Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes wegen Wehrdienstverweigerung

Aktenzeichen  RO 9 K 16.32244

Datum:
7.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 3, Nr. 5, § 4 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK EMRK Art. 3, Art. 9
VwGO VwGO § 113 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Die Einberufung zum Militärdienst stellt für sich genommen keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung iSd § 3 AsylG dar. Die Heranziehung zum Militärdienst nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG definiert lediglich Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt als relevante Verfolgungshandlungen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine unverhältnismäßige Bestrafung wegen einer Wehrdienstentziehung kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn der Betreffende durch die fehlende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die daraus folgende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in seinem Recht aus Art. 9 EMRK verletzt wird. (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 9 EMRK ist unanwendbar, wenn es dem Kläger ausschließlich darum geht, nicht gegen seine Landsleute kämpfen zu müssen und er sich nicht aus pazifistischen Gewissensgründen gegen das Töten von Menschen als solches wendet. (redaktioneller Leitsatz)
4. Ob die in ukrainischen Gefängnissen herrschenden Haftbedingungen die von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK gezogene Schwelle erreichen, kann wegen fehlender Erkennbarkeit “strafschärfender” Aspekte in Bezug auf den ukrainischen Kriegsdienstverweigerer offen bleiben, da deshalb selbst im Falle strafrechtlicher Verfolgung und Bestrafung einer etwaigen Wehrdienstentziehung nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass er tatsächlich inhaftiert und den Haftbedingungen ausgesetzt wird.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes noch Feststellung eines Abschiebungsverbotes (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Vielmehr ist die vom Bundesamt getroffene Entscheidung auch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt zunächst den Feststellungen und der Begründung des streitbefangenen Verwaltungsakts und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG); entsprechendes gilt für den Prozesskostenhilfebeschluss vom 26. September 2016. Der nachfolgende Vortrag im gerichtlichen Verfahren veranlasst keine anderweitige Bewertung der Sach- und Rechtslage.
1. Die im gerichtlichen Verfahren geltend gemachte Einberufung des Klägers zum Dienst in den ukrainischen Streitkräften als solche bzw. die Strafbewehrung einer etwaigen Wehrdienstentziehung führt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
1.1 Eine Einberufung – für die bis dato keinerlei substantiierten Anhaltspunkte außer der reinen Befürchtung des Klägers bestehen – stellt für sich genommen deshalb keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung dar, weil die Heranziehung zum Militärdienst ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen des § 3 AsylG unterfällt. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG definiert lediglich Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes nur in einem Konflikt als relevante Verfolgungshandlungen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen; schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen). Demgegenüber vermag die Einberufung zum Wehrdienst als solche grundsätzlich kein flüchtlingsrechtlich relevantes Verfolgungsschicksal zu begründen (vgl. BVerwG, B.v. 10.9.1999 – 9 B 7/99 – juris Rn. 3).
1.2 Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG kann aber nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Mit Blick auf den Themenbereich „Wehrdienstverweigerung/-entziehung“ führt der BayVGH in einem Beschluss vom 15. Februar 2016 (11 ZB 16.30012 – juris Rn. 13) dazu u.a. aus:
„Eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG kann dabei auch in einer unverhältnismäßigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung bestehen (vgl. EuGH, U. v. 26.2.2015 – C-472/13 – Shepherd – Abl EU 2015 C 138, S. 7 = juris Rn. 56; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 1. Aufl. 2009, § 9 Rn. 178). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass jeder Staat ein legitimes Recht hat, eine Streitkraft zu unterhalten, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst in dieser Streitkraft heranzuziehen und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, angemessen zu bestrafen. Eine unverhältnismäßige Bestrafung wegen einer Wehrdienstentziehung kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn der Betreffende durch die fehlende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die daraus folgende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, in seinem Recht aus Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK), zuletzt geändert durch Protokoll Nr. 14 vom 13. Mai 2004, verletzt wird (vgl. EGMR, U. v. 7.7.2011 – 23459/03 – BeckRS 2012 80059). Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, ob der Betreffende eine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung gegen den Wehr- oder Kriegsdienst glaubhaft machen kann (Marx a. a. O. Rn. 192).“
Eine Gewissensentscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jede ernste, sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne schwere seelische Not bzw. nicht ohne ernstliche Gewissensnot handeln kann (BVerfG, E.v. 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – juris Rn. 30). Zur Feststellung einer solchen Gewissensentscheidung im Rahmen der insoweit vergleichbaren Konstellation des Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 GG führt das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 21. Juni 2005 (2 WD 12/04 – juris Rn. 159 f.) u.a. aus:
„Da die Gewährleistung der Gewissensfreiheit als eigenständiges Grundrecht durch das normierte (Verfassungs-)Recht erfolgt und eine Gewissensentscheidung nach Art. 4 Abs. 1 GG Tatbestandsvoraussetzung dafür ist, dass die vom Grundrecht vorgesehenen und vom konkreten Grundrechtsträger geltend gemachten Rechtsfolgen eintreten, müssen die rechtlichen Voraussetzungen dafür im Einzelfall erfüllt sein. Nur dann besteht die in Art. 4 Abs. 1 GG normierte Verpflichtung staatlicher Hoheitsträger, gewissenschonende Handlungsalternativen zur Verfügung zu stellen (vgl. dazu u.a. R. Eckertz, a.a.O., 1981, S. 23). Denn das “Ob” einer Gewissensentscheidung muss im Streitfalle – gegebenenfalls im Wege der Beweisaufnahme – positiv festgestellt werden. Damit ist die Anwendung und Beachtung dieses Rechts, mithin auch die Bestimmung seiner Grenzen, im Streitfall notwendigerweise Sache des zuständigen Gerichts, dessen Richterinnen und Richtern nach Art. 92 GG die rechtsprechende Gewalt, also die verbindliche Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts anvertraut ist.
Das Vorliegen einer von Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Gewissensentscheidung als interner geistig-seelischer Vorgang der Persönlichkeit lässt sich allerdings von außen in aller Regel nur schwer ermitteln. Denn der Gewissensappell als „innere Stimme“ des Menschen ist in der äußeren Umwelt nicht unmittelbar wahrnehmbar, sondern kann nur mittelbar aus entsprechenden Indizien und Signalen, die auf eine Gewissensentscheidung und Gewissensnot hinweisen, erschlossen werden. Da das Medium solcher Signale und Indizien vornehmlich die Sprache ist, können der Ernst, die Tiefe und Unabdingbarkeit der vom Grundrechtsträger im oder für den konkreten Konfliktfall geltend gemachten Gewissensentscheidung in diesem Medium Ausdruck finden (vgl. H.H. Rupp, NVwZ 1991, 1033 [1034]). Deshalb wird im Fachschrifttum (vgl. u.a. Bäumlin, VVDStRL 28 , 3, 8 f.; Denninger in AK-GG, Bd. 1, 1. Aufl. 1984, Art. 4 RNr. 51 [ebenso Preuß in der 2. Aufl. 1989, RNr. 51]; H.H. Rupp, a.a.O.) und in der Rechtsprechung (Urteil vom 3. Februar 1988 – BVerwG 6 C 31.86 – ) für eine positive Feststellung – gerade auch wegen der damit verbundenen rechtlichen Folgen zu Recht – der Sache nach eine nach außen tretende, rational mitteilbare und nach dem Kontext intersubjektiv nachvollziehbare Darlegung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit der Gewissensentscheidung gefordert. Dabei bezieht sich die rationale Nachvollziehbarkeit der Darlegung nicht auf die Frage, ob die Gewissensentscheidung selbst etwa als „irrig“, „falsch“ oder „richtig“ gewertet werden kann (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1960 – 1 BvL 21/60 – ; Urteil vom 2. April 1970 – BVerwG 8 C 61.68 – ; Adolf Arndt in NJW 1957, 361 [362]), sondern allein auf das „Ob“, also auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins des Gewissensgebots und seiner Verhaltensursächlichkeit.“
Für eine verbindliche und unbedingte Gewissensentscheidung des Betroffenen müssen konkrete Anhaltspunkte anhand seiner persönlichen Entwicklung, seiner Lebensführung, seines bisherigen Verhaltens und der Einflüsse, denen er ausgesetzt war und ist, sowie der Motivation seiner Entscheidung festgestellt werden (VG Minden, U.v. 27.11.2015 – 10 K 759/14 – juris Rn. 30 m.w.N.).
Vorliegend konnte der Kläger das Vorhandensein einer Gewissensentscheidung im vorstehend beschriebenen Sinn nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen. Vielmehr lassen seine Ausführungen im Termin keine rational mitteilbare und nachvollziehbare ausführliche Darlegung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit der ins Feld geführten Gewissensentscheidung gegen den Dienst mit der Waffe an sich erkennen. Dem Kläger geht es ausschließlich darum, nicht gegen seine Landsleute kämpfen zu müssen. Gegen Angreifer von außen würde er sehr wohl zur Waffe greifen (vgl. S. 2 der Niederschrift). Er wendet sich mithin nicht aus pazifistischen Gewissensgründen gegen das Töten von Menschen als solches.
Somit ist Art. 9 EMRK auf den Kläger nicht anwendbar, da seinen Äußerungen keine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe im Sinne der vom BayVGH zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entnommen werden kann.
1.3 Dessen ungeachtet setzt eine Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG aufgrund eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals im Sinne von § 3b AsylG voraus. Die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst bzw. eine Strafverfolgung bzw. Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung schlägt allerdings nur dann in Verfolgung um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt wird, die dadurch wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen (BVerwG a.a.O.). Eine solche Anknüpfung an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal ist vorliegend nicht festzustellen. Vielmehr lässt sich den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen entnehmen, dass Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung bei der Heranziehung keine Rolle spielen (AA, Lagebericht vom 11.2.2016, S. 8). Der Kläger hat sich auch nicht auf religiöse Gründe berufen. Personen, die den Wehrdienst nicht aus Gewissensgründen, sondern aus anderen Gründen verweigern, stellen zudem keine soziale Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bzw. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2011/95/EU dar (BayVGH, a.a.O., Rn. 21). Ein Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG ist mithin nicht ersichtlich.
2. Soweit der Kläger Probleme mit nichtstaatlichen Akteuren befürchtet, gibt es nach der Erkenntnislage keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der ukrainische Staat grundsätzlich nicht in der Lage oder willens wäre, Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure zu bieten (§ 3d AsylG).
3. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Zuerkennung subsidiären Schutzes oder eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich.
3.1 Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten §§ 3d, 3e AsylG entsprechend, sodass bezüglich nichtstaatlicher Akteure auf die obigen Darlegungen Bezug genommen werden kann.
3.2 Der Vortragskomplex „Wehrdienst“ führt ebenfalls nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes oder eines nationalen Abschiebungsverbotes. Zunächst wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.
