Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter

Aktenzeichen  M 4 K 16.30893

Datum:
3.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 4

 

Leitsatz

Eine unglaubwürdige Darstellung der individuellen Verfolgungsgeschichte führt zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Grundgesetz -GG-, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz -AsylG- bzw. des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – zur Definition dieser Begriffe vgl. § 3b Abs. 1 AsylG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Es ist kein Anknüpfungsmerkmal im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ersichtlich, an das die geltend gemachte Verfolgung anknüpfen könnte. Die Kläger haben selbst nur vage Vermutungen, wieso es zu der vorgetragenen Entführung gekommen sein soll, keine davon lässt eine Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erkennen.
2. Hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG wird auf die Ausführungen zur Flüchtlingseigenschaft verwiesen. Zudem sind die Kläger über den Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und damit zwingend über einen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat (Art. 16a Abs. 2 GG).
3. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG.
Subsidiärer Schutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
1.Die Verhängung der Todesstrafe,
2.Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG). Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
a) Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegen nicht vor. Den Klägern droht erkennbar nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe.
b) Den Klägern droht auch kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG insoweit identischen Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen.
Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 35 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.). Dies gilt gemäß §§ 4 Abs. 3 i.V.m. 3c, 3d AsylG auch dann, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und kein ausreichender staatlicher oder quasi-staatlicher Schutz zur Verfügung steht. Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.11.2012, § 60 AufenthG Rn. 124 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Vorbringen hinsichtlich einer Bedrohung der Kläger durch die Taliban ist nicht glaubhaft.
Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose eines drohenden Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. nunmehr auch Art. 4 Richtlinie 2011/95 EU sowie bereits bislang BVerfG (Kammer), B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
Nach diesen Grundsätzen erscheint die von der Klägerin zu 1) vorgetragene Verfolgungsgeschichte zumindest hinsichtlich der persönlichen Bedrohung der Kläger selbst nicht glaubhaft. Die Klägerin zu 1) trug bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt vor, dass die Taliban ihr Haus einige Zeit nach der Entführung erneut aufgesucht hätten und sie mit Eisenstangen geschlagen hätten. Ihre Füße seien gebrochen worden und ihre Beine stark geschwollen. Zwei bis drei Tage später sei sie dann zum Cousin ihres Mannes gegangen. Sie sei mehre Stunden zu ihrem Cousin gelaufen. In der mündlichen Verhandlung trug sie auf Nachfrage vor, dass ihr Heimatdorf weit vom Cousin entfernt gewesen sei. Zu Fuß sei es zu weit gewesen, sie hätten dorthin entweder die Kutsche oder das Auto genommen. Je nach Geschwindigkeit wären es zwischen drei und fünf Stunden Fußmarsch gewesen. Dem Gericht erscheint es nicht nachvollziehbar, wie die Klägerin die – nach ihrer eigenen Auffassung schon in gesundem Zustand zu weite – Strecke mit zwei gebrochenen Beinen zu ihrem Cousin gegangen sein will. Zwar sind der Bruch der Beine/ bzw. Heilungsstörungen durch Atteste belegt und hat das Gericht deshalb an den Verletzungen an sich keinen Zweifel, die genaue Herkunft der Verletzung in Zusammenhang mit der Flucht der Kläger zum Cousin erscheint dem Gericht in der von der Klägerin zu 1) geschilderten Form jedoch nicht glaubhaft. Diese Zweifel konnte die Klägerin auch mit ihren restlichen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung nicht ausräumen. Auch bleibt anzumerken, dass die Klägerin noch nicht einmal versucht hat, innerstaatlichen Schutz im Sinne von §§ 3d, 4 Abs. 4 AsylG in Anspruch zu nehmen und damit den afghanischen Sicherheitsbehörden noch nicht einmal die Chance gegeben hat, sie zu schützen.
c) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffneten Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12- Diakité, zur identischen Regelung des Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – Slg. 2009, I-921).
Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren ist, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts die Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136,377).
Die Kläger stammen aus der Provinz …, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär darauf abzustellen ist. Die Provinz … wird von der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, Internet: www.unama.unmissions.org) der Ostregion Afghanistans (Provinzen: …, …, … und …*) zugeordnet.
Der Jahresbericht der UNAMA (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2016 Pro-tection of Civilians in Armed Conflict, Februar 2016) geht für das Jahr 2009 von 785 getöteten oder verletzten Zivilisten in der Ostregion aus. Bei einer Einwohnerzahl von 3,6 Mio. betrug das Risiko für Zivilpersonen Opfer eine Anschlags zu werden somit 0,0218%. Hochgerechnet auf das Jahr 2015 (1.646 Tote und Verletzte) betrug das Risiko Opfer willkürlicher Gewalt zu werden 0,0457%. Nach dem UNAMA Midyear Report 2016 sind die Opferzahlen im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem ersten Halbjahr 2015 stark zurückgegangen (952 – 738). Das Risiko als Zivilperson in der Provinz … Oper willkürlicher Gewalt zu werden liegt damit immer noch unter der vom Bundesverwaltungsgericht (U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10) für weit von der Erheblichkeitsschwelle entfernt erachteten Gefahrendichte von 0,125%.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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