht die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt gemäß den § 31 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG sowie den §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden.
1. Die Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht ein Asylrecht im Sinne des Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz nicht zu. Nach Art. 16a Abs. 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer zur Überzeugung des Gerichts über einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a AsylG eingereist ist. Der Kläger hat beim Bundesamt bestätigt, dass er aus Italien mit dem Bus und anschließend mit dem Zug kommend über die Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten scheitert somit bereits an Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26a AsylG.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Die Flüchtlingseigenschaft kann allerdings nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesem Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 24).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85 – juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris, Rn. 3).
Dem Kläger drohen keine politischen Verfolgungsmaßnahmen wegen der Umstände, die zu seiner Ausreise aus Sierra Leone geführt haben. Darüber hinaus wäre er auf die Möglichkeit landesinternen Schutzes nach § 3e Abs. 1 AsylG zu verweisen.
Die Voraussetzungen einer relevanten Verfolgungsmaßnahme durch den Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c AsylG) liegen bei der Klagepartei nicht vor. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine nach § 3 AsylG relevante politische und zugleich dem sierra-leonischen Staat zuzurechnende Verfolgung. Stellt man auf die vom Kläger geschilderten, offenbar unmittelbar fluchtauslösenden Ereignisse in Form einer vermuteten Gefährdung durch die Poro-Society ab, so könnten diese Handlungen nicht dem sierra-leonischen Staat zugerechnet werden. § 3c AsylG bestimmt insoweit, dass eine im Rahmen des Flüchtlingsschutzes relevante Verfolgung ausgehen kann von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Dass der sierra-leonische Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens wäre, gegen tatsächliche Verfolgung nichtstaatlicher Akteure vorzugehen, ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht. Soweit der Kläger vorbringt, keine Anzeige bei der Polizei erstattet zu haben, da diese selbst Angst vor der Poro-Society habe, handelt es sich hierbei um eine unsubstantiierte Behauptung, die keine Stütze in den vorliegenden Erkenntnismitteln findet und vermag die der Entscheidung zu Grunde liegenden Erkenntnismittel demzufolge nicht zu erschüttern. Aus anderen Verfahren ist dem Gericht durch Aussagen von Klägern bekannt, dass die sierra-leonische Polizei durchaus tätig wird, wenn durch Mitglieder von Geheimbünden schwere Straftaten verübt werden. Ein schwere Straftat oder auch nur der Versuch einer solchen hat der Kläger aber bereits nicht einmal behauptet. Vielmehr beschränken sich seine Ausführungen dahingehend, dass Mitglieder des Geheimbundes nach ihm gesucht und auch einmal in Freetown angetroffen hätten, um ihn abzuholen. Nach seiner Weigerung seien diese wieder weggegangen. Eine Verfolgungshandlung, die die Erheblichkeitsschwelle überschreiten würde, hat der Kläger somit bereits nicht einmal behauptet. Soweit der Kläger vorbringt, er werde durch schwarze Magie oder mittels eines Zaubergewehres durch die Poro-Society verfolgt, wodurch er mit Krankheiten belegt werden könne, ist dies dem Bereich des Aberglaubens zuzuordnen und kann eine vom Kläger subjektiv empfundene Angst vor Verfolgung rechtfertigen, nicht jedoch eine asylrechtlich erforderliche objektive Gefahr vor Verfolgung.
Für den Kläger geht damit keine Gefahr von einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG aus und ihm droht auch keine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1, 2 AsylG.
Im Fall des Klägers sind darüber hinaus die Voraussetzungen von § 3e AsylG gegeben, sodass dieser auf die Möglichkeit zu verweisen ist, sog. internen Schutz in Anspruch zu nehmen. Danach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft dann nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Gemessen hieran kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen, weil ihm aus den nachfolgenden Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. interner Schutz zur Verfügung steht:
Eine den genannten Anforderungen genügende Ausweichmöglichkeit würde der Kläger innerhalb der Republik Sierra Leone, dessen Staatsangehörigkeit er nach eigenem Bekunden besitzt, jedenfalls in den Großstädten oder auch anderen Landesteilen Sierra Leones vorfinden. In diesem Zusammenhang erscheint es bereits fraglich, wie es einem Geheimbund grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihm gesuchte Personen zu finden. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 17.10.2017). Wie dies gelingen soll, vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen. Das Gericht geht davon aus, dass es jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones – mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts – möglich ist, grundsätzlich unbehelligt von Geheimbünden zu leben (so auch VG München, U.v. 14.5.2018 – 30 K 17.40892 – BeckRS 2018, 20432 unter Verweis auf Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 zur Poro-Society an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft seien und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt. Dass sich an dieser Auskunftslage etwas ändert, wenn jemand zwar zwangsweise einer Geheimgesellschaft zugeführt werden sollte, sich dem jedoch vor der Aufnahme durch Initiierungsrituale entzog, ist aus Sicht des Gerichts grundsätzlich nicht zu erwarten. Ob etwas anderes gilt, wenn sich ein Mitglied entgegen der Regeln des Geheimbundes verhält und der Geheimbund befürchtet, Rituale oder Geheimnisse etc. könnten verraten werden bzw. wurden bereits verraten (vgl. insoweit Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg), kann vorliegend dahinstehen, da der Kläger tatsächlich keine Geheimnisse verraten hat und derartige Erkenntnisse schon nicht erlangt hat. Ein derartiges Verfolgungsmotiv des Geheimbundes behauptet der Kläger bereits schon nicht. Insofern ist das Gericht davon überzeugt, dass die Mitglieder des Geheimbunds den Kläger nicht noch über dreieinhalb Jahre nach den fluchtauslösenden Ereignissen im September 2015 in ganz Sierra Leone suchen werden. Der Aufwand für die Geheimbünde in Sierra Leone, alle Personen, die sich ihrem Vortrag nach einer Aufnahme in die Geheimgesellschaft entzogen haben, in ganz Sierra Leone zu suchen – ohne zentrales Melderegister – wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Schließlich ist für den Geheimbund bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt oder wieder in Sierra Leone aufhält. Nichts anderes ergibt sich insbesondere aus der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Behauptung, er könne in keinem Teil des Landes untertauchen, da er überall gefunden werde und er daher an keinem Ort sicher sei. Diese Befürchtung begründete der Kläger damit, dass der Geheimbund schwarze Magie beherrsche und ihn dadurch überall in Sierra Leone aufspüren könne. Soweit es sich in diesem Zusammenhang nicht um bloßen Aberglauben handelt, ist die Behauptung rein spekulativer Art. Eine vom Kläger behauptete, derart herausragende Machtstellung von Geheimbünden entspricht auch nicht den der Entscheidung zu Grunde liegenden Erkenntnismitteln. Die Befürchtung des Klägers, einer landesweiten Verfolgung durch den Geheimbund unausweichlich ausgeliefert zu sein, ist somit nicht nachvollziehbar.
Dem Kläger wäre es auch wirtschaftlich zumutbar, sich in einem anderen Landesteil eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann der Kläger aufgrund seiner sechsjährigen Schulbildung und seinen ersten beruflichen Erfahrung im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters sowie seinen ebenfalls noch rudimentären Erfahrungen im Handwerk, nötigenfalls durch Gelegenheitsarbeiten, ein zumutbares Existenzminimum erwirtschaften. Der Kläger ist jung, weitestgehend gesund und arbeitsfähig. Dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone sicherzustellen, muss bei einem erwachsenen Mann ohne wesentliche Einschränkungen grundsätzlich vermutet werden. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihm dies auch nach seiner Rückkehr gelingen wird, zumal er keine Unterhaltspflichten hat und ggf. auf die Hilfe seiner Schwester zurückgreifen kann, die ihn auch vor seiner Ausreise unterstützt hat.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernst-hafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a) Dass dem Kläger in Sierra Leone die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Akteure droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 AsylG), ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat insoweit auch keine Gefahren geltend gemacht.
b) Es droht ihm zudem kein ernsthafter Schaden durch nichtstaatliche Akteure (vgl. §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG).
Die durch den Kläger geltend gemachte Gefahr durch den Geheimbund ist entsprechend der der Entscheidung zugrunde liegenden Erkenntnismittel nicht beachtlich wahrscheinlich. Bei der Geheimgesellschaft handelt es sich – wie oben bereits ausgeführt – um keinen nichtstaatlichen Akteur im Sinne von §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG. Abgesehen davon besteht die Möglichkeit des landesinternen Schutzes, insbesondere in anderen Großstädten der Republik Sierra Leone.
c) Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erkennbar.
Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson werde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 Elgafaji – juris = Slg. 2009, I-921).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch nicht auszugehen.
Der in Sierra Leone 11 Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2002 beendet. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist stabil. Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen im Jahr 2005 die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 6; Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar Islamische Länder – Band 17, Sierra Leone, Mai 2010).
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
a) Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Danach ist eine Abschiebung dann verboten, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass nach der Rechtsprechung des EGMR aus der Konvention, die hauptsächlich auf den Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte abzielt, keine Rechte auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend gemacht werden können, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, begründet nach der Rechtsprechung des EGMR noch keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Die grundlegende Bedeutung des Art. 3 EMRK erfordert jedoch nach Auffassung des EGMR eine gewisse Flexibilität, um in „sehr ungewöhnlichen“ bzw. „ganz außergewöhnlichen“ Fällen eine Abschiebung zu unter-binden. Dies kann auch nicht mit Blick darauf angenommen werden, dass nach Auffassung des EGMR in ganz außergewöhnlichen Fällen auch die Aufenthaltsbeendigung in einen Staat mit schlechten humanitären Verhältnissen bzw. Bedingungen, die keinem Akteur i.S.d. § 3c AsylG zugeordnet werden können, eine Verletzung des Art. 3 EMRK begründen kann, (vgl. etwa BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris, Rn. 25). Klägerseits wurde keine diesen Voraussetzungen entsprechende konkret-individuelle Gefahr geltend gemacht. Eine allgemeine Bedrohung genügt hierfür nicht.
b) Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach Satz 1, denen eine Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, oder die Bevölkerung als Ganzes, ausgesetzt ist, sind aber bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Allerdings verlangt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer konkreten Gefahr ohne Rücksicht darauf ab, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt ebenso wenig wie im Asylrecht die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Die Gefahr muss vielmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vorliegen, wobei das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert. Dies wäre in etwa anzunehmen, wenn Ausländer einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt würde, was dann der Fall ist, wenn der er im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder ihm erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen würden (BVerwG U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris, Rn. 14; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris, Rn. 34 sowie U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris, Rn. 16). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben. Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung liegt jedoch im Falle des Klägers bei einer Rückkehr nach Sierra Leone nicht vor.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Kläger eine neue Existenz in einem anderen Landesteil Sierra Leones aufzubauen, wird auf die Ausführungen unter Ziff. 2 a.E. verwiesen.
Der Kläger kann sich schließlich insbesondere nicht auf ein Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen seiner zumindest mit ärztlicher Bescheinigung vom 8. Juni 2017 diagnostizierten chronischen nicht-virämischen Hepatitis B-Infektion oder seines Alkoholabusus berufen. Die Gefahr, dass sich eine vorhandene Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat alsbald nach der Rückkehr wesentlich oder gar lebensbedrohend verschlechtert, kann zwar ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Eine derartige erhebliche konkrete Gefahr für Leib und/oder Leben des Klägers aufgrund einer alsbaldigen schwerwiegenden und wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands im Falle seiner Rückkehr ist aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Dies kann den von dem Kläger vorgelegten Arztbericht mit Laborwerten des Herrn Dr. S* … und auch dem Vorbringen des Klägers nicht ansatzweise entnommen werden.
Gesundheitliche, wesentliche Einschränkungen hat der Kläger nicht vorgebracht. Eine ein Abschiebungsverbot rechtfertigende entsprechende Gefahr ist aus o.g. Arztbericht nicht zu erkennen. Das Gericht geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die Vorgaben des § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG zum Nachweis des Bestehens einer Erkrankung nicht nur bei der Beurteilung eines inländischen Abschiebungshindernisses – insbesondere einer Reiseunfähigkeit – sondern auch im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Anwendung finden (vgl. auch: BayVGH, B.v. 26.4.2018 – 9 ZB 18.30178 – juris, Rn. 6; OVG Hamburg, B.v. 23.9.2016 – 1 Bs 100/16; VG Hamburg, B.v. 2.2.2017 – 2 AE 686/17 – juris; VG Augsburg, B.v. 6.6.2016 – Au 6 S 16.30662 – juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 10.5.2016 – 6a K 3120/15.A – juris). Dementsprechend ist eine Erkrankung, die ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot darstellen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen. Daran fehlt es hier. Die vorgelegten ärztlichen Schreiben erfüllen nicht die Anforderungen, die gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG an die qualifizierte ärztliche Bescheinigung zu stellen sind. Der Schweregrad der Erkrankung sowie im Besonderen die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, sind nicht konkret aufgeführt. Zum anderen ist aus den Attesten nicht einmal im Ansatz zu entnehmen, dass es sich um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handeln würde, die sich alsbald nach der Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Vielmehr ist dem vorliegenden ärztlichen Bericht vom 8. Juni 2017 zu entnehmen, dass zum Untersuchungszeitpunkt derzeit keine Behandlung wegen der Infektion mit Hepatitis B erforderlich sei, sondern nur zur absoluten Alkoholkarenz geraten werde. Der für ein Abschiebungsverbot notwendige Schweregrad ist demnach nicht erreicht.
5. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

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