Ob dem Kläger ungeachtet fehlender Gewissengründe im Sinne von Art. 9 EMRK wegen Wehrdienstverweigerung als solcher in der Ukraine Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht, hängt davon ab, wie dort die Vorschriften zur Wehrdienstverweigerung konkret angewendet werden (vgl. BayVGH a.a.O., juris Rn. 20). Jedenfalls der Strafrahmen als solcher (Art. 335, 336 des ukr. StGB: Strafrahmen bis zu 3 bzw. bis zu 5 Jahre, vgl. AA, Lagebericht vom 11.2.2016, S. 9) bzw. bietet mit Blick auf die entsprechenden gesetzlichen Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland (§§ 15, 16 WStG: Strafrahmen bis zu 3 bzw. bis zu 5 Jahre) keinen Anlass, eine unverhältnismäßige Bestrafung anzunehmen. Soweit die Haftbedingungen in ukrainischen Vollzugsanstalten kritisiert werden (vgl. etwa AA, Lagebericht vom 11.2.2016, S. 12), käme es hierauf nur dann u.U. entscheidungserheblich an, wenn beachtlich wahrscheinlich ist, dass der Kläger nach Rückkehr aufgrund einer (tatsächlich bestehenden und auch fortgeltenden) Einberufung wirklich den Wehrdienst verweigert, sei es berechtigt oder unberechtigt. Ferner müsste beachtlich wahrscheinlich sein, dass er deshalb mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu rechnen hätte. Letzteres ist indes nicht der Fall. So führten die in der Zeit vom 1. Juli 2014 bis 1. Juli 2015 eröffneten Strafverfahren wegen Wehrdienstentziehung in der überwiegenden Zahl der Fälle zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von ein bis zwei Jahren auf Bewährung (vgl. BayVGH a.a.O. m.w.N.). Diese Einordnung wird durch eine Anfrage des BAMF an das Auswärtige Amt vom 28. Juli 2016 (noch nicht beantwortet, soweit ersichtlich) gestützt. Hiernach habe ein Aufruf des ukrainischen Zentralregisters für Gerichtsentscheidungen (http: …www.r…ua) ergeben, dass Art. 336 des ukrainischen Strafgesetzbuches tatsächlich angewendet werde. Bezogen auf das 1. Quartal 2016 hätten sich 359 diesbezügliche Urteile, davon 176 Freisprüche oder Verfahrenseinstellungen gefunden – aber auch Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen, z.T. auf Bewährung, z.T. ohne Bewährung. Verurteilungen ohne Bewährung erfolgten zumeist bei fehlender Reue des Betroffenen oder aufgrund anderer belastender Faktoren. Eine ähnliche Einschätzung lässt sich Annex A der “Country Information and Guidance Ukraine: Military service” des UK Home Office vom September 2016 entnehmen (vgl. dort S. 38.: „According to various media sources, there are currently hundreds of cases opened in Ukraine for draft evasion. In practice (according to the Registry of Court Decisions), 77 guilty verdicts were issued by courts as of February 2016. The majority of these were immediately released on probation. At the end of 2015 there was a case of one person in Zakarpattia region who was given 2 years in prison for draft evasion. However, this verdict was postponed and has not come into force yet due to the health conditions of this man”).
„Strafschärfende“ Aspekte sind beim Kläger jedoch nicht erkennbar, so dass selbst im Falle – derzeit ohnehin höchst ungewisser – strafrechtlicher Verfolgung und Bestrafung einer etwaigen Wehrdienstentziehung nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass er tatsächlich inhaftiert und den in ukrainischen Gefängnissen herrschenden Haftbedingungen ausgesetzt wird. Aus diesem Grund kann an dieser Stelle offen bleiben, ob diese an sich die von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gezogene Schwelle erreichen.
4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entsprechen den gesetzlichen Anforderungen gem. §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG.
5. Die nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erforderliche Ermessensentscheidung über die Befristung des nach § 11 Abs. 1 AufenthG im Falle der Abschiebung von Gesetzes wegen eintretenden Einreise- und Aufenthaltsverbotes hat die Beklagte getroffen, ohne dass ihr dabei ein Fehler unterlaufen wäre (§ 114 Satz 1 VwGO, § 40 VwVfG). Insbesondere ist sie bei der Festsetzung von 30 Monaten als Mittelwert des nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Regelrahmens von fünf Jahren weder von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen noch hat sie die widerstreitenden Interessen unvertretbar gewichtet. Unabhängig davon kann der Kläger den Eintritt der gesetzlichen Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbotes durch freiwillige Ausreise vermeiden.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen