Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung nach Ungarn – Keine systemischen Mängel

Aktenzeichen  M 18 S 16.50543

Datum:
15.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EG) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Schutzsuchende laufen in Ungarn nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am … geboren und nigerianischer Staatsangehöriger.
Im Rahmen einer „Erstbefragung-Dublin“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Antragsteller u. a. an, er habe bereits in Ungarn internationalen Schutz beantragt. Das Anhörungsdatum ist nicht ersichtlich.
Für den Antragsteller wurden EURODAC-Treffer in Bulgarien (…, Antragsdatum: 25.4.2013) sowie in Ungarn (…, Antragsdatum: 7.5.2015) ermittelt.
Am 30. März 2016 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Bulgarien. Mit Schreiben vom 19. April 2016 lehnten die bulgarischen Behörden dieses Ersuchen ab. Der Antragsteller habe am 7. Mai 2015 in Ungarn internationalen Schutz beantragt und Ungarn habe kein Wiederaufnahmegesuch an Bulgarien gerichtet; die hierfür vorgesehene Frist sei auch verstrichen.
Am 21. April 2016 richtete daraufhin das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Ungarn. Eine Reaktion der ungarischen Behörden hierauf ist aus der Behördenakte nicht ersichtlich.
Mit Bescheid vom 2. Juni 2016 ordnete das Bundesamt die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn an. Dieser Bescheid konnte dem Antragsteller nicht zugestellt werden.
Mit Bescheid vom 4. Juli 2016 ordnete daraufhin das Bundesamt erneut die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn an. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Nach einer Empfangsbestätigung der Inneren Mission München erhielt der Antragsteller diesen Bescheid am 20. Juli 2016.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 21. Juli 2016, der am 25. Juli 2016 bei Gericht einging, ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 4. Juli 2016 erheben (M 18 K 16.50542). Weiter ließ er beantragen,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Ungarn die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen
sowie
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es bestünden systematische Mängel im ungarischen Asylsystem. Das ungarische Abschiebungshaftsystem leide in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht an erheblichen Mängeln. Auf ein aktuelles Urteil des VG Mannheim werde verwiesen. Der Antragsteller spreche zudem fließend deutsch.
Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 26. Juli 2016 die Behördenakten vor und äußerte sich im Übrigen nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch dann, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen, aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Ungarn aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die ungarischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 21. April 2016 nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO reagiert, so dass davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wurde. Da für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (vgl. Art. 24 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 603/2013) ermittelt wurde, ist Ungarn nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Ungarn durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Ungarn ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Ungarn aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH v. 9.5.2016 – 20 ZB 16.50034 – juris; SächsOVG v. 1.6.2016 – 1 A 291/15.A – juris). Insoweit ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, dass sich die genannten obergerichtlichen Entscheidungen ausdrücklich nur auf die Darlegungsanforderungen im Berufungszulassungsverfahren hinsichtlich des Bestehens systemischer Mängel im Dublin-Verfahren bezüglich Ungarn beziehen. Es kann nämlich nicht unterstellt werden, dass bei erkannten systemischen Mängeln eine Berufungszulassung gleichwohl unter dem rein formalen Aspekt der Darlegung dieser Mängel abgelehnt worden wäre.
Gegen die Annahme systemischer Mängel des ungarischen Asylverfahrens im oben genannten strengen Sinn spricht auch der Bericht des UNHCR zur Asylsituation in Ungarn (Hungary as a Country of Asylum) vom Mai 2016. Zusammenfassend äußert der UNHCR insoweit zwar schwerwiegende Bedenken („In conclusion, UNHCR considers that significant aspects of Hungarian law and practice, as described above, raise serious concerns as regards compatibility with international and European law.“). Eine Empfehlung oder gar dringende Empfehlung, von Rückführungen nach Ungarn abzusehen, spricht der UNHCR gleichwohl nicht aus.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Wegen fehlender Erfolgsaussichten im Sinn von § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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