Aktenzeichen AN 4 S 18.31385
AsylG § 36 Abs. 3 S. 8, Abs. 4 S. 1, § 71a Abs. 4
GFK Art. 33
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz
Die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnungsentscheidung im Asylverfahren setzt nicht voraus, dass ein weitergehendes Bleiberecht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gewährt werden muss. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragsteller, kasachische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens, betreiben Klageverfahren (AN 4 K 17.30923, AN 4 K 17.30969) gegen die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 13. bzw. 14. Februar 2017. Darin hatte das Bundesamt über die Asylanträge der Antragsteller vom 17. bzw. 18. Dezember 2013 als Zweitanträge i.S.d. § 71a AsylG entschieden und jeweils als unzulässig abgelehnt sowie die Abschiebung der Antragsteller – in erster Linie – nach Kasachstan angedroht. Die gleichzeitig gestellten Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (AN 4 S 17.30922, AN 4 S 17.30968) wurden durch Beschluss des Gerichts vom 23. März 2017 abgelehnt. Auch die in der Folge gestellten Anträge auf Änderung dieses Beschlusses gemäß § 80 Abs. 7 VwGO (AN 4 E 17.31921, AN 4 S 17.34799, AN 4 S 18.30408, AN 4 S 18.30409) wurden jeweils durch Beschlüsse des Gerichts vom 19. April 2017, 24. August 2017 bzw. 20. März 2018 abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Gerichts- und beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Mit beim Gericht am 19. November 2018 eingegangenem Schreiben ließen die Antragsteller beantragen,
die Beschlüsse des VG Ansbach vom 23. März 2017, 19. April 2017, 24. August 2017 und 20. März 2018 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Zur Begründung wurde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden: EuGH) vom 19. Juni 2018 in der Rechtssache „Gnandi“ angeführt. Danach liege hier eine Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor. Beim Erlass einer Rückkehrentscheidung nach Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz müsse der betreffende Mitgliedstaat nämlich gewährleisten, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden (EuGH (GK), U.v. 19.6.2018 – Gnandi, C-181/16 – juris Rn. 67). Dies habe zur Folge, dass eine umfassende Prüfung der Entscheidung des Bundesamtes in sachlicher und rechtlicher Hinsicht erfolgen muss, bevor eine Rückkehrentscheidung vollzogen werden darf. Eine solche Prüfung sei aber bis heute nicht erfolgt, obwohl die Antragstellerin zu 3) bereits am 20. März 2018 zwangsweise rückgeführt wurde. Eine lediglich summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens genüge den Vorgaben des EuGH nicht (unter Verweis auf C. Hruschka, Asylmagazin 9/2018, 290/293).
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2018 ließen die Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragen und ergänzend ausführen, dass das Bundesamt zu Unrecht das Vorliegen von Zweitanträgen angenommen habe. Dem Bundesamt lägen keine gesicherten Kenntnisse darüber vor, dass ein vorhergehendes Asylverfahren der Antragsteller in Polen erfolglos abgeschlossen worden sei. Damit liege hier zudem eine Verletzung des Rechts auf ein faires Asylverfahren und des Rechts auf ein effektives Klageverfahren vor.
Von der Antragsgegnerin ist bis zum Zeitpunkt der heutigen Entscheidung keine Stellungnahme eingegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Anträge haben keinen Erfolg.
1. Hinsichtlich der Beschlüsse vom 19. April 2017, 24. August 2017 und 20. März 2018 sind die Anträge bereits unzulässig, weil Gegenstand eines Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO nur der ursprüngliche Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO sein kann.
2. Hinsichtlich des Beschlusses vom 23. März 2017 sind die Anträge jedenfalls unbegründet, da nach wie vor keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen, § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
a) Zunächst bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Bundesamt zu Recht das Vorliegen von Zweitanträgen i.S.d. § 71a AsylG angenommen hat. Den gerichtlichen Ausführungen im Beschluss vom 23. März 2017 wurde im hiesigen Verfahren nichts Maßgebliches entgegengesetzt. Zudem ist weder dargelegt noch sonst wie ersichtlich, dass die Geltendmachung der in der Antragsbegründung genannten Umstände im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden unterblieben wäre, vgl. § 80 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 VwGO.
b) Ferner bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das deutsche Asylverfahrensrecht den im Urteil „Gnandi“ aufgestellten Rechtsschutzanforderungen genügt.
aa) Es ist bereits nicht ersichtlich, welche ernsthaften Gründe es befürchten lassen, dass die Antragsteller im Zielstaat Kasachstan tatsächlich der Gefahr einer Art. 18 GRCh i.V.m. Art. 33 GFK oder Art. 19 Abs. 2 GRCh widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein könnten (vgl. EuGH (GK), U.v. 19.6.2018 – Gnandi, C-181/16 – juris Rn. 54, 56). Insbesondere hat der Antragsteller zu 1) nach wie vor nicht substantiiert dargelegt, inwiefern eine Abschiebung zu einer wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bis hin zu einer Selbstgefährdung führen würde.
bb) Jedenfalls ist durch die Möglichkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Abschiebungsandrohung bis zu Entscheidung über die Ablehnung der Zweitanträge ausgesetzt werden.
Gegen die Ablehnung eines Zweitantrags steht dem Antragsteller der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Verfügung. Die rechtzeitige Antragstellung bewirkt die Aussetzung des Vollzugs der Abschiebung kraft Gesetzes, § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 20. Ed. 1.8.2018, AsylG § 36 Rn. 18). Damit ordnet das Gesetz der Sache nach eine aufschiebende Wirkung des Antrags gegen die Abschiebungsandrohung an, da der Antragsteller bis zum Abschluss des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben darf (i.E. auch VG Münster, B.v. 8.10.2018 – 9 L 976/18 – juris Rn. 11; VG Berlin, B.v. 28.8.2018 – 36 L 321.18 A – juris Rn. 13). Vorliegend hatten die Antragsteller auch fristwahrend einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und in diesem Verfahren Gelegenheit gehabt, ihre Einwände gegen die Bundesamtsentscheidungen in vollem Umfang geltend zu machen.
Die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnungsentscheidung setzt aber nicht voraus, dass ein weitergehendes Bleiberecht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gewährt werden muss. Weder das Urteil „Gnandi“ noch die Vorgängerentscheidungen enthalten Vorgaben über die konkrete Verfahrensart oder die gebotene Prüfungsdichte (vgl. EuGH, U.v. 18.12.2014 – Abdida, C-562/13 – Celex-Nr. 62013CJ0562; U.v. 17.12.2015 – Tall, C-239/14, BeckRS 2015, 82003). Vielmehr differenziert der EuGH in einer Folgeentscheidung klar zwischen dem Bleiberecht bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Ablehnungsentscheidung und dem Bleiberecht bis zur Entscheidung über den dieses weitergehende Bleiberecht betreffenden (Eil-)Rechtsbehelf und überträgt seine Rechtsprechungsgrundsätze ausschließlich auf den letzteren Zeitraum (EuGH, B.v. 5.7.2018 – PPU, C-269/18 – Celex-Nr. 62018CO0269 Rn. 55). Damit stellt der EuGH klar, dass in Fällen, in denen die Klage gegen die Ablehnungsentscheidung keine aufschiebende Wirkung hat, dem Antragsteller kraft Gesetzes kein weitergehendes Bleiberecht zusteht, sondern nur das Recht auf eine gerichtliche Entscheidung über das weitergehende Bleiberecht (vgl. Bundesamt, Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 5). Die zwingende Gewährung eines weitergehenden Bleiberechts hätte sonst praktisch zur Folge, dass die nationalen Gerichte dem (Eil-)Rechtsbehelf stets stattgeben, im Falle des § 80 Abs. 5 VwGO also stets die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen müssten. Dieses Ergebnis widerspräche aber der klaren Aussage des EuGH, dass es mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung und mit Art. 47 GRCh grundsätzlich zu vereinbaren ist, wenn ein Rechtsbehelf gegen die Ablehnungsentscheidung keine aufschiebende Wirkung hat, da deren Vollzug für sich genommen nicht zur Abschiebung des Antragstellers führen kann (EuGH (GK), U.v. 19.6.2018 – Gnandi, C-181/16 – juris Rn. 55).
Nach alledem waren die Anträge abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
4. Mit Verweis auf die vorstehenden Ausführungen hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, sodass der die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen war, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das Gericht war daher nicht verpflichtet, den Eingang weiterer Unterlagen zum Nachweis der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzuwarten.
5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.