Verwaltungsrecht

Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts bei mehrjähriger Freiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln rechtmäßig

Aktenzeichen  AN 11 S 18.02250, AN 11 K 18.02251

Datum:
17.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 44175
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 2 Abs. 2, § 6 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist erforderlich und ausschlaggebend, dass eine unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Freizügigkeitsberechtigten und die damit einhergehende Gefahrenprognose zu dem Ergebnis gelangt, dass von diesem eine aktuelle Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei der Prüfung, ob im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …, wird für das Klage- und Antragsverfahren abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger und Antragsteller (im Folgenden: Kläger) wendet sich gegen die Feststellung, dass er das Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik verloren hat. Gleichzeitig begehrt er Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …
Der 1984 geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger, ledig und kinderlos. Er wuchs in Thessaloniki/Griechenland mit einem jüngeren Bruder im elterlichen Haushalt auf. Nach 12jährigem Schulbesuch schloss er diesen mit dem Abitur sowie einem Abschluss als Telekommunikationselektroniker ab. Im Anschluss an seinen einjährigen Militärdienst ging er unterschiedlichen Beschäftigungen nach. Bereits ab dem Alter von 17 Jahren konsumierte der Kläger Haschisch, ab dem 20. Lebensjahr zusätzlich nahezu täglich Cannabis und täglich Heroin. Seit seinem 24. Lebensjahr nahm der Kläger zusätzlich Kokain zu sich. Dabei steigerte sich sein mengenmäßiges Konsumverhalten fortlaufend. Zu Beginn des Jahres 2017 begann der Kläger noch in Griechenland eine ambulante auf die Dauer von 18 Monaten angelegte Suchttherapie, welche er aber durch die Abreise nach Deutschland nach ca. sechs Monaten beendete. Eine Abstinenzpause gelang ihm lediglich bis August 2017.
Nach Aktenlage reiste der Kläger am 12. Juli 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein, kam nach … und lebte dort bei einem Bekannten. Er arbeitete bis Dezember 2017 als Kurierfahrer bei … Auch in der Bundesrepublik Deutschland setzte er seinen Drogenkonsum fort und nahm täglich Heroin sowie Kokain zu sich. Aufgrund eines Drogendeliktes wurde der Kläger am 5. Januar 2018 festgenommen und befand sich seit 6. Januar 2018 in Untersuchungshaft. Im Anschluss daran wurde er am 20. August 2018 im Zuge einer Maßnahme nach § 64 StGB in die forensische Psychiatrie des Bezirksklinikums… verlegt.
Mit Urteil des Landgerichts … vom 8. August 2018 (Az.: …*) wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten verurteilt; die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger hatte im Zeitraum von 21. Dezember 2017 bis 3. Januar 2018 (gemeint ist wohl der 5. Januar 2018) Umgang mit erheblichen Mengen Kokain. Er verkaufte und übergab Kokain bei den folgenden Gelegenheiten an eine der Polizei namentlich bekannte Vertrauensperson. Dabei wurde er bei zwei von drei Gelegenheiten von seinem Bekannten, bei dem er wohnte, unterstützt. Der Kläger, dem bewusst war, dass er nicht über die zum Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche behördliche Erlaubnis verfügt, handelte mit voll erhaltener Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Am 21. Dezember 2017 gegen 19:00 Uhr führte der Kläger im Bereich zweier Gaststätten in … insgesamt mindestens 150 g Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf mit sich, wobei er hiervon 49,9 g Kokain zum Preis von 3.500,00 EUR an die Vertrauensperson der Polizei verkaufte und übergab. Am 29. Dezember 2017 trafen sich der Kläger und die Vertrauensperson erneut im Bereich der … Der Mitbewohner des Klägers fuhr die Vertrauensperson und den Kläger sodann zu einem nahen Anwesen, wo der Kläger sich zunächst von seinem Lieferanten die vereinbarte Menge Kokain verschaffte und dann an die Vertrauensperson, die im Fahrzeug wartete, übergab. Der Kläger verkaufte bei diesem Anlass insgesamt 42,1 g Kokain zu einem Preis von insgesamt 3.500,00 EUR. Am 3. Januar 2018 traf sich der Kläger erneut im Beisein seines Bekannten mit der Vertrauensperson. Der Kläger bot dieser zunächst 50 g Kokain zum Kauf an. Nachdem die Vertrauensperson dies ablehnte, bot der Kläger 1 kg Kokain zum Preis von 40.000 EUR zum Kauf an, woraufhin die Vertrauensperson jedoch mit dem Kläger lediglich ein Betäubungsmittelgeschäft über 500 g Kokain zum Preis von insgesamt 27.500 EUR für den 5. Januar 2018 vereinbarte. Absprachegemäß trafen sich der Kläger und die Vertrauensperson am 5. Januar 2018 im Bereich der … Nach dem Vorzeigen des Kaufpreises in Höhe von 27.500 EUR durch einen nicht öffentlich ermittelnden Polizeibeamten entfernte sich der Kläger zur Beschaffung des Kokains. Bei dem späteren Treffen legte der Kläger zunächst 500 g Falschware in der Nähe des Fahrzeugs des nicht öffentlich ermittelnden Polizeibeamten ab, um zu testen, ob ein Polizeizugriff erfolgen würde. Als dieser ausblieb, übernahm der Kläger von seinem unbekannten Lieferanten echtes Kokain und übergab schließlich im Fahrzeug des nicht öffentlich ermittelnden Polizeibeamten an die Vertrauensperson einen Beutel mit insgesamt 542,1 g Kokain. Unmittelbar nach der Übergabe wurde der Kläger festgenommen und das Kokain sichergestellt. Der Kläger hatte erwartet, bei dem avisierten Geschäft einen Gewinn von 1.500,00 – 2.000,00 EUR zu erzielen.
Das Landgericht stellte in seinem Urteil außerdem fest, dass beim Kläger eine Abhängigkeit von Heroin, Kokain und Cannabis vorliegt. Zur Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums habe der Kläger erhebliche Straftaten begangen, sodass er als sozial gefährlich erscheine. Aus diesem Grund hat das Landgericht einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang des Klägers und dem Schwerpunkt der Betäubungsmittelstrafbarkeit angenommen.
Mit Schreiben vom 19. September 2018 wurde der Kläger von der Beklagten zur beabsichtigten Feststellung des Freizügigkeitsverlustes angehört. Am 28. September 2018 bat er die Beklagte, ihre Absicht zu überdenken. Ihm sei bewusst, dass er eine schwere Straftat begangen habe, die jedoch im Zusammenhang mit seinem Drogenkonsum stehe. Er befinde sich derzeit in Therapie, um an seiner Abhängigkeit zu arbeiten. Diese würde er gerne abschließen und anschließend eine Arbeit finden.
Mit Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2018 wurde der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt (Nr. I), die Wirkungen der Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts (Einreise- und Aufenthaltsverbot) wurde auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet (Nr. II.) und der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Frist von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen (Nr. III.). Die Abschiebung, insbesondere nach Griechenland, wurde angedroht (Nr. IV.). Rechtsgrundlage für die durchzuführende Aufenthaltsbeendigung sei das FreizügG/EU. Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU hätten freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes. Zu Gunsten des Klägers werde angenommen, dass dieser unter den in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU genannten Personenkreis falle, sodass ihm Freizügigkeit zustehe. Die beabsichtigte Maßnahme könne unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen werden. Ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a FreizügG/EU habe der Kläger nicht erworben, da er sich keine fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Insbesondere könnten keine Zeiträume, in denen ein Unionsbürger eine Freiheitsstrafe verbüßt, für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden. Auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU lägen nicht vor, da der Kläger die letzten zehn Jahre keinen dauerhaften festen Wohnsitz im Bundesgebiet hatte. Bei der Entscheidung sei jedoch zu beachten, dass nicht jeder Verstoß gegen innerstaatliche Rechtsvorschriften dazu führe, dass Gründe der öffentlichen Ordnung vorlägen, welche eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts rechtfertigen würden. Vielmehr müsse hinzutreten, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung gegeben sei, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (§ 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Deshalb genüge die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung nicht alleine, vielmehr müssten die zugrundeliegenden Umstände ein Verhalten erkennen lassen, welches eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Ebendies ergebe sich jedoch aus dem Verhalten des Klägers. Der illegale Drogenhandel zähle zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Der Handel mit Betäubungsmittel könne als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen angesehen werden, die davon ausgehenden Gefahren berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Diese Gefährdung sei auch noch gegenwärtig, insbesondere werde die Wahrscheinlichkeitsprognose nicht dadurch widerlegt, dass der Kläger wegen der derzeitigen Unterbringung nicht in der Lage sein dürfte, im Bundesgebiet neue Straftaten zu begehen. Weiterhin sei auch den Grundrechten des Betroffenen Rechnung zu tragen. Bei der Beurteilung, ob der beabsichtigte Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, dem Schutz der öffentlichen Ordnung, stehe, müssten bei aufenthaltsbeenden Maßnahmen eines Straftäters insbesondere Art und Schwere der Straftat, die Dauer seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat, die Zeit, die seit der Begehung der Straftat verstrichen sei, die familiäre Situation des Betroffenen und das Ausmaß der Schwierigkeiten berücksichtigt werden, denen der Unionsbürger im Herkunftsland begegnen könnte, vgl. auch § 6 Abs. 3 FreizügG/EU. Der Kläger verfüge im Bundesgebiet über keinerlei schützenswerte familiären Bindungen. Er habe sein ganzes bisheriges Leben in Griechenland verbracht und es sei ihm zuzumuten, sein Leben dort wieder einzurichten. Auch die Tatsache, dass der Kläger seine Therapie abschließen möchte, führe zu keiner anderen Bewertung. Denn selbst ein beanstandungsfreier Therapieverlauf könne zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage führen, da aus dem Normalverhalten in einer Justizvollzugsanstalt bzw. Entziehungsanstalt nicht geschlossen werden könne, dass sich der Betroffene auch nach seiner Entlassung in der Freiheit weiter ordnungsgemäß verhalte. Insoweit sei auch auf die Rückfallquote zu verweisen. Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Kläger sprechenden bekannten Umstände werde die Wirkung der Verlustfeststellung auf die Dauer von acht Jahren befristet.
Mit einem als Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO überschriebenen Schreiben vom 20. November 2018 wendet sich der Kläger durch seine Bevollmächtigte gegen den Bescheid; es wurde beantragt,
Der Bescheid der Beklagten wird aufgehoben.
Weiterhin begehrte der Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin T., Nürnberg.
Die angekündigte vollumfängliche „Antrags- und Klagebegründung“ [sic!] erfolgte bislang nicht.
Mit Schriftsatz vom 28. November 2018 beantragte die Beklagte
die Klage als unbegründet abzuweisen, ferner,
den Antrag im einstweiligen Rechtsschutz als unzulässig abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf den Bescheid verwiesen. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO werde zudem als unzulässig betrachtet, da kein Sofortvollzug angeordnet worden sei und die Frist zur Ausreise erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu laufen beginne.
Mit Schriftsatz vom 12. August 2020 legte die Beklagte einen Therapiebericht des Bezirkskrankenhauses …(vom 29.6.2020) vor. Aus diesem ging hervor, dass sich der Kläger während der Therapie im Maßregelvollzug kooperativ und absprachebereit zeigte. Der Kläger habe mehrere Deutschkurse absolviert und mittlerweile eine Festanstellung erhalten. Ab 6. Dezember 2019 seien ihm Tagesbeurlaubungen gewährt worden, seit Mai 2020 habe der Kläger eine eigene Wohnung in … beziehen und dort Probewohnen durchführen können. Dies sei jeweils beanstandungsfrei verlaufen. Insgesamt zeige sich der Kläger stabil in seiner Abstinenz und glaubhaft motiviert an einem suchtmittel- und straffreien Lebensstil.
Die Beklagte stellt in ihrem Schreiben dazu fest, dass trotz eines bisher beanstandungsfreien Therapieverlaufs derzeit noch nicht abgesehen werden könne, dass die vom Kläger ausgehende Gefahr eines Rückfalls nicht mehr vorliege. Grundsätzlich sei die Ausländerbehörde bei der Gefahrenprognose an etwaige Einschätzungen der Therapieeinrichtung oder der Strafvollstreckungskammer nicht gebunden. Diese stellten lediglich ein wesentliches Indiz für die Prognose dar. Eine Bindungswirkung bestehe jedoch nicht, da die Ausländerbehörde einen anderen Prognosemaßstab in Bezug auf die Wiederholungsgefahr treffe. Dabei seien insbesondere sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Allein aus dem bisherigen Verhalten im Maßregelvollzug, könne nur eine sehr begrenzte Aussagekraft für ein künftiges Verhalten in Freiheit geschlossen werden. Eine Anpassung an die Gegebenheiten des Maßregelvollzugs sei keine besondere Leistung, sondern vielmehr ein zu erwartendes Verhalten. Es müsse auch beachtet werden, dass sich der Drogenkonsum des Klägers bereits seit dem Alter von 17 Jahren immer weiter manifestiert habe. Viele Straftäter, die aus dem Maßregelvollzug entlassen worden seien, seien innerhalb von zwei bis drei Jahren erneut straffällig geworden. Auch im Hinblick auf die fehlende wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet sei zu befürchten, dass der Kläger rasch wieder in alte Verhaltensmuster falle. Die Tatsache, dass der Kläger im Rahmen der Therapie eine Arbeitsstelle angetreten habe, vermöge an dieser Einschätzung nichts zu ändern, zumal sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschätzen lasse, ob der Kläger auch ohne die schützenden Kontrollmechanismen des Maßregelvollzugs die Erwerbstätigkeit weiterhin ausüben werde.
Die Regierung von … beteiligt sich als Vertretung des öffentlichen Interesses am Verfahren und trat der Auffassung der Beklagten bei; auf den Schriftsatz vom 22. Juni 2020 wird Bezug genommen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Behördenakte verwiesen. II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist für das Klage- und Antragsverfahren nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine solche liegt stets dann vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung spricht. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2009 – 19 C 09.1723 – juris Rn. 2).
Bei summarischer Prüfung der derzeitigen Sach- und Rechtslage ist eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO sowohl für die Klage als auch für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verneinen. Dabei gelangt die Kammer zu der vorläufigen Einschätzung, dass die Klage zwar zulässig, aber unbegründet sein dürfte (1.), während es dem Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wohl bereits an der Zulässigkeit fehlt (2.).
1. Die zulässige Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2018 ist wohl unbegründet. Denn der verfahrensgegenständliche Bescheid ist nach vorläufiger Auffassung der Kammer rechtmäßig und verletzt den Kläger somit auch nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die in Ziffer I. verfügte Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ist dabei ebenso wenig zu beanstanden, wie die Befristung ihrer Wirkungen auf die Dauer von acht Jahren in Ziffer II. und die in Ziffer III. und IV. getroffenen Annexentscheidungen.
a) Zu dem hier für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags liegen die Voraussetzungen für die von der Beklagten verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt beim Kläger vor. Die Kammer ist dabei zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte ihre Entscheidung zu Recht auf § 6 Abs. 1 Satz FreizügG/EU gestützt hat (aa), dessen Tatbestand erfüllt ist, wobei insbesondere von einer Wiederholungsgefahr auszugehen ist (bb), und die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat (cc).
aa) Das Gericht geht mit der Beklagten zu Gunsten des Klägers, ohne die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU im Einzelnen zu prüfen, davon aus, dass der Kläger schon auf Grund seiner griechischen Staatsangehörigkeit ein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist. Vorliegend richtet sich die Verlustfeststellung allein nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. § 6 FreizügG/EU normiert ein dreistufiges, am Maß der Integration des Betroffenen orientiertes System aufeinander aufbauender Schutzstufen bei Ausweisungen (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2011 – 10 B 11.182 – juris Rn. 37). Während die Verlustfeststellung in der ersten Stufe nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bereits aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erfolgen kann, ist dies nach Erwerb eines Daueraufenthaltsrecht nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU nur noch aus schwerwiegenden Gründen möglich. Nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU kann schließlich die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Hintergrund der gestuften Regel ist, dass nach den Vorgaben der RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl EG Nr. L 158 S. 77; im Folgenden: Freizügigkeits-RL), die Anforderungen an eine Aufenthaltsbeendigung in dem Maße zunehmen, wie die Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 6 FreizügG/EU Rn. 3). Der Kläger ist nach Aktenlage am 12. Juli 2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Bereits am 5. Januar 2018 wurde er auf Grund eines Drogendeliktes festgenommen. Seitdem befand er sich in (Untersuchungs-)Haft und im Maßregelvollzug. Damit konnte der Kläger zum zur Bestimmung der Schutzstufe maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verlustfeststellung (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16 und C-424/16 – juris Rn.88; BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 10 B 18.1094 – juris Rn. 40) mangels entsprechender Voraufenthaltszeit von fünf Jahren weder ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU, noch einen Schutz auf Grund zehnjährigen Voraufenthalts nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erwerben. Im Übrigen dürften Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe nicht für den Zweck des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden (vgl. EuGH, U.v.16.1.2014 – C 378/12 – juris Rn. 25, 26).
bb) Der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist erfüllt. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u.a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU), wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 4).
Demnach ist für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erforderlich und ausschlaggebend, dass eine unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Freizügigkeitsberechtigten und die damit einhergehende Gefahrenprognose zu dem Ergebnis gelangt, dass von diesem eine aktuelle Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht. Nach diesem Grundsatz rechtfertigt wohl das sich in der Anlasstat gezeigte persönliche Verhalten des Klägers die Verlustfeststellung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Denn, die der Verurteilung des Klägers vom 8. August 2018 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten zu Grunde liegenden Umstände, lassen ein persönliches Verhalten erkennen, das eine schwerwiegende gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts … hatte der Kläger im Zeitraum von 21. Dezember 2017 bis 3. Januar 2018 (gemeint ist wohl der 5. Januar 2018) Umgang mit erheblichen Mengen Kokain. Er verkaufte und übergab Kokain bei drei Gelegenheiten an eine der Polizei namentlich bekannte Vertrauensperson, und zwar am 21. Dezember 2017 49,9 g Kokain zum Preis von 3.500,00 EUR am 29. Dezember 2017 42,1 g Kokain zu einem Preis von insgesamt 3.500,00 EUR, sowie am 5. Januar 2018 einen Beutel mit insgesamt 542,1 g Kokain zu einem Preis von 27.500,00 EUR. Unmittelbar nach dieser Übergabe wurde der Kläger festgenommen und das Kokain sichergestellt. Der Kläger hatte erwartet, bei dem avisierten Geschäft einen Gewinn von 1.500,00 – 2.000,00 EUR zu erzielen. In Bezug auf Drogenkriminalität hat der Europäische Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass der illegale Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten darstellt (vgl. EuGH, U. v. 23.11.2010 – C145/09 – juris Rn. 46). Da die Rauschgiftsucht ein großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit sei, könnte der Handel mit Betäubungsmitteln ein Maß an Intensität erreichen, durch das die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung insgesamt oder eines großen Teils derselben unmittelbar bedroht werden (vgl. EuGH, U. v. 23.11.2010 – C-145/09 – juris Rn. 47). Durch den vom Kläger betriebenen Handel mit Kokain, einer besonders gefährlichen Droge mit hohem Suchtpotenzial, hat er andere Personen in ihrer Gesundheit gefährdet und dazu beigetragen, dass diese süchtig werden, aufgrund ihrer Rauschmittelsucht erkranken oder sogar zu Tode kommen. Die Gefährlichkeit des klägerischen Handelns zeigt sich auch daran, dass er vom Landgericht …zu einer hohen Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden ist, obwohl er in der Bundesrepublik Deutschland nicht vorbestraft war. Mithin ist nach Überzeugung der Kammer im Verhalten des Klägers eine Gefährdung zu sehen, welche auch ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Diese Gefährdung ist auch gegenwärtig im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU, da trotz der fortgeschrittenen Therapie in der Person des Klägers weiterhin von einer Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben insoweit nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung, ob im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, ebenso wie bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2015 – 1 B 39/15 – InfAuslR 2016, 1; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9 m.w.N.). Bei einem mit nicht geringen Mengen handelnden, selbst süchtigen Freizügigkeitsberechtigten kann von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange er nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 19 ZB 18.1611 – juris Rn. 9 m.w.N). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).
Der Kläger befindet sich noch im Maßregelvollzug und seine Therapie ist nicht abgeschlossen, sodass grundsätzlich nicht von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Gleichwohl hat die Kammer in ihre Prognoseentscheidung den zuletzt durch die Beklagte vorgelegten Therapiebericht des Bezirkskrankenhauses … vom 29. Juni 2020 mit einbezogen und erkannt, dass sich der Kläger gegenüber der Therapieeinrichtung zuletzt stabil in seiner Abstinenz und glaubhaft motiviert an einem suchtmittel- und straffreien Lebensstil gezeigt haben soll. Bezüglich des Berichts ist jedoch zu berücksichtigen, dass Therapieberichte keine objektiven Bewertungen oder gar Begutachtungen darstellen, sondern vielmehr aufgrund des Näheverhältnisses zwischen Berater und Klient, als einseitige Stellungnahmen zu bewerten sind (BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 23). Insbesondere kann durch den Therapiebericht nicht die auf längere Sicht angelegte Gefahrenprognose ersetzt werden.
Maßgeblich für die aus ausländerrechtlicher Sicht nach wie vor bestehende Wiederholungsgefahr ist, dass der Kläger bereits seit seinem 17. Lebensjahr und seit fast 20 Jahren (eine kurze drogenfreie Zeit eingeschlossen, die zu einer Suchbewältigung nicht geführt hat) betäubungsmittelsüchtig gewesen ist und es sich bei der vom Kläger konsumierten Drogen um sog. harte Drogen, die ein enormes Suchtpotenzial aufweisen, handelt. Dabei steigerte der Kläger im Laufe der Zeit seinen Drogenkonsum sowohl nach der Art der konsumierten Drogen als auch nach deren Menge. Auch hat der Kläger in seiner Heimat Griechenland bereits eine Drogenbehandlung absolviert und im Zusammenhang mit seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland abgebrochen. Dies ist gerade deshalb von Bedeutung, weil die Erfolgschancen einer Therapie, die im Allgemeinen bereits deutlich unter 50 v.H. liegen, umso geringer sind, je mehr letztlich erfolglose Therapien vorangegangen sind (vgl. auch BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 26 m.w.N.).
Soweit der Kläger nunmehr wieder einer beruflichen Tätigkeit nachgeht, ist anzumerken, dass diese Betätigung Teil der Maßnahme nach § 64 StGB ist und damit für den erfolgreichen Verlauf der Maßnahme und die damit verbundene mögliche Widererlangung seiner Freiheit notwendig ist. Zudem ist zu beachten, dass der Kläger auch trotz einer beruflichen Tätigkeit als Fahrer bei DHL in nicht unerheblichem Maß Drogen konsumiert hat. Es erscheint damit fraglich, ob eine berufliche Tätigkeit überhaupt dazu geeignet ist, den Kläger vom Konsum (harter) Drogen abzuhalten. Zweifelhaft ist auch, ob der Kläger über einen sozialen Rückzugsraum verfügt, der ihn nach der Beendigung des Maßregelvollzugs in einem abstinenten und straffreien Lebensverlauf unterstützt. Der Therapiebericht spricht insoweit lediglich von einem neu in … hinzugewonnen Freund und dessen Familie mit dem der Kläger zuletzt Zeit verbracht habe. Zu Verwandten und seinen in Griechenland lebenden Eltern habe der Kläger hingegen (lediglich) telefonischen Kontakt. Unter diesen Umständen erscheint es der Kammer durchaus möglich, dass sich der Kläger nach Beendigung der Maßregel wieder seinen alten Kontaktpersonen zuwenden wird, mit denen er z. T. gemeinsam gelebt und Drogen konsumiert hat.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Prognosekriterien, insbesondere der langjährigen Drogenvergangenheit des Klägers, ist es wohl trotz des bislang erfolgreichen Verlaufs der Drogentherapie im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders wichtiger, bereits angesprochener, Rechtsgüter hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger sich zur Finanzierung seiner – noch nicht dauerhaft überwundenen – Betäubungsmittelsucht erneut dem Drogenhandel zuwenden wird. Lediglich ergänzend sei klargestellt, dass es nicht erforderlich ist, zur Erstellung der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Therapie bzw. einer Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zuzuwarten (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 19 ZB 18.1611 – juris Rn. 9; B.v. 27.10.2017 – 10 ZB 17.993 – juris Rn. 16).
cc) Die Beklagte hat bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen wohl pflichtgemäß ausgeübt. Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung ist abzuwägen, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (vgl. BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris Rn. 27). Es ist insoweit der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienfriedens zu Gunsten des Unionsbürgers zu beachten. Hierbei sind gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nach vorläufiger Rechtsauffassung der Kammer nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung über die Verlustfeststellung in ihrem Ermessen liegt (vgl. S. 9 f. des Bescheides) und die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt (vgl. S. 9 -11 des Bescheides). Dabei hat die Beklagte berücksichtigt, dass der Kläger in Griechenland aufgewachsen ist und dort die längste Zeit seines Lebens verbracht hat. Auch die fehlenden familiären Bindungen im Bundesgebiet wurden ebenso wie die schwere der Straftat angesprochen. Die Beklagte hat sich zudem mit den Einwendungen des Klägers in der Anhörung auseinandergesetzt und erläutert, warum diese ihrer Meinung nach zu keiner anderen Entscheidung führen können. Dabei wurde insbesondere das Interesse des Klägers an der Beendigung seiner Drogentherapie berücksichtigt und bewertet, jedoch auch angemerkt, dass selbst eine erfolgreiche Therapie nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr führen würde.
Die Erwägungen der Beklagten sind durch das Gericht nicht zu beanstanden, sodass die Abwägungsentscheidung der Beklagten, dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr den Vorrang zukommen zu lassen, derzeit keinen rechtlichen Bedenken begegnet.
Nach alldem ist die Verlustfeststellung wohl rechtmäßig.
b) Soweit der Kläger mit seinem nach § 88 VwGO ausgelegten Klageantrag die Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist als die mit Bescheid vom 19. Oktober 2018 verfügten acht Jahre begehrt, dringt er damit voraussichtlich ebenfalls nicht durch.
Rechtsgrundlage ist insoweit § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (vgl. EuGH, U.v. 17.7.1997 – C-65/95, C-111/95 – juris Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU – wie hier – überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist nicht vorgesehen (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 23). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs handelt es sich bei der Entscheidung über die Befristung einschließlich der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbotes um eine gerichtlich voll kontrollierbare, gebundene Entscheidung, woran auch die Neufassung des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberecht und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 nichts geändert habe, da der Wortlaut des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU in diesem Zusammenhang nicht verändert worden sei (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 10 B 18.1094 – juris Rn. 50; VGH BW, U.v. 24.3.2016 – 11 S 992/15 – juris Rn. 23).
Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass von dem Kläger auch künftig schwerwiegende Straftaten zu erwarten sind und, dass eine zeitnahe Befristung in Hinblick auf die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr hinsichtlich neuer Straftaten den Verlustfeststellungszweck konterkarieren würde. Die Kammer geht dabei mit der Beklagten davon aus, dass diese Wiederholungsgefahr auch nicht durch den bislang erfolgreichen Therapieverlauf des Klägers entfallen ist. Die auf acht Jahre bestimmte Dauer der Frist begegnet damit auch unter Berücksichtigung der Entwicklungen bis zum derzeit maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfebeschlusses keinen rechtlichen Bedenken. Ausgehend von der Drogenhistorie des Klägers, der schweren Straftat und der vom Drogenhandel ausgehenden schwersten Gefahren für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland erscheint ein, an dem mit der Verlustfeststellung verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierter, langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise angemessen und sachgerecht. Im Rahmen der Abwägung spricht zu Gunsten des Klägers, dass seine Drogentherapie bislang einen positiven Verlauf zu nehmen scheint und er in diesem Rahmen einer Arbeitstätigkeit nachgeht. Gegen den Kläger spricht jedoch, dass dieser jahrelang drogenabhängig war und bereits eine erfolglose Drogentherapie absolviert hat. Weiterhin ist zu beachten, dass der Kläger im Bundesgebiet keine schützenswerten familiären Bindungen hat. Der Kläger hat sich zudem lediglich fünf Monate in Deutschland aufgehalten, bevor er schwere Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität begangen hat, die zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten geführt haben. In der Gesamtschau erweist sich daher eine Sperrfrist von acht Jahren als angemessen und sachgerecht.
Einer künftigen positiven Entwicklung des Klägers im Sinne einer gefestigten Verhaltensänderung kann ggf. durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18.14 – DVBl 2015, 780 Rn. 22 ff.).
c) Gegen die Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Nr. III und IV des Bescheids) bestehen wohl keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken (§ 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU). Die Frist, das Bundesgebiet innerhalb von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen, erscheint angemessen.
2. In Bezug auf den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist festzustellen, dass dieser wohl sowohl unzulässig als auch unbegründet sein dürfte.
a) Das Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 20. November 2018 dürfte nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO so auszulegen sein, dass diese neben einer Klage auch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hat. Dafür spricht – obwohl kein expliziter Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt wurde – die Überschrift des Schreibens „Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO“ (S. 1) und die Ankündigung, dass „eine vollumfängliche Antrags- und Klagebegründung“ (S. 2) in einem gesonderten Schriftsatz erfolge. Zudem hat die Klägerbevollmächtigte sich auch nicht anderslautend geäußert, als ihr durch gerichtliches Schreiben vom 21. November 2018 zwei Aktenzeichen, davon eines für ein Klageverfahren und eines für ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz, mitgeteilt worden sind.
b) Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist wohl mangels Statthaftigkeit bereits unzulässig. Sofern sich dieser gegen Ziffer I. wendet, wurde bereits durch Erhebung der Klage nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung de lege angeordnet. Ein Fall der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO liegt mangels Anordnung durch die Beklagte nicht vor. Auch existiert für die Verlustfeststellung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU keine mit § 84 AufenthG vergleichbare Regelung. Selbiges gilt für die die Anordnung der Befristung (Ziffer II.), wobei zusätzlich zu beachten ist, dass hier der Antrag bereits unstatthaft sein dürfte, weil die Befristungsentscheidung zum einen nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU in Abhängigkeit von der angefochtenen Verlustfeststellung steht und eine mit § 84 Abs. 2 AufenthG vergleichbare Regelung nicht existiert und zum anderen in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Frist und damit ein Antrag nach § 123 VwGO statthaft sein dürfte. Soweit sich der Antrag schließlich gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 und 4) richtet, fehlt es dem Antrag wohl jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis, da die Ausreiseverpflichtung explizit erst ab der Unanfechtbarkeit der Entscheidung eintritt.
c) Selbst, wenn der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig wäre, wäre er wohl unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2018 voraussichtlich rechtmäßig ist (s.o.).
3. Da mithin Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben, war der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen. Kann Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden, so kommt auch eine Beiordnung eines Bevollmächtigten nach § 121 ZPO nicht in Betracht.

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