Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit, Berufungszulassungsverfahren, Streitgegenstand, Verfassungskonforme Auslegung, Erniedrigende Behandlung, Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung, Beweiswürdigung, Berufungsverfahren, Gehörsverstoß, Darlegungsanforderungen, Rechtliches Gehör, Aufklärungspflicht, Bundsverwaltungsgericht, Verletzung rechtlichen Gehörs, Antragsbegründung, Entscheidungserhebliches Vorbringen, Verwaltungsgerichtsurteile, Vorsätzliches Vorenthalten

Aktenzeichen  14 ZB 20.31824

Datum:
26.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7424
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 2 K 18.31212 2020-06-17 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S.v. § 78 Abs. 3 AsylG ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, sind sie nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
1.1. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage im konkreten Rechtsstreit klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist, dass diese Frage sich als klärungsbedürftig, insbesondere nicht schon höchst- oder obergerichtlich geklärt und nicht direkt aus dem Gesetz zu beantworten erweist und dass ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 28.7.2010 – 14 ZB 09.422 – juris Rn. 8 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG im Hinblick auf § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930 – juris Rn. 2).
1.2. In der Antragsbegründung wird die Frage für klärungsbedürftig gehalten, „ob ein Kläger, wenn das Gericht eine Vorverfolgung im Iran nicht für glaubhaft hält, für das Nachfluchtvorbringen noch einen neuen identitätsprägenden inneren Einstellungswandel schildern muss“. Das Verwaltungsgericht, das das Vorverfolgungsvorbringen des Klägers für unglaubhaft gehalten habe, gehe hinsichtlich des Nachfluchtvorbringens davon aus, der Kläger müsse einen neuen identitätsprägenden inneren Einstellungswandel schildern. Jedoch sei lediglich zu prüfen, ob die Befolgung der christlichen Glaubenspraxis ein zentrales Element für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sei; insoweit nimmt die Antragsbegründung Bezug auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2020 – 2 BvR 1838/15 -. Auf eine Differenzierung zwischen Vorfluchtvorbringen und Nachfluchtvorbringen komme es danach nicht an, sondern nur auf die Überzeugung des Gerichts, ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung habe.
Mit diesem Vortrag genügt die Antragsbegründung schon den Darlegungsanforderungen (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit nicht, weil sie sich nicht mit der in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 zweiter Absatz) vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des Senats zum sog. überlagernden Strang (BayVGH, U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris Rn. 57) befasst, wobei zu sehen ist, dass das Verwaltungsgericht darauf abgestellt hat, dass der Kläger das Nachfluchtvorbringen seiner Konversion gerade als Fortführung seiner Zuwendung zum Christentum im Iran geschildert hat (UA S. 15 dritter Absatz Zeilen 1 bis 2), das Gericht aber diese Schilderungen zur Zuwendung zum Christentum im Iran nicht für glaubhaft gehalten (UA ab S. 12 dritter Absatz) und daran anschließend die Frage eines neuen, identitätsprägenden Einstellungswandels geprüft hat (UA ab S. 15 dritter Absatz Zeile 2). Unabhängig davon geht die Antragsbegründung auch nicht darauf ein, dass das besagte Senatsurteil vom 25. Februar 2019 gerade auch hinsichtlich des Kriteriums des „neuen, das Vorfluchtvorbringen überlagernden Strangs“ einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht standgehalten hat (BVerwG, B.v. 21.5.2019 – 1 B 42.19 – juris Rn. 4). Erst recht nicht dargelegt wird, inwieweit der von der Antragsbegründung in Bezug genommene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2020 das besagte Senatsurteil vom 25. Februar 2019 oder den besagten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Mai 2019 in der Sache in Frage stellen sollte, zumal keine dieser Entscheidungen dort ausdrücklich angesprochen wird.
1.3. Als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfen wird in der Antragsbegründung weiter die Frage, „ob unter den während der Corona-Pandemie im Iran bestehenden Bedingungen für Rückkehrer eine Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 4 AsylG droht“. Das Verwaltungsgericht habe die aktuelle Situation im Iran infolge der Corona-Pandemie überhaupt nicht geprüft. Nach aktueller Berichtslage – die Antragsbegründung verweist hierzu auf einen „Corona-Tracker des VGH Baden-Württemberg“ – seien die offiziellen Infektionszahlen unglaubwürdig und entsprächen nur zu einem Zwanzigtsel den wahren Zahlen. Zwar funktioniere die medizinische Versorgung augenblicklich noch (Stand 3.8.2020), aber viele Ärzte und Pfleger hätten sich mit dem Virus infiziert und viele seien bereits gestorben. Ein weiterer Anstieg der Fallzahlen werde landesweit zu einem Engpass führen. Die Bevölkerung nehme die Gefahren trotz ansteigender Infektionszahlen nicht mehr ernst. Iran habe bereits im Juli eine zweite Infektionswelle gehabt. Nach Regierungseinschätzung sei im Iran bis Ende 2022 kein Ende der Krise und des medizinischen Ausnahmezustands in Sicht – die Antragsbegründung verweist hierzu auf „BAMF-Briefing Notes von Juni bis August“. Die Johns Hopkins Universität bestätige (Stand heute; die Antragsbegründung datiert auf den 31.8.2020) 373.570 Infektionen und 21.462 Todesfälle – die Antragsbegründung gibt hierzu die URL einer der Johns Hopkins Universität zugeordneten Internetfundstelle an. Eine Gesamtschau der Berichte lasse jedoch erkennen, dass die Pandemie viel schlimmer wüte, als es die Behörden zugeben würden – die Antragsbegründung verweist hierzu insbesondere auf die URL einer dem „Tagesspiegel“ zugeordneten Internetfundstelle. Rückkehrern drohe mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Infektion und bei einer daraus folgenden Erkrankung eine fehlende bzw. nur unzureichende medizinische Behandlung.
1.3.1. Auch wenn das Verwaltungsgericht sich weder im Hinblick auf § 4 AsylG noch im Hinblick auf § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG mit durch die Corona-Pandemie zusammenhängenden Gefahren auseinandergesetzt hat – sodass eine Obliegenheit, sich mit den Entscheidungsgründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils insoweit zu befassen (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2021 – 14 ZB 20.31143 – juris Rn. 15 m.w.N.), für den Kläger entfällt -, scheidet im vorliegenden Fall, in dem durch Corona bedingte Gefahren im Iran erstinstanzlich ebenso wenig vorgebracht worden waren wie gesundheitliche Problematiken überhaupt, eine Berufungszulassung insoweit mangels Entscheidungserheblichkeit aus, weil jedenfalls nicht offensichtlich ist, dass sich die vom Verwaltungsgericht beantwortete Frage in einem Berufungsverfahren stellen würde (1.3.2.), und weil die Antragsbegründung mit dem besagten Vortrag § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht genügt. Dabei lässt der Senat offen, ob die Bezeichnung der Fundstellen in der Antragsbegründung, insbesondere soweit dort bloß eine URL angegeben wird (vgl. dazu BayVGH, B.v. 11.2.2021 a.a.O. Rn. 13 f.), als solche den Darlegungsanforderungen genügt, und geht zugunsten des Klägers davon aus, dass der Umstand, dass von ihm bezeichnete Erkenntnismittel jüngeren Datums sind als die verwaltungsgerichtliche Verhandlung (5.6.2020) und Entscheidung (17.6.2020), als solcher einer Berücksichtigung dieser Erkenntnismittel nicht entgegensteht, weil zu diesen innerhalb der Antragsbegründungsfrist vorgetragen worden ist (SächsOVG, B.v. 23.10.2015 – 5 A 80/15.A – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, B.v. 2.8.2012 – 14 ZB 12.30259 – juris Rn. 12 m.w.N.; siehe auch BVerwG, B.v. 14.6.2002 – 7 AV 1.02 – NVwZ-RR 2002, 894; B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 744 jeweils zum hier nicht einschlägigen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1.3.2. Eine Berufungszulassung scheidet im Hinblick auf die Klärungsfähigkeit aus, weil jedenfalls nicht „offensichtlich“ ist, dass sich die besagte, klägerseits aufgeworfene Frage in einem Berufungsverfahren stellen würde.
1.3.2.1. Für die Klärungsfähigkeit und Entscheidungserheblichkeit kann es im Berufungszulassungsverfahren in der Regel nur um eine Frage gehen, die für die Vorinstanz entscheidungserheblich war (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 37), wobei zu sehen ist, dass im Bereich des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG bei Nichtzulassungsbeschwerden wegen grundsätzlicher Bedeutung Rechtsfragen von vornherein nur dann als entscheidungserheblich angesehen werden, wenn sich die Vorinstanz in der anzufechtenden Entscheidung mit diesen befasst und sie beantwortet hat und bei einer anderen Beantwortung möglicherweise eine für den Beschwerdeführer günstige Entscheidung getroffen hätte (stRspr, z.B. BAG, B.v. 15.10.2012 – 5 AZN 1958/12 – NJW 2013, 413 Rn. 15 m.w.N.).
Danach wäre eine Entscheidungserheblichkeit von vornherein ausgeschlossen, gerade weil sich das Verwaltungsgericht mit der besagten Thematik nicht befasst hat (siehe 2.2. zur hier insoweit nicht vorliegenden Verfahrensfehlerhaftigkeit).
1.3.2.2. Selbst wenn man im Verwaltungs- und Asylprozess hiervon eine Ausnahme zulässt, wenn sich die aufgeworfene Frage „offensichtlich“ in einem Berufungsverfahren stellen würde (BayVGH, B.v. 14.11.2016 – 21 ZB 16.30283 – juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 37 m.w.N.) und diese Prüfung – zugunsten des Klägers – davon abhängig macht, ob sich die Frage objektiv nach dem Begründungszusammenhang stellte (Roth in Posser/Wolf BeckOK VwGO, Stand 1.1.2021, § 124 Rn. 54), wäre eine derartige „Offensichtlichkeit‟ der Berufungsrelevanz der besagten Fragestellung hier zu verneinen, und zwar sowohl im Hinblick auf § 4 AsylG (1.3.2.2.1.), § 60 Abs. 5 AufenthG (1.3.2.2.2.) und § 60 Abs. 7 AufenthG (1.3.2.2.3.).
1.3.2.2.1. Zu den unionsrechtlichen Bestimmungen, auf die § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 AsylG (unmenschliche oder erniedrigende Behandlung) zurückgeht – § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 (Todesstrafe) und Nr. 3 (bewaffneter Konflikt) AsylG sind im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ersichtlich nicht einschlägig -, ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass sogar bei schwer erkrankten Drittstaatsangehörigen die Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands bei Fehlen angemessener Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland nur dann zu einem Anspruch auf subsidiären Schutzstatus wegen „unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“ führt, wenn davon auszugehen ist, dass dem Ausländer der Zugang zu einer solchen Behandlung im Herkunftsland „vorsätzlich vorenthalten“ oder zumindest „in diskriminierender Weise erschwert“ würde (vgl. EuGH, U.v. 18.12.2014 – C-542/13 – ECLI:ECLI:EU:C:2014:2452 Rn. 32 ff., insbesondere Rn. 36, 41, 47; U.v. 24.4.2018 – C-353/16 – ECLI:ECLI:EU:C:2018:276 Rn. 51, 57 f.).
Ein derartiges „vorsätzliches Vorenthalten“ oder eine derartige „diskriminierende Erschwerung“ ist hier aber weder vorgetragen noch ersichtlich und jedenfalls nicht (objektiv) „offensichtlich“, zumal weder im Verwaltungsverfahren noch im erstinstanzlichen Klageverfahren noch im Berufungszulassungverfahren auch nur ansatzweise etwas zur Verteilung coronabezogener Ressourcen im Iran angesprochen worden ist.
1.3.2.2.2. Zu Art. 3 EMRK (i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG) ist höchstgerichtlich geklärt, dass Art. 3 EMRK zwar auch erfüllt sein kann, wenn die Gefahr besteht, dass elementarste Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene, Unterkunft vorenthalten werden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 253 ff.; U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – NVwZ 2012, 681 Rn. 283), dass jedoch selbst schwerkranke Ausländer sich grundsätzlich nicht auf ein Bleiberecht berufen können, damit sie die Versorgung und medizinischen, sozialen und anderen Dienste des abschiebenden Staats weiter nutzen können (EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 Rn. 176 m.w.N.), und dass die schlechtere Versorgung im Aufnahmeland, die Verschlechterung des Gesundheitszustands und der Lebenserwartung allein für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht ausreichen, sondern dies nur in „besonderen Ausnahmefällen‟ der Fall ist (EGMR, U.v. 13.12.2016 a.a.O. Rn. 178 m.w.N.), wobei auch bei schwerkranken Personen ein besonderer Ausnahmefall voraussetzt, dass sich wegen Fehlens von oder fehlenden Zugangs zu angemessener Behandlung im Zielstaat der Gesundheitszustand schwerwiegend, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung (sog. erhöhte Schwelle für die Anwendbarkeit des Art. 3 EMRK, vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 a.a.O. Rn. 183). Ob die besagte „besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit“ erreicht wird oder nicht, hängt dabei von sämtlichen Umständen des jeweiligen Falles ab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:218 Rn. 91 m.w.N.; U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2019:219 Rn. 89 ff.).
Angesichts dieses rechtlich vorgegebenen „Individualbezugs“ des Art. 3 EMRK (i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG) ist eine Entscheidungserheblichkeit der besagten Frage vorliegend jedenfalls nicht „offensichtlich‟, zumal weder im Verwaltungsverfahren noch im erstinstanzlichen Klageverfahren noch im Berufungszulassungverfahren auch nur ansatzweise etwas zur gesundheitlichen Situation des Klägers vorgetragen worden ist.
1.3.2.2.3. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ist ein Schutz vor „allgemeinen“ Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein im Abschiebezielstaat ausgesetzt ist, im Ausgangspunkt gerade nicht nach § 60 Abs. 7 AufenthG, sondern aufgrund von Abschiebestoppbeschlüssen der Exekutive gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die hinsichtlich der Corona-Pandemie im Iran bislang nicht ergangen sind, zu erlangen. Nur ausnahmsweise ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei solchen allgemeinen Gefahren § 60 Abs. 7 AufenthG im Weg verfassungskonformer Auslegung anzuwenden, wenn nämlich den Betroffenen im Abschiebezielstaat „mit hoher Wahrscheinlichkeit‟ eine „extreme Gefahrensituation“ droht, die sich bei jedem einzelnen Ausländer im Falle der Abschiebung „alsbald“ nach der Rückkehr realisiert (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – BVerwGE 99, 324/328; B.v. 23.8.2006 – 1 B 60.06 u.a. – juris Rn. 4 m.w.N.; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198 Rn. 32 m.w.N.; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 Rn. 38 m.w.N.).
Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ist aber keineswegs „offensichtlich‟, dass die besagte Frage nach dem Zusammenhang der erstinstanzlich vorgetragenen oder erörterten Themen objektiv entscheidungserheblich sein könnte. Dabei ist zu sehen, dass durch die Corona-Pandemie im Iran bedingte Gesundheitsgefahren im erstinstanzlichen Verfahren des Verwaltungsgerichts auch seitens der Beteiligten ebenso wenig thematisiert wurden wie gesundheitliche Aspekte überhaupt und dass auch eine für die ausnahmsweise verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG erforderliche „extreme“ Gefahrensituation und deren „Alsbaldigkeit“ jedenfalls nicht „offensichtlich‟ sind.
1.3.2.3. Nichts anderes ergibt sich vorliegend, wenn – abweichend von den besagten, aus den Berufungszulassungsvorschriften abgeleiteten Lösungen (siehe 1.3.2.1., 1.3.2.2.) – auf den spezifisch asylrechtlichen Streitgegenstand abgestellt wird.
1.3.2.3.1. Auch wenn im Asylprozess eine Grundsatzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) auf neue tatsächliche Umstände gestützt werden kann, ist Voraussetzung hierfür, dass das neue Vorbringen einen bereits anhängigen Streitgegenstand betrifft (VGH BW, B.v. 4.7.2000 – A 9 S 1275/00 – VBlBW 2001, 66). Streitgegenstand ist dabei im Asylprozess nicht das Schutzbegehren an sich aus jedwedem Grund, sondern nur das Schutzbegehren aus den vom Schutzsuchenden konkret befürchteten Gefahren (VGH BW, B.v. 4.7.2000 a.a.O.), wovon eine Ausnahme nur möglich ist für allgemeine Gefahren, die „offen zu Tage liegen“ (vgl. VGH BW, B.v. 4.7.2000 a.a.O.; ThürOVG, B.v. 19.4.2001 – 3 ZKO 888/98 – juris Rn. 12). Es kommt also letztlich auch insoweit – wenn auch mit anderer Begründung – auf das Kriterium der „Offensichtlichkeit“ an.
1.3.2.3.2. Die Corona-Gefahren im Iran liegen aber wie gezeigt (siehe 1.3.2.2.) keineswegs derart „offen zu Tage“, dass sie auch ohne erstinstanzlichen klägerischen Vortrag quasi von selbst zum Streitgegenstand des klägerischen Vortrags geworden wären. Infolge dessen kommt auch im Berufungszulassungverfahren eine entsprechende Erweiterung dieses Streitgegenstands insoweit nicht in Betracht.
1.3.3. Unabhängig davon genügt die Antragsbegründung auch den Darlegungsanforderungen nicht.
1.3.3.1. Es wird schon nicht näher dargelegt und auch kein Erkenntnismittel speziell dazu benannt, weshalb im Iran gerade für Rückkehrer besondere Ansteckungsgefahren bzw. – im Falle solcher Ansteckungsgefahren – gerade für Rückkehrer besondere Gesundheitsgefahren bestehen sollten.
1.3.3.2. Jedenfalls wird unabhängig davon im Hinblick auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit nicht dargelegt, weshalb es auf die gestellte Frage in der von der Antragsbegründung gewählten Formulierung, die auf sämtliche Rückkehrer abstellt, rechtlich ankommen sollte. Die Antragsbegründung befasst sich nicht näher mit höchstgerichtlichen – ihrerseits keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf aufwerfenden, sondern diesen gerade beendenden – Klärungen der Grenzen der Ansprüche aus § 4 AsylG (siehe 1.3.3.2.1.), § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (siehe 1.3.3.2.2.) und § 60 Abs. 7 AufenthG (siehe 1.3.3.2.3.), die vorliegend dagegen sprechen, dass es auf die aufgeworfene Frage ankommen kann.
1.3.3.2.1. Soweit der Kläger bezüglich § 4 AsylG die Frage einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unter den während der Corona-Pandemie im Iran bestehenden Bedingungen für Rückkehrer geklärt haben will, wird nicht ansatzweise dargelegt, inwieweit eine von einem Virus – also im Ausgangspunkt gerade nicht durch menschliches Verhalten – ausgelöste Pandemie begrifflich eine (unmenschliche oder erniedrigende) „Behandlung“ i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 AsylG im Sinne eines „vorsätzlichen Vorenthaltens“ oder einer „diskriminierenden Erschwerung“ (siehe 1.3.2.2.1.) darstellen sollte.
1.3.3.2.2. Soweit der Kläger bezüglich § 60 Abs. 5 AufenthG die Frage einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unter den während der Corona-Pandemie im Iran bