Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes oder Feststellung eines Abschiebungsverbots für afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 25 K 17.30468

Datum:
11.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Das Risiko, als Zivilperson in der Ostregion Afghanistans und in der Provinz Laghman oder in Kabul Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, rechtfertigt nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG, sofern keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. (Rn. 37 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weder die Gefahrensituation in Afghanistan noch die dortigen schwierigen Lebensbedingungen haben für Rückkehrer zwangsläufig eine Verletzung des Art. 3 EMRK zur Folge. (Rn. 46 – 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 5. April 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
Soweit die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG oder auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG. Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 Auf-enthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das dreißigmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – zur Definition dieser Begriffe vgl. § 3b Abs. 1 AsylG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden. Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936).
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) von nicht staatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor.
Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgungsgefahr ist nicht glaubhaft.
Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung bzw. Gefährdung die volle Überzeugung gewinnen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. nunmehr auch Art. 4 Richtlinie 2011/95 EU sowie bereits bislang BVerfG (Kammer), B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der Bedrohung durch die Taliban sowie hinsichtlich seiner Flucht ist nicht glaubhaft.
So ist das Vorbringen des Klägers bereits widersprüchlich. Während er in der Anhörung vor dem Bundesamt angab, er sei Verkäufer in einer Cola-Firma gewesen, erklärte er in der mündlichen Verhandlung, er habe in dieser Firma leere Flaschen gesammelt und auf Lkw’s verladen. Nicht glaubhaft ist das Vorbringen des Klägers, der Firmeninhaber, der nach seinen Angaben ein Mitglied der Taliban gewesen sei, habe in seiner einjährigen Tätigkeit nach seiner Kenntnis nur einmal von bewaffneten Männern Besuch gehabt. Dabei ist es nicht realitätsnah, dass bei diesem Besuch der Kläger in unmittelbarer Nähe zugegen war und die Unterredung zwischen dem Chef und den beiden Taliban gehört hat, wonach diese gesagt hätten „Mullah wir haben den Auftrag erfüllt, was sollen wir heute machen“. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb diese Unterredung gerade im Beisein des Klägers hätte stattfinden sollen. Nicht glaubhaft ist auch das Vorbringen, die Taliban hätten ihn verdächtigt, dass er für die vorgebrachte Verhaftung des Firmenchefs, etwa vier bis fünf Tage später, verantwortlich sei. Nach den eigenen Angaben des Klägers haben in der Firma ca. zwanzig bis fünfundzwanzig Personen gearbeitet, so dass auch diese für die vorgebrachte Verhaftung verantwortlich sein konnten. Auch das Vorbringen des Klägers, er sei, nachdem er seinen Heimatort verlassen habe und nach Jalalabad in der Provinz Nangarhar gegangen sei, und dort bei einem Bekannten für fünf bis sechs Tage übernachtet habe, eines Tages von zwei Unbekannten mit dem Motorrad verfolgt und beschossen worden zu sein, ist nicht glaubhaft. So ist es bereits völlig wirklichkeitsfremd, wie die Taliban in der Stadt Jalalabad den Klä ger innerhalb weniger Tage ausfindig machen konnten. Diese nicht glaubhafte Verfolgungsgeschichte wird auch nicht durch die vorgelegten Schreiben von Sicherheitsbehörden der Provinz Nangarhar vom Mai 2013 bestätigt. Dokumente jeglichen Inhalts sind in Afghanistan jederzeit erhältlich (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: September 2016, S. 25). Des Weiteren sind diese Schreiben der Sicherheitsbehörden völlig ungenau. Dass der Kläger in Jalalabad angeblich beschossen wurde fehlt. In diesen Schreiben ist lediglich ausgeführt, dass im zweiten Bereichsamt der Vorfall stattgefunden habe. Das vorgelegte Schreiben des Rechtsanwalts vom 15. Mai 2013 steht in Widerspruch zur Schilderung des Klägers. Denn darin wird aufgeführt, die Familie habe sich über die Taliban … … und … … beschwert. In der Anhörung vor dem Bundesamt erklärte der Kläger, … …, der Bruder von … … und Anführer der Taliban, habe seine Leute geschickt. Schließlich spricht auch der Umstand, dass diese Schreiben nicht bereits vor dem Bundesamt, sondern erst im Gerichtsverfahren am 28. März 2017 vorgelegt wurden, gegen die Authenzität dieser Schreiben. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Sicherheitsbehörden dieses Schreiben im Mai 2013 verfasst haben sollten, da der Kläger nach seinen Angaben vor dem Bundesamt nur einen Bekannten von dem Vorfall erzählte und nicht die Polizei informierte.
Nicht glaubhaft ist auch das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der Dauer der Flucht. Er gab an, am 29. Mai 2013 Afghanistan verlassen zu haben und bis zur Einreise ins Bundesgebiet am 20. August 2015 ausschließlich in Wäldern oder Lkw’s gelebt zu haben und nie in irgendwelchen Städten gewesen zu sein. Dieses Vorbringen ist nicht wirklichkeitsnah.
Aufgrund der Widersprüche im Vortrag des Klägers sowie der Detailarmheit seines Vorbringens steht zur Überzeugung des Gerichts auch aufgrund des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindrucks fest, dass dieser seine Verfolgungsgeschichte nur vorgebracht hat, um im Zuge der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 erleichtert ins Bundesgebiet zu gelangen und hier ein Aufenthaltsrecht zu erhalten.
Da der Kläger unverfolgt seine Heimat verlassen hat, droht ihm auch bei einer Rückkehr keine relevante Verfolgung i.S. des § 3 AsylG.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG (§ 60 Abs. 2, 3, 7 Satz 2 Auf-enthG a.F.).
Solcher ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
1.Die Verhängung der Todesstrafe,
2.Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG). Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
a) Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegen nicht vor. Dem Kläger droht nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe.
b) Dem Kläger droht kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG insoweit identischen Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen.
Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 35 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.). Dies gilt gemäß §§ 4 Abs. 3 i.V.m. 3c, 3d AsylG. auch dann, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und kein ausreichender staatlicher oder quasi-staatlicher Schutz zur Verfügung steht. Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.11.2012, § 60 AufenthG Rn. 124 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Vorbringen hinsichtlich einer Verfolgung durch die Taliban ist nicht glaubhaft (s.o.). Die unsichere Lage in Afghanistan rechtfertigt nicht die Annahme, eine Abschiebung würde zwangsläufig Art. 3 EMRK verletzen (EGMR, U.v. 12.1.2016 – 13442/08).
c) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffneten Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12- Diakité, zur identischen Regelung des Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – Slg. 2009, I-921).
Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren ist, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C-9/08 – BVerw-GE 134, 188). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C-5/09 – BVerwGE 136,377).
Der Kläger stammt aus der Provinz Laghman, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär darauf abzustellen ist.
Die Provinz Laghman wird von der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, Internet: www.unama.unmissions.org) der Ostregion Afghanistans (Provinzen: Nangarhar, Laghman, Kunar und Nuristan) zugeordnet.
Der Jahresbericht der UNAMA (Afghanistan Annual Report 2016 Protection of Civilians in Armed Conflict, Februar 2017) geht für das Jahr 2009 von 785 getöteten oder verletzten Zivilisten in der Ostregion aus. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 2,5 Mio. betrug das Risiko für Zivilpersonen Opfer eines Anschlags zu werden somit 0,0314%. Hochgerechnet für das Jahr 2016 (1.595 Tote und Verletzte) betrug das Risiko Opfer willkürlicher Gewalt zu werden 0,0638%. Das Risiko als Zivilperson in der Ostregion und in der Provinz Laghman Opfer willkürlicher Gewalt zu werden liegt damit immer noch unter der vom Bundesverwaltungsgericht (U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10) für weit von der Erheblichkeitsschwelle entfernt erachteten Gefahrendichte von 0,125%. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unzureichenden medizinischen,Ver-sorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte.
Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Anmerkungen vom UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern Dezember 2016 widerlegt. Danach hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan im Jahr 2016 zwar deutlich verschlechtert. Konkrete Angaben über die Zahl der Anschläge und verletzter oder getöteter Zivilisten, aufgeschlüsselt nach Regionen, und in dem Schreiben jedoch nicht enthalten. Den Hinweis, dass eine pauschale Bewertung einzelner Regionen als sicher bzw. unsicher nicht möglich erscheine, vielmehr eine Berücksichtigung des Einzelfalls erforderlich sei, wurde durch die differenzierte Berechnung der Wahrscheinlichkeit, als Zivilist Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, genüge getan.
Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich die allgemeine Gefahr beim Kläger durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzt. Solche liegen nicht vor. Die vorgebrachte Bedrohung durch die Taliban ist nicht glaubhaft (s.o.). Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Anschläge gezielt auf Rückkehrer aus Europa ausgeführt werden.
Gleiches gilt für die als inländische Fluchtalternative infrage kommende Hauptstadt Kabul (vgl. OVG NW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15A). Selbst wenn man alle Anschläge im Jahr 2016 in der Zentralregion, in der die Hauptstadt Kabul liegt, der Stadt zurechnen würde, ergebe sich bei 2348 zivilen Opfern und einer Einwohnerzahl von ca. 3,67 Mio. ein Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, von 0,0639%.
3. Der Abschiebung des Klägers steht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 35 f.). Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre. Dabei sind lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.6.2013 – 10 C-13/12, juris, Rn. 24) auch dann in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren nicht durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind.
Die Situation in Afghanistan rechtfertigt nicht die Annahme, dass eine extreme Gefahrensituation vorliegt, die zwangsläufig bei einer Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zur Folge hat (vgl. EGMR, U.v. 12.1.2016 – 13442/08 -A.G.R./Nieder-lande). Dies betrifft auch das Vorbringen, Rückkehrer aus Europa seien einer erhöhten Gefahr von Entführungen ausgesetzt (so Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Asylmagazin 2017, S. 73 ff.). Eine unmenschliche Behandlung droht nicht durch die Taliban da das diesbezügliche Vorbringen nicht glaubhaft ist (s.o.).
Eine unmenschliche Behandlung droht dem Kläger auch nicht aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen in Afghanistan.
Unzureichende wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsland können in Ausnahmefällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Asylbewerbers darstellen, ein Abschiebungsverbot in diesem Sinn begründen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend sind“. Dies gilt in den Fällen, in denen die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, zurückzuführen sind. Wenn jedoch die Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führen, ist zu berücksichtigen, ob es den Betroffenen gelingt, die elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (EGMR U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681 ff.; EGMR U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – N/Vereinigtes Königreich; BVerwG U.v. 31.1.2013 – 10 C-15/12 – juris). Unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls ist von einem sehr hohen Niveau der Gefährdung auszugehen (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris).
In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – Rn. 26 – juris; BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107 -juris Rn. 25). Besondere individuelle Umstände, aufgrund derer der Kläger einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung unterworfen wäre, liegen nicht vor (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107- juris Rn. 25).
Auch wenn die wirtschaftliche Lage in Afghanistan weiterhin angespannt ist, kann der gesunde volljährige Kläger bei seiner Rückkehr mit Unterstützung seiner weiter in Afghanistan lebenden Familie sowie seiner Verwandtschaft den Lebensunterhalt wie bisher sichern. Dies gilt auch für die inländische Fluchtalternative in Kabul (s.u. b.bb). Das Vorbringen des Klägers, er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, ist angesichts der Möglichkeiten neuer Kommunikationsmittel nicht glaubhaft.
b) Der Abschiebung des Klägers steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allge mein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
aa) Individuelle nur dem Kläger drohende Gefahren liegen nicht vor.
Die vorgebrachte Bedrohung durch die Taliban ist nicht glaubhaft.
bb) Hinsichtlich des Klägers besteht auch kein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog wird die Frage geprüft, ob bei Gefahren, die der Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein drohen und bei denen eine politische Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, ausnahmsweise Verfassungsrecht in Fällen einer extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot erforderlich macht. In diesem Zusammenhang wird auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Herkunftsland berücksichtigt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – Rn. 15 ff. juris).
Der Kläger ist aber bei einer Rückkehr nach Afghanistan, hier die Heimatprovinz Laghman und insbesondere im Hinblick auf die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen nicht mit der für die analoge Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Zwar ist die Versorgungslage nach Auswertung der herangezogenen Erkenntnismittel in Afghanistan weiterhin schlecht (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: September 2016, S. 22 f.). Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien und Stammesverbänden. Der Kläger kann bei seiner Rückkehr mit der Unterstüt zung seiner weiterhin in Afghanistan lebenden Familie (Mutter und mehrere Brüder) und mit eigener Arbeit sein Überleben sichern. Das Vorbringen des Klägers, er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, ist nicht glaubhaft. Selbst wenn dies unterstellt würde, lebt weiterhin ein Onkel von ihm in Afghanistan, mit dessen Hilfe sein Überleben gesichert ist.
Auch in der als inländische Fluchtalternative infrage kommenden Hauptstadt Kabul könnte der volljährige, gesunde, arbeitsfähige Kläger unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe und die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten sein Überleben sichern (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2012 – 13a B 11.30439 in ständiger Rechtsprechung; jüngst B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374). Diese Einschätzung wird auch nicht durch den Bericht des UNHCR vom Dezember 2016 an das Bundesinnenministerium infrage gestellt. Denn dort wird festgestellt, dass der UNHCR an der in den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 (http://www.refworld.org) vertretenen Auffassung zur Rückführmöglichkeit junger, alleinstehender, leistungsfähiger Männer festhält. Insoweit stehen auch die Ausführungen von Frau Stahlmann (Asylmagazin a.a.O.) die ein Überleben junger, alleinstehender, leistungsfähiger Männer in Kabul ohne Unterstützung eines Familienverbandes infrage stellen, in Widerspruch zu obigen Ausführungen des UNHCR und rechtfertigen nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
4. Die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keinen Aufenthaltstitel und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt. Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 Auf-enthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Androhung nicht entgegen. Nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu bezeichnende Staa ten, in die eine Abschiebung nicht erfolgen darf, sind nicht ersichtlich. Die Ausreisefrist von dreißig Tagen ergibt sich unmittelbar aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Keinen Bedenken begegnet das gemäß § 11 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten.
5. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, hinsichtlich der zurückgenommenen Streitgegenstände aus § 155 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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