Aktenzeichen M 12 K 14.3776
Leitsatz
1. Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird auch nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n. F. am 1.1.2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht (ebenso VGH München BeckRS 2016, 46956). (redaktioneller Leitsatz)
2. § 53 Abs. 3 AufenthG n.F. gibt die Voraussetzungen wieder, die bis zum 31.12.2015 und nach ständiger Rechtsprechung für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen im Hinblick auf Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sein mussten (ebenso EuGH BeckRS 2011, 81925; VGH München BeckRS 2016, 46956; VGH München BeckRS 2012, 59963). Dem stehen weder die Standstillklausel des Art. 13 ARB 1/80 noch Art. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen entgegen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Ausweisungsgrund wird nur dann “verbraucht”, wenn die Behörde durch ihr Verhalten dem betroffenen Ausländer Vertrauensschutz vermittelt, sodass er sich in besonderer Weise auf seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet einrichten konnte (wie BVerwG BeckRS 1999, 30082354). (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 9 Monaten u.a. wegen Totschlags und Betäubungsmitteldelikten besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG. Dieses überwiegt auch angesichts der Schwere und Art der begangenen Straftaten sowie der bestehenden Wiederholungsgefahr aufgrund des Aggressionspotentials und des Drogenkonsums das besondere Bleibeinteresse des Klägers als faktischer Inländer und wegen familiärer Beziehungen zu seinen Kindern aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, da die Ausreise unerlässlich ist, um ein Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2016 entschieden werden, obwohl die Klagepartei nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten sind form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 31. Juli 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Der Bescheid ist in formeller Hinsicht rechtmäßig. Zwar wurde der Kläger vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nicht nochmals ausdrücklich unter Setzung einer Frist zu möglichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen angehört. Jedoch hat der damalige Bevollmächtigte des Klägers bereits unter dem … Dezember 2012 eine Entscheidung des Beklagten bis zum 31. Dezember 2012 angemahnt. Der Kläger selbst hat sich mit Schreiben vom … Dezember 2013 unter Verweis auf das Gutachten vom … Februar 2010 gegenüber dem Beklagten zu seiner ausländerrechtlichen Situation geäußert. Zuletzt wurde die damalige Bevollmächtigte des Klägers am … Juni 2014 darauf hingewiesen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen geplant seien. In Zusammenschau dieser Gesichtspunkte hat der Beklagte seiner Anhörungspflicht genügt. Insbesondere reicht die Mitteilung vom 23. Juni 2014 gegenüber der Klägerbevollmächtigten betreffend das Laufen eines ausländerrechtlichen Verfahrens als Gelegenheit zur Stellungnahme aus. Denn es liegt im Ermessen des Beklagten, wie er die Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) vornimmt (Herrmann in Beck-OK, VwVfG, Stand 1.4.2015, § 28 Rn. 17). Es bedarf nicht zwingend des expliziten Hinweises auf die Äußerungsmöglichkeit oder einer ausdrücklichen Fristsetzung (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 28 Rn. 20; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 28 Rn. 46). Dies gilt umso mehr, als es sich um die Mitteilung gegenüber einer Rechtsanwältin handelte und der Zeitraum bis zum Bescheiderlass am 31. Juli 2014 als Äußerungsfrist ausreichend bemessen war. Der Beklagte stützt den streitgegenständlichen Bescheid zudem nicht auf Gründe, die im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt hätten.
2. In materieller Hinsicht ist der Bescheid ebenfalls rechtmäßig. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (BVerwG, U. v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – juris). Demnach beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nach dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939).
a) Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ausweisung ist rechtmäßig.
Die bereits am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen neuen gesetzlichen Regelungen zur Ausweisung (Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015, BGBl I. S. 1386) differenzieren nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangen für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang überprüfbar. Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird auch nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n. F. nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht (BayVGH, B. v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 8).
Rechtsgrundlage der Ausweisungsverfügung sind §§ 53 Abs. 1 bis 3, 54 f. AufenthG. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Zugunsten des Klägers geht die Kammer mit dem Beklagten davon aus, dass er ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) erworben hat. Gem. § 53 Abs. 3 AufenthG darf der Kläger daher nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 – C-371/08 Ziebell – juris Rn. 80; BayVGH, U. v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen im Hinblick auf Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sein mussten (vgl. auch BayVGH, B. v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 13).
In der Rechtsprechung ist auch geklärt, dass gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auch mit Blick auf Art. 13 ARB 1/80 (sog. Stillhalteklausel) keine Bedenken bestehen, weil sich die materiellen Anforderungen, unter denen diese Personen ausgewiesen werden dürfen, nicht zu ihren Lasten geändert haben und jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 28; B. v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 14; B. v. 11.7.2016 – 10 ZB 15.837 – Rn. 11 jeweils m. w. N.).
Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (aa) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (bb). Da der Ausweisungsschutz aus Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen nicht weiter reicht als der aus ARB 1/80, ergibt sich aus dieser Norm kein anderer Maßstab für die rechtliche Überprüfung der Ausweisung des Klägers (vgl. BVerwG, U. v. 2.9.2009 – 1 C 2/09 – juris Rn. 15).
Aus dem Vortrag des Klägers, beim angegriffenen Bescheid vom 31. Juli 2014 handele es sich um eine Rücknahme der Rücknahme, die die – hier nicht gegebene – Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Aufhebungsverfügung vom 10. Februar 2010 voraussetze, ergibt sich ebenfalls kein anderer Überprüfungsmaßstab. Denn es handelt sich vorliegend nicht um eine Rücknahme der Aufhebungsverfügung vom 10. Februar 2010, so dass der ursprüngliche Bescheid vom 5. März 2009 wieder aufleben würde. Der Beklagte hat vielmehr auf Grundlage früher nicht vorhandener Unterlagen – so etwa dem ausführlichen Sachverständigengutachten vom … Dezember 2010 und der Stellungnahmen der JVA … vom 8. Mai 2013 und vom 18. Juli 2014 – einen eigenständigen, neuen Bescheid erlassen, so dass Art. 48 f. BayVwVfG nicht als Grundlage zur Überprüfung des angegriffenen Bescheids heranzuziehen sind.
An der erneuten Ausweisung war der Beklagte auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes gehindert. Zwar kann ein Verzicht auf eine Ausweisung grundsätzlich zu einem „Verbrauch“ des Ausweisungsgrundes führen, wenn dem betroffenen Ausländer hierdurch Vertrauensschutz vermittelt wird, so dass er sich im Vertrauen darauf in besonderer Weise auf einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet einrichten konnte. Vorliegend konnte der Kläger allerdings in keiner Weise darauf vertrauen, dass der Beklagte nach der Aufhebung des ersten Ausweisungsbescheides in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 seine Ausweisung nicht weiter betreiben würde (vgl. BayVGH, B. v. 2.6.2016 – 10 C 15.1347). Es war ihm über seine Bevollmächtigte bekannt (vgl. Schreiben des Gutachters vom …9.2010; Bl. 382 d. BA), dass der Beklagte die zu erwartenden Folgen einer Ausweisung bzw. Abschiebung des Klägers auf seine beiden Kinder ermittelt hat (Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG). Zudem hat der Beklagte gegenüber der Bevollmächtigten des Klägers telefonisch und schriftlich festgestellt, dass eine Ausweisung weiterhin geplant sei (vgl. Bl. 431, 456, 566 d. BA). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Erledigterklärung des Beklagten im vorangegangenen Klageverfahren (M 23 K 09.1219). Entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom … August 2016 ergibt sich daraus nicht, dass sich der Ausweisungsanlass erledigt hat und das Aufenthaltsrecht des Klägers im Bundesgebiet gesichert ist. Vielmehr handelt es sich ausschließlich um eine Prozesserklärung, die notwendig war, weil sich der Klageanlass, nämlich der damals streitgegenständliche Bescheid, nach dessen Aufhebung erledigt hat. Eine Aussage dahingehend, dass die Straftaten nicht mehr zum Anlass einer erneuten Ausweisung genommen werden, kann der Erledigterklärung mitnichten entnommen werden.
aa) Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass der Aufenthalt des Klägers auch in Zukunft die öffentliche Sicherheit und Ordnung der BRD schwerwiegend beeinträchtigen wird. Vom Kläger geht eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der BRD aus. Es besteht eine erhebliche Wiederholungsgefahr.
Anlass für die Ausweisung des Klägers ist seine Verurteilung durch das Landgericht … vom … Februar 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und neun Monaten wegen Totschlags in Tatmehrheit mit unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich um besonders schwere Straftaten, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblichem Maße beeinträchtigen. Totschlag ist ein Kapitaldelikt, das das Leben als höchstes Schutzgut betrifft und damit die Grundinteressen der Gesellschaft berührt. Außerdem ließ sich beim Kläger eine hohe Intensität der Tathandlung feststellen. Der illegale Handel mit Betäubungsmitteln birgt schwerwiegende Gefahren in sich und berührt damit ebenfalls ein Grundinteresse der Gesellschaft. Er stellt ein großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit dar (EuGH, U. v. 23.11.2010 – C-145/09 – juris Rn. 47; BVerwG, U. v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 19).
Die festgestellte schwerwiegende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beruht auf dem persönlichen Verhalten des Klägers. Zwar war bei Begehung des Totschlags seine Fähigkeit, nach der Einsicht des Unrechts seines Tuns zu handeln, nicht ausschließbar erheblich vermindert. Der Kläger verursachte jedoch persönlich durch seinen Drogenkonsum den Tod seiner Ehefrau, da er die Tat unter dem Einfluss einer drogenbedingten Enthemmung begangen hat. Laut Stellungnahme der psychiatrischen Abteilung der JVA … vom 4. April 2013 besteht beim Kläger bei Einnahme von Drogen eine große Wahrscheinlichkeit für das Wiederauftreten psychotischer Symptome mit daraus resultierenden Gewaltdelikten. Das Landgericht … ordnete gerade wegen des Hanges des Klägers zu übermäßigem Betäubungsmittelkonsum und der hiermit einhergehenden Gefahr weiterer Straftaten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an. Auch wenn der Kläger bei der Tat selbst nicht ausschließbar das Geschehene nicht voll umfänglich begreifen konnte, ist der Totschlag auf seinen Drogenkonsum sowie auf sein Aggressionspotential zurückzuführen. Ebenso beruht der Drogenhandel auf dem persönlichen Verhalten des Klägers.
Vom Kläger geht gegenwärtig eine erhebliche Wiederholungsgefahr betreffend Betäubungsmittel- und Gewaltdelikte aus. Zwar trägt er zu Recht vor, dass allein aus der Schwere der abgeurteilten Tat nicht generell auf eine konkrete Rückfallgefahr geschlossen werden könne. Dennoch kann bei der einzelfallbezogenen Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts der Rang der bedrohten Rechtsgüter nicht außer Acht gelassen werden, da dieser die mögliche Schadenshöhe bestimmt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, U. v. 10.7.2012 a. a. O. Rn. 16 m. w. N.).
Auf die vom Kläger genannte statistische Rückfallgefahr bei vorsätzlichen Tötungsdelikten von 1,0% bis 3,5% ist nicht abzustellen. Erstens betrifft diese Quote nur die Rückfallgefahr bezüglich vorsätzlicher Tötungsdelikte, nicht aber bezüglich anderer gefährlicher Gewaltdelikte, zweitens hat der Kläger den Totschlag unter dem Einfluss von Drogen begangen, die bei ihm zum Auftreten psychotischer Symptome und daraus resultierenden Gewaltdelikten führen können. Daher hat die vom Kläger zitierte allgemeine Rückfallquote vorliegend keine Aussagekraft. Aufgrund des Drogeneinflusses ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei dem Totschlag um eine einmalige Beziehungstat handelt, die weitere Gewaltdelikte ggf. unwahrscheinlich erscheinen ließe. Vielmehr ist die Tat auf den Drogenkonsum des Klägers zurückzuführen. Er hatte während der Tat Wahnvorstellungen und hat das Opfer nicht als seine Ehefrau, sondern als Teufel wahrgenommen. Dass seine Frau tatsächlich tot war, hat der Kläger nach eigenem Vortrag erst auf dem Polizeipräsidium realisiert. Bisher hat er keine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen. Die gerichtlich angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begann am 2. November 2009 im Bezirksklinikum … Die Stellungnahme des Klinikums vom 1. Oktober 2010 zeigt sich zwar noch positiv. Der Vorsatz des Klägers zur Drogenabstinenz wirke authentisch und gefestigt, Konflikte und Aggressionspotential seien bisher nicht zu registrieren gewesen. Der Kläger zeige gute Ansätze in der Deliktbearbeitung und glaubhafte Reue. Gedanklich befasse er sich sorgfältig mit einem für ihn passenden Rückfallvermeidungsplan. Der bisherige Therapieverlauf biete derzeit eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss der Therapie gemäß § 64 StGB. Der Kläger bedürfe jedoch dringend weiterer Therapie, es sei von einer Behandlungsdauer von mindestens zwei Jahren auszugehen. Nach diesem positiven Zwischenbericht wurde der Kläger allerdings bereits am 8. November 2011 in die JVA … zurückverlegt, da er nach eigenem Vortrag erneut begonnen hatte, Drogen zu nehmen. Die in der Stellungnahme vom 1. Oktober 2010 prognostizierte weitere Behandlungsdauer von mindestens zwei Jahren wurde also nie erreicht. Während die JVA … unter dem 8. Mai 2013 noch positiv Stellung bezog, berichtete sie in der jüngeren Stellungnahme vom 18. Juli 2014, dass das Vollzugsverhalten des Klägers nicht beanstandungsfrei sei und der Konsum von Tramal belege, dass er weiterhin unter erheblichem Suchtmitteldruck leide. Sozialtherapeutische Maßnahmen zur Bearbeitung der delinquenzfördernden persönlichkeitsimmanenten Problembereiche seien weiterhin indiziert, jedoch wegen der zeitlichen Rahmenbedingungen nicht mehr durchführbar. Sowohl die Gewalt- als auch die Suchtmittelproblematik seien noch nicht ausreichend bearbeitet. Die psychiatrische Abteilung der JVA … geht unter dem 4. April 2013 davon aus, dass der Kläger in Freiheit wieder Drogen konsumieren werde, woraus eine große Wahrscheinlichkeit für das Wiederauftreten psychotischer Symptome mit daraus resultierenden Gewaltdelikten folge. Aus alledem ergibt sich, dass beim Kläger eine nicht ausreichend behandelte Suchtmittelproblematik und ein hohes Aggressionspotential vorliegt. Daher muss davon ausgegangen werden, dass er auch in Freiheit wieder Drogen konsumieren wird, was eine erhebliche Gefahr der erneuten Begehung von Gewalttaten birgt. Dass – wie der Kläger vorträgt – sein Hemmungsvermögen bei der Tat gegenüber dem Durchschnitt der Personen, die keine psychische Störung i. S. d. § 20 StGB aufweisen, herabgesetzt gewesen sei und er dem Tatanreiz weniger Widerstand habe leisten können, ändert nichts an dieser Beurteilung, da die vorhandene Wiederholungsgefahr ja gerade darin begründet ist, dass der Kläger erneut Drogen nimmt und unter diesem Einfluss Gewaltdelikte begeht.
Ebenso ist es wahrscheinlich, dass der Kläger aufgrund seiner Suchtmittelproblematik weiterhin Betäubungsmitteldelikte begehen wird. Auch wenn seine ehemaligen Komplizinnen nicht mehr zur Verfügung stehen und der damalige Kundenstamm weggebrochen ist, besteht, solange die Suchtmittelproblematik beim Kläger nicht ausreichend behandelt ist, die Gefahr, dass er im Rahmen und zur Finanzierung seiner eigenen Sucht wieder in die Betäubungsmittelkriminalität einsteigt. Der nicht mehr vorhandene Kundenstamm hindert ihn nicht zwangsläufig daran, sich einen neuen aufzubauen. Aufgrund der nicht ausreichend behandelten Drogensucht wird die vom Kläger ausgehende Gefahr auch nicht durch seine Familie gehemmt.
bb) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.
Es besteht im Fall des Klägers ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist. Dies ist beim Kläger durch die Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 9 Monaten der Fall.
Darüber hinaus besteht auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib und Leben oder mit List begangen worden ist. Dies ist beim Kläger der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 9 Monaten, u. a. wegen Totschlags, der Fall.
Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
In der Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet. Seine Ausreise ist unerlässlich, um ein Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Dies sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner. Dabei sind die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen, noch müssen sie nur zugunsten des Ausländers ausfallen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, B. v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (VGH B-W, U. v. 13.1.2016, – 11 S 889/15 – juris; OVG NRW, U. v. 10.5.2016 – 18 A 610/14 – juris).
Insbesondere sollen in die Abwägung die Kriterien mit einbezogen werden, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) insoweit zu Art. 8 EMRK entwickelt worden sind: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebezielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebezielland (BT-Drs 18/4097, S. 49; EGMR, U. v. 12.1.2010 – 47486/06, , in Fortschreibung der Boultif/Üner Kriterien; OVG NRW, U. v. 22.3.2012, – 18 A 951/09 – juris).
Zunächst ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass ausgehend von den festgestellten und in den §§ 54, 55 AufenthG vom Gesetzgeber vertypten Bleibe- und Ausweisungsinteressen ein Gleichklang als jeweils „besonders schwerwiegend“ anzunehmen ist. Gründe, aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles von den vertypten gesetzlichen Wertungen des Ausweisungs- bzw. Bleibeinteresses abzuweichen, bestehen nicht.
Die unter Einstellung sämtlicher berührter Belange vorzunehmende Abwägung ergibt, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt. Dabei waren die von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Ihnen muss ein erhebliches Gewicht beigemessen werden. Der Kläger ist faktischer Inländer. Er ist im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen und hat in der JVA eine Berufsausbildung abgeschlossen. Der Kläger hat schützenswerte familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Er ist mittlerweile verheiratet und Vater zweier minderjähriger deutscher Kinder. Auch seine Eltern und Geschwister leben in Deutschland.
Dennoch überwiegt angesichts der Schwere und der Art der begangenen Straftaten sowie der bestehenden Wiederholungsgefahr das öffentliche Ausreiseinteresse. Der Schutz der Bevölkerung vor Gewalttaten bis hin zu Tötungsdelikten sowie vor Betäubungsmittelkriminalität stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar, zu dessen Wahrung die Ausreise des Klägers erforderlich ist. Zwar ist die Ausweisung ein gravierender Eingriff in die familiären Beziehungen des Klägers zu seinen zwei deutschen Kindern, zu seiner Ehefrau sowie zu seinen Eltern und Geschwistern. Der Kläger ist jedoch volljährig und daher nicht mehr in besonderem Maße auf die Unterstützung und Hilfe seiner Eltern angewiesen. Die Eheschließung erfolgte erst nach der Tat, die Anlass für die Ausweisung ist, und damit in Kenntnis derselben. Ihr kann kein entscheidendes Gewicht zukommen, da sie in Kenntnis der unsicheren Aufenthaltsperspektive geschlossen wurde.
Es wird zugunsten des Klägers davon ausgegangen, dass eine familiäre Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinen Kindern besteht. Während der Haft und der Zeit im Bezirksklinikum … haben die Kinder des Klägers ihn regelmäßig besucht. Zu seinen Gunsten wird angenommen, dass sich der Kontakt zu den Kindern nach der Haftentlassung fortgesetzt und sogar intensiviert hat. Sämtliche vorhandenen Stellungnahmen zum Kindeswohl gehen davon aus, dass eine Beziehung zwischen dem Kläger und seinen Kindern bestehe, dass dem Kläger viel an seinen Kindern liege und dass seine Abschiebung derzeit nicht dem Kindeswohl entspreche. Insbesondere das ausführliche Sachverständigengutachten vom … Dezember 2010 sowie die ergänzende Stellungnahme vom … Februar 2011 kommen zu dem Ergebnis, dass die Abschiebung des Klägers nicht dem Wohl der Kinder dienlich sei und dass gerade für die Tochter des Klägers erhebliche Belastungen zu befürchten seien. Als Grund hierfür wird genannt, dass beiden Kindern die Auseinandersetzung mit der Tat und der Rolle des Vaters ermöglicht werden solle. Es sei wesentlich, dass sie das tatsächlich Geschehene begriffen und sich damit unter fachlicher Betreuung auseinandersetzten. Bei einer Abschiebung würde der Kläger im Falle eines therapeutischen Prozesses der Kinder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen können. Beide Kinder hätten inzwischen zu ihrem Vater eine Beziehung aufgebaut. Aus alledem ergibt sich, dass die Abschiebung des Klägers sowohl für seine Kinder als auch für ihn selbst einen tiefgreifenden Eingriff darstellt. Dennoch ist mit Blick auf die erheblichen Straftaten und die vom Kläger ausgehende immense Wiederholungsgefahr für hochrangige Rechtsgüter dessen Abschiebung auch vor dem Hintergrund des Kindeswohls und der familiären Beziehung des Klägers zu seinen Kindern verhältnismäßig. Die vom Kläger begangenen Gewalt- und Betäubungsmitteldelikte sind besonders schwerwiegende Straftaten und dürfen daher in die Abwägung mit dem entsprechenden Gewicht eingestellt werden. Die Schwelle, nach der gem. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG das Ausweisungsinteresse besonders schwer wiegt, ist beim Kläger um das nahezu Fünffache überschritten. Die Schwelle des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG ist unter Berücksichtigung der im Urteil des Landgerichts … vom … Februar 2006 ausgewiesenen Einzelstrafe von 8 Jahren und sechs Monaten für den Totschlag sogar noch deutlicher überschritten.
Bezüglich des Kindeswohls ist zu sehen, dass dem Kläger durch das Amtsgericht … das Sorgerecht für beide Kinder entzogen worden ist. Seine Kinder sind seit Mai 2005, also seit sie fünf Monate bzw. zwei Jahre alt sind, bei den Großeltern aufgewachsen, so dass diese für die Kinder die ersten und wichtigsten Bezugspersonen darstellen. Laut Gutachten vom … Dezember 2010, das die Notwendigkeit der Verfügbarkeit des Vaters für eine therapeutische Aufarbeitung des Geschehenen durch die Kinder betont, scheinen beide Kinder des Klägers ihn nicht als Mitglied ihrer Kernfamilie und als Erziehungsperson zu erleben. Hieraus ergibt sich, dass die Anwesenheit des Klägers für die Kinder zwar ideal wäre, dass ihnen durch dessen Abschiebung aber auch nicht ihre engste und vertrauteste Bezugsperson genommen wird. Bezüglich der familiären Beziehungen zwischen dem Kläger und seinen Kindern ist zu berücksichtigen, dass die Eltern des Klägers laut seinen Angaben für das Gutachten vom … Dezember 2010 etwa jedes Jahr in die Türkei reisen und bisher die Kinder immer mitgenommen haben. Trotz der Abschiebung bleibt dem Kläger also weiterhin die Möglichkeit, seine Kinder im Rahmen von Ferienaufenthalten zu sehen. Außerdem sind die Kinder mit heute zwölf und dreizehn Jahren in einem Alter, in dem auch Telefon- und Briefkontakt möglich ist, so dass die Abschiebung des Klägers zwar eine zeitlich begrenzte räumliche Trennung, aber kein vollständiges Abreißen des Kontakts zu seinen Kindern bedeuten muss. Die Ausweisung ist im Ergebnis also notwendig i. S. d. Art. 8 Abs. 2 EMRK.
Der Status des Klägers als faktischer Inländer macht die Ausweisung nicht unverhältnismäßig. Der Kläger ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, hier bestehen seine wesentlichen sozialen, wirtschaftlichen und familiären Bindungen. Dennoch ist er nicht derart irreversibel in die deutschen Lebensverhältnisse eingefügt, dass ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit unzumutbar wäre. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Integration des Klägers im Bundesgebiet ist zu berücksichtigen, dass er über keine gesicherte berufliche Position verfügt. Der Kläger beherrscht die türkische Sprache jedenfalls in ausreichendem Maße. Er hat für vier Jahre eine zweisprachige Klasse besucht und jahrelang bei seinen türkischen Eltern gelebt. Selbst wenn der Vortrag des Klägers, der langjährige Drogenkonsum habe zu einer Gedächtnisstörung und einem weitgehenden Vergessen der türkischen Sprache geführt, zuträfe, ist nicht davon auszugehen, dass er die Sprache vollständig vergessen hat. Vielleicht beherrscht der Kläger die türkische Sprache nicht mehr perfekt, aber doch jedenfalls soweit, dass er sich in der Türkei zurechtzufinden kann. Auch wenn der Kläger nach eigenen Angaben nicht viele Kontakte in die Türkei hat, so hat er dort doch Verwandte, zu denen nach eigenen Angaben Briefkontakt besteht. Es ist dem Kläger zuzumuten, diesen Kontakt ggf. zu intensivieren, um sich ein Leben in der Türkei aufzubauen. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände erweist sich die Ausweisung und die damit verbundene zeitliche Trennung des Klägers von seiner Familie in Deutschland als verhältnismäßig und damit rechtmäßig.
Nach alledem ist die Ausweisung des Klägers zur Bekämpfung der von ihm ausgehenden hohen Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch im engeren Sinne verhältnismäßig und damit unerlässlich.
b) Die Abschiebung aus der Haft heraus (Nr. 2 des Bescheids) beruht auf § 58 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist eine Frist zur freiwilligen Ausreise von vier Wochen ab Bestandskraft (Nr. 3 des Bescheids) angemessen, vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
c) Die Befristungsentscheidung in Nr. 5 des Bescheids ist ebenso rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Ausweisung hat nach § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt. Die Befristung dieser Wirkungen, die sich allein nach präventiven Gesichtspunkten bestimmt, ist nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei der Bemessung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen (vgl. Maor in BeckOK, AuslR, Stand 1.5.2015, § 11 AufenthG Rn. 17). Es bedarf einer Einzelfallprognose, wie lange das Verhalten des Klägers das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die Länge der Frist muss sich aber auch an höherrangigem Recht messen lassen. Die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK sind zu berücksichtigen, so dass die schutzwürdigen Belange des Klägers und die Folgen der Ausweisung für seine Angehörigen in die Befristungsentscheidung einzubeziehen sind (vgl. zu dem Ganzen BVerwG, U. v. 10.7.2012 a. a. O. Rn. 42 f.; VG München, U. v. 13.2.2014 – M 10 K 13.2626 – juris Rn. 48).
Gemessen an diesen Vorgaben ist eine Frist von sieben Jahren nicht zu beanstanden. Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist ist vorliegend bedeutungslos, weil der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen wurde und außerdem von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (s.o). Aufgrund des immens hohen Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter wäre – ohne Berücksichtigung der familiären und persönlichen Bindungen des Klägers an das Bundesgebiet – auch eine höher bemessene Frist zur Erreichung des Zwecks der Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt. Da sich die Frist aber an den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK messen lassen muss, ist unter Berücksichtigung der familiären und persönlichen Bindungen des Klägers eine Frist von sieben Jahren nicht zu beanstanden.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.