Verwaltungsrecht

Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug

Aktenzeichen  10 ZB 17.925

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128046
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2, § 28 Abs. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2
ARB 1/80 Art. 13

 

Leitsatz

1 Für türkische Arbeitnehmer ist die Verlängerung der Mindestdauer des Bestehens der ehelichen Lebensgemeinschaft zum 1.7.2011 von zwei auf drei Jahre wegen der in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen stand-still-Klausel nicht anwendbar. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein rechtmäßiger zweijähriger Bestand der ehelichen Gemeinschaft im Bundesgebiet setzt grundsätzlich den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraus. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Aufenthaltsgestattungen bzw. Grenzübertrittsbescheinigungen können einen rechtmäßigen Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft iSv § 31 AufenthG nicht begründen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 16.1135 2017-02-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid vom 2. Februar 2016 weiter. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte die Geltungsdauer der dem Kläger zuletzt für den Zeitraum vom 19. November 2014 bis 18. November 2016 verlängerten Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nachträglich auf den 10. Februar 2016 verkürzt (Nr. 1) sowie die „Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG oder die Neuerteilung eines Aufenthaltstitels aus anderen Gründen“ abgelehnt (Nr. 2); außerdem enthält der Bescheid eine mit einer Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung verbundene Abschiebungsandrohung (Nr. 3, 5). Die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers und seiner Ehefrau war (spätestens) zum Oktober 2015 beendet worden.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch liegt die behauptete Abweichung von einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO; 2.).
Das Verwaltungsgericht hat die „Verpflichtungsklage auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis unter Aufhebung des Bescheids vom 2. Februar 2016“ als unzulässig abgewiesen. Der Kläger habe keinen Verlängerungsantrag gestellt; ohne dass es auf die im Bescheid vorgenommene Verkürzung der Geltungsdauer ankomme, sei die Aufenthaltserlaubnis „regulär am 18. November 2016 abgelaufen“. Ungeachtet dessen sei die Klage auch unbegründet, da nach der Trennung der Eheleute vermutlich im Oktober 2015 der Aufenthaltszweck entfallen sei und damit die Voraussetzungen für eine Verkürzung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorlägen. Begehre der Kläger nun ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG, sei zunächst ein entsprechender Antrag bei der zuständigen Behörde zu stellen. Es komme daher nicht auf den Umstand an, dass für den Kläger als türkischen Staatsangehörigen eine zweijährige Ehebestandsdauer ausreichend sein könne.
Zur Begründung seines Zulassungsantrags trägt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht nehme zu Unrecht an, er habe keinen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels gestellt. Das Gegenteil werde durch die in Ziffer 2. des streitgegenständlichen Bescheids tenorierte Ablehnung eines Aufenthaltsrechts nach § 31 AufenthG bewiesen; der Bescheid enthalte in seinen Gründen (S. 6, 7) hierzu Ausführungen. Damit liege ein zulässiger Verpflichtungsantrag vor, der auch begründet sei. Denn das angefochtene Urteil verkenne, dass für türkische Staatsangehörige infolge der Stand-still-Klausel in Art. 13 ARB 1/80 weiterhin § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in seiner bis 30. Juni 2011 geltenden Fassung anzuwenden sei, wonach die eheliche Lebensgemeinschaft (nur) seit mindestens zwei – und nicht drei – Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden haben müsse. Der Kläger habe aber nach seiner Eheschließung am 16. Mai 2013 bis zum Oktober 2015 und damit mehr als zwei Jahre rechtmäßig die eheliche Lebensgemeinschaft geführt.
Dieses Vorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung als die angegriffene Klageabweisung.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Auch wenn das Verwaltungsgericht die Zulässigkeit des Verpflichtungsantrags zu Unrecht verneint hat (1.1), ist die Abweisung der Klage (Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag) als (zusätzlich) unbegründet im Ergebnis zu Recht erfolgt (1.2).
1.1 Das Zulassungsvorbringen beanstandet nicht die Abweisung der Klage hinsichtlich des Anfechtungsantrags (Aufhebung der nachträglichen Befristung), mit dem sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nicht ausdrücklich auseinandersetzen, obwohl hierzu Anlass bestanden hätte; in der vorliegenden Situation ist der Anfechtungsantrag nämlich unabhängig von einem zugleich gestellten Verpflichtungsantrag zu beurteilen, ohne dass eine inzidente Prüfung der Frage, ob bereits ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG entstanden ist, im Rahmen der Entscheidung über die Verkürzung der Frist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG stattfindet (BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1C 11.08 – juris Rn. 14). Mangels entsprechender Darlegung im Zulassungsverfahren ist hier aber davon auszugehen, dass der Kläger die Rechtmäßigkeit der Nr. 1 des angefochtenen Bescheides nicht weiter bestreitet; denn er stellt nicht in Abrede, dass im von der Beklagten festgesetzten Zeitpunkt des Ablaufs der Geltungsdauer und damit des Erlöschens der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug (10. Februar 2016; vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr bestanden hatte und damit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entfallen waren.
Allerdings ist der mit der Klage selbständig verfolgte (Verpflichtungs-)Antrag, mit dem der Kläger sinngemäß begehrt, seine Aufenthaltserlaubnis wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (in der bis 30.6.2011 geltenden Fassung) ab dem Zeitpunkt des Erlöschens der vorangegangenen ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, zulässig. Dies folgt schon daraus, dass die Beklagte die Erteilung eines – hier einzig infrage kommenden – Aufenthaltstitels nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG im Bescheid geprüft und mit umfänglicher Begründung in Nr. 2 des Tenors abgelehnt hat. Auch wenn insoweit ein förmlicher Antrag des Klägers zum damaligen Zeitpunkt nicht und mangels Äußerung des Klägers im Anhörungsverfahren auch nicht konkludent vorgelegen hat, ist die Beklagte wohl von einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis ausgegangen, und hat in den Gründen ihres Bescheids das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 31 Abs. 1, 2 AufenthG auch aus Gründen der Verfahrensökonomie geprüft und verneint, obgleich dies rechtlich nicht zwingend erforderlich war. Es dürfte vor diesem Hintergrund jedoch mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar sein, die Möglichkeit einer entsprechenden Klage zu verneinen mit der Konsequenz, dass dann die erfolgte Ablehnung eines Aufenthaltsrechts in Bestandskraft erwächst, weil nach Auffassung des Verwaltungsgerichts kein (vor Erlass des Bescheids gestellter) wirksamer Antrag vorlag. Im Übrigen ist der Antrag in konkludenter Form spätestens durch die entsprechende Stellung eines Klageantrags im Schriftsatz vom 7. März 2016 nachholt worden. Damit steht im Rahmen des zulässigen Verpflichtungsantrags die – hier allein streitgegenständliche und von der Beklagten bestrittene – Rechtsbehauptung des Klägers im Raum, er besitze schon seit 10. Februar 2016 ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht.
1.2 Gleichwohl ist der Zulassungsantrag abzulehnen, weil keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Abweisung der Klage (als unbegründet) bestehen. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (gleich in welcher Fassung).
Zwar dürfte seine Rechtsauffassung zutreffen, dass für türkische Arbeitnehmer die Verlängerung der Mindestdauer des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft zum 1. Juli 2011 von zwei auf drei Jahre wegen der in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen stand-still-Klausel nicht anwendbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 – C-300/09 u.a., Toprak, juris Rn. 62; Hess. VGH, B.v. 10.10.2013 – 9 B 1648.13 –, juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.6.2013 – 19 ZB 13.361 –, juris Rn. 9; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 31 Rn. 29). Jedoch erfüllt der Kläger auch nicht die Voraussetzungen der bis zum 30. Juni 2011 gültigen, für ihn günstigeren Fassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. a. OVG BB, B.v. 15.04.2014 – OVG 11 S. 26.1 – juris). Denn nach dieser Fassung der Vorschrift muss die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden haben; ein rechtmäßiger zweijähriger Bestand in diesem Sinn setzt grundsätzlich den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraus (z.B. BayVGH, B.v. 28.9.2012 – 10 CS 12.1680 – juris Rn. 32). Dies trifft hier jedoch nicht zu.
Der Kläger hat am 18. November 2013 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zum Zusammenleben mit seiner deutschen Ehefrau für die Dauer von zunächst einem Jahr erhalten; diese Aufenthaltserlaubnis wurde 2014 vor ihrem Ablauf für zwei weitere Jahre bis 18. November 2016 verlängert. Demnach begann der rechtmäßige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet erstmals am 18. November 2013; bis dahin und damit auch zum Zeitpunkt der Eheschließung am 16. Mai 2013 befand er sich (ausweislich der Ausländerakte) im Besitz von Aufenthaltsgestattungen bzw. Grenzübertrittsbescheinigungen, die einen rechtmäßigen Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinn von § 31 AufenthG nicht zu begründen vermögen (vgl. zu diesem Erfordernis auch: Hailbronner, AuslR, Stand: März 2017, A1, § 31 Rn. 8a m.w.N.). Nachdem die eheliche Lebensgemeinschaft aber – auch nach dem Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren – (spätestens) im Oktober 2015 beendet war, lagen die kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. – eheliches Zusammenleben für die Dauer von mindestens zwei Jahren und rechtmäßiger Aufenthalt in dieser Zeit – nicht vor; hierfür wäre vielmehr ein Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft mindestens bis 18. November 2015 erforderlich gewesen. Darauf geht die Zulassungsbegründung aber nicht ein.
Weitere Sachverhalte, die zur Begründung eines eheunabhängigen Aufenthaltsrechts herangezogen werden könnten, sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Dies gilt auch für ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80.
2. Auch die Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) greift nicht durch.
Erforderlich für eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Divergenzrüge ist die Darlegung, mit welchem Rechtssatz das Verwaltungsgericht von einem in der Rechtsprechung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten Rechtssatz abgewichen sein soll und weiter das Beruhen des angefochtenen Urteils auf der dargelegten Abweichung (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 124a Rn. 215). Zumindest an dem letztgenannten Tatbestandsmerkmal fehlt es hier, weil – wie soeben dargestellt – ein eheunabhängiges (eigenständiges) Aufenthaltsrecht auch bei der Annahme des Klägers, hierfür seien „zwei Ehebestandsjahre ausreichend“, nicht entstanden ist, denn es fehlt an der erforderlichen durchgängigen Rechtmäßigkeit des Aufenthalts während der zwei Jahre.
Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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