Aktenzeichen M 1 K 16.1554
BV BV Art. 118 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Die Bevorzugung von Einheimischen bei der Vergabe von Baugrundstücken durch eine Gemeinde ist grundsätzlich rechtlich möglich. Zur Konkretisierung des Vergabeermessens kann die Gemeinde Vergaberichtlinien aufstellen. Hierbei handelt es sich um ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften, die zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Aufstellung von Vergabekriterien und deren Anwendung genießt die Gemeinde einen weiten Spielraum. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich eine Gemeinde dabei von dem Ziel leiten lässt, Bedürftige zu fördern und im Rahmen einer typisierenden Betrachtung Bewerber als nicht bedürftig ansieht, deren Eltern über Grundbesitz verfügen. Auf die konkrete Erwerbsaussicht der Bewerber hinsichtlich des Grundeigentums ihrer Eltern kommt es dann nicht an. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Für die vorliegende Klage ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, weil es den Klägern um die Rechtmäßigkeit der Vergaberichtlinien der Beklagten (VG München, B. v. 24.7.2015 – M 11 E 15.1923 – juris Rn. 47) und das „Ob“ der Vergabe einer öffentlich-rechtlichen Leistung (VG München, U. v. 27.2.1996 – M 1 K 95.174 – BayVBl 1997, 533) geht.
2. Die Klage ist auch zulässig.
2.1. Die Klage ist statthaft als Versagungsgegenklage gegen die Nichtberücksichtigung bei der Vergabe von Bauland mit Bescheid der Beklagten vom 15. März 2016.
2.2. Die Klage ist auch von einem Rechtsschutzbedürfnis getragen. Die grundbuchrechtliche Übertragung der sieben ausgeschriebenen Grundstücke hat bisher noch nicht stattgefunden. Auch können die einzelnen Vergabebescheide, die den Klägern nicht bekanntgegeben wurden, von diesen noch innerhalb der laufenden Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO angefochten werden. Die Frage, ob deren Anfechtung zum Erhalt des Rechtsschutzbedürfnisses überhaupt erforderlich ist, kann daher offen bleiben.
3. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten; sie haben weder Anspruch auf Zuteilung eines Baugrundstücks gemäß ihrem Antrag vom … Februar 2016 noch auf nochmalige Entscheidung der Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
3.1. Bei der Vergabe von Grundstücken im Rahmen eines Einheimischenmodells handelt es sich um eine Subventionierung von Ortsansässigen, um diesen einerseits den (verbilligten) Erwerb von Grund und Boden in ihrer Heimatgemeinde zu ermöglichen und sie andererseits in der Gemeinde zu halten, um ein „Ausbluten“ gerade von ländlichen Gegenden zu verhindern. Die Vergabe erfolgt dabei im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Verfassung (BV). Um ihr Vergabeermessen zu konkretisieren, können die Gemeinden Vergaberichtlinien aufstellen. Erlässt eine Gemeinde – wie hier geschehen – solche Vergaberichtlinien, so begründet sie hiermit eine bestimmte Verwaltungspraxis, die zu einer Selbstbindung der Gemeinde führt, so dass sie die Grundstücke nur nach Maßgabe der Vergaberichtlinien vergeben darf. Weicht sie von diesen ab, so kann der betroffene Bürger die Verletzung der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV geltend machen (BayVGH, B. v. 30.4.2013 – 4 ZB 13.472 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 25.11.2003 – M 1 E 03.5151 – juris Rn. 26). Ihm kann insoweit ein Anspruch auf Zuteilung eines Baugrundstücks oder – als Minus hierzu – auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zustehen.
3.2. Die streitgegenständliche Bestimmung in den Vergaberichtlinien der Beklagten ist nicht zu beanstanden.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass es sich bei den Bestimmungen des Kriterienkatalogs, den eine Gemeinde bei der Auswahl der Bewerber um ein Grundstück im Einheimischenmodell heranzieht, nicht um Rechtsnormen, sondern um ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften handelt. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften unterliegen keiner eigenständigen richterlichen Auslegung. Für die gerichtliche Überprüfung einer Förderung ist vielmehr entscheidend, wie die zuständige Behörde die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV) gebunden ist (BayVGH, B. v. 23.2.2009 – 4 ZB 07.3484 – juris Rn. 8). Die Gemeinde hat bei der Aufstellung der Vergabekriterien und deren Anwendung einen weiten Spielraum. Sie darf ihre Vergabepraxis grundsätzlich – soweit diese von sachlichen und nachvollziehbaren Gesichtspunkten getragen wird – danach ausrichten, welches Ziel sie mit der Vergabe von Grundstücken im Einheimischenmodell erreichen will. Dabei darf sie in den Vergaberichtlinien bis zu einem bestimmten Grad auch pauschalierende Regelungen treffen. Verboten ist ihr lediglich die Aufstellung von Vergabekriterien nach unsachlichen bzw. willkürlichen Gesichtspunkten (VG München, B. v. 24.7.2015 – M 11 E 15.1923 – juris Rn. 54).
Die Beklagte verfolgt nach dem in den Vergaberichtlinien dargelegten Grundgedanken das Ziel, die sozialen, unter anderem die finanziellen, Verhältnisse bei der Auswahl der Bewerber zu berücksichtigen. Nach europarechtlichen Vorgaben (vgl. EuGH, U. v. 8.5.2013 – C-197/11 u. a. – DVBl 2013, 1041 – juris, dort insbesondere Ls. 2) sieht sie sich verpflichtet, nur Bedürftige zu fördern. Aufgrund der Annahme, dass das Grundvermögen der Eltern nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf die Kinder übertragen wird, betrachtet sie dabei Kinder als nicht bedürftig, wenn die Eltern über gewisses Grundvermögen verfügen. Dieser Grundgedanke findet seine Ausformung in der unter der Überschrift „Vermögen“ stehenden und sprachlich wenig geglückten Formulierung, dass „Bewerber, deren Eltern oder Kinder so viele Baugrundstücke, Wohnhäuser oder familiengerechte Wohnungen (3 Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche bzw. Wohnküche) als die Anzahl der Kinder im Eigentum haben, … nicht berücksichtigt“ werden. Im Zusammenspiel mit der Regelung, dass als antragsberechtigt insbesondere Ehepaare angesehen werden, ist die angegriffene Vorschrift dahin auszulegen, dass ein Ehepaar, bei dem die Eltern eines Partners ebenso viele Baugrundstücke, Wohnhäuser oder familiengerechte Wohnungen wie Kinder haben, von der Vergabe ausgeschlossen ist. Die unter der Überschrift „Antragsberechtigter Personenkreis“ getroffene Regelung, dass es „bei Ehepaaren … genügt …, wenn einer der beiden Ehegatten … die Voraussetzung erfüllt“, erfordert keine andere Auslegung der streitgegenständlichen Klausel der Vergaberichtlinien dahin, dass die Bedürftigkeit nur eines Ehegatten ausreichen würde, weil diese nach ihrer systematischen Stellung innerhalb der Vergaberichtlinien nur für die Antragsberechtigung, nicht aber für sonstige Regelungen gilt.
Das so ausgelegte Ausschlusskriterium ist mit Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV vereinbar. Die Gesamtbetrachtung der Vergaberichtlinien der Beklagten ergibt eine Betonung sozialer Aspekte, der die Beklagte auch im Hinblick auf die Einhaltung europarechtlicher Vorgaben große Bedeutung beimisst. Auch die beanstandete Ausschlussklausel ist als Teil der sozialen Regelungen anzusehen. Nachvollziehbarer Hintergrund dieser Klausel ist es, Bewerber zu bevorzugen, die auch im Wege des Erbfalls keinen Baugrund erhalten können, sei es, weil in der Familie kein solcher vorhanden, sei es, weil dieser unter mehreren Kindern aufzuteilen ist. Steht dagegen ausreichend Grundbesitz in der Familie zur Verfügung, der jedenfalls nach zivilrechtlichen Bestimmungen unter den Kindern und damit an die Bewerber verteilt werden kann, so besteht aus sozialen Gesichtspunkten kein zwingender Grund, denjenigen Bewerber bei der Grundstücksverteilung zu berücksichtigen (VG München, U. v. 27.2.1996 – M 1 K 95.174 – BayVBl 1997, 533). Die zitierten Erwägungen des Verwaltungsgerichts München können dabei nach wie vor Gültigkeit beanspruchen. Im Rahmen des weiten Einschätzungsspielraums, der der Beklagten bei einer Vergabeentscheidung zusteht, ist die vorgenommene typisierende Betrachtung nicht zu beanstanden. Es obliegt ihrem Gestaltungsermessen, das Vorhandensein von Grundeigentum bei den Eltern eines Bewerbers als Ausschlussgrund oder innerhalb des Punktesystems zu berücksichtigen, so dass sich die gleiche soziale Punktzahl von Bewerbern gegebenenfalls nicht mehr auswirkt, wenn sich die Gemeinde für die erste Variante entschieden hat und ein Ehepaar daher aufgrund des Ausschlusskriteriums bereits aus dem Bewerberkreis gefallen ist. Der weniger volatile Charakter von Grundeigentum stellt auch einen sachlichen Differenzierungsgrund gegenüber sonstigem, insbesondere monetärem Vermögen dar. Das besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Eltern und Kindern und der Umstand, dass Kinder nach den zivilrechtlichen Regelungen Erben erster Ordnung sind und Vermögen im Regelfall von Eltern auf ihre Kinder übergeht, rechtfertigen weiter die sachliche Differenzierung gegenüber dem möglichen Grundeigentum anderer Verwandter. Nicht zutreffend ist daneben der Vortrag der Kläger, der Grunderwerb im Wege der Erbfolge bei mehreren Kindern bleibe von den Vergaberichtlinien unberücksichtigt; dieser findet nach dem Erbfall entweder als Haus- und Grundbesitz des berücksichtigten Kindes oder als Teil des Gesamtvermögens eines nicht berücksichtigten Kindes Eingang in die Vergabeentscheidung, so dass offen bleiben kann, ob eine Nichtberücksichtigung überhaupt gegen das Willkürverbot verstoßen würde. Im Rahmen der der Beklagten offen stehenden typisierenden Betrachtungsweise ist es daneben unerheblich, ob Kinder je das Grundeigentum ihrer Eltern erwerben werden und ob dies aufgrund der höheren Lebenserwartung der Eltern gegebenenfalls erst im höheren Alter der Fall sein wird. Zwar wäre auch die Aufnahme einer Härteklausel in die Vergaberichtlinien denkbar gewesen; eine solche Regelung kann aus dem Gleichheitssatz jedoch nicht zwingend gefordert werden.
3.3. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die getroffene Vergabeentscheidung.
Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin zu Recht nicht neben dem Antrag beider Kläger berücksichtigt, weil antragsberechtigt eben auch Ehepaare sind und der Antrag der Klägerin in dem Antrag des Ehepaars gleichsam „aufgeht“.
Die Beklagte hat das Grundeigentum der Eltern des Klägers auch zu Recht als Ausschlussgrund bei der Vergabe gewertet. Die Wohnimmobilie seiner Eltern stellt ein „Wohnhaus“ im Sinne der streitgegenständlichen Regelung dar, unabhängig von der Frage, ob die Wohnungen in dem Gebäude familiengerecht sind. Nach der nicht zu beanstandenden typisierenden Betrachtung der Vergaberichtlinien kommt es für die Ausschlusswirkung bei der Vergabe auch nicht auf die konkrete Erwerbsaussicht eines Bewerbers an. Der Vortrag der Kläger, seine Eltern würden das Grundeigentum zur eigenen Altersvorsorge benötigen und es deshalb in Zukunft nicht auf ihn übertragen, erfordert deshalb keine andere Entscheidung.
Auch die von den Klägern gerügte Ungleichbehandlung infolge der Berücksichtigung des Ehepaars S. bei der Vergabe führt nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt nicht vor. Zum einen hatten die Eltern von Frau S. die ehemals in ihrem Eigentum stehende Wohnimmobilie nachweislich an den Bruder der Bewerberin überschrieben und hat das Ehepaar S. erst nach dem Eigentumsübergang Berücksichtigung bei der Vergabeentscheidung gefunden. Zum anderen hat Herr S. eine Schwester, so dass die Beklagte dort nicht das Ausschlusskriterium des „Wohnhauses“ herangezogen, sondern geprüft hat, ob eine familiengerechte Wohnung vorhanden ist, was nicht der Fall war.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.