Aktenzeichen M 3 S 16.50847
AsylG § 34a
Dublin-III-VO
Leitsatz
1 Von systemischen Mängeln im zuständigen Mitgliedsstaat ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass dem Asylbewerber im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Systemische Mängel des kroatischen Asylverfahrens sind nicht ersichtlich. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der am … 1985 in Zyadia geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 27. Februar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 17. Mai 2016 Asylantrag stellte.
Bei seiner ersten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens gab der Antragsteller an, dass er sein Heimatland am 27. Februar 2016 (?- wohl am 11. Februar 2016) verlassen habe und dann über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich nach Deutschland gereist sei. Die Reise habe 16 Tage gedauert.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche des Bundesamts hatte einen Treffer der Kategorie II (HR …) für Kroatien ergeben.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie II richtete das Bundesamt am 14. Juli 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an Kroatien. Mit Schreiben vom 13. September 2016 erklärten die dortigen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gem. Dublin III-VO.
Bei seiner zweiten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 5. September 2016 gab der Antragsteller an, er leide an einer psychischen Erkrankung, sei aber nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente. Er wolle nicht nach Kroatien überstellt werden. Er werde hier besser behandelt und sei besser aufgehoben. Hier würden die Menschenrechte geachtet.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2016, zugestellt am 12. Oktober 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und ordnete die Abschiebung nach Kroatien an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen.
Der Antragsteller erhob mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14. Oktober 2016, eingegangen am selben Tag, Klage gegen den Bescheid (M 3 K 16.50846) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2016 anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, das Asylverfahren in Kroatien leide unter Systemmängeln. Dem Kläger drohten bei einer Abschiebung nach Kroatien dort Zustände, die im Hinblick auf Art. 4 EU-Grundrechtscharta nicht hinnehmbar seien.
So sei dem Antragsteller, der die Staatsgrenze zu Kroatien illegal überschritten hätte, ein Beschluss ausgehändigt worden, wonach er Kroatien innerhalb von 7 Tagen – also auch während eines nach Asylantragstellung laufenden Asylverfahrens – zu verlassen habe, andernfalls würde er abgeschoben. Gegen diesen Beschluss könne zwar Klage erhoben werden; diese habe jedoch keine aufschiebende Wirkung. Somit könne die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusse allenfalls im Nachhinein, d.h. nach der Abschiebung festgestellt werden.
Das Bundesamt legte mit Schriftsatz vom 3. November 2016 die Behördenakten vor und beantragte mit Schreiben vom 7. November 2016, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 31.7.2016 (BGBl I S. 1939) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31). Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Kroatien aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Kroatien hat das Übernahmeersuchen vom 19. Juli 2016 mit Schreiben vom 16. September 2016 akzeptiert. Da für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer der Kategorie 2 ermittelt wurde, ist Kropatien nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Kroatien durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Kroatien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend hiervon stehen der Rückführung des Antragstellers nach Kroatien systemische Mängel des kroatischen Asylverfahrens und des dortigen Flüchtlingsaufnahmesystems i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht entgegen. Hierzu wird weder konkret vorgetragen noch sind der erkennenden Kammer Erkenntnismittel ersichtlich, aus denen sich systemische Mängel ableiten ließen.
Soweit der Antragsteller vorträgt, ihm, der die Staatsgrenze zu Kroatien illegal überschritten hätte, sei ein Beschluss ausgehändigt worden, wonach er Kroatien innerhalb von 7 Tagen – also auch während eines nach Asylantragstellung laufenden Asylverfahrens – zu verlassen habe, andernfalls würde er abgeschoben, ist aus diesem Beschluss, dessen Echtheit unterstellt, an keiner Stelle zu entnehmen, dass er auch für den Fall einer Asylantragstellung gilt. Vielmehr bezieht er sich wohl auf Ausländer, die die Grenze nach Kroatien illegal überschreiten.
Der Antragsteller hat auch selbst vor dem Bundesamt vorgetragen, er habe in keinem Mitgliedsland einen Asylantrag gestellt.
Nach alledem erweist sich die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids daher als rechtmäßig.
Die in Nummer 2 des Bescheids getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – nicht vorliegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zur Begründung wird insoweit auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, denen die erkennende Kammer folgt.
Auch die in Nummer 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheids auf Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordnete Abschiebung nach Kroatien ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Ein der Abschiebung nach Kroatien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, S. 244 ff. – juris Rn. 11 f.; OVG NRW, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die bei der Zweitbefragung vor dem Bundesamt behauptete psychisch Erkrankung hat der Antragsteller nicht belegt; er ist nach eigenen Angaben auch nicht in ärztlicher Behandlung und nimmt keine Medikamente. Auch eine Reiseunfähigkeit ist nicht ersichtlich.
Die im streitgegenständlichen Bescheid unter Nummer 4 gemäß § 11 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 6 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.