Aktenzeichen M 8 S 16.51195
AsylG AsylG § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3, Art. 12, Art. 20 Abs. 3
Leitsatz
1 Im Rahmen des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens und dem Konzept der normativen Vergewisserung obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte entspricht, widerlegt wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Tschechischen Republik läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im tschechischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (ebenso BayVGH BeckRS 2015, 52036). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die am … Juli 2016 in … geborene Antragstellerin ist wie ihr am … März 1977 geborener Vater und ihre am … November 1980 geborene Mutter und ihre am … Februar 2008, … März 2009 und … April 2012 geborenen Geschwister aserbaidschanische Staatsangehörige.
Die Eltern und Geschwister der Antragstellerin reisten am 8. Januar 2016 in das Bundesgebiet ein und beantragten am 22. April 2016 die Anerkennung als Asylberechtigte. Da die Eltern und Geschwister der Antragstellerin nach den Erkenntnissen des Bundesamts Kurzaufenthaltsvisa für Tschechien hatten, lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates für die Bearbeitung der Asylanträge vor. Das Bundesamt richtete deshalb am 13. Mai 2016 ein Übernahmeersuchen an Tschechien. Tschechien erklärte am 8. Juli 2016 die Zustimmung zur Rückübernahme. In ihrer Anhörung beim Bundesamt für … (Bundesamt) erklärten die Eltern der Antragstellerin, dass ein Sohn ein Nervenleiden habe, in psychischer Betreuung sei und Medikamente nehme. In Tschechien seien viele Aserbaidschaner, die Familie sei dort in Lebensgefahr und bekomme dort Probleme.
Gem. § 14a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG wurde der Antragsgegnerin die Antragstellerin zur Asylantragstellung angezeigt, so dass der Asylantrag mit dem 19. August 2016 als gestellt gilt.
Mit Bescheid vom 6. Oktober 2016, zugestellt am 12. Oktober 2016, wurde der Antrag der Eltern und Geschwister der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids) und festgestellt dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids). Die Abschiebung in die Tschechische Republik wurde angeordnet (Nr. 3 des Bescheids) und in Nr. 4 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 3 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Gegen den vorgenannten Bescheid erhoben die Bevollmächtigten der Eltern und Geschwister der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2016, eingegangen am selben Tag, Klage (M 3 K 16.50850) und beantragten zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (3 S. 16 50851).
Zur Begründung von Klage und Eilantrag wurde vorgetragen, eine Abschiebung nach Tschechien erscheine unzulässig, da auch in Tschechien die Menschenrechtssituation für Asylbewerber menschenunwürdig sei.
Mit Bescheid vom 17. November 2016, zugestellt am 21. November 2016, wurde der Antrag der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids) und festgestellt dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids). Die Abschiebung in die Tschechische Republik wurde angeordnet (Nr. 3 des Bescheids) und in Nr. 4 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 3 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Mit einem am gleichen Tage beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Schriftsatz vom 5. Dezember 2016, erhoben die Bevollmächtigten der Antragstellerin Klage (M 8 K 16.51195) gegen den vorgenannten Bescheid und beantragten zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die Verfahren der Eltern und Geschwister der Antragstellerin verwiesen.
Mit Beschluss vom 29. Dezember 2016 wurde der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (M 3 S. 16.50851) der Eltern und Geschwister der Antragstellerin abgelehnt.
Auf die Begründung des Beschlusses wird verwiesen.
Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellte Antrag ist bereits unzulässig, da gem. § 74 Abs. AsylG i.V.m. § 34 Abs. 2 AsylG Klage und Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides hätten erhoben werden müssen. Der Bescheid vom 17. November 2016 wurde den vertretungsberechtigten Eltern der Antragstellerin mit Postzustellungsurkunde am Montag, den 21. November 2016 zugestellt. Die einwöchige Frist begann somit am 22. November 2016 zu laufen, § 173 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m § 187 Abs. 1 ZPO und endete gemäß § 188 Abs. 1 und 2 ZPO am Montag, den 28. November 2016. Sowohl die am 5. Dezember 2016 eingegangene Klage als auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sind somit nicht fristgerecht erhoben.
Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet, da die gemäß § 34a Abs. 1 AsylG angeordnete Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Tschechien ist als der Mitgliedstaat, für den die Eltern der Antragstellerin Visa hatten, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen waren, gemäß Art. 12 Abs. 4, Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die tschechischen Behörden haben das Übernahmeersuchen des Bundesamtes akzeptiert. Gem. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO gilt diese Zuständigkeitserklärung auch für ein nachgeborenes Kind. Es liegen keine Gründe i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO vor, die der Überstellung des Antragstellerin nach Tschechien entgegenstünden. Solche Gründe ergeben sich weder aus den Ausführungen zur Begründung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch sind sie sonst ersichtlich.
Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseiti-gen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – finden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris). Daraus ist die Vermutung abzuleiten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., juris Rn. 80).
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) zugrundeliegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragstellerin führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind.
Vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m.w.N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d.h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Die Antragstellerin hat keine konkreten systemischen Mängel im Asylverfahren der Tschechischen Republik vorgetragen. Solche liegen nach der Rechtsprechung auch nicht vor. (BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50111 – juris Rn. 22 ff.).
Die Antragsgegnerin hat zudem zutreffend angenommen, dass zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben sind. Hierzu wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 17. November 2016 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen.
Auch das pauschale Vorbringen, in Tschechien seien viele Aserbaidschaner, die Familie befinde sich dort in Lebensgefahr, ist weder plausibel noch nachvollziehbar und vermag kein Abschiebungshindernis zu begründen.
Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraus-sichtlich auch ohne Erfolg, soweit inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen sind.
Die Eltern der Antragstellerin haben im gerichtlichen Verfahren lediglich auf die Erkrankung eines Sohnes verwiesen. Ein Abschiebungshindernis kann aus diesem Vorbringen nicht abgeleitet werden. Die Erkrankung wurde nicht nachgewiesen und hindert die Rückführung nach Tschechien nicht. Eine Reiseunfähigkeit haben die Eltern der Antragstellerin weder behauptet, noch ergibt sie sich aus den, dem Gericht vorliegenden Behördenakten. Aufgrund der zeitnahen Entscheidungen in dem Verfahren M 3 S. 16.50851 und dem vorliegenden, besteht auch nicht die Gefahr getrennter Abschiebungen der Antragstellerin und ihrer Familie.
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).