Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Ausweisung eines im Bundesgebiet geborenen türkischen Staatsangehörigen wegen erheblicher Straftaten

Aktenzeichen  Au 6 K 18.555

Datum:
22.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26203
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 11 Abs. 1, Abs. 3, § 53 Abs. 1 – 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 55 Abs. 1, Abs. 3, § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2
BayVwZVG Art. 21a
ARB 1/80 Art. 6, Art. 7, Art. 14
EMRK Art. 8 Abs. 1, Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Einstufung als “faktischer Inländer” verhindert nicht von vornherein eine Ausweisung, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (wie BayVGH BeckRS 2017, 108370 mwN). (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fremde Staatsangehörige können sich auf den drohenden Abbruch einer Therapie regelmäßig nicht berufen, denn sie können ein Recht auf Verbleib in dem Hoheitsgebiet des abschiebenden Staates grundsätzlich nicht beanspruchen, um weiterhin in den Genuss einer medizinischen, sozialen oder anderen Versorgung zu gelangen, die der abschiebende Staat während ihres Aufenthalts gewährt hat. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 1. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird Bezug genommen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO) und ergänzend ausgeführt:
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Versagung der Aufenthaltserlaubnis, der Befristungsentscheidung und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sowohl für die Verpflichtungs- als auch für die Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 18).
1. Die vom Kläger angefochtene Ausweisung ist rechtmäßig.
Die Ausweisung ist nach § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG gerechtfertigt, weil vom Kläger auf Grund seines persönlichen Verhaltens nach wie vor und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit seinem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt.
a) Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers beurteilt sich nach §§ 53 ff. AufenthG, wobei der Kläger zusätzlich nach Art. 8 EMRK in seinem bislang ausschließlich im Bundesgebiet geführten Privatleben und nach Art. 14 ARB 1/80 geschützt ist. Allerdings ist die Ausweisung auch dann nicht unverhältnismäßig.
b) Die Ausweisung setzt als gebundene und gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 22) tatbestandlich voraus, dass der Ausländer durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig schwerwiegend gefährdet, diese Gefahr ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung zur Wahrung der gefährdeten Interessen in der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich ist. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem dieser Schutzgüter eintreten wird (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 23). Dies ist hier der Fall.
aa) Der Aufenthalt des Ausländers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland schwerwiegend, weil der Kläger schwere Straftaten begangen hat und eine erhebliche Wiederholungsgefahr bis heute besteht.
Maßgeblicher Ausweisungsanlass ist die Verurteilung des Klägers zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und neun Monaten u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (LG, U.v. 26.9.2017 – *- Behördenakte Bl. 558 ff.). Der Kläger hatte in einem Fall grundlos einen unbeteiligten Zuschauer einer Schlägerei, in einem anderen Fall einen an einer verbalen Auseinandersetzung in einer Diskothek unbeteiligten Gast sowie in einem weiteren Fall zwei Unbeteiligte, die eine Beleidigung schlichten wollten, wissentlich und willentlich schwer verletzt, u.a. unter Verwendung einer Glasflasche bzw. einer bewusst zuvor abgebrochenen Glasflasche, die er als gefährliches Werkzeug missbrauchte. Tatbestimmend waren die narzisstische Persönlichkeit des Klägers und eine gewisse Enthemmung durch Alkohol und Drogenmissbrauch. Die mehrfache Begehung von derartigen Körperverletzungen stellt eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft an der körperlichen Integrität ihrer Mitglieder (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/282 Rn. 15) und damit für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dar.
bb) Die vom Kläger ausgehende Gefahr dauert bis heute an, so dass eine Tatwiederholung konkret zu befürchten ist. Dies ergibt sich aus der bereits wiederholten Tatbegehung, seiner raschen Rückfälligkeit unter offener Bewährung und in Kenntnis eines drohenden Haftvollzugs, was ihn offenkundig nicht beeindruckte, sondern noch zu einem vorherigen Urlaub in der Türkei und weiteren Taten bewog, weil er „sich noch etwas gönnen wollte“ (Gutachten a.a.O., Bl. 637), der darin zum Ausdruck gelangten, rein auf sich bezogenen Persönlichkeitsstruktur des Klägers und der bis heute mangelnden therapeutischen Aufarbeitung seiner tatmotivierenden Persönlichkeitsstruktur und Suchtmitteldelinquenz. Das Strafgericht hat in seinem Fall auch eine Tatmehrheit der Delikte angenommen; zudem war er schon einschlägig verurteilt worden.
