Aktenzeichen M 3 S 16.50243
Leitsatz
Das italienische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die zu einem Übergang der Zuständigkeit des Asylverfahrens auf Deutschland führen würden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der nach seinen eigenen Angaben am … 1976 in … geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er stellte am 20. August 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner ersten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 20. August 2015 gab der Antragsteller an, dass er im Jahr 2007 von Nigeria aus über Niger und Libyen nach Italien gereist sei. Er habe sich dort ca. 2 Jahre aufgehalten und sei von dort aus auf dem Landweg am 8. April 2015 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche des Bundesamts ergab am 21. August 2015 einen Treffer der Kategorie I (IT …) für Italien.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 20. Oktober 2015 ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Eine Reaktion von Italien erfolgte hierauf nach Aktenlage nicht.
Mit Bescheid vom … Januar 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller gegen Postzustellungsurkunde am 7. April 2016 zugestellt.
Nur Niederschrift erhob der Antragsteller am 13. April 2016 Klage (M 3 K 16.50242) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Rückkehr nach Italien sei nicht zumutbar, weil das dortige Asylsystem zum einen mangelhaft zum anderen überfordert sei. Asylbewerber erhielten in Italien keine Hilfe und seien dort sowohl bei der Unterkunftssuche als auch bei der Bestreitung des Lebensunterhalts und bei der medizinischen Versorgung weitestgehend auf sich allein gestellt.
Der Antragsteller hätte hier die Möglichkeit, eine Arbeit zu erhalten. Im Übrigen sei er verheiratet und seine Frau sei ebenfalls als Asylantragstellerin hier im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Eine Rückkehr nach Italien würde daher eine weitreichende Trennung bedeuten, wobei ungewiss wäre, ob und wann sie sich wiederfinden würden.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 4. Mai 2016 ließ der Antragsteller vortragen, es lägen ernst zu nehmende Anhaltspunkte dafür vor, dass die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Italien nicht an die zu fordernden und bei Einfügung des § 27 a AsylG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards heranreichen und systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien bestünden, so dass die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Antragstellers auf Deutschland übergegangen sei.
So seien in mehreren gerichtlichen Entscheidungen in letzter Zeit systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens angenommen worden.
Das Bundesamt legte mit Schriftsatz vom 20. April 2016 die Behördenakten vor und äußerte sich im Übrigen nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach dem zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung maßgeblichen § 27a AsylG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Art. 2 G v. 11.3.2016 (BGBl I S. 394) (im Folgenden: AsylG a.F.) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG a.F. ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die gleiche Rechtsfolge würde sich im Übrigen auch nach der am 6. August in Kraft getretenen Fassung des AsylG gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und b) AsylG der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 31.7.2016 (BGBl I S. 1939) (im Folgenden: AsylG n.F.) ergeben. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist bzw. ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG n.F. ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG n.F.) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Italien aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die italienischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 20. Oktober 2015 nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO reagiert, so dass davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wurde. Da für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 ermittelt wurde, ist Italien nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Italien durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris m.w.N.; OVG NRW v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Dabei begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbar landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (NVwZ 2015, 127 ff.) ergibt sich nichts anderes. Der EGMR hat hier keine systemischen Mängel in Italien gesehen, sondern lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller des dortigen Verfahrens in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien, wohingegen der Antragsteller eine volljährige Einzelperson ohne vorgetragene körperliche oder geistige Einschränkungen ist. Ein alleinstehender junger Mann gehört grundsätzlich nicht zu den besonders schutzwürdigen Personen im Sinn der genannten Entscheidung des EGMR (vgl. EGMR v. 5.2.2015 – 51428/10; NdsOVG v. 25.6.2015 a.a.O.).
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.