Aktenzeichen M 7 K 16.50391
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 4
GRCh GRCh Art. 4
Leitsatz
Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Frankreich weisen keine systemische Schwachstellen auf, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen würden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über die Klage konnte durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger wurde vorher gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO), die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses haben durch allgemeine Prozesserklärungen auf vorherige Anhörungen verzichtet.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen bzw. Abschiebungsverbote festzustellen. Die Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart, wenn ein Asylbewerber die Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung seines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin-III-Verordnung begehrt. Die Dublin-III-Verordnung sieht ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vor. Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet. Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Verpflichtung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 14).
Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides des Bundeamtes vom 15. Juni 2016 begehrt, ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Recht den im Bundesgebiet gestellten Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt, seine Abschiebung nach Frankreich angeordnet und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 9 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juli 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin-III-Verordnung) oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (zuvor § 27a AsylG). Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden Dublin-III-Verordnung ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-Verordnung). Dies ist hier Frankreich. Der Kläger war im Besitz eines gültigen Visums für Frankreich (Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung) und die französischen Behörden haben der Übernahme des Klägers zugestimmt.
Die Beklagte ist auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-Verordnung gehindert, den Kläger nach Frankreich zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Es gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Allerdings hat nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat zur Folge, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert ist, den Antragsteller an diesen Mitgliedstaat zu überstellen. Nur wenn ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 u. a. – juris Rn. 75, 80, 82, 85 und 86). Diese vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätze sind nunmehr auch ausdrücklich in die Dublin-Verordnung aufgenommen worden. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9)
Nach den aktenkundigen Informationen hat der Kläger im Dezember 2014 nicht in Frankreich einen Asylantrag gestellt, sondern in Belgien und sich dort auch zumindest bis März 2015 aufgehalten. Erst als er nach Frankreich abgeschoben werden sollte, verschwand er und tauchte dort erneut im August 2015 auf. Damit ist sein Klagevortrag, dass er in Frankreich keinen Asylantrag stellen konnte und dort neun Monate auf der Straße leben musste, widerlegt. Soweit er in Frankreich möglicherweise wegen illegalen Aufenthalts inhaftiert worden ist, begründet dies keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Frankreich. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger im Frankreich eine menschenunwürdige Behandlung droht (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 16.3.2016 – 9a K 509/16.A – juris Rn. 24 ff. m. w. N.).
Die Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtmäßig. Gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Das Bundesamt hat im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG die (rechtliche und tatsächliche) Durchführbarkeit der Abschiebung und damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 11 mit Verweis auf die einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung). In der Person des Klägers liegende Vollzugshindernisse sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Für die Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 84 und 124a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen diesen Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist der angefochtene Gerichtsbescheid zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Gerichtsbescheids sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Anstelle der Zulassung der Berufung können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
mündliche Verhandlung beantragen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt.