Aktenzeichen RN 14 K 18.30289
Leitsatz
1. Allein die Tatsache, dass Homosexualität oder homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt werden, führt nicht ohne Weiteres dazu, dass ein Homosexueller aus diesem Land als Flüchtling anzusehen ist. Von einer Verfolgung ist nur dann auszugehen, wenn die Strafe praktisch auch verhängt wird (Anschluss an EuGH NVwZ 2014, 132). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn die Lebensumstände in Sierra Leone zwar äußerst schwierig sind, musss gleichwohl davon ausgegangen werden, dass sich ein arbeitsfähiger Mann ein Existenzminimum – wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs – erwirtschaften kann. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen, ihm den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen und das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz1 AufenthG zu verneinen sowie den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt gemäß den §§ 31 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG sowie den §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden. Die Klage war daher abzuweisen.
1. Die Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids, den Antrag des Klägers im Hinblick auf die Anerkennung als Asylberechtigter abzulehnen, ist bestandskräftig geworden. Der Kläger hat diese Entscheidung mit seiner Klage nicht angegriffen (vgl. VGH BW, U. v. 26.10.2016 – A 9 S 908/13 – juris).
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift.
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris).
Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Die Flüchtlingseigenschaft kann allerdings nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesem Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 24).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85 – juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris, Rn. 3).
b) Dies zugrunde gelegt erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Der Kläger selbst hat keine Vorverfolgung in seinem Heimatland vor seiner Ausreise aus Sierra Leone geltend gemacht. Er hat sein Heimatland mit einem gültigen Visum verlassen und hat erst aufgrund von Umständen, die nach seiner Ausreise stattgefunden haben, einen Asylantrag in Deutschland gestellt.
Der Kläger hat auch nicht glaubhaft machen können, dass ihm im Falle der Rückkehr in sein Heimatland aufgrund seiner sexuellen Neigung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Verfolgung droht. Nach den dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Auskünften ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone wegen seiner (unterstellten) Homosexualität mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen rechnen muss.
Homosexualität wird zwar in Sierra Leone von vielen Teilen der Bevölkerung abgelehnt und als Verstoß gegen traditionelle Normen und Werte betrachtet. Dem Kläger droht aber deshalb nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgungshandlung nach § 3 a Abs. 1 AsylG in Form einer unverhältnismäßigen Bestrafung i.S.v. § 3 a Abs. 2 Nr. 3 AsylG durch den sierra-leonischen Staat. Zwar kann je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Allein die Tatsache, dass Homosexualität oder homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt werden, führt aber gleichwohl nicht ohne Weiteres dazu, dass ein Homosexueller aus diesem Land als Flüchtling anzusehen ist. Von einer Verfolgung ist nur dann auszugehen, wenn die Strafe praktisch auch verhängt wird. Dies ist vom Gericht positiv festzustellen (EuGH, U. v. 7.11.2013 – C-199/12 bis C-201/12 – juris; VG Düsseldorf, U. v. 13.12.2013, 13 K 3683/13.A – juris).
In Sierra Leone gibt es ein Gesetz aus der britischen Kolonialzeit, das formal nicht außer Kraft gesetzt wurde und männliche Homosexualität verbietet. Weibliche Homosexualität ist dagegen gesetzlich nicht untersagt. Laut diesem Gesetz aus dem Jahr 1861 ist bei Männern zehn Jahre Gefängnisstrafe für die Absicht einer unzüchtigen Handlung angesetzt. Das Gesetz wird jedoch in der Praxis nicht angewendet (vgl. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu Sierra Leone in der Gültigkeit vom 6.3.2019; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Sierra Leone, Gesamtaktualisierung 4.7.2018, S. 16). Von dieser gesetzlichen Lage geht auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 7.11.2013 (C-199/12 bis C-201/12 – juris) aus. Nach Section 61 des Gesetzes von 1861 über Straftaten gegen die Person (Offences against the Person Act 1861) droht einer Person bei homosexuellen Handlungen eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren bis lebenslänglich. In der Entscheidung stellt der Europäische Gerichtshof aber klar, dass das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, nicht als Maßnahme betrachtet werden kann, die einen Antragsteller in so erheblicher Weise beeinträchtigt, dass der Grad an Schwere erreicht wird, der erforderlich ist, um die Strafbarkeit als Verfolgung ansehen zu können. Erst die tatsächliche Verhängung einer derartigen Freiheitsstrafe stellt eine Verfolgungshandlung dar. Da nach den Ausführungen des Auswärtigen Amtes das Gesetz aus dem Jahre 1861 in Sierra Leone nicht angewendet und demnach auch keine Freiheitsstrafe bei homosexuellen Handlungen verhängt werden, kann aus dem Bestehen der Strafvorschrift keine Verfolgung als Mitglied einer sozialen Gruppe abgeleitet werden. Nach derzeitiger Erkenntnislage scheidet daher eine Flüchtlingsanerkennung von Homosexuellen in Sierra Leone aufgrund einer staatlichen Verfolgung regelmäßig aus.
Handlungen von Privatpersonen gegenüber Homosexuellen stellen sich somit – je nach Art der Handlung – als kriminelles Unrecht oder als nicht strafbare Beschimpfung oder Belästigung dar. Sie sind dem sierra-leonischen Staat auch nicht gemäß § 3c Nr. 3 AsylG zuzurechnen; denn dem Gericht liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass staatliche Behörden in Sierra Leone gegen derartige Handlungen erwiesenermaßen keinen Schutz gewähren würden (so ausdrücklich auch: VG Regensburg, U.v. 2.2.2017 – RN 5 K 16.30089 – juris; bestätigt durch: BayVGH, B.v. 23.11.2017 – 9 ZB 17.30302 – juris). Sollte der Kläger daher tatsächlich von einer kriminellen Bande wegen seiner (vermeintlichen) Homosexualität verfolgt werden, so ist es ihm zuzumuten, sich diesbezüglich an die sierra-leonische Polizei zu wenden.
Aufgrund des persönlichen Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat und auch wegen der äußerst vagen oberflächlichen Angaben des Klägers zu den Geschehnissen in Sierra Leone hat das Gericht allerdings bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger überhaupt homosexuell veranlagt ist. Trotz mehrfacher Nachfragen des Gerichts blieben die Schilderungen des Klägers zu seinen angeblichen Beziehungen zu Männern oberflächlich und vage und waren von keinerlei Emotionalität geprägt. Der Kläger konnte kein Schlüsselerlebnis benennen, in dem ihm seine homosexuelle Veranlagung erstmalig bewusst wurde. Es ist sehr ungewöhnlich, dass diese Veranlagung nicht im Rahmen der Pubertät erstmals „zu Tage trat“; sondern erst im Erwachsenenalter. Zudem unterscheiden sich die Aussagen des Klägers hierzu. Während der Kläger im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt angab, er habe seine erste homosexuelle Beziehung mit Herrn M* … K* … gehabt, den er etwa 2010, also mit über 40 Jahren kennengelernt habe, berichtete der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung von einer angeblichen Beziehung mit 18-20 Jahren. Sowohl die Schilderungen betreffend die Beziehung zu seinem ersten Freund als auch die zu Herrn M* … K* … lassen aber nicht zwingend auf eine gleichgeschlechtliche Liebesbeziehung schließen, sondern unterscheiden sich nicht von einer guten Männerfreundschaft. Der Kläger selbst gab an, dass es mit seinem ersten Freund Herrn A* … zu keinerlei sexuellem Kontakt gekommen ist, obwohl der Kläger mit ihm 2 Jahre ein Zimmer an der Universität geteilt hat. Auch bei der Beziehung zu Herrn K* … handelt es sich nicht zwingend um eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Der Kläger gab an, sie hätten vieles miteinander unternommen, sie hätten geredet und er habe sich einfach wohl gefühlt in der Nähe von Herrn K* … Der Kläger ist verheiratet und hat 3 Kinder. Nach seinen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung sind seine Kinder 21, 9 und 4 Jahre alt. Zumindest die beiden jüngeren Kinder sind damit zu einem Zeitpunkt entstanden, als der Kläger nach seinen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits eine homosexuelle Beziehung unterhielt. Dies lässt zumindest Zweifel an der Schilderung betreffend die Homosexualität aufkommen. Der Kläger hat in Deutschland noch keine sexuelle Beziehung gehabt, obwohl er sich schon seit 2 Jahren hier aufhält. Auch dies scheint im Falle einer tatsächlich homosexuellen Neigung ungewöhnlich. Es drängt sich auf, dass ein homosexuell veranlagter Mann, der erstmals in Deutschland die Möglichkeit hat, die eigene Sexualität gefahrlos auszuleben, sich aktiv bemüht, einen entsprechenden Partner zu finden. Die Erklärung des Klägers, er sei wegen der Ereignisse in seinem Heimatland traumatisiert, wertet das Gericht diesbezüglich als reine Schutzbehauptung. Das Gericht hat daher erhebliche Zweifel an der tatsächlich bestehenden Homosexualität des Klägers.
Dies kann hier jedoch dahinstehen, denn selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers hat dieser im Falle seiner Rückkehr nach Sierra Leone weder mit staatlich veranlassten Verfolgungsmaßnahmen noch mit einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu rechnen. Eine Verfolgung geht weder von angeblichen Angreifern seines ehemaligen Partners noch von seiner Familie aus.
Der Kläger selbst hat weder bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, Probleme mit staatlichen Stellen gehabt zu haben. Im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt hat der Kläger ausdrücklich angegeben, dass es in seiner Zeit in Sierra Leone zu keinen Schwierigkeiten gekommen sei, da er seine Homosexualität erfolgreich geheim halten konnte.
Die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin ist davon überzeugt, dass sich die von dem Kläger geschilderten Geschehnisse nach seiner Ausreise aus Sierra Leonedie Steinigung seines damaligen Lebenspartners und die darauf folgende Bedrohung seiner eigenen Familie – nicht so zugetragen haben wie behauptet. Seine diesbezüglichen Angaben sind unsubstantiiert, oberflächlich und teilweise widersprüchlich und entbehren jeder Emotionalität.
Nur beispielhaft weist das Gericht dazu auf folgende Ungereimtheiten hin:
– Der Kläger schilderte im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass er 3 Kinder habe. Seine Tochter sei 21 (bald 22 Jahre alt), seine Söhne seien 9 und 4 Jahre alt. Er habe in einer Spielpause während der WM in D* … von seiner Tochter namens S* … über WhatsApp eine Nachricht erhalten, dass sein damaliger Partner Mister M* … gesteinigt worden sei. Im Rahmen des Verfahrens beim Bundesamt legte der Kläger zwei Geburtsurkunden von zweien seiner Kinder vor – eine Geburtsurkunde für einen am 16.05.1995 geborenen Sohn namens B* … und eine Geburtsurkunde für eine am 18.03.1998 geborene Tochter I* … Die Angaben des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung passen nicht zusammen mit den vom Kläger vorgelegten Geburtsurkunden für seine Kinder. Für eine Tochter namens S* … wurde keine Geburtsurkunde vorgelegt, seine Tochter heißt I* … Ausweislich der Geburtsurkunde ist seine Tochter am 18.03.1998 geboren und war daher zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 03.07.2019 auch nicht knapp 22 Jahre alt, sondern gerade 21. Der Kläger konnte auch die Telefonnummer seiner Tochter nicht auswendig benennen. Auch wenn dies in der heutigen Zeit nicht völlig ungewöhnlich ist, so passt dies dennoch in das Gesamtbild, das das Gericht aufgrund der unterschiedlichen Angaben beim Bundesamt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat.
– Der Kläger gab im Rahmen der mündlichen Verhandlung an, er sei schon in Sierra Leone wegen seiner sexuellen Orientierung bedroht worden. Er sei eines Tages im Stadion beim Training von Mannschaftskollegen angesprochen worden, die im Radio gehört hätten, dass er dort gesagt habe, dass die Rechte für Schwule gestärkt werden müssten. Auf Nachfrage des Gerichts gab der Kläger an, er sei von einem Radiosender zu dem Thema Schwule und Lesben und Prostitution eingeladen worden, nachdem er davor bei einer Demonstration für Schwulenrechte teilgenommen hatte. Der Kläger schilderte allerdings nicht genauer, wann dieses Radiointerview gewesen sein soll und auch sonst keinerlei Einzelheiten über dieses Interview. Demgegenüber gab er im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt an, er habe in seiner Zeit in Sierra Leone erfolgreich geheim halten können, dass er homosexuell ist. Von einem Radiointerview und einer Demonstration für Schwulenrechte erwähnte der Kläger nichts. Hier wies er nur allgemein darauf hin, dass er ein Aktivist für Menschenrechte sei und für die Rechte von Homosexuellen. Er gab aber nicht an, dass er an einer bestimmten Demonstration für die Rechte von Homosexuellen teilgenommen habe. Dies passt auch nicht zusammen mit der Äußerung, er habe seine Homosexualität erfolgreich geheim halten können. Im Rahmen des in den Niederlanden eingereichten Asylantrages schilderte der Kläger, dass sich der Zwischenfall mit Mannschaftskollegen während seines Aufenthalts in Deutschland ereignete und gab dies als Grund dafür an, warum er nicht nach Deutschland zurück könne. Auch dies ist widersprüchlich.
– Im Rahmen der mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger, dass er Anfang Januar 2017 in Brookfields an einer Demonstration für die Rechte von Homosexuellen teilgenommen habe. Der Klägervertreter führte dazu aus, dass es sich dabei um die Demo handelt, für die bereits im Klageverfahren Fotos vorgelegt worden seien. Auffällig ist, dass der Kläger die Teilnahme an dieser Demonstration im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt nicht erwähnte. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung machte der Kläger keine näheren Angaben zu der Demonstration. Er führte weder aus, wann sie genau stattfand noch mit welchem Ziel und wer daran alles teilgenommen hat. Nach der Internetrecherche fand diese Demonstration in Brookfields allerdings anlässlich des „International human rights day“ am 10. Dezember 2012 statt und nicht im Januar 2017. Dementsprechend ist auf dem Plakat im Hintergrund der im Verfahren vorgelegten Kopie des Fotos auch das Datum „10. Dezember“ zu lesen. Am 10. Dezember 2012 hielt sich der Kläger allerdings nach den Angaben in der Entscheidung der Niederländischen Behörden vom 10.12.2014 gar nicht in Sierra Leone auf. In dem dortigen Sachverhalt ist aufgelistet, dass der Kläger am 5.12.2012 einen ersten Asylantrag in den Niederlanden gestellt hat und am 26.11.2014 einen zweiten, ohne in sein Herkunftsland zurückgekehrt zu sein.
– Die Schilderung des Klägers betreffend das Schicksal seines damaligen angeblichen Partners Herrn Mohamed K* … waren oberflächlich und nach dem Eindruck des Gerichts emotionslos. Weder gab der Kläger an, wer Herrn K* … umgebracht haben soll noch wann dies geschehen sein soll noch wie seine Tochter davon genau erfahren haben will. Er schilderte keinerlei Einzelheiten, wie sie selbstverständlich wären, wenn jemand über etwas tatsächlich Erlebtes berichtet. Auffällig war vor allem, dass der Kläger sich offenbar auch im Nachhinein nicht bemüht hat, an genauere Informationen zu diesem Vorfall zu gelangen und das, obwohl er nach seinen eigenen Ausführungen regelmäßig Kontakt zu seiner Tochter hat. Es bleibt im Dunkeln, wer Herrn K* … umgebracht hat und wann die mutmaßlichen Täter bei seiner Familie nach dem Kläger gesucht haben sollen. Soweit der Klägervertreter auf Gefühlsregungen seines Mandanten hingewiesen hat, waren diese nach dem Eindruck des Gerichts nicht bei den Schilderungen betreffend die Ermordung von Herrn K* … zu beobachten und wirkten eher einstudiert als echt.
– Hauptgrund für die fehlende Möglichkeit in seine Heimat zurückzukehren ist nach der Aussage des Klägers die Furcht, dass die Angreifer seines Freundes auch ihm etwas antun könnten. Diesbezüglich bleibt die Befürchtung allerdings völlig vage. Er wisse, nicht wer das getan habe und werde das auch nie erfahren. Das passt nicht zusammen mit der Tatsache, dass der Kläger beim Bundesamt ein Video von der angeblichen Steinigung seines Freundes M* … gezeigt hat, welches er von einem Freund erhalten haben will. Von diesem Video wiederum war im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine Rede mehr.
Im Ergebnis ist das Gericht daher zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht von wahren Begebenheiten berichtet hat und hält die vorgetragenen Geschehnisse für unglaubwürdig.
An dieser Einschätzung des Gerichts ändern auch die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Beweismittel nichts.
– Aus den lediglich in Kopie vorgelegten Fotos von der angeblichen Steinigung von Herrn K* … ist weder ersichtlich, wann diese aufgenommen wurden noch von wem und wer auf dem Foto zu sehen istob es sich also tatsächlich um Herrn K* … handelt. Auch bleibt für das Gericht im Dunkeln, wie der Kläger in den Besitz der Kopien gekommen ist und wann. Die Echtheit der Fotos kann nicht überprüft werden. Außerdem würde selbst ein Foto von der Steinigung von Herrn K* … noch nicht beweisen, dass deshalb der Kläger selbst in Sierra Leone in Gefahr wäre.
– Dem Gericht wurde auch lediglich eine Kopie der angeblichen WhatsApp Nachricht der Tochter vorgelegt. Es ist weder ersichtlich, ob es sich tatsächlich um eine WhatsApp Nachricht handelt noch von wem sie stammt noch wann der Kläger sie erhalten hat geschweige denn, ob der Inhalt der Nachricht echt ist. Dieser Ausdruck hat keinerlei Beweiswert.
– Bei dem Auszug aus dem „Examiner News SL“ handelt es sich lediglich um einen Internet Blog. Nähere Informationen über den Verfasser und den Leserkreis sind nicht bekannt. Über den Wahrheitsgehalt sagt die Veröffentlichung einer Privatperson in einem Internet Blog nichts aus. Auch diesem Blog kommt daher keinerlei Beweiswert zu.
– Auch die seitens des Klägervertreters vorgelegten Unterlagen von der Witwe des damaligen Präsidenten der Republik Sierra Leone haben keinen Beweiswert im Hinblick auf das vorgetragene Verfolgungsschicksal des Klägers. Wiederum handelt es sich auch bei diesen Dokumenten nicht um Originale sondern lediglich um Kopien, deren Echtheit nicht überprüft werden kann. Selbst wenn der Kläger tatsächlich als Privatsekretär für den ehemaligen Präsidenten gearbeitet hat, ändert dies nichts an der Einschätzung des Gerichts. Nach den Ausführungen des Klägers war der Kläger vor 1989 bis ins Jahr 2003 für den ehemaligen Präsidenten als Dolmetscher tätig und hat in dieser Zeit im Exil in Guinea gelebt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger wegen dieser vor über 15 Jahren beendeten Tätigkeit im Hintergrund eines Politikers im Ausland einen so hohen Bekanntheitsgrad in Sierra Leone erworben hat, dass er im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone deshalb erkannt werden würde und wegen einer angeblich bestehenden Homosexualität verfolgt werden würde.
– Auch dem erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten Scheidungsurteil kommt im Hinblick auf das vom Kläger vorgetragene Verfolgungsschicksal kein Beweiswert zu. Zum einen hat das Gericht schon Zweifel an der Echtheit des vorgelegten Dokuments, zum anderen sagt es auch nichts in Bezug auf die tatsächlich bestehende Homosexualität des Klägers aus. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben am 14.2.1995 traditionell geheiratet. Die Hochzeit fand vor einem Imam und einem Pastor statt. Dass diese rein religiöse Eheschließung staatlicherseits wieder geschieden wird, scheint dem Gericht unglaubwürdig. Nach der Internetrecherche der zur Entscheidung berufenen Einzelrichterin wird eine nach muslimischem Recht geschlossene Ehe durch einen Beschluss eines Sharia-Gerichts mit der Bestätigung der Verstoßung aufgehoben und in ein Scheidungsregister eingetragen, nur eine zivilrechtlich geschlossene Ehe wird durch ein Scheidungsurteil aufgehoben. Zuständig für eine Scheidung ist nach dem Local Courts Act aus 2011 der Magistrate’s Court als untergeordnetes Gericht und nicht der High Court. Zudem beweist dieses Dokument – dessen Echtheit unterstelltauch nicht die Homosexualität des Klägers. Es handelt sich dabei nur um so etwas ähnliches wie ein Versäumnisurteil nach deutschem Recht. Die Frau des Klägers hat die Scheidung wegen angeblicher Untreue und Homosexualität beantragt. Der Kläger hatte drei Monate Zeit sich zu diesem Vorwurf zu äußern. Nachdem diese Dreimonatsfrist ohne Stellungnahme des Klägers verstrichen ist, wird das vorläufige Scheidungsurteil (das dem Gericht nicht vorgelegt wurde) rechtskräftig. Beweiswert im Hinblick auf eine tatsächlich bestehende Homosexualität ist diesem nicht beizumessen, selbst wenn es entgegen der Überzeugung des Gerichts echt wäre.
– Auch aus der erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten angeblichen Anzeige des Frau des Klägers bei der Polizei lässt sich keine landesweite Gefahr einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone ableiten. Aus dem Dokumentdie Echtheit unterstelltlässt sich nur ableiten, dass die Frau des Klägers keinen Kontakt mehr zu diesem möchte. Daraus ergibt sich aber in keiner Weise, dass sich der Kläger deshalb nicht mehr in Sierra Leone aufhalten könnte.
c) Letztlich kann dies alles dahinstehen, nachdem es dem Kläger möglich und zumutbar wäre, sich in einem anderen Teil von Sierra Leone aufzuhalten. Es besteht damit jedenfalls auch interner Schutz nach § 3 e AsylG. Danach wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Eine den genannten Anforderungen genügende Ausweichmöglichkeit würde der Kläger innerhalb der Republik Sierra Leone, deren Staatsangehörigkeit er nach eigenem Bekunden besitzt, jedenfalls in den anderen Großstädten Sierra Leones vorfinden. Verfolgte Personen können in andere Landesteile umziehen. Sie sind dabei keinen besonderen Einschränkungen unterworfen. Angesichts der in Sierra Leone bestehenden infrastrukturellen Mängel ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger, soweit diese über zwei Jahre nach den angeblich fluchtauslösenden Umständen überhaupt noch ein Interesse an einer Verfolgung des Klägers haben sollten, ihn auffinden können sollten, wenn sich der Kläger in anderen Großstädten des Landes niederlässt. In Sierra Leone gibt es kein ausreichendes Melderegister (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017).
Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich in einem anderen Landesteil eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann der Kläger aufgrund seiner überdurchschnittlichen Schulbildung und seiner Berufserfahrung und den beruflichen Erfahrungen aus Deutschland ein zumutbares Existenzminimum erwirtschaften. Der Kläger ist gesund und arbeitsfähig. Dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone sicherzustellen, steht zur Überzeugung des Gerichts fest.
Dies gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger als Tischtennisspieler bereits an Weltmeisterschaften teilgenommen hat und im Laufe seines Lebens für den damaligen Präsidenten von Sierra Leone gearbeitet hat. Daraus ist nach der Überzeugung des Gerichts nicht so ein Bekanntheitsgrad abzuleiten, dass der Kläger überall in Sierra Leone sofort erkannt würde und ein Bezug zu seiner Homosexualität hergestellt werden würde und er deshalb verfolgt würde. Seine Tätigkeit für den ehemaligen Präsidenten von Sierra Leone fand in den Jahren 1989 bis 2003 statt und ist deshalb schon seit über 15 Jahren beendet. Der Kläger lebte mit dem ehemaligen Präsidenten in Guinea im Exil und war im Hintergrund als Übersetzer tätig. Aus dieser Tätigkeit resultiert kein Bekanntheitsgrad in Sierra Leone, so dass nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr in eine Großstadt in Sierra Leone deshalb wiedererkannt werden würde.
Im Hinblick auf seine „Karriere“ als Tischtennisspieler ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger selbst im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass es sich dabei um sein Hobby handelt. Der Kläger hat die Schule mit dem Abitur abgeschlossen, hat an der Universität studiert und war viele Jahre in Guinea beschäftigt. Seit 2010 hatte er ein Gewerbe angemeldet und war in der IT-Branche tätig. Er konnte trotz seiner Teilnahme an professionellen Tischtennis-Wettkämpfen und seiner angeblichen Homosexualität offensichtlich von 2011 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2017 unbehelligt in seinem Heimatland leben. Warum ihm dies nicht auch bei einer Rückkehr nach Sierra Leone wieder möglich sein sollte, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Nach der Internetrecherche der zur Entscheidung berufenen Einzelrichterin ist nicht davon auszugehen, dass Tischtennis in Sierra Leone einen derart hohen Stellenwert einnimmt, dass man den Kläger deshalb bei einer Rückkehr über 2 Jahre nach dem letzten internationalen Wettkampf sofort wiedererkennt. Zu der „Tischtenniskarriere“ des Klägers findet sich im Internet so gut wie nichts. Das Gericht war auch nicht in der Lage, die Angaben des Klägers betreffend seiner Platzierungen in der Weltrangliste zu verifizieren. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger nach einer Rückkehr nach Sierra Leone in einer Großstadt unbehelligt leben könnte.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft schied daher aus.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a) Dass dem Kläger in Sierra Leone die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Akteure droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 AsylG), ist nicht ersichtlich.
Die vom Kläger befürchtete Verfolgung wegen homosexueller Handlungen entspricht nicht der aufgezeigten Erkenntnislage (vgl. dazu die Ausführungen unter 2.).
Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Verfassung von Sierra Leone Folter und andere grausame, inhumane oder entwürdigende Praktiken oder Bestrafungen verbietet. Die Todesstrafe ist für die Kapitalverbrechen Landesverrat und schwerer Raub vorgesehen. Bei Mord ist sie zwingend vorgeschrieben. Die Kommission für Wahrheit und Versöhnung hat in ihrem Abschlussbericht deren Abschaffung empfohlen (vergleiche Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar islamische Länder – Bd. 17, Sierra Leone, Mai 2010). Auch wenn die Todesstrafe noch nicht abgeschafft ist, so wird ein Moratorium beachtet. Seit 1998 wurde sie nicht mehr praktiziert (BFA, Länder Informationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 03.05.2017).
b) Nach der Überzeugung des Gerichts ist es aber auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für den Kläger die Gefahr besteht, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne der §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG zu erleiden.
Soweit der Kläger vorgetragen hat, Angst vor Diskriminierung wegen seiner Homosexualität zu haben oder Angst vor einer Verfolgung, wären derartige Bedrohungen einem nichtstaatlichen Akteur im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG zuzurechnen, dem Gericht liegen allerdings keine Erkenntnisse darüber vor, dass der Staat nicht ausreichend Schutz vor einer derartigen Handlung gewähren würde. Abgesehen davon besteht die Möglichkeit des landesinternen Schutzes in den Großstädten der Republik Sierra Leone ( vgl. hierzu die Ausführungen unter 2.).
c) Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erkennbar.
Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson werde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 Elgafaji – juris = Slg. 2009, I-921).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch nicht auszugehen. Der in Sierra Leone elf Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2002 beendet. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist stabil. Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen im Jahr 2005 die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 6; Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar Islamische Länder – Band 17, Sierra Leone, Mai 2010).
4. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist, ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C.15.12 – juris = BVerwGE 146, 12; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris = BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489; EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 – Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 – NJOZ 2012, 952). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681, Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückführung in den Herkunftsstaat „zwingend“ seien. Solche humanitären Gründe können auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein (so auch BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 20 B 18.30800- juris, Rn. 54).
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung der Klagepartei in ihr Heimatland nicht angenommen werden. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als zwei US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Wirtschaft wird mit etwa 51,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 26,6% und der Industriesektor mit 22,1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 19 ff.).
Die Lebensumstände in Sierra Leone sind damit zwar äußerst schwierig. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass sich ein arbeitsfähiger Mann in Sierra Leone ein Existenzminimum – wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs – erwirtschaften kann. Im Falle des Klägers kommt hinzu, dass dieser über eine gute Schulausbildung und Berufsausbildung verfügt und bereits diverse praktische berufliche Erfahrungen sammeln konnte. Auch in Deutschland ist der Kläger in der Lage, sich beruflich zu betätigen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Sierra Leone in der Lage sein wird, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Eine derartige Gefahr besteht weder aufgrund des Gesundheitszustands des Klägers noch aufgrund der humanitären Verhältnisse, die er im Falle seiner Rückkehr vorfinden würde. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt grundsätzlich das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
Bestehen für bestimmte Personengruppen allgemeine Gefahren, die nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Rahmen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich keine Berücksichtigung finden können, so kann in Einzelfällen gleichwohl Abschiebeschutz gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss, was dann der Fall ist, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris, Rn. 14 = BVerwGE 99, 324, U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris, Rn. 34 = BVerwGE 102, 249 sowie U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris, Rn. 16 = BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben.
Eine derartige Gefahr besteht jedoch nicht, was bereits oben unter Nr. 4 a) dargestellt wurde.
5. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist.
Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.