Verwaltungsrecht

Versetzung eines transsexuellen Berufssoldaten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

Aktenzeichen  6 ZB 18.1025

Datum:
23.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21885
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 31 Abs. 1 S. 1, § 51 Abs. 4
BGB § 839
GKG § 52 Abs. 2, Abs. 6

 

Leitsatz

Zur Klage eines transsexuellen Berufssoldaten gegen den mehr als 25 Jahre zurückliegenden Bescheid über die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, wobei nach damaliger Rechtslage eine Weiterverwendung als Frau nur in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes möglich gewesen wäre, deren erforderliche Laufbahnvoraussetzungen die Klägerin nicht erfüllte. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 K 16.1577 2018-03-14 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. März 2018 – RO 1 K 16.1577 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge jeweils auf 48.019,78 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ bleibt ohne Erfolg.
1. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist‚ greifen nicht durch (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Klägerin, ein ehemaliger Berufssoldat, begehrt mit ihrer Klage von ihrem früheren Dienstherrn Schadensersatz wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SG). Sie macht geltend, ihre durch Bescheid vom 10. November 1988 verfügte Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit sei rechtswidrig und willkürlich gewesen, weil die offiziell angegebene Begründung „Leistungsfunktionsstörung“ von vornherein unzutreffend gewesen sei und der tatsächliche Grund der Transsexualität einer Weiterbeschäftigung im Berufssoldatenverhältnis nicht im Wege gestanden hätte. Das Verwaltungsgericht hat die Klage für unbegründet erachtet und abgewiesen. Es fehle an mehreren Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch wegen Fürsorgepflichtverletzung, der im Übrigen auch weitgehend verjährt wäre. Es fehle bereits an einer schuldhaften Pflichtverletzung. Unabhängig davon stehe der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auch deshalb nicht zu, weil sie keine Rechtsbehelfe gegen ihre Ruhestandsversetzung oder in Bezug auf eine Reaktivierung ergriffen habe.
Ist die erstinstanzliche Entscheidung demnach – ohne die Verjährungsproblematik – selbständig tragend auf zwei Gründe gestützt, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der beiden Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 6 ZB 17.956 – juris Rn. 3 m.w.N.). Daran fehlt es.
a) Bereits hinsichtlich des ersten Begründungsstrangs (keine schuldhafte Fürsorgepflichtverletzung) zeigt die Klägerin keinen Zulassungsgrund auf.
Sie legt zwar in ausführlicher Auseinandersetzung mit der Wiedergabe des Akteninhalts im Tatbestand und mit den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils eingehend die aus ihrer Sicht wesentlichen Umstände für ein Fehlverhalten ihres früheren Dienstherrn beim Umgang mit ihrer Transsexualität und ihrer Ruhestandsversetzung dar. Daraus ergeben sich aber unter keinem Blickwinkel Gesichtspunkte, welche die insoweit entscheidungstragende Begründung des Verwaltungsgerichts berühren und aus einem der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Gründe die Durchführung eines Berufungsverfahrens rechtfertigen.
Soweit es um die Ruhestandsversetzung selbst geht, hat das Verwaltungsgericht unter eingehender Darstellung der damals im Jahr 1988 geltenden (nationalen) Rechtslage ausgeführt, dass den Dienstherrn kein Verschulden trifft, weil eine Weiterverwendung als Frau nur in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes möglich gewesen wäre (§ 3a SLV in der bis 28.12.1990 geltenden Fassung), die Klägerin aber die hierfür erforderlichen Laufbahnvoraussetzungen (§ 24 Abs. 1, § 26 Abs. 1 Nr. 1 SLV a.F.) nicht erfüllt habe; dem hält der Zulassungsantrag weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht etwas Stichhaltiges entgegen, das weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
Soweit die Klägerin eine schuldhafte Pflichtverletzung daraus herleiten will, dass der Dienstherr die Möglichkeit, gegen die Ruhestandsversetzung Rechtsbehelfe einzulegen, „verschleiert“ und „unstreitig die Rechtsbehelfsbelehrung:gestrichen“ habe, kann ihre Argumentation nicht nachvollzogen werden. Die von der Klägerin vorgelegte Ruhestandsverfügung verweist ausdrücklich auf eine gesonderte Belehrung („Die anliegende Rechtsbehelfsbelehrung:ist Bestandteil dieses Bescheides“). Unklar ist allein geblieben, ob – was die Klägerin bestreitet – eine derartige Belehrung dem Bescheid tatsächlich beigefügt war oder nicht. Selbst wenn man – mit dem Verwaltungsgericht – unterstellt, sie sei nicht beigefügt worden, liegt der Vorwurf einer schuldhaften Vereitelung des Rechtsschutzes fern. Schon allein der Hinweis auf eine „Rechtsbehelfsbelehrung:“ spricht dagegen und hätte der Klägerin jedenfalls Anlass zur Nachfrage geben müssen. Im Übrigen hat sie selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sie sich damals mit einer Rechtsanwältin besprochen, aber mangels Erfolgsaussichten und aus finanziellen Gründen von einem Rechtsbehelf gegen die Ruhestandsversetzung abgesehen habe.
Schließlich ist auch kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme dargetan, eine schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht könnte darin bestehen, dass die Beklagte die Klägerin nicht erneut in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten berufen hat. Inwiefern der Dienstherr zur Reaktivierung nach Maßgabe des § 51 Abs. 4 SG verpflichtet gewesen sein könnte und eine solche Pflicht schuldhaft verletzt haben könnte, zeigt der Zulassungsantrag nicht substantiiert auf.
b) Ist demnach für die erste tragende (Haupt-)Erwägung des Verwaltungsgerichts (keine schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht) kein Zulassungsgrund dargelegt, können die übrigen Rügen von vornherein die Zulassung der Berufung nicht rechtfertigen. Abgesehen davon würden die Einwände der Klägerin gegen den zweiten Begründungsstrang des Verwaltungsgerichts (keine Rechtsbehelfe gegen die angeblichen Fürsorgepflichtverletzungen) ebenfalls nicht durchgreifen.
Nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB soll nur derjenige Schadensersatz erhalten, der sich in gehörigem und in zumutbarem Maß für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden versucht hat (BVerwG, B.v. 3.11.2014 – 2 B 24.14 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.6.2018 – 6 ZB 17.2287 – juris Rn. 5; 12.9.2017 – 6 ZB 17.587 – juris Rn. 14). In Anwendung dieses Grundsatzes hat das Verwaltungsgericht zu Recht den geltend gemachten Anspruch auch deshalb verneint, weil die Klägerin überhaupt kein Rechtsmittel ergriffen hat, um gegen die als willkürlich angesehene Ruhestandsversetzung vom 10. November 1988 oder zumindest gegen das Unterlassen einer erneuten Berufung in das Soldatenverhältnis gerichtlich vorzugehen. Das war ihr damals möglich und zumutbar, insbesondere auch für den Fall, dass der Versetzungsverfügung – entgegen dem Bescheidstext – eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:nicht beigefügt gewesen sein sollte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich erst Jahre später die Rechtsanschauung zur Frage des Zugangs von Frauen zum Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr geändert hat (EuGH, U.v. 11.1.2000 – Kreil, C-285/98 – Slg. 2000, I-29) und infolge dessen die Dienstfähigkeit bei Transsexualität differenzierter bewertet wurde als im Fall der Klägerin.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruhen auf § 39 Abs. 1, § 47‚ § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 52 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG.
Die Klägerin verfolgt bei einer Gesamtschau der schriftsätzlich angekündigten und durch ihren anwaltlichen Vertreter in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageanträge sowie der dazu abgegebenen Begründung zwei verschiedene Klagebegehren: Zum einen will sie im Wege des Schadensersatzes versorgungsrechtlich ab 2014 so gestellt werden, wie sie stünde, wenn sie nicht 1988 vorzeitig im Statusamt A 9, sondern erst mit Erreichen der Altersgrenze im Statusamt von (mindestens) A 13 in den Ruhestand versetzt worden wäre; insoweit hat sie ihren Schaden auf 461.946 € beziffert. Zum anderen begehrt sie – unbezifferten – finanziellen Ersatz für den geltend gemachten ideellen Schaden.
Auf das erstgenannte versorgungsrechtliche Schadensersatzbegehren findet entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht die allgemeine Wertvorschrift des § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG zu bezifferten Geldleistungen Anwendung, sondern die Sonderregelung des § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG. Diese erfasst Streitverfahren, die – unter anderem – die Beendigung eines besoldeten öffentlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, und legen als Streitwert bei einem Dienstverhältnis auf Lebenszeit, wie es die Klägerin ursprünglich innehatte, den Streitwert auf die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme der nicht ruhegehaltsfähigen Zulagen fest. Mit dieser Sonderregelung will der Gesetzgeber Unsicherheiten bei der Bestimmung des Streitwerts in Statusverfahren der Beamten und Berufssoldaten beseitigen; das Kostenrisiko in Statusverfahren soll kalkulierbar und die Kosten in einem sozial gerechtfertigten Rahmen gehalten werden (BT-Drs. 12/6962 S. 61 f.). Mit dieser Zielrichtung ist die Sonderregelung des § 52 Abs. 6 GKG mit ihrer stark pauschalierenden Wertung nicht nur auf den unmittelbaren Rechtsschutz eines Beamten oder Soldaten gegen seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand anwendbar (vgl. etwa BayVGH, B.v. 17.4.2018 – 6 ZB 18.188 – juris Rn. 12; B.v. 12.9.2016 – 6 ZB 15.2386 – juris Rn. 23). Sie gilt in entsprechender Weise ebenso für sekundäre (Schadensersatz-)Ansprüche wegen Fürsorgepflichtverletzung, mit denen der finanzielle Ausgleich einer angeblich fehlerhaften vorzeitigen Ruhestandsversetzung in besoldungs- und versorgungsrechtlicher Hinsicht geltend gemacht wird. Denn insoweit wird im Rahmen desselben Status das identische wirtschaftliche Interesse verfolgt wie bei einem primären Rechtsschutzverfahren. Das verbietet jedenfalls in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, in der im Wege des Schadensersatzes die versorgungsrechtliche „Gleichstellung“ für die Zukunft verlangt wird und die absolute Schadenshöhe schon wegen der Ungewissheit der Bezugsdauer naturgemäß nicht beziffert werden kann, den Rückgriff auf die allgemeinen Wertvorschriften des § 52 Abs. 1 und 3 GKG (OVG NW, B.v. 3.3.2011 – 6 A 772/09 – juris Rn. 18 ff.; vgl. auch BVerwG, B.v. 26.9.2002 – 2 B 23.02 – NVwZ-RR 2003, 246 f. zur Anwendung des § 13 Abs. 4 Satz 2 GKG a.F. auf einen Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Beförderung). Demnach bemisst sich der Streitwert nach den für ein Kalenderjahr zu zahlenden Versorgungsbezügen aus dem Statusamt nach A 13, an dem die Klägerin ihrer Schadensersatzforderung ausgerichtet hat (Schreiben vom 4.1.2017 und 25.4.2017 an das Verwaltungsgericht). Dabei legt der Senat den höchsten Ruhegehaltssatz von 71,75% (§ 26 Abs. 1 Satz 1 SVG) bezogen auf das Grundgehalt der Besoldungsgruppe A 13 in der Endstufe nach der Anlage IV des Bundesbesoldungsgesetzes (in der ab 1.3.2014 geltenden Fassung des Gesetzes vom 25.11.2014, BGBl I S. 1772) zugrunde (4.996,49 € x 71,75/100 x 12). Dass die Klägerin ihre Schadensersatzforderung weitaus höher beziffert hat, ist unerheblich.
Für das zweite Klagebegehren (Ersatz des ideellen Schadens) wird der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG von 5.000 € angesetzt und gemäß § 39 Abs. 1 GKG hinzugerechnet. § 52 Abs. 7 GKG findet auf ein solches Klagebegehren keine Anwendung.
Soweit das Verwaltungsgericht den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren mit Blick auf die Bezifferung des finanziellen Schadens durch die Klägerin höher festgesetzt hat, wird er nach § 63 Ab. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen herabgesetzt.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 6 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen