Verwaltungsrecht

Keine systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Polen

Aktenzeichen  M 8 S 17.50953

Datum:
4.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 10 Abs. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 4
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Asylbewerber laufen in Polen nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (BayVGH BeckRS 2016, 41725 und BeckRS 2016, 42594 und SächsOVG BeckRS 2015, 54313). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 25. Januar 2017.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben jordanischer Staatsangehöriger, reiste ebenfalls eigenen Angaben zufolge am 26. April 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 10. Juni 2016 einen Asylantrag. Eine Recherche durch das Bundesamt ergab, dass der Antragsteller mit einem polnischen Kurzaufenthaltsvisum, das vom 18. bis 24. April 2016 gültig war, über Griechenland nach Deutschland eingereist ist.
Das Bundesamt hat nach eigenen Angaben am 7. September 2016 ein Übernahmeersuchen an Polen gerichtet, das dort am 30. September 2016 einging. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 erklärte sich Polen zur Übernahme des Antragstellers bereit.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25. Januar 2017, dem Antragsteller zugestellt am 27. Januar 2017, wurde in Nummer 1 der Antrag auf Asyl als unzulässig abgelehnt, in Nummer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, in Nummer 3 die Abschiebung nach Polen angeordnet und in Nummer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Am 3. April 2017 hat der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 25. Januar 2017 erhoben. Mit gleichzeitig gestelltem Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird sinngemäß beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 25. Januar 2017 anzuordnen und dazu Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zu gewähren, da der Antragsteller erst anlässlich einer Vorsprache beim Landratsamt … … am 27. März 2017 Kenntnis vom streitbefangenen Bescheid erhalten habe.
Das Bundesamt hat die Verfahrensakte elektronisch vorgelegt. Eine Erwiderung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag vom 3. April 2017, gemäß § 34a Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom selben Tag, erweist sich bereits als unzulässig, da er die Wochenrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht wahrt. Gründe für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO liegen nicht vor Ausweislich der Akten des Bundesamts wurde der streitbefangene Bescheid am 27. Januar 2017 zur Post gegeben. Nach der ebenfalls bei diesen Akten befindlichen Zustellungsurkunde, die gemäß § 3 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz (Vw ZVG) i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 2, § 418 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen erbringt, konnte der Antragsteller unter der Zustellungsadresse nicht ermittelt werden. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG muss der Antragsteller, der gegenüber dem Bundesamt keinen Bevollmächtigten bestellt oder Empfangsberechtigten benannt hat, die Zustellung unter seiner letzten Anschrift, die dem Bundesamt bekannt war und unter der vorliegend auch der Zustellungsversuch unternommen wurde, gegen sich gelten lassen. Der Antragsteller wurde entsprechend § 10 Abs. 7 AsylG am 10. Juni 2016 schriftlich und gegen Empfangsbestätigung auch auf die Zustellungsvorschriften hingewiesen. Sonach gilt die Zustellung des streitbefangenen Bescheids gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit der Aufgabe zur Post, hier also am 27. Januar 2017, als bewirkt, auch wenn dieser am 3. Februar 2017 als unzustellbar zum Bundesamt zurückkam.
Damit hat die einwöchige Antragsfrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 3. Februar 2017 geendet. Die Antragstellung, die erst am 3. April 2017 erfolgte, erweist sich somit als verspätet.
Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Der Antragsteller hat nach § 10 Abs. 1 AsylG während der Dauer seines Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn insbesondere Mitteilungen des Bundesamts stets erreichen können. Hiergegen hat der Antragsteller offenkundig verstoßen und daher die Versäumung der Antrags- und Klagefrist zu vertreten (§ 60 Abs. 1 VwGO). Sonach liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO nicht vor.
2. Zudem wäre der Antrag – seine Zulässigkeit entgegen dem Vorstehenden unterstellt – im Übrigen auch unbegründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung. Diese Abwägung fällt aufgrund der voraussichtlichen Unbegründetheit der Klage zulasten des Antragstellers aus.
2.1 Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Polen – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für die Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin III-VO und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert.
2.2 Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist hier der Fall. Polen ist gemäß Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Polen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung in Deutschland am 10. Juni 2016 im Besitz eines seit weniger als sechs Monaten abgelaufenen, von den polnischen Behörden ausgestellten Visums (gültig bis 24. April 2016) war. Damit liegen die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 der Dublin-III-VO für Polen vor.
Das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin wurde nach den unbestrittenen (vgl. § 74 Abs. 2 AslyG) Angaben des Bundesamts am 7. September 2016 – und damit innerhalb der 3-Monatsfrist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 der Dublin-III-VO – gestellt. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 erklärte Polen, den Antragsteller gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin-III-VO aufzunehmen.
2.3 Die Abschiebung nach Polen kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Polen als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Polen infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung, der das Gericht folgt, ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Polen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. z.B. BayVGH, U.v.19.1.2016 – 11 B 15.50130 – juris Rn. 23 ff.; B.v. 10.2.2016 – 11 ZB 16.50002 – juris Rn. 3; SächsOVG, B.v. 12.10.2015 – 5 B 259/15.A – juris). Der Antragsteller hat solche Mängel im polnischen Asylsystem auch nicht behauptet oder gar substantiiert dargelegt. Den vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln lassen sich ebenfalls keine solchen gravierenden Mängel entnehmen. Insbesondere aus dem aktuellen AIDA-Country Report Poland, Stand Februar 2017, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass keine strukturellen Mängel bestehen, die landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung befürchten lassen.
2.4 Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO notwendig machen, liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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