Verwaltungsrecht

Keine Abschiebung einer Person mit subsidiärem Schutz in Bulgarien wegen der dortigen Verhältnisse

Aktenzeichen  M 22 E 19.30443

Datum:
8.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7183
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, § 71 Abs. 5 S. 2
EMRK Art. 3
GrCh Art. 4
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2
AuftenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Der Anordnungsgrund folgt aus dem Umstand, dass bei einer Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt und die im Erstverfahren verfügte bestandskräftige Abschiebungsandrohung vollzogen werden kann, sobald das Bundesamt der zuständigen Ausländerbehörde mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein Anspruch auf sachliche Prüfung wie im Fall der Ablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann, auch für den Fall einer Ablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG anzunehmen ist oder bezüglich der Darlegung der Unzulässigkeit einer Abschiebung in den anderen Mitgliedstaat die Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zur Anwendung kommen, ist bislang nicht geklärt (Rn. 15 – 16). (redaktioneller Leitsatz)
3. Die gerichtliche Beurteilung von möglicherweise gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen muss – jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind – auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (Rn. 18). (redaktioneller Leitsatz)
4. Angesichts dessen, dass sicherlich die große Mehrzahl der Schutzberechtigten schon jetzt in prekären Verhältnissen lebt und es wegen der zu erwartenden (weltweiten) Rezession oder gar Depression infolge der Abwehrmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie unabwendbar sein dürfte, dass sich deren Situation deutlich verschlechtern wird, erscheint es durchaus naheliegend, dass die geänderten Verhältnisse für die Betroffenen, auch wenn sie zur Gruppe der gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen gehören, nicht nur in Einzelfällen zur Folge haben könnten, dass sie sich bei einem Verbleib in Bulgarien beachtlich wahrscheinlich einer Situation extremer materieller Not im oben beschriebenen Sinne ausgesetzt sähen (Rn. 23). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller (vorerst) bis zum Abschluss des Klageverfahrens erster Instanz (Urteilserlass oder Beendigung in sonstiger Weise) nicht nach Bulgarien abgeschoben werden darf.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, wendet sich im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine Abschiebung nach Bulgarien.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. November 2016 lehnte das Bundesamt für … (im Folgenden Bundesamt) den Asylerstantrag des Antragstellers vom 10. Februar 2016 gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ab, da dem Antragsteller in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt worden war. Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AuftenthG in Bezug auf Bulgarien nicht vorliegen. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Bulgarien angedroht.
Am 11. April 2018 reiste der Antragsteller, der sich nach seiner Abschiebung eigenen Angaben zufolge ca. 15 Monate in Bulgarien aufgehalten hat, erneut in das Bundesgebiet ein.
Am 19. Juni 2018 stellte er einen Asylfolgeantrag, zu dessen Begründung er im Wesentlichen Folgendes vortrug: In Bulgarien habe er nur dadurch leben können, dass er sich selbständig gemacht habe. Er habe einen Handel mit Mobiltelefonen betrieben. Die Geräte seien ihm aber aus seinem Geschäft gestohlen worden. Etwa um diese Zeit habe er einen Drohbrief erhalten und sei auch bei einem Anruf bedroht worden. Das habe mit seinen politischen Aktivitäten in der Heimat zu tun gehabt. Er sei ein Gegner der YPG und der PYD. Um nach Deutschland zu kommen, habe er Schulden machen müssen. Aktuell schulde er seinen Helfern ca. 5.000 Euro.
Mit Bescheid vom 7. Februar 2019 lehnte das Bundesamt den Folgentrag als unzulässig ab. Die Änderung der negativen Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde gleichfalls abgelehnt.
Am 13. Februar 2019 erhob der Antragsteller Anfechtungsklage. Weiter beantragt er,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, dem zuständigen Ausländeramt unverzüglich mitzuteilen, dass vor einer Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache eine Abschiebung des Antragstellers nicht erfolgen darf.
Zur Begründung wurde auf die im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg (zur Frage, ob insbesondere bezüglich der Unzulässigkeitsentscheidung ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft sein könnte, vgl. HessVGH, B.v 13.9.2018 – 3 B 1712/18.A – juris Rn. 3 m.w.N.).
Ein Anordnungsgrund wie auch ein Anordnungsanspruch liegen vor.
Der Anordnungsgrund folgt aus dem Umstand, dass bei einer Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG) und die im Erstverfahren verfügte bestandskräftige Abschiebungsandrohung vollzogen werden kann, sobald das Bundesamt der zuständigen Ausländerbehörde mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (§ 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG). Bei der vorliegenden Fallgestaltung bedarf es dabei auch nicht des Erlasses einer erneuten Abschiebungsandrohung (§ 71 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AsylG). Da ein förmlicher Abschiebestopp nach Bulgarien aktuell nicht besteht und Abschiebungen nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht (mehr) angekündigt werden dürfen (§ 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG), stellt sich die Situation für den Antragsteller folglich so dar, dass er jederzeit mit einer Abschiebung rechnen muss (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 8.11.2017 – 2 BvR 809/17 – BeckRS 2017, 134050 Rn. 15).
Der Antragsteller kann sich ungeachtet des Fehlens eines substantiierten Vortrags hierzu im Hinblick auf die klärungsbedürftige Frage zu den Konsequenzen der ihn in Bulgarien erwartenden Lebensbedingungen (Gefahr der Verelendung) auch auf einen Anordnungsanspruch berufen.
Hierzu ist vorab Folgendes zu bemerken: Mit Beschluss vom 13. November 2019 – C 540/17, C 541/17 – (BeckRS 2019, 28304) hat der EuGH festgestellt, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten von der in der Vorschrift eingeräumten Befugnis, einen Antrag als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller bereits in einem anderen Mitgliedsstaat der Flüchtlingsschutz eingeräumt wurde, keinen Gebrauch machen dürfen, wenn die Lebensverhältnisse, die den Antragsteller als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta zu erfahren (EuGH a.a.O. Rn. 44). Die insoweit relevante Gefahrenschwelle wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH a.a.O. Rn. 39 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall wurde dem Antragsteller in Bulgarien lediglich der subsidiäre Schutz zuerkannt und die Ablehnung als unzulässig stützt sich auch nicht auf den Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU in das nationale Recht umsetzenden § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, sondern der Sache nach (auch wenn die Bestimmung im Bescheid nicht genannt wird) auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, der seine gemeinschaftsrechtliche Grundlage in Art. 33 Abs. 2 Buchst. d RL 2013/32/EU findet. Für die Beurteilung der Streitsache ist dies insoweit nicht von Belang, als sich alle Unzulässigkeitstatbestände des Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU auf beide Formen des internationalen Schutzes beziehen und die tragenden Gründe der Entscheidung des EuGH – wonach das gefundene Ergebnis wesentlich mit dem allgemeinen und absoluten Charakter des Art. 4 EU-Grundrechtecharta begründet wird – ersichtlich im Grundsatz auch bei Ablehnungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in gleicher Weise Geltung beanspruchen müssen, soweit die Abschiebung in einen Mitgliedstaat inmitten steht.
Bei einer Ablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG folgt aus der Entscheidung, dass die Frage des Vorliegens einer beachtlich wahrscheinlichen Gefahr der Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu klären ist und der Antragsteller sich nicht auf die Feststellung eines bloßen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK – letztgenannte Vorschrift ist inhaltlich mit Art. 4 EU-Grundrechtecharta im Wesentlichen deckungsgleich – verweisen lassen muss, sondern ggf. eine sachliche Prüfung seines Asylbegehrens wie in einem Erstverfahren verlangen kann.
Ob ein solcher Anspruch auf sachliche Prüfung, der nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann, auch für den Fall einer Ablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG anzunehmen wäre oder bezüglich der Darlegung der Unzulässigkeit einer Abschiebung in den anderen Mitgliedstaat die Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zur Anwendung kommen, ist bislang nicht geklärt. Hierauf kommt es vorliegend aber auch nicht an, da ein Unterbinden der Abschiebung auch dann veranlasst wäre, wenn der Antragsteller sich lediglich auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK berufen könnte, wobei anzumerken ist, dass die Prüfung von Abschiebungsverboten im Folgeantragsverfahren, wie sich aus Art. 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ergibt, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 VwVfG von Amts wegen zu erfolgen hat.
Wird ein Folgeantrag als unzulässig abgelehnt, ist für das Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes § 36 Abs. 4 AsylG entsprechend anzuwenden (§ 71 Abs. 4 AsylG). Das bedeutet, dass ein Abschiebestopp nur verfügt werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen und weiter Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylG).
Zu beachten ist aber, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Fällen, in denen es um die Beurteilung der Aufnahmebedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK geht, der Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) besondere Bedeutung zukommt, was zur Folge haben kann, dass entgegen den einfachgesetzlichen Vorgaben eine weitergehende Sachaufklärung im Eilrechtsschutzverfahren geboten ist. Die gerichtliche Beurteilung von möglicherweise gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen muss danach – jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind – auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. BVerfG, B.v. 21.04.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 11; siehe hierzu auch EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/ 17, Jawo – juris Rn. 90). Unter diesen Umständen kann es sowohl verfassungsrechtlich als auch gemeinschafts- und konventionsrechtlich geboten sein, dass sich die zuständige Behörde bzw. das Gericht vor dem Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme über die Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung informieren (und ggf. Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen). Soweit entsprechende Erkenntnisse (bzw. verlässliche Zusicherungen) nicht vorliegen (und nicht eingeholt werden können), wenn mithin im Eilverfahren eine hinreichende Klärung der Frage, ob eine Verletzung der Rechte des Antragstellers aus Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK zu besorgen ist, nicht erfolgen kann, ist es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten, eine Abschiebung zunächst zu unterbinden (vgl. BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – NVwZ-RR 2019, 209; die Entscheidung betraf einen Drittstaatenfall; siehe weiter zu einer Dublinentscheidung BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – BeckRS 2019m 25217 Rn. 16).
Eine solche hinreichende Klärung kann im vorliegenden Fall im Rahmen des Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes nicht herbeigeführt werden.
Die Situation für nach Bulgarien zurückkehrende international Schutzberechtigte ist, soweit diese nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verfügen, sehr schwierig, da der bulgarische Staat bislang nicht in der Lage oder willens war, ein funktionierendes System von Integrationshilfen zu installieren und für Schutzberechtigte praktisch kein Zugang zu Sozialleistungen (die im Übrigen nicht ansatzweise ausreichen würden, den Lebensunterhalt zu bestreiten) besteht. Positiv ist allenfalls zu vermerken, dass die (offizielle) Arbeitslosenquote (noch) recht niedrig ist und dem Vernehmen nach Nichtregierungsorganisationen (wohl nur in beschränktem Umfang) Integrationsleistungen wie auch Sachleistungen und einmalige finanzielle Hilfen in Notfällen anbieten (vgl. hierzu aida, Country Report: Bulgaria, Stand 31.12.2019, S. 82 ff. mit dem Hinweis darauf, S. 82, dass im Jahr 2019 neun Schutzberechtigte einer angemeldeten Arbeit nachgingen; Schweizerische Flüchtlingshilfe; Bulgarien: Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30.08.2019, S. 21 ff. und Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Stand: 28.08.2019, S. 19 ff.).
Die Rechtsprechung zur Frage, ob hieraus Abschiebungsverbote im Hinblick auf eine beachtlich wahrscheinliche Verletzung der Rechte aus Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK abzuleiten wären, ist uneinheitlich. Allerdings ist mittlerweile ungeachet des Umstandes, dass es stets einer Einzelfallprüfung bedarf (vgl. BayVGH, B. v. 25.3.2020 – 21 ZB 19.32508 – juris Rn. 4), eine Tendenz dahin erkennbar ist, dass überwiegend zumindest bei gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen (männlichen Geschlechts) die vorliegenden Erkenntnisse die Bejahung einer beachtlich wahrscheinlichen Verletzung der genannten Rechte nicht rechtfertigen soll (so etwa VGH BW, B.v. 22.10.2019 – A 4 S 2476/19 – juris Rn. 16 f. und OVG Hamburg, U.v. 18.12.2019 – 1 Bf 132/17.A – juris; a.A. NdsOVG, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris; siehe weiter auch die umfänglichen Rechtsprechungsnachweise in VG Würzburg, B.v 11.2.2020 – W 8 E 20.30159 – juris Rn. 18).
Welcher Auffassung unter Berücksichtigung der bisherigen Verhältnisse zu folgen wäre, muss hier nicht erörtert werden, da nach Auffassung des Gerichts bei der gebotenen Einbeziehung eines längeren Zeithorizonts eine weitgehende Neubewertung der Situation in Bulgarien notwendig werden dürfte.