Bei der eigenständigen ausländerrechtlichen Prognose der Wiederholungsgefahr sind umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/282 f. Rn. 16). Die auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, führt unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, des Täters und seiner Persönlichkeitsstruktur sowie seines Nachtatverhaltens und ggf. einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehenen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/283 f. Rn. 17; BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – Rn. 14) hier zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr.
Der Kläger ist erstens einschlägig wegen Diebstahls und vorsätzlicher Körperverletzung (AG, U.v. 19.7.2016 – * – Behördenakte Bl. 280 ff.), vorbestraft. Er hat die den Ausweisungsanlass bildenden Taten auch in Tatmehrheit zu verschiedenen Tagen begangen. Er ist daher mehrfacher Wiederholungstäter.
Der Kläger ist zweitens Bewährungsversager, denn er stand bereits im Tatzeitpunkt der einschlägigen Vorstraftaten unter offener Bewährung (vgl. AG, U.v. 19.7.2016 – * – Behördenakte Bl. 280 ff.) und ebenso stand er bei den den Ausweisungsanlass bildenden Taten unter offener Bewährung (LG, U.v. 26.9.2017 – * – Behördenakte Bl. 558 ff.); strafschärfend wurde berücksichtigt, dass er rasch rückfällig wurde.
Drittens fällt die individuelle Tatmotivation ins Gewicht, die beim Kläger aus seiner gutachterlich festgestellten (Dr. * Gutachten vom 10.8.2017, ebenda Bl. 587 ff.) Persönlichkeit unter narzisstischen Vorzeichen mit einer dissozialen Entwicklung und einer Enthemmung durch Alkohol und Drogen sowie einer Gleichgültigkeit im Angesicht des drohenden Haftstrafvollzugs resultiert und teils ohne äußeren Anlass, teils unter selbst begonnener Provokation und teils als Überreaktion auf objektiv niederschwellige, subjektiv aber von ihm schwer empfundene Provokationen von außen gezeigt wurde. Besonders erschwerend ist dabei die dynamische Entwicklung mit massiver Steigerung der Aggressivität, weil sich die Lebensperspektive des Klägers zur Tatzeit immer weiter eingeengt und er sich wegen der Vorstrafen ohnehin auf einen Gefängnisaufenthalt eingestellt hatte. Diese Gleichgültigkeit gegenüber sozialen Regeln und geschützten Rechtsgütern Anderer zeigte sich auch darin, dass der Kläger bereits bei der Begehung der letzten einschlägigen Vorstrafen-Delikte „nicht einen Hauch von Einsicht und Reue zeigte“ (AG, U.v. 19.7.2016 – * – Behördenakte Bl. 280 ff.).
Viertens ist der therapiebedürftige Kläger gegenwärtig nicht therapiert, wobei der Schwerpunkt in einer Sozialtherapie liegen soll, um insbesondere seine Gewaltbereitschaft zu senken; eine reine suchtmedizinische Therapie bringe keinen Erfolg. Ein Behandlungserfolg sei nach zwei Jahren Therapiedauer zu erwarten (ebenda Bl. 584 f.). Angesichts des enormen Behandlungsbedarfs ist nicht entscheidend, dass der Kläger auf Grund äußerer Umstände am Anti-Gewalt-Training nicht teilnehmen konnte, eine Einzeltherapie begonnen hat, sich im Haftvollzug bislang unauffällig verhielt und Kontakt zur externen Suchtberatung hielt. Dies sind erste kleine Schritte, möglicherweise auch ein Wohlverhalten angesichts der erstmalig längeren Vollstreckung einer Haft und der drohenden Aufenthaltsbeendigung. Die eigentliche Therapie aber soll erst am 12. November 2018 überhaupt beginnen. Sie ist bislang nicht begonnen, geschweige denn erfolgreich abgeschlossen.
Wegen des hohen Rangs der von ihm verletzten und bei einem Rückfall erneut bedrohten Rechtsgüter insbesondere der körperlichen Integrität anderer Personen tragen diese Feststellungen die Annahme einer erheblichen und gegenwärtigen Wiederholungsgefahr. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit seiner Ausweisung ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Kläger nach wie vor nicht therapiert ist und darüber hinaus verfestigte persönlichkeitsimmanente Faktoren wesentlich tatbestimmend waren, nicht nur die Drogenproblematik. Sind aber die Ursachen seiner früheren Straftaten nicht beseitigt, ist weiter von einer konkreten Rückfallgefahr auszugehen.
cc) In der Person des Klägers liegt nach dem soeben Ausgeführten auf Grund seines persönlichen Verhaltens eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG unerlässlich macht. Sein vergangenes Fehlverhalten berührt mangels erfolgreicher Aufarbeitung wegen der akuten Wiederholungsgefahr weiterhin ein Grundinteresse der Gesellschaft und macht die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG unerlässlich.
c) Die Ausweisung ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse des Klägers nach § 53 Abs. 2 i.V.m. § 55 AufenthG deutlich überwiegt.
aa) Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG besonders schwer, weil der Kläger wegen der von ihm begangenen Delikte zu einer Strafe von drei Jahren und neun Monaten und damit erstens wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren und zweitens wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist (vgl. oben). Beide Tatbestandsvarianten begründen jede für sich bereits ein solches Ausweisungsinteresse, so dass der Beklagte zutreffend offen gelassen hat, ob daneben noch § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG trotz Stand Stills nach Art. 13 ARB 1/80 anwendbar ist.
Zwar können die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG typisierten Interessen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch weniger oder mehr Gewicht entfalten und kann die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat in atypischen Fällen insgesamt weniger schwer erscheinen (vgl. BR-Drs. 642/14 S. 57), doch liegen hierfür unter umfassender Würdigung des Einzelfalles keine Anhaltspunkte vor. Tat, Täter und Nachtatverhalten weichen von vergleichbaren Delikten nicht derart ab, dass hier die Annahme eines atypischen Falles in Betracht käme. Auch nach strafgerichtlicher Bewertung rechtfertigten die Tatumstände und die Täterpersönlichkeit keine abweichende Gewichtung. Insbesondere eine Minderung der Schuldfähigkeit des Klägers wurde nicht festgestellt. Dass er unter Alkoholeinfluss im Affekt besonders aggressiv werden kann, hat er vielfach unter Beweis gestellt. Mag dies auch persönlichkeitsimmament sein, so zeigt dies doch umgekehrt eine unbewältigte Problematik, die sich jederzeit wieder in neuen Aggressionen äußern kann. Der Kläger ist nicht unverschuldet in die Tatsituationen geraten, sondern hat sie vielfach selbst erst durch Provokationen oder sogar anlasslos selbst herbeigeführt. Der Kläger geriet nicht in Konflikte, in denen er zur friedlichen Konfliktlösung außer Stande gewesen wäre, sondern er suchte und schuf Konflikte, um sich durch Gewaltanwendung selbst beweisen und seine persönlichkeitsimmanente Aggressivität ausleben zu können. Deutlich wird dies auch im Nachtatverhalten, als er via sozialer Medien über Dritte die von ihm schwer Verletzten noch nachträglich verhöhnte. Die Gesamtwürdigung stützt also die Annahme des gesetzlichen Regel-Schlusses aus einer einschlägigen Verurteilung auf ein entsprechendes öffentliches Ausweisungsinteresse; ein Ausnahmefall ist erst recht nicht erkennbar.
bb) Das Bleibeinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG zwar ebenfalls besonders schwer, weil der Kläger seit über fünf Jahren legal im Bundesgebiet lebte. Zudem ist für die gerichtliche Abwägung das Bleibeinteresse analog § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG ebenfalls als besonders schwerwiegend einzustufen, da der Kläger als „faktischer Inländer“ – also als ein Ausländer, der seine wesentliche Prägung im Bundesgebiet erfahren hat (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 21) – einzustufen ist. Allerdings verhindert auch diese Einstufung nicht von vornherein seine Ausweisung, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – Rn. 35 m.w.N.).
cc) In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles wie insbesondere der Dauer des Aufenthalts, der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner überwiegt vorliegend das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Klägers deutlich:
(1) Der Aufenthalt des Klägers in Deutschland dauert seit seiner Geburt ununterbrochen an und fällt daher als intensive Bindung erheblich ins Gewicht. Der Kläger ist ausschließlich in Deutschland aufgewachsen und hier zur Schule gegangen.
Der Kläger hat auch seine wesentlichen persönlichen Bindungen im Bundesgebiet, da er vor seiner Inhaftierung noch bei seinen Eltern lebte, eine langjährige Freundin im Bundesgebiet und eine Tochter hat, zu der gegenwärtig zwar keinen Kontakt hat, aber später wieder aufnehmen will (Niederschrift vom 22.8.2018, S. 3). Weitere persönliche Beziehungen, insbesondere eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Ehe oder eigene Familie, hat der alleinstehende Kläger nicht. Das Verlöbnis besteht offenbar längere Zeit, ohne dass terminlich konkrete Eheschließungsabsichten bestehen (Niederschrift vom 22.8.2018, S. 3), so dass es nicht gesteigert schutzwürdig ist.
Der Kläger hat seine beruflichen und wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet, wo er nach dem Besuch der Schule allerdings keine Lehre absolviert, sondern abgebrochen und nicht mehr aufgenommen hat. Einen Beruf hat der erwerbsfähige Kläger nicht erlernt und nur zeitweise gearbeitet (Niederschrift vom 22.8.2018, S. 2 f.). Dass er den qualifizierenden Mittelschulabschluss mit Erfolg nachgeholt hat (Niederschrift vom 22.8.2018, S. 3), ist positiv zu bewerten. Insgesamt aber sind die beruflichen und wirtschaftlichen Bindungen des Klägers mangels nachhaltiger Integration in den deutschen Arbeitsmarkt eher von geringem Gewicht. Dies gilt auch mit Blick auf die Einstellungszusage als Bauhelfer oder Pflasterer, die keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt.
Sonstige wesentliche Bindungen des Klägers im Bundesgebiet sind weder aus den vorliegenden Behörden- und Strafakten ersichtlich, noch vom Kläger geltend gemacht.
(2) In der Türkei als seinem in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Herkunftsstaat hat der Kläger zumindest Urlaubsaufenthalte verbracht und seine Verwandten dort besucht, wie er dem Gerichtsgutachter gegenüber erwähnte (Besuch in der Türkei auf seinen Vorschlag hin nach seiner Haftentlassung im August 2016, Behördenakte Bl. 625). Dass er selbst vorgeschlagen habe, in die Türkei zu gehen, um sich von seinen Großeltern zu verabschieden, die er wohl länger nicht mehr würde sehen können, spricht für engere verwandtschaftliche Bindungen dorthin, zumal man sich 15 Tage bei der Familie in der Türkei aufgehalten habe mit Einladungen, gemeinsamem Essen und allem (ebenda Bl. 625). Zielstaatsbezogene Risiken in * sind nicht vom Beklagten sondern vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu würdigen (arg. ex § 72 Abs. 2 AufenthG), erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet, aber angesichts des eingeräumten Urlaubsaufenthalts wohl im Sommer 2016 nicht so substantiiert geltend gemacht worden, dass der Beklagte hierüber eine Bewertung des Bundesamts herbeizuführen hätte. Dies gilt umso mehr, als der ortsungebundene Kläger auch als Kurde seinen künftigen Aufenthalt nicht in der Südosttürkei nehmen müsste, sondern in der Westtürkei voraussichtlich eine zumutbare innerstaatliche Ausweichmöglichkeit hätte (vgl. SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399, alle juris).
Persönliche und familiäre, wenn auch noch keine wirtschaftlichen Bindungen hat der Kläger in der Türkei zu seinen Verwandten; nach den glaubhaften Angaben seiner eigenen Mutter gegenüber dem Beklagten spricht und liest er Türkisch. Würde er dorthin zurückgeführt, müsste er sich dort ein eigenes Leben neu aufbauen und erst sich eine Arbeit suchen sowie bis zur Erwerbstätigkeit notfalls soziale Unterstützung seines Herkunftsstaats in Anspruch nehmen. Er ist wohl auch nach den Erwartungen des türkischen Arbeitsmarktes nur schulisch, nicht beruflich qualifiziert. Gleichwohl dürfte ihm zuzumuten sein, auch niedrig entlohnte Arbeit anzunehmen, um wirtschaftlich Fuß zu fassen und für seinen Lebensunterhalt auf legale Weise aufzukommen.
Sonstige wesentliche Bindungen des Klägers in die Türkei sind weder aus den vorliegenden Behörden- und Strafakten ersichtlich, noch vom Kläger geltend gemacht.
(3) Die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner fallen für den alleinstehenden Kläger nicht wesentlich ins Gewicht, da er – wie dargelegt – keine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Ehe oder Familie hat, das Verlöbnis ohne konkret terminierte Eheschließungsabsicht nicht gesteigert schutzwürdig ist, der Kläger selbst keine Fürsorge oder Unterstützung für von ihm abhängige Angehörige leistet – nicht einmal Unterhaltszahlungen an sein Kind – und als erwachsener Mann umgekehrt grundsätzlich nicht mehr auf eine lediglich im Bundesgebiet leistbare Fürsorge und Unterstützung angewiesen ist.
Die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin und Verlobten kann auch über Kommunikationsmittel sowie Besuche in der Türkei gepflegt werden; beide lebten bislang nicht miteinander, sondern der Kläger noch bei seinen Eltern. Während der Haft und der Maßregel ist ein Zusammenleben auf Jahre hinaus ohnehin ausgeschlossen.
Die Beziehung zu seinem Kind besteht derzeit nicht; er hat das Kind nur wenige Male gesehen und derzeit keinen Kontakt, nicht einmal besuchsweise durch Mutter und Kind. Ein Sorgerecht hat er nicht; ein Umgangsrecht kann er derzeit nicht wahrnehmen. Auch hier ist er auf Kommunikationsmittel zu verweisen. Das Kind ist wirtschaftlich dank der sozialen Leistungen des Jugendamts nicht auf den Kläger angewiesen; nennenswerte persönliche und wirtschaftliche Erziehungsbeiträge hat er bisher nicht geleistet und kann er auf Grund seiner unausgereiften und problematischen Persönlichkeitsstruktur, die vor massiven Bedrohungen der Kindesmutter nicht zurückschreckte, gegenwärtig wohl auch wenig leisten. Seine Vaterschaft ist derzeit nur biologischer Natur.
(4) Als weitere über die in § 53 Abs. 2 AufenthG nicht abschließende Aufzählung hinaus noch zu berücksichtigenden Belange und Interessen sind noch die Aggressivität und der Suchtmittelmissbrauch des Klägers und seine Perspektive einer möglichen Therapie im Bundesgebiet zu gewichten. Insoweit ist der Kläger auf die in seinem Herkunftsstaat vorhandenen Therapieangebote zu verweisen; dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich fremde Staatsangehörige auf den drohenden Abbruch einer Therapie regelmäßig nicht berufen können, denn sie können ein Recht auf Verbleib in dem Hoheitsgebiet des abschiebenden Staats grundsätzlich nicht beanspruchen, um weiterhin in den Genuss einer medizinischen, sozialen oder anderen Versorgung zu gelangen, die der abschiebende Staat während ihres Aufenthalts gewährt hat (vgl. EGMR, E.v. 7.10.2004 – 33743/03 (Dragan u. a./ Deutschland) – NVwZ 2005, S. 1043 ff. juris Rn. 86).
(5) Weitere Belange und Interessen sind weder aus den vorliegenden Behörden- und Strafakten ersichtlich, noch vom Kläger geltend gemacht. In der gebotenen Gesamtabwägung überwiegt daher das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Klägers.
Zwar sind die Bindungen des Klägers im Bundesgebiet als „faktischer Inländer“ von erheblichem Gewicht und wiegen besonders schwer, doch andererseits wiegen die von ihm wiederholt begangenen Straftaten ebenfalls besonders schwer und überwiegen gegenüber den Bindungen des Klägers im Bundesgebiet, weil in seiner Person eine konkrete nicht ausgeräumte erhebliche Rückfallgefahr besteht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
d) Die Ausweisung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehung der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (EGMR, U.v. 25.3.2010 – Mutlag/ Bundesrepublik Nr. 40601/05 – InfAuslR 2010, 325; U.v. 13.10.2011 – Trabelsi/ Bundesrepublik Nr. 41548/06 – juris Rn. 54).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Schutz des Privatlebens des Klägers aus Art. 8 EMRK der Ausweisung als Eingriff in dieses Grundrecht nicht entgegensteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obige Abwägung verwiesen (vgl. oben zu § 53 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG), denn auch bei einem sog. faktischen Inländer, bei dem von einem besonders geschützten Familien- und Privatleben auszugehen ist (BVerwG, U.v. 23.10.2007 – 1 C 10/07 – BVerwGE 129, 367), ist eine Ausweisung nicht schlechthin unmöglich. Der Schutz des Privat- und Familienlebens fordert in diesen Fällen lediglich, dass die Ausweisung nur zu einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf und dabei die besondere Situation eines Ausländers, der sich – wie hier – seit seiner Geburt oder seit frühem Kindesalter im Bundesgebiet aufhält, Berücksichtigung finden muss (BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – Rn. 35 m.w.N.). Dies ist hier erfolgt. Angesichts der greifbaren Gefahr weiterer erheblicher Straftaten durch den persönlichkeitsproblematischen. mehrfach einschlägig straffälligen und rückfälligen Kläger ist deshalb der Umstand, dass er in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen ist und hier sein bisheriges Leben verbracht hat, nicht so gewichtig, dass dies unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der angefochtenen Ausweisungsentscheidung entgegenstehen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2013 – 10 ZB 12.2311 – juris Rn. 6).
e) Selbst als Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis ist der Kläger als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger nach Art. 2 Buchst. b), Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) und Art. 12 RL 2003/109/EG (Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003, ABl. Nr. L 132/1 vom 19.5.2011 – Daueraufenthaltsrichtlinie) zwar im Rechtsrahmen von Art. 14 ARB 1/80 geschützt (dazu sogleich), doch rechtfertigten die o.g. Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung selbst dann die Aufenthaltsbeendigung (zur Ausfüllung des Bezugsrahmens des Art. 14 ARB 1/80 durch Art. 12 RL 2003/109/EG vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – Rn. 52 unter Verweis auf EuGH, U.v. 8.12.2001 – C-371/08 – Juris Rn. 79). Ebenso widerspricht die Ausweisung nicht Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13. Dezember 1955 (ENA), wonach Staatsangehörige eines Vertragsstaats, die seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaats haben, aus Gründen der öffentlichen Ordnung nur ausgewiesen werden dürfen, wenn diese Gründe besonders schwerwiegend sind. Dies ist hier der Fall.
f) Der Ausweisung des Klägers steht auch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entgegen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls nach Art. 7 ARB 1/80 eine Assoziationsberechtigung erlangt hat. Zum Stand der (letzten) mündlichen Verhandlung überwiegt das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung sein privates Bleibeinteresse erheblich (vgl. oben zu Art. 8 EMRK), zumal die vom Kläger ausgehende erhebliche Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden In- und Ausländer ein hochrangiges Rechtsgut ist und ihre wiederholte massive Verletzung durch den Kläger daher ein auch unionsrechtlich anerkanntes Grundinteresse am Schutz der Bevölkerung berührt (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 19).
2. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis ist rechtmäßig. Ihr stehen die Sperre des § 11 Abs. 1 AufenthG ebenso wie die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – Nichtbestehen eines Ausweisungsinteresses – i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen.
3. Die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf sechs Jahre, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Abschiebung bzw. der nachgewiesenen Ausreise, ist ebenfalls rechtmäßig.
Die Befristungsdauer steht nach der Neufassung des § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 65 f. mit Verweis auf BR-Drs. 642/14 S. 39), so dass diese Ermessensentscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt, sondern – soweit wie hier keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt – eine zu lange Frist lediglich aufgehoben und die Ausländerbehörde zu einer neuen Ermessensentscheidung verpflichtet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – Rn. 54 ff.).
Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 65 f.). Die Dauer der Frist darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42). Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, ist davon auszugehen, dass in der Regel ein Zeitraum von max. zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann, so dass sie nach § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zehn Jahre nicht überschreiten soll. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 66). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
Nach diesen Maßstäben und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten festgesetzte Frist nicht zu lang und daher rechtmäßig. Der Beklagte konnte seine Ermessensentscheidung aufrecht erhalten; durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht.
Der Beklagte stützt die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf die massiven Straftaten und die konkrete Wiederholungsgefahr im Fall des therapiebedürftigen aber noch untherapierten Klägers, die sich nach Auffassung des Verwaltungsgericht auch bestätigt haben (vgl. oben). Es ist auch nicht zu beanstanden, dass hier eine Frist von über fünf Jahren festgesetzt wurde, wird die nach wie vor bestehende und nach strafgerichtlichen Feststellungen durch eine Therapie wohl nur minderaber nicht ausschließbare Wiederholungsgefahr in Betracht gezogen: Die Strafkammer war nur davon überzeugt, dass eine konkrete Erfolgsaussicht dafür bestehe, dass der Kläger zumindest für eine gewisse Zeit erfolgreich von einem Rückfall in die Sucht und zumindest vor erneutem delinquentem Verhalten im Zusammenhang mit dem Konsum von Rauschmittel abgehalten werden könne (Behördenakte Bl. 584 f.). Für ein weiteres, allein persönlichkeitsbedingtes Delinquenzverhalten liegt keine Erfolgsprognose vor, sondern nur eine angenommene Therapiedauer von voraussichtlich zwei Jahren, wobei die Therapie erst noch beginnen soll. Zudem hat der Beklagte zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger derzeit keine schützenswerte Beziehung zu seinem Kind hat.
4. Die Abschiebungsanordnung ist nach § 58 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wegen seiner Inhaftierung gerechtfertigt. Die hilfsweise Abschiebungsandrohung ist ebenso nicht zu beanstanden. Abschiebungshindernisse, die nach § 59 Abs. 3 AufenthG zwar nicht ihrer Androhung, aber ihrer Vollstreckung durch Abschiebung entgegenstünden und zu einer Duldung führen könnten, sind weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen worden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit in der Westtürkei voraussichtlich eine innerstaatliche Zuflucht haben, wollen sie nicht in der Nähe der türkisch-kurdischen Kampfgebiete im Südosten der Türkei leben (vgl. oben).
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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