Aktenzeichen M 1 S 16.50032
GRCh GRCh Art. 4
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 13 Abs. 1, Art. 22 Abs. 7
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
Eine Abschiebung nach Ungarn kann gem. § 34a Abs. 1 AsylG durchgeführt werden. Die vorhandenen, nicht unerheblichen Mängel des ungarischen Aufnahme- und Versorgungssystems sind nicht derart gravierend, dass von einem grundlegenden, systemischen Versagen Ungarns in dem Sinne ausgegangen werden könnte, dass Asylsuchende mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh zu rechnen hätten (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 52962). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird für dieses Verfahren (M 1 S 16.50032) abgelehnt.
Gründe
I.
Der am … Januar 1997 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 8. Juli 2015 in das Bundesgebiet ein. Er beantragte am 5. Oktober 2015 die Anerkennung als Asylberechtigter.
Bei seiner Befragungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 5. Oktober 2015 gab der er an, in keinem anderen Staat Asyl beantragt oder zuerkannt bekommen zu haben. Er habe keine Familienangehörigen oder Verwandte in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat und sei u. a. über Serbien und Ungarn nach Deutschland eingereist. Auf das Übernahmeersuchen des Bundesamts vom 9. November 2015 antworteten die ungarischen Behörden mit E-Mail vom selben Tag, die E-Mail des Bundesamts erhalten zu haben.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2016, zugestellt am 19. Januar 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Asylantrag sei gemäß § 27a Asylgesetz (AsylG) unzulässig, da Ungarn aufgrund der illegalen Einreise nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) für die Behandlung des Antrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots richte sich nach § 75 Nr. 12, § 11 Abs. 2 AufenthG.
Gegen den Bescheid hat der Antragsteller am …. Januar 2016 Klage erhoben und beantragt außerdem,
die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids vom 16. Januar 2016 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Hauptsacheverfahren außer Vollzug zu setzen.
Im Fall der Abschiebung nach Ungarn sei das Hauptsacheverfahren abzuwarten und die sofortige Vollziehbarkeit bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens auszusetzen. Außerdem habe der Antragsteller maßgebliche Asylgründe.
Die Antragsgegnerin legte am 3. Februar 2016 die Behördenakten vor und stellte bisher keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Er ist gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahin auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (M 1 K 16.50031) begehrt.
2. Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.
Die vom Antragsteller eingelegte Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ein gewichtiges Indiz darstellen. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 i. V. m. § 27a AsylG nach der im Eilverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Soll der Ausländer in einen solchen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung des Ausländers in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Vorliegend ist grundsätzlich Ungarn nach Art. 13 Abs. 1, 22 Abs. 7 Dublin-III-VO für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers zuständig, da er nach eigenen Angaben über Serbien nach Ungarn eingereist ist und seitens der ungarischen Behörden keine rechtzeitige Beantwortung des Aufnahmegesuchs erfolgte. Damit ist davon auszugehen, dass Ungarn dem Aufnahmegesuch stattgibt.
Die Abschiebung nach Ungarn kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden. Es liegen keine Gründe i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO vor, die der Überstellung des Antragstellers nach Ungarn entgegenstünden.
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta), der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt vielmehr die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i. S. d. Art. 4 der Grundrechtscharta implizieren (EuGH v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 86). Dabei ist die Vermutung nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. Vielmehr ist von systemischen Mängeln nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B. v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris). Zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens gründenden Vermutung muss sich das Gericht die volle Überzeugungsgewissheit i. S. d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verschaffen (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – juris Rn. 5).
Gemessen an diesem Maßstab stehen auf Grundlage der aus öffentlichen Quellen zugänglichen Informationen, unter Berücksichtigung des Rechtsgutachtens des Sachverständigen … vom 2. Oktober 2015 gegenüber dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (G.v. 2.12.2015 – 22 K 3263/15.A – juris) sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Auswärtigen Amts vom 27. Januar 2016 gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg der Rückführung des Antragstellers nach Ungarn keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. Die vorhandenen, nicht unerheblichen Mängel des ungarischen Aufnahme- und Versorgungssystems sind nicht derart gravierend, dass von einem grundlegenden, systemischen Versagen Ungarns in dem Sinne ausgegangen werden könnte, dass Asylsuchende mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Grundrechtscharta zu rechnen hätten.
Hinsichtlich der Inhaftierungspraxis besteht nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 das Vorhandensein systemischer Mängel in Ungarn hinsichtlich der Inhaftierungspraxis verneint (U. v. 3.7.2014 – 71932/12 Mohammadi vs. Austria, Rn. 74). Auch der UNHCR hat bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Diesem Fehlen einer generellen Empfehlung des UNHCR kommt unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amts des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besondere Bedeutung zu (vgl. EuGH, U. v. 30.5.2013 – C 528/11 Halaf vs. Bulgarien – NVwZ-RR 2013, 660 Rn. 44; vgl. hierzu VG Würzburg, B. v. 25.8.2014 – W 6 S 14.50100 – juris Rn. 20; VG Ansbach, B. v. 10.12.2015 – AN 3 S 15.50559 – juris 28; vgl. BayVGH, B.v. 12.6.2015 – 13a ZB 15.50097 – juris).
Auch bezüglich der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage ergeben sich keine systemischen Mängel des ungarischen Asylsystems. Zwar werden nach dem Rechtsgutachten des … vom 2. Oktober 2015 gegenüber dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Serbien als sicherer Drittstaat behandelt, das Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt, wenn sich ein Asylbewerber länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entfernt. Auf dieser Grundlage wurde vom Verwaltungsgericht Düsseldorf von systemischen Mängeln im ungarischen Asylsystem insbesondere aufgrund eines Verstoßes gegen das sich aus Art. 33 Abs. 1 GFK ergebenden Refoulement-Verbots ausgegangen (G.v. 2.12.2015 – 22 K 3263/15.A – juris Rn. 43, 56). Entgegen dieser Einschätzung kann jedoch nicht allein aufgrund der Auswertung der geänderten Rechtslage in Ungarn ohne Erkenntnisse über die konkrete Handhabung von systemischen Mängeln ausgegangen werden. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützten Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, systemische Mängel im ungarischen Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen. Insbesondere liegen keine auf Tatsachen beruhenden Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer systematisch von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden (VG Ansbach, B. v. 10.12.2015 – AN 3 S 15.50559 – juris Rn. 33). Dass dem Antragsteller, der selbst angibt, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein, konkret eine Überstellung nach Serbien droht, kann den aktuellen Berichten nicht entnommen werden. Insbesondere schreibt das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2016 gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg, dass Serbien die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn im Wege der Einzelfallprüfung ablehne, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass die Antragsteller tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist seien. Da Serbien in der Regel keine Registrierung der durchreisenden Flüchtlinge vorgenommen habe und Ungarn auch keine Nachweise vorlägen, könne dieser Nachweis in der Regel nicht erbracht werden. Die Asylbehörde sei in diesen Fällen von Gesetzes wegen verpflichtet, die Entscheidung aufzuheben und das Asylverfahren weiter zu betreiben, wenn der sichere Drittstaat die Übernahme ablehne. Hieraus ergibt sich, dass für den Antragsteller im Falle seiner Rückkehr nach Ungarn gerade keine konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht, da Abschiebungen nach Serbien tatsächlich nicht durchgeführt werden. Die Überstellung des Antragstellers in einen Staat, dessen Asyl- und Aufnahmesystem möglicherweise nicht den europäischen Mindeststandards genügt, ist damit nicht hinreichend wahrscheinlich. Die theoretische Möglichkeit der Abschiebung nach Ungarn begründet keinen systemischen Mangel des ungarischen Asylsystems (vgl. VG Stade, B. v. 4.11.2015 – 1 B 1749/15 – juris Rn. 14; VG München, U.v. 17.2.2016 – M 15 K 15.50140 – bisher unveröffentlicht).
Darüber hinaus sind außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichten würden, nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
4. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Prozesskostenhilfe ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) einer Partei auf Antrag zu gewähren, wenn diese nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Gemäß den obigen Ausführungen bietet der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.