Es spricht nämlich vieles dafür, dass sich Bulgarien alsbald wegen der zu erwartenden (weltweiten) Rezession oder gar Depression infolge der Abwehrmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie mit einer gravierenden Wirtschaftskrise konfrontiert sehen wird und dies auch Auswirkungen auf die Situation im Land aufhältiger international Schutzberechtigter haben wird (zur Einschätzung der bulgarischen Regierung, die ein Minuswachstum von bis zu 3% befürchtet und den bereits steigenden Arbeitslosenzahlen, vgl. balkaninsight, Bulgaria Prepares for „Worst-Case Economic Scenario“ vom 31.03.2020). Angesichts dessen, dass sicherlich die große Mehrzahl der Schutzberechtigten schon jetzt in prekären Verhältnissen lebt und es krisenbedingt unabwendbar sein dürfte, dass sich deren Situation deutlich verschlechtern wird – wenn nicht wider Erwarten die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft doch noch abgewendet werden können oder ausreichende Hilfestellungen für Betroffene gewährt würden (wozu es bislang schon nicht gekommen ist und was auch für die Zukunft nicht zu erwarten steht) -, erscheint es durchaus naheliegend, dass die geänderten Verhältnisse für die Betroffenen, auch wenn sie zur Gruppe der gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen gehören, nicht nur in Einzelfällen zur Folge haben könnten, dass sie sich bei einem Verbleib in Bulgarien beachtlich wahrscheinlich einer Situation extremer materieller Not im oben beschriebenen Sinne ausgesetzt sähen.
Bezüglich der Umstände des Einzelfalles ist darauf hinzuweisen, dass er Antragsteller erklärt hat, zeitweilig ein Auskommen in Bulgarien, wo er sich ca. ein Jahr und drei Monate aufgehalten habe, durch den Handel mit Handys gefunden zu haben, was für den Fall einer Rückkehr in das Land als Indiz dafür gewertet werden könnte, dass es ihm erneut gelingen dürfte, sich dort seinen Lebensunterhalt zu sichern. Allerdings hat er auch angegeben, dass er schlecht verdient habe, zuletzt (nachdem sein Laden ausgeraubt worden sei) nicht mehr über Einkommen verfügte und sich von Freunden habe Geld leihen müssen, um die Reise nach Deutschland zu finanzieren. Dieser Vortrag erscheint durchaus glaubhaft.
Im Ergebnis ist danach hier, auch wenn diese Wertung nicht zwingend erscheint, bei der gebotenen grundrechtsfreundlichen Auslegung doch davon auszugehen, dass gegenwärtig – auf der Grundlage der bislang im Verfahren getroffenen Feststellungen – eine hinreichend verlässliche Einschätzung dazu, dass dem Antragsteller keine Verletzung seiner Rechte aus Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK bedingt durch die ihn in Bulgarien erwartenden Lebensbedingungen drohen würde, nicht getroffen werden kann. Ausschlaggebend für diese Bewertung ist zum einen die zu erwartende deutliche Verschlechterung der sozioökonomischen Verhältnisse in Bulgarien und zum anderen der Umstand, dass es bislang an einer Abklärung dazu fehlt, ob anzunehmen wäre, dass der Antragsteller, wenn er nach Bulgarien zurückkehren müsste, mittellos wäre oder ggf. (weiter) auf Unterstützungsleistungen der Familie oder Dritter rechnen könnte (was möglicherweise die Finanzierung des Handyhandels ermöglicht hat). Hierzu wurde der Antragsteller bei seiner Anhörung nicht befragt und es konnte von ihm auch nicht erwartet werden, dass er von sich aus zu dieser Thematik detaillierter vorträgt.
Dem Antrag war daher stattzugeben.
Auf das weitere Vorbringen des Antragstellers dazu, dass er wegen seiner Aktivitäten für die Kurdische Nationale Partei bedroht worden sei, muss daher hier nicht weiter eingegangen werden. Bemerkt sei dazu lediglich, dass sein diesbezüglicher Vortrag etwas unklar erscheint und auch mit Blick auf die Möglichkeit, ggf. um Schutz vor Bedrohungen oder Nachstellungen bei den zuständigen bulgarischen Behörden nachzusuchen, die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf der Grundlage des bisherigen Sachvortrags, auch wenn dieser als glaubhaft zu werten sein sollte, nicht in Betracht kommen dürfte.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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