Aktenzeichen 8 CS 18.1083
UmwRG § 3
Aarhus-Konvention Art. 9 Abs. 4
Leitsatz
Nach Eintritt vollendeter Tatsachen lässt sich ein Rechtschutzbedürfnis für einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht aus der Stellung des Antragstellers als anerkannte Umweltvereinigung ableiten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 3 S 18.696 2018-04-25 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die A … … GmbH, R …- …-Straße, … Z … wird zum Verfahren beigeladen.
II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Der Streitwert wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. April 2018 für beide Rechtszüge auf jeweils 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein anerkannter Naturschutzverein, begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer der Beigeladenen erteilten wasserrechtlichen Plangenehmigung, deren sofortige Vollziehung angeordnet wurde.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2018 erteilte das Landratsamt Günzburg der Beigeladenen die wasserrechtliche Plangenehmigung zur Durchführung von Veränderungen (u.a. Rückbau, Eintiefung, Verbreiterung) am Grabensystem auf den Grundstücken FlNr. 1862/2, 1867/3, 1868, 1869, 1870 und 1890/11 der Gemarkung Z … im Zusammenhang mit dem Neubau einer Produktionshalle. Vom Rückbau betroffen sind die Abzugsgräben 2 und 4 sowie ein nördlicher Teil des Grabens 3, ein Gewässer dritter Ordnung. Ein nördlicher Teilbereich der Gräben 3 und 4 liegt innerhalb des FFH-Gebiets „Z …tal von Z … bis S …“.
Der Antragsteller hat gegen den Bescheid vom 26. Februar 2018 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Den am 20. April 2018 eingegangenen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 25. April 2018 abgelehnt. Für den Eilantrag bestehe kein Rechtschutzbedürfnis mehr, da die verfüllten Gräben ihre ökologische Funktion verloren hätten und eine Wiederherstellung im Hinblick auf die Dauer der Entwicklung der für eine ökologische Funktion notwendigen Vegetation in absehbarer Zeit nicht möglich sei.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
1. Die A … … GmbH war als Inhaberin der angegriffenen wasserrechtlichen Plangenehmigung beizuladen, weil die Entscheidung über die Aussetzung von deren Vollziehung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 65 Abs. 2 VwGO, vgl. auch Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 65 Rn. 20).
2. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts‚ dass es dem Eilantrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO am erforderlichen Rechtschutzbedürfnis fehle, erweist sich auch in Ansehung der vom Antragsteller innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe als zutreffend.
Wie jedes gerichtliche Verfahren setzt auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Klärung der streitigen Frage voraus. Zwar liegt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis im Regelfall vor und bedarf nur in besonderen Fällen der Begründung. Die Rechtsordnung erkennt, wenn sie ein materielles Recht gewährt, in aller Regel auch das Interesse dessen, der sich als Inhaber dieses Rechts sieht, an der gerichtlichen Durchsetzung dieses Rechts an. Das Bedürfnis für einen Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz fehlt aber dann, wenn die Inanspruchnahme des Gerichts für den Rechtsschutzsuchenden nutzlos ist, weil ihm die gerichtliche Entscheidung offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 5.15 – NVwZ 2017, 75 = juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 3.4.2013 – 8 AS 13.40018 – juris Rn. 13).
So verhält es sich hier. Die Gräben Nr. 2 und 4 und der Nordteil des Grabens Nr. 3 wurden, wie die vom Landratsamt vorgelegten Lichtbilder belegen (vgl. S. 158 ff. der VG-Akte), inzwischen verfüllt. Der hieraus abgeleiteten Annahme des Verwaltungsgerichts, die Gräben hätten damit ihre ökologische Funktion (u.a. für die FFH-Art Helm-Azurjungfer) verloren, tritt der Antragsteller nicht entgegen. Er behauptet auch nicht, dass gegenwärtig noch die Gefahr besteht, dass durch noch nicht ausgeführte, mit dem wasserrechtlichen Bescheid ebenfalls genehmigte (Bau-)Maßnahmen der Lebensraum der Helm-Azurjungfer zusätzlich beeinträchtigt werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2018 – 8 CE 17.2182 – juris Rn. 10).
Vorliegend hat es der Antragsteller unterlassen, durch frühzeitige Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes die Schaffung vollendeter Tatsachen durch fortschreitende Baumaßnahmen der Beigeladenen zu verhindern. Obwohl er bereits am 26. Februar 2018 eine elektronische Kopie der Plangenehmigung erhalten hat, wurde erst am 20. April 2018 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beim Verwaltungsgericht beantragt. Die Annahme, die Anfechtungsklage entfalte aufschiebende Wirkung, war angesichts der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs in Nr. III des angegriffenen Bescheids nicht berechtigt. Auch der verwaltungsgerichtliche Hinweis vom 27. März 2018, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung haben dürfte, wurde nicht zum Anlass genommen, umgehend einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu stellen.
Der Senat verkennt nicht, dass das Rechtschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO grundsätzlich nicht schon durch den Vollzug des Verwaltungsakts oder das Gebrauchmachen eines Dritten von einem Verwaltungsakt entfällt. Dies ergibt sich bereits aus § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO, wonach in einem solchen Fall die Aufhebung der Vollziehung angeordnet werden kann (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 136; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 80 Rn. 498; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 80 Rn. 133, 163). Einen solchen Antrag hat der Antragsteller aber nicht gestellt. Ein Begehren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO umschließt nicht a priori einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 6.7.1994 – 1 VR 20.93 – NVwZ 1995, 590 = juris Rn. 94; BayVGH, B.v. 14.12.2009 – 22 CS 07.1502 – juris Rn. 14; HessVGH, B.v. 11.12.2003 – 9 TG 546/03 – InfAuslR 2004, 152 = juris Rn. 22 f.). Unabhängig davon stellt der Antragsteller die Wertung des Erstgerichts, eine Wiederherstellung der Gräben sei im Hinblick auf die Dauer der Entwicklung der für eine ökologische Funktion notwendigen Funktion in absehbarer Zeit nicht möglich, nicht infrage.
Nach Eintritt vollendeter Tatsachen lässt sich ein Rechtschutzbedürfnis für den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aus seiner Stellung als anerkannte Umweltvereinigung (§ 3 UmwRG) ableiten. Seine Argumentation, ihm sei vorläufiger Rechtsschutz aufgrund der ihm vom Gesetzgeber – in Umsetzung der Richtlinie 2011/92/EU (vgl. dort Erwägungsgrund 19) i.V.m. der Aarhus-Konvention – übertragenen „Wächterfunktion“ zur Einhaltung von Umweltvorschriften auch dann noch offenzuhalten, wenn Eingriffe in Umweltschutzgüter vollzogen wurden, überzeugt nicht. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz sieht eine derartige Privilegierung anerkannter Umweltvereinigungen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht vor. Im Übrigen verlangen dies weder das Unionsrecht noch die Aarhus-Konvention. Art. 9 Abs. 4 AK, der allgemeine Anforderungen an die Ausgestaltung gerichtlichen Zugangs aufstellt, fordert die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes „soweit angemessen“ (vgl. Satz 1 Halbsatz 1), sodass den Vertragsstaaten insoweit ein beachtlicher Gestaltungsspielraum zusteht (vgl. Epiney/Diezig/Pirker/Reitemeyer, Aarhus-Konvention, 2018, Art. 9 Rn. 41). Der Europäische Gerichtshof hat hierzu – unter Hinweis auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Art. 9 AK – das Recht von Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit abgeleitet, zur Sicherung der vollen Wirksamkeit einer späteren Gerichtsentscheidung einstweilige Anordnungen zu beantragen, die geeignet sind, gegebenenfalls die Vollziehung einer angefochtenen Genehmigung vorübergehend auszusetzen (vgl. EuGH, U.v. 15.1.2013 – C-416/10 – NVwZ 2013, 347 = juris Rn. 106 f., 109 f.). Dies impliziert aber auch für anerkannte Umweltvereinigungen nicht das Recht, vorläufigen Rechtsschutz ungeachtet des Eintritts vollendeter Tatsachen zu beanspruchen. Weder die Aarhus-Konvention noch die Richtlinie 2011/92/EU verlangen es, gerichtlichen Eilrechtsschutz einzuräumen, der infolge des Eintritts vollendeter Tatsachen seine Sicherungsfunktion zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (vgl. auch Schmidt in Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 55) nicht mehr erreichen kann. Das geltend gemachte Interesse des Antragstellers, als anerkannte Umweltvereinigung gleichwohl ein „wichtiges Signal“ als „Wächter“ der Einhaltung von Umweltvorschriften zu setzen, ist kein jenseits der Prozessordnung rechtlich geschützter Selbstzweck (vgl. hierzu auch Seibert in NVwZ 2018, 97/104).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG unter Orientierung an Nr. 34.4 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hierbei entspricht es – im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 15.9.2015 – 9 KSt 2.15 u.a. – NuR 2016, 127 = juris Rn. 5 m.w.N.) – der Handhabung des Senats, den Streitwert für Verbandsklagen eines Naturschutzvereins in planfeststellungsrechtlichen Streitigkeiten in der Regel mit 30.000 Euro zu bemessen (vgl. BayVGH, B.v. 15.5.2018 – 8 ZB 17.1341 – juris Rn. 36; B.v. 22.2.2017 – 8 ZB 15.2162 – juris Rn. 40). Umstände, die für den vorliegenden Fall die Annahme eines niedrigeren Streitwerts nahelegen, sind weder dargelegt noch erkennbar. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird der Streitwert gegenüber der Hauptsache halbiert (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013). Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts war entsprechend abzuändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).