Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien

Aktenzeichen  Au 7 S 18.50045

Datum:
7.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4072
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 25 Abs. 1, § 29 Abs. 1, § 34a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2, Art. 29
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1 Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen des Asyl- und Aufnahmeverfahrens in Italien sind nicht ersichtlich. Einschränkungen bei der Abschiebung nach Italien sind nur bei besonders schutzbedürftigen Personen zu beachten. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2 Italien reagiert gerade im Bereich der Unterbringung von Asylsuchenden sehr flexibel auf die erhöhte Zahl von Einwanderern und den steigenden Zustrom. Das italienische Sozialsystem deckt die Elementarbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Nahrung, Hygiene und medizinische Versorgung in ausreichender Weise ab. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach Italien.
1. Die Antragstellerin, die keine Ausweisdokumente vorlegte, ist nach eigenen Angaben am … 1992 geboren und ghanaische Staatsangehörige, Volkzugehörigkeit Walla, christlichen Glaubens.
Die Antragstellerin wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 5. Oktober 2017 erkennungsdienstlich behandelt. Die Eurodac-Recherche (Bl. 2 der Bundesamtsakte) ergab für Italien einen Treffer der Kategorie 2 (…, Antragsdatum: 2.3.2017, Fingerabdrucknahmedatum: 23.3.2017) und für die Schweiz einen Treffer der Kategorie 1 (…, Antragsdatum: 12.6.2017).
Am 6. November 2017 stellte die Antragstellerin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. An diesem Tag fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und die persönliche Anhörung zur Zulässigkeit des gestellten Asylantrags statt (s. Niederschrift Bl. 34 bis 37 der Bundesamtsakte). Dabei verneinte die Antragstellerin die Frage, ob sie Familienangehörige (z. Ehegatte, Kinder, Geschwister) und Verwandte in Deutschland habe. Ihr Herkunftsland habe sie im Dezember 2014 erstmalig verlassen und sei u.a. über Gambia, Libyen, Italien und die Schweiz nach Deutschland gekommen. In Gambia habe sie sich ca. ein Jahr aufgehalten und gearbeitet. Am 30. September 2017 sei sie in Deutschland eingereist. In Italien und der Schweiz seien ihr die Fingerabdrücke abgenommen worden.
Im Aktenvermerk des Bundesamtes vom 14. November 2017 (Bl. 49 der Bundesamtsakte) ist vermerkt, dass die Antragstellerin angegeben hat, verheiratet zu sein, hierüber aber keine Nachweise vorhanden sind (der Mann/Lebensgefährte werde beim Bundesamt unter dem Az. … geführt).
Am 22. November 2017 fanden die Anhörungen zur Zulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG statt.
Im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG (s. Niederschrift, Bl. 69 bis 74 der Bundesamtsakte) gab die Antragstellerin u.a. an, sie habe ihr Heimatland Ghana Ende 2014 verlassen. Eine Geschäftsfrau aus Ghana habe sie nach Gambia mitgenommen. Ihren Mann namens … habe sie in Gambia (…) kennengelernt und am 15. Juli 2015 nur kirchlich geheiratet; eine Urkunde über die Heirat besitze sie nicht. Ihr Mann habe mit einem Kunden, für den er einen Stall bauen sollte, Probleme bekommen, weil der Stall eingefallen sei und die Kühe getötet worden seien. Als ihr Mann gehört habe, dass die Polizei zu ihm kommen werde, hätten sie Gambia verlassen und seien nach Libyen gereist. Sie sei damals im ersten oder zweiten Monat schwanger gewesen und habe auf der Reise nach Libyen eine Fehlgeburt erlitten. In Libyen sei sie von drei Männern, die ihren Mann gesucht hätten, vergewaltigt worden. Ihr Mann sei daraufhin im November 2016 und sie selbst im März 2017 nach Italien geflüchtet, wo sie sich wieder getroffen hätten.
Im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags (s. Niederschrift, Bl. 65 bis 68 der Bundesamtsakte) trug die Antragstellerin zu den Umständen, die einer Abschiebung in die Schweiz oder nach Italien entgegenstünden, Folgendes vor:
Als sie in Italien angekommen sei, habe sie ihre Periode nicht gehabt. Sie habe Schmerzen gehabt, sei aber nicht behandelt worden. Es sei nur Blut abgenommen worden. Ihr Mann habe Magenprobleme gehabt. Ihr Mann habe gesagt, dass sie in ein anderes Land gehen müssten, damit ihnen geholfen werde. In der Schweiz sei sie untersucht worden und es sei festgestellt worden, dass sie eine Erkrankung an der Vagina habe; ihr sei aber nicht gesagt worden, um welche Erkrankung es sich handle. Dann habe es geheißen, sie müssten die Schweiz innerhalb von fünf Tagen verlassen. Auf die Frage, ob die Antragstellerin Beschwerden oder Erkrankungen, Gebrechen oder eine Behinderung habe, gab sie an, sie habe eine Erkrankung der Vagina und Hepatitis B. In ärztlicher Behandlung sei sie deswegen nicht, sie solle in sechs Monaten wieder untersucht werden. Sie sei nicht schwanger.
Am 23. November 2017 richtete die Antragsgegnerin sowohl hinsichtlich der Antragstellerin als auch hinsichtlich ihres Mannes (…) ein Wiederaufnahmegesuch an die Schweiz. Dieses wurde am 24. November 2017 mit der Begründung abgelehnt, dass die Republik Italien dem am 13. Juli 2017 gestellten Aufnahmegesuch am 14. September 2017 stillschweigend zugestimmt habe (Verfristung). Da die Gesuchsteller untergetaucht seien, sei Italien am 12. Oktober 2017 über die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate in Kenntnis gesetzt worden.
Die Antragsgegnerin hat daraufhin am 27. November 2017 ein Wiederaufnahmegesuch an die Republik Italien gerichtet. Dieses blieb im Folgenden unbeantwortet.
Am 5. Dezember 2017 ging beim Bundesamt das Gutachten/Befund des … vom 19. Oktober 2017 über die bei der Antragstellerin erfolgte Blutuntersuchung ein (Bl. 94/95 der Bundesamtsakte). Darin wird festgestellt, dass es sich bei dem isoliert positiven anti-HBc Nachweis um eine abgelaufene, in seltenen Fällen um eine chronische Hepatitis B Virus Infektion handeln könne; auch eine unspezifische Reaktion sei möglich.
2. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 2. Januar 2018 (Gz. …), der Antragstellerin bekannt gegeben am 5. Januar 2018, den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung der Antragstellerin nach Italien an (Nr. 3 des Bescheides). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheides).
In den Gründen ist im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei unzulässig, da Italien für die Behandlung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig sei. Abschiebungsverbote lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Der Antragstellerin drohe in Italien keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots führen würde. Der eingereichte Befund schließe eine akute Hepatitis-B-Infektion aus. Nachweise für tatsächlich vorliegende Erkrankungen seien nicht erbracht worden. Auch würden Nachweise für die von der Antragstellerin geltend gemachte Erkrankung nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbots führen. Es lägen keine Hinweise vor, dass die Erkrankung in Italien bei Bedarf nicht gewährleistet werden könne. Als sog. Dublin-Rückkehrerin könne sie bei wirksamer Asylantragstellung in Italien die medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Eine Eheschließung sei nicht nachgewiesen.
3. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 5. Januar 2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 9. Januar 2018, gegen den vorbezeichneten Bescheid Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamtes vom 2. Januar 2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr Asylverfahren in Deutschland durchzuführen. Außerdem wurde beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft festzustellen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich Ghana und Gambia vorliegen und ihr den weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu gestatten. Über die Klage, die unter dem Az.: Au 7 K 18.50044 geführt wird, wurde noch nicht entschieden.
Gleichzeitig hat die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gestatten.
Zur Begründung von Klage und Antrag führte die Antragstellerin u.a. aus, dass die Bedingungen in Italien sehr schlecht gewesen seien. Ihr Mann und sie hätten nach einiger Zeit auf der Straße leben müssen. Sie habe nach der Fehlgeburt und nach ihrer Vergewaltigung in Libyen massive Probleme gehabt, ihre Periode sei ausgeblieben. Sie habe jedoch keinerlei medizinische Behandlung erhalten. Aktuell habe sie immer wieder übel riechenden Ausfluss aus der Scheide. Sie möchte in Deutschland zur Ruhe kommen und behandelt werden.
Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte (auf elektronischem Weg) vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
4. Der Asylantrag des Lebenspartners der Antragstellerin (…) wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 29. Dezember 2017 (Gesch.Z.: … ebenfalls als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien wurde angeordnet. Sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieb erfolglos (VG Augsburg, B.v. 26.1.2018 – Az. Au 8 S 18.50032).
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist statthaft und zulässig.
Gegenstand des nach § 34a Abs. 2 AsylG zulässigen, insbesondere fristgemäß gestellten Antrags ist die von der Antragstellerin begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 9. Januar 2018 gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 2. Januar 2018. Dass mit der Klage neben dem Anfechtungszusätzlich ein Verpflichtungsbegehren verfolgt wird, das sich in der Hauptsache als unzulässig erweisen wird (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 1 C 6/16 – NVwZ 2016, 1492-​1495, juris; U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – BVerwGE 153, 234-246, juris), ist für das Antragsverfahren unschädlich.
2. Der Antrag ist aber nicht begründet, da überwiegende Interessen der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nicht erkennbar sind.
Das Gericht trifft im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung aufgrund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen der Antragstellerin am Aufschub der Abschiebung und das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können.
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Nach derzeitigem Kenntnisstand wird die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich erfolglos sein. Überwiegende Interessen der Antragstellerin, die gleichwohl eine Entscheidung zu ihren Gunsten rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, wenn der Ausländer in diesen Staat abgeschoben werden soll und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
a) Im vorliegenden Fall ist Italien der Staat, der für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin zuständig ist.
Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutzes zuständig ist (Dublin III-VO), ist in Fällen, in denen ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze illegal überschreitet, dieser Mitgliedstaat – hier Italien – für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Antragstellerin hat sich nach ihrem eigenen Vorbringen zunächst in Italien aufgehalten und ist erst im Anschluss über die Schweiz nach Deutschland gelangt. Nach den im Verfahren vorgelegten Unterlagen hat die Antragstellerin sich illegal in Italien aufgehalten. Für die Antragstellerin liegt ein EURODAC-Treffer der Kategorie 2 in Bezug auf Italien vor. Auch hat die Republik Italien auf ein Aufnahmeersuchen der Schweiz ihre Zuständigkeit zur Aufnahme der Antragstellerin stillschweigend erklärt (s. Schreiben der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 24.11.2017, Bl. 84 der Bundesamtsakte). Auf dieser Grundlage hat die Antragsgegnerin am 27. November 2017 ein Wiederaufnahmegesuch an die Republik Italien gerichtet, welches im Folgenden unbeantwortet geblieben ist. Damit hat nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO die Republik Italien dem Übernahmeersuchen stattgegeben.
Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ist im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch nicht abgelaufen (vgl. Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO).
b) Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden. Gründe, von einer Überstellung nach Italien gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO abzusehen, sind nicht ersichtlich.
Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO kann es sich als unmöglich erweisen, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, soweit es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der EU–Grundrechtecharta – GR-Charta – mit sich bringen (vgl. hierzu EuGH vom 21.12.2011, Rs. C-411/10 u.a., juris; vom 14.11.2013, Rs. C-4/11, juris; vom 10.12.2013, Rs. C-394/12, juris). Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder Verstöße im Einzelfall gegen einschlägige EU-Richtlinien genügen somit, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln; nur soweit das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist eine Überstellung mit Art. 4 GR-Charta unvereinbar (BVerwG vom 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Leitsatz und Rn. 6). Allein das Vorbringen der Antragstellerin, sie und ihr Mann/Lebensgefährte hätten nach kurzer Zeit auf der Straße leben müssen und sie habe keine ausreichende medizinische Behandlung erhalten, sondern ihr sei nur Blut abgenommen worden, reicht für eine derartige Annahme nicht aus. Die Antragstellerin befand sich nach eigenen Angaben und nach den Erkenntnissen des Bundesamts (Eurodac-Treffer, Schreiben der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 24.11.2017) nur ca. zwei Monate in Italien und hat dort keinen Asylantrag gestellt, sich also nicht dem italienischen Asylsystem unterworfen und die dortigen Leistungen in Anspruch genommen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris) liegen systemische Mängel vor, wenn es sich um Defizite handelt, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedsstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Dabei müssen das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sein, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – juris). Derartige individuelle Erfahrungen sind vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung vorliegen. Eine tragfähige Grundlage für die Annahme systemischer Mängel dürfte jedenfalls dann vorliegen, wenn hierfür kompetente Stellen wie der UNHCR und das EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen), errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 132 v. 29.5.2010, S. 11) derartige Mängel feststellen.
Gemessen hieran sind Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen in Italien weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich (vgl. dazu ausführlich OVG Münster, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris; U.v. 7.7.2016 – 13 A 2238/15.A – juris). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 17.9.2014, u.a. – 2 BvR 1795/14 – juris) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Entscheidung der Großen Kammer v. 4.11.2014, Tarakhel, Nr. 29217/12) geben für den Fall der volljährigen Antragstellerin, die nicht zu einer besonders schutzwürdigen Gruppe gehört, nichts her. Systemische Mängel in Italien werden in diesen Entscheidungen gerade nicht festgestellt. Beide Gerichte haben vielmehr unter Hervorhebung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Neugeborenen und Kleinstkindern die Auffassung vertreten, eine Überstellung nach Italien bedürfe einer vorherigen Zusicherung der zuständigen italienischen Behörden, dass die jeweils betroffenen Asylsuchenden in Italien in einer der besonderen Situation von Kindern gerecht werdenden Einrichtung gemeinsam mit ihren Eltern untergebracht werden. Diese Entscheidungen, selbst wenn man etwa die Entscheidung des EGMR als Hinweis auf einen systembedingten Mangel der Aufnahmebedingungen in Italien für eine bestimmte Personengruppe verstehen wollte, treffen für den Fall der Antragstellerin indes keine Aussage. Sowohl aus der Entscheidung des EGMR vom 4. November 2014 (a.a.O.) als auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 2014 (a.a.O.) ergibt sich nicht, dass die Antragstellerin als alleinstehende Frau bzw. als Frau mit einem Lebensgefährten, der auch nach Italien abgeschoben werden kann, zu dem besonders schutzbedürftigen Personenkreis gehört, bei dem Einschränkungen bei der Abschiebung nach Italien zu beachten sind. Die Einschränkungen betreffen Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. gegen Niederlande (Nr. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des Dublin-Verfahrens zu verbieten. Die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts an den EuGH (B.v. 27.6.2017 – 1 C 26.16) betrifft die Situation anerkannter Flüchtlinge in Italien. Diese ist mit der Lage von Antragstellern, die sich noch im Asylverfahren befinden, nicht zu vergleichen. Wie ausgeführt, beachtet Italien die grundlegenden Verfahrensgarantien, die an ein Asylverfahren zu stellen sind ebenso wie die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber. Wie auch aus anderen europäischen Ländern bekannt ist, unterscheidet sich die Situation von Personen im laufenden Asylverfahren häufig grundlegend von der Lage anerkannter Flüchtlinge. Aus der Entscheidung des EuGH zu den vom Bundesverwaltungsgericht aufgeworfenen Fragen sind demnach keine entscheidungserheblichen Erkenntnisse für das vorliegende Dublin-Verfahren zu erwarten.
Nichts anderes folgt aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Aufnahmebedingungen in Italien, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien, abrufbar unter: https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/news/2016/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen-final.pdf) vom August 2016 (ebenso VG Schwerin, U.v. 26.9.2016 – 16 A 1757/15 As SN – juris). Auch der genannte Bericht liefert keine Hinweise darauf, dass Italien zur Bewältigung der Probleme durch die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen ergreift. Vielmehr reagiert Italien gerade im Bereich der Unterbringung von Asylsuchenden sehr flexibel auf den steigenden Zustrom (OVG Münster, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris; U.v. 7.7.2016 – 13 A 2238/15.A – juris). Dies bestätigen auch die von der Österreichischen Botschaft Rom, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich übermittelten Zahlen über die in Italien in Flüchtlingsunterkünften untergebrachten Personen, die auf Auskünften des italienischen Innenministeriums beruhen (Länderreport von Österreich v. 2.8.2016 und v. 29.9.2016). Aus dem Bericht folgt, dass das italienische Sozialsystem die Deckung der Elementarbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung in noch ausreichender Weise gewährleistet. Dies gilt auch für die Not- und Grundversorgung von illegal sich in Italien aufhaltenden Personen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien bei Bedarf auch Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat (s. hierzu auch VG München, B.v. 8.3.2017 – M 8 S 16.50874 – juris Rn. 32). Nachweise dafür, dass ihr gesundheitlicher Zustand zu einer besonderen Schutzbedürftigkeit führen würde, die einer Abschiebung nach Italien möglicherweise entgegenstehen könnten, hat die Antragstellerin nicht vorgelegt. Insbesondere schließt der Befund des … vom 19. Oktober 2017 (Bl. 94/95 der Bundesamtsakte) eine akute Hepatitis-B-Infektion gerade aus. Zudem wäre auch eine solche in Italien behandelbar; dies gilt auch für die von der Antragstellerin geltend gemachte Erkrankung „an der Vagina“ (übelriechender Ausfluss).
Auch der Umstand, dass sich die Situation der Antragstellerin in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellen würde, sie z.B. ihrer Ansicht nach nicht genügend unterstützt wurde, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – a.a.O.).
c) Auch aus Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin bei einer Rückführung nach Italien erhebliche Gefahren für Leib und Leben befürchten müsste, die einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK begründen ließen, gibt es nicht.
Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die zu einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Antragstellerin führen würden und die angesichts des medizinischen Standards in Italien nicht in ausreichender Form behandelt werden könnten, sind entsprechend den obigen Ausführungen (siehe unter Rn. 36) nicht ersichtlich.
Auch der Verweis auf den sich hier aufhaltenden Lebensgefährten (…) – der Nachweis einer (auch hier) anzuerkennenden Eheschließung wurde nicht beigebracht – vermag keinen Anspruch auf den sog. humanitären Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III VO zu begründen. Denn auch diesem gegenüber erging eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach Italien (s. Bescheid des Bundesamts vom 29. Dezember 2017, Gesch.Z., und Beschluss des VG Augsburg vom 26.1.2018, Az.: Au 8 S 18.50032). Im Übrigen wäre auch eine freiwillige Ausreise der Antragstellerin zusammen mit ihrem Lebensgefährten nach entsprechender Abstimmung im Dublin-Verfahren möglich.
d) Die Abschiebung nach Italien kann auch durchgeführt werden. Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ist voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig. Die Antragstellerin kann sich weder auf zielstaatsbezogene – bezogen auf Italien – noch auf inlandsbezogene Abschiebungsverbote, die in Bezug auf die Abschiebungsanordnung gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht werden können (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2015 – 11 ZB 15.50050 -, juris Rn. 4; VGH BW, B. v. 31.5.2011 – A 11 S 1523/11 – juris; OVG Hamburg, B. v. 3.12.2010 – 4 Bs 223/10 – juris), berufen. Wie bereits ausgeführt (siehe unter Rn. 36), schließt der Befund des … vom 19. Oktober 2017 (Bl. 94/95 der Bundesamtsakte) eine akute Hepatitis-B-Infektion gerade aus. Zudem wäre auch eine solche in Italien behandelbar; dies gilt auch für die von der Antragstellerin geltend gemachte Erkrankung „an der Vagina“ (übelriechender Ausfluss). Anhaltspunkte für eine Reiseunfähigkeit sind nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls war daher der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vor allem im Hinblick auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Klage abzulehnen. Besondere Umstände, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage entgegen der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Wege der Interessenabwägung erforderlich erscheinen ließen, liegen nicht vor.
e) Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) stellt sich ebenfalls als voraussichtlich rechtmäßig dar. Einwände hiergegen hat der Antragsteller nicht erhoben. Nach Ansicht des Gerichts ist die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Monate angemessen (§ 11 Abs. 2 AufenthG). Die Befristung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten gesetzlichen Rahmens von bis zu fünf Jahren. Das nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen wurde erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG)
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen