Aktenzeichen M 8 S 16.50315
GFK Art. 33
Leitsatz
1 Im Rahmen des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens und dem Konzept der normativen Vergewisserung obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Derzeit ist ungeklärt, ob das norwegische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, da aufgrund des starken Flüchtlingszustroms Norwegen Maßnahmen ergriffen hat, die unter Umständen mit dem Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK unvereinbar sind. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Mai 2016 (Az. …) wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2016, mit dem der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt, die Abschiebung nach Norwegen angeordnet und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet wurde.
Der nach eigenen Angaben am … Juni 1992 in … geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und ist chaldäisch-katholisch Glaubens. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 10. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 16. Februar 2016 einen Asylantrag.
Bei einem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 16. Februar 2016 gab der Antragsteller an, sein Herkunftsland am 23. September 2015 verlassen zu haben. Er sei über die Türkei, Russland (5 Tage Aufenthalt), Norwegen (2,5 Monate Aufenthalt), Schweden, Dänemark nach Deutschland gereist. Seine Schwester wohne in …, sein Onkel in …
Eine EURODAC-Recherche am 25. Februar 2016 ergab einen Treffer der ersten Kategorie für Norwegen, EURODAC-Nr. NO1…
Am 18. März 2016 wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Wiederaufnahmegesuch an Norwegen gerichtet. Mit Schreiben vom 23. März 2016 hat das norwegische Direktorat für Einwanderung das Wiederaufnahmegesuch akzeptiert und mitgeteilt, der Antragsteller habe in Norwegen am 28. September 2015 um internationalen Schutz nachgesucht.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 2. Mai 2016 wurde in Ziff. 1 der Asylantrag als unzulässig abgelehnt, in Ziff. 2 die Abschiebung nach Norwegen angeordnet und in Ziff. 3 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Norwegen aufgrund des dort gestellten Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1b Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Bei seiner Zweitbefragung am 2. Mai 2016 habe der Antragsteller im Wesentlichen vorgetragen, er habe von Anfang an nach Deutschland gewollt. Dies habe sein Vater mit den Schleusern ausgemacht. Die Schleuser hätten ihn jedoch zusammen mit seinem Cousin nach Norwegen gebracht. Dort habe man ihn gezwungen, Fingerabdrücke abzugeben und sie beide in ein Berghotel gebracht, wo es abgeschieden und einsam gewesen sei. In Deutschland habe er eine Schwester in … und einen Onkel in … Dieses Vorbringen sei jedoch nicht geeignet, um zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Gründe, die einer Überstellung nach Norwegen entgegenstehen könnten, seien weder vorgetragen, noch sei derartiges aus dem Akteninhalt ersichtlich. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Norwegen als zuständigen Mitgliedsstaat innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens durch Norwegen oder der endgültigen negativen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder einer Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung habe, durchzuführen (Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO). Die Anordnung der Abschiebung nach Norwegen beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das Bundesamt habe das Einreiseverbot gemäß § 75 Ziff. 12 AufenthG im Falle einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu befristen.
Gegen diesen Bescheid hat die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 17. Mai 2016, am selben Tag bei Gericht eingegangen, Klage und einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erhoben und beantragt:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Im Antrag zur Klage wurde von der Bevollmächtigten des Antragstellers ausgeführt, der Bescheid des Bundeamtes vom 2. Mai 2016 sei am 17. Mai 2016 zugestellt worden. Im Übrigen wurde zur Begründung lediglich ausgeführt, die Begründung der Klage erfolge mit gesondertem Schriftsatz.
Mit Schreiben vom 17. Juni 2016 hat das Bundesamt die Asylakte vorgelegt und mit weiterem Schreiben vom 18. Juni 2016 beantragt,
soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO gestellt ist, diesen abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG eingelegte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Mai 2016 hat in der Sache Erfolg.
1. Die Statthaftigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ergibt sich daraus, dass im Hauptsacheverfahren gegen den streitgegenständlichen Bescheid eine Anfechtungsklage statthaft ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart, wenn ein Asylbewerber die Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung seines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin-III-Verordnung begehrt (BVerwG, U. v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 13 noch zur Dublin-II-VO). Der Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO steht entgegen, dass die Dublin-III-Verordnung ebenso wie die Dublin-II-VO ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht. Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet (BVerwG, U. v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 14 noch zur Dublin-II-VO m. w. N.). Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Verpflichtung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde – hier das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) – die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 u. a., N.S. u. a. – Tz.. 96; U. v. 14.11.2013 – C-4/11, Puid – Tz. 33). Die Stellung eines solchen Ersuchens, das den Lauf von zuständigkeitsbegründenden Fristen auslöst, ist eine dem Bundesamt zugewiesene Aufgabe, die das Gericht im Fall des Durchentscheidens nicht erfüllen könnte (BVerwG, U. v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 14 noch zur Dublin-II-VO). Auch für die Aufhebung der in Ziffer 2 des Bescheids getroffenen Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart (BVerwG, U. v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 15). Gleiches gilt für die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate.
2. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsache-verfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, da derzeit die Erfolgsaussichten der Klage als offen anzusehen sind. Nach der hier gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder davon ausgegangen werden, dass sich der angefochtene Bescheid im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, noch dass der Bescheid sich als rechtswidrig darstellt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG an eine ablehnende Entscheidung in einem Asyl-Eilverfahren erhöhte Anforderungen, wenn die Auskunftslage zwischenzeitlich von einer Vielzahl anderer Verwaltungsgerichte für eine stattgebende Entscheidung als hinreichend angesehen wird (BVerfG, B. v. 214.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14). Jedenfalls in Fällen, in denen die Auskunftslage dem im Eilverfahren zuständigen Einzelrichter als nicht hinreichend eindeutig erscheinen darf, wird eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren und eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten sein oder zumindest nahe liegen. Denn in einer solchen Situation ist es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar, wenn das im Eilverfahren erst- und letztinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beziehungsweise das Bestehen eines Anordnungsanspruchs im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO verneint und es damit ermöglicht, dass praktisch kaum rückgängig zu machende Fakten geschaffen werden (BVerfG, B. v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14).
Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig erfolgte auf der Grundlage des § 27a AsylG bzw. den nunmehr geltenden § 29 Abs. 1 Nr. 1b AsylG, die Abschiebungsanordnung auf der Grundlage des § 34a AsylG und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG.
3. Nach § 29 AsylG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Im Fall des Antragstellers ist an sich Norwegen aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union i. S. v. § 29 Abs. 1 Nr. 1b AsylG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
3.1 Aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages gilt die Dublin-VO seit 1. Mai 2006 auch für Norwegen (vgl. VG Würzburg, B. v. 27.1.2014 – W 6 S 14.30036 – juris Rn. 13). Denn mit Beschluss Nr. 2001/258/EG des Rates vom 15. März 2001 über den Abschluss des Übereinkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in Island oder in Norwegen gestellten Asylantrags (ABl EG v. 3.4.2001 Nr. L 93 S. 38 f. und S. 40 ff.), erweitert durch den Beschluss Nr. 2006/167/EG des Rates vom 21. Februar 2006 über den Abschluss eines Protokolls zum Übereinkommen zwischen der europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedsstaat oder in Island oder Norwegen gestellten Asylantrags (ABl EG vom 28.2.2006 Nr. L 57 S. 15 und 16 ff.) finden die Dublin-II-Verordnung und die angenommenen Durchführungsbestimmungen auch auf die Beziehungen mit Norwegen Anwendung (siehe Art. 2 des Protokolls ABl EG vom 28.2.2006 Nr. L 57 S. 16, 17).
Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist vorliegend die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 ff.; Dublin-III-VO). Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO auf alle in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, also auch auf das am 16. Februar 2016 gestellte Schutzgesuch des Antragstellers.
Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Danach ist vorliegend Norwegen gemäß Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Nach dem EURODAC-Treffer und der Mitteilung der Behörden Norwegens hat der Antragsteller am 28. September 2015 in Norwegen einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung wird durch den für den Antragsteller erzielten EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „NO1“ belegt.
Die Ziff. „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 VO (EU) Nr. 603/2013 v. 26.6.2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über die Einrichtung von EURODAC für den Abgleich von Finger-abdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung der VO (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staaten-losen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten und Europols auf den Abgleich mit EURODAC-Daten sowie zur Änderung der VO (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung, EURODAC-VO)).
3.2 Die Zuständigkeit Norwegens ist auch nicht aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Beklagte übergegangen. Insbesondere wurde das Gesuch um Aufnahme des Antragstellers am 18. März 2016 und damit innerhalb von drei Monaten nach der Antragstellung an Norwegen gerichtet (Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin-III-VO). Auch auf Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO ergibt sich keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Denn die dort geregelte sechsmonatige Überstellungsfrist beginnt erst mit der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat.
3.3 Der Antragsteller kann der Überstellung nach Norwegen möglicherweise aber mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Norwegen systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so dass eine Überstellung nach Norwegen unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO).
Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – finden (EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris Tz. 78). Dem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaatgemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Abl. C 83/389 v. 30. März 2010, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v. 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S.559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S.685 in der Fassung der Bekanntmachung v. 20. Oktober 2010 (BGBl. II S.1198) behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention – GFK – und der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – zukommt (EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O. – juris Tz. 80).
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O.) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93, BVerfGE 94, 49 – juris Rn. 181 ff.) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
In Bezug auf Norwegen ist die erstinstanzliche Rechtsprechung bislang davon ausgegangen, dass das norwegische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln im Sinne der vorstehenden Ausführungen leidet (vgl. VG Saarland, B. v. 30.3.2016 – 3 L 163/16 – juris Rn. 5; VG Ansbach, B. v. 11.12.2015 – AN 14 S 15.50456 – juris Rn. 27; VG Augsburg, B. v. 1.10.2014 – Au 7 S 14.30535 – juris Rn. 22; VG Würzburg, B. v. 27.1.2014 – W 6 S 14.30036 – juris Rn. 16 m. w. N.). Allerdings wurde in keiner der zitierten Entscheidungen näher dargelegt, auf welchen Informationsquellen oder Erkenntnismitteln sich diese Einschätzung gründet.
Mittlerweile gibt es jedoch tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass aufgrund des starken Zustroms von ca. 31.000 Flüchtlingen nach Norwegen im Jahr 2015 Norwegen Maßnahmen ergriffen hat, die unter Umständen nicht mit den Vorgaben der GFK, insbesondere mit dem Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK vereinbar sind und möglicherweise einen systemischen Mangel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO begründen. Nach dem Jahresbericht von amnesty international 2016 (http://www.amnesty.de/jahresbericht/2016/norwegen) verabschiedete das norwegische Parlament Anfang November 2015 Änderungen zu § 32 des Einwanderungsgesetzes aus dem Jahr 2008, die zur Folge hatten, dass die norwegischen Behörden nicht mehr prüfen mussten, ob Asylsuchende vor ihrer Einreise nach Norwegen bereits in einem anderen Land einen Antrag auf Schutz gestellt hatten. Am 25. November 2015 erließ das Justizministerium eine Anweisung, wonach alle Personen, die vor Einreichen ihres Asylantrags in Norwegen in Russland gelebt hatten oder durch Russland gereist waren, nicht zum Asylverfahren zugelassen waren. Drittstaatsangehörigen, darunter auch solche ohne regulären Rechtsstatus in Russland, haben nach dem Bericht somit die Rückführung nach Russland gedroht, was bei amnesty international große Besorgnis im Hinblick auf syrische Flüchtlinge hervorrief.
Nach mehreren Zeitungsartikeln vom 30. August 2016 wurde im Juni 2016 das Asylrecht in Norwegen verschärft und sollen von den im Jahr 2015 ca. 31.000 eingereisten Asylbewerbern bis zu 15.000 wieder zurückgeschickt werden, u. a. auch nach Russland (u. a. Der Tagesspiegel, Die Welt).
In seiner Stellungnahme vom 12. Februar 2016 zu den geplanten Änderungen im norwegischen Asylrecht hat der UNHCR, dessen Wertungen im Kontext der Prüfung des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO von besonderer Relevanz sind (EuGH, U. v. 30.5.2013 – C-528/11 – Halaf vs. Bulgarien, NVwZ-RR 2013, 660 – juris Tz. 44), insbesondere zu der Regelung, wonach die Einreise von Personen zurückgewiesen werden kann, die aus einem nordischen Nachbarland einreisen, ausgeführt, diese Regelung könne nicht angewandt werden, wenn es ein Risiko der Zurückweisung („risk of refoulement“) gebe und Norwegen empfohlen, die vorgeschlagenen Maßnahmen als Weg zur Verlagerung der Verantwortung auf andere Länder, durch die der Asylsuchende möglicherweise durchgereist ist, nicht anzunehmen (UNHCR Observations on the proposed amendments to the Norwegian Immigration Act and Regulation: Høring – Endringer i utlendingslovgivningen (Innstramninger II), vom 12. Februar 2016, S. 9, http://www.refworld.org/docid/56c1c6714.html).
Im vorliegenden Eilverfahren kann nicht abschließend geklärt werden, in welcher Form die Änderungen im norwegischen Asylrecht erfolgt sind und wie deren Umsetzung erfolgt. Ebenfalls völlig offen ist, ob von den Maßnahmen auch sog. Dublin-Rückkehrer betroffen sind. Die Klärung dieser Fragen muss dem Hauptsachverfahren vorbehalten bleiben, in dem durch die Heranziehung weiterer Erkenntnismittel, insbesondere durch die Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes, diese Fragen einer Klärung zuzuführen sind.
Aus den tatsächlichen Anhaltspunkten kann zum derzeitigen Zeitpunkt aber nicht ausgeschlossen werden, dass dem Antragsteller, der über Russland nach Norwegen gereist ist, nach seiner Rückführung nach Norwegen die Zurückschiebung nach Russland droht, ohne dass sein Asylbegehren inhaltlich geprüft worden wäre, was einen Verstoß gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK bedeuten würde, was – sofern dies im norwegischen Asylrecht als Regelfall vorgesehen ist – einen systemischen Mangel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO darstellen würde.
Die Interessenabwägung ergibt vorliegend daher, dass die Interessen des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Vollzugsinteresse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung überwiegen. Würde die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet, könnte der Antragsteller nach Norwegen und von dort möglicherweise unter Verletzung des Non-Refoulement-Verbots weiter nach Russland abgeschoben werden, was so gut wie nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Stellt sich dagegen im Hauptsachverfahren heraus, dass tatsächlich keine systemischen Mängel vorliegen, führte dies im Ergebnis lediglich dazu, dass der Antragsteller den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache in Deutschland verbracht hat, obwohl er bereits jetzt hätte abgeschoben werden können, ohne dass hierbei ein unwiederbringlicher Rechtsverlust droht. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach jedenfalls in Fällen, in denen die Auskunftslage dem im Eilverfahren zuständigen Einzelrichter als nicht hinreichend eindeutig erscheinen darf, eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren und eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten sein oder zumindest nahe liegen wird, da es in einer solchen Situation mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar ist, wenn das im Eilverfahren erst- und letztinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beziehungsweise das Bestehen eines Anordnungsanspruchs im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO verneint und es damit ermöglicht, dass praktisch kaum rückgängig zu machende Fakten geschaffen werden (BVerfG, B. v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14), erscheint daher die Anordnung der aufschiebenden Wirkung angezeigt.
4. Nach alledem war dem Eilantrag daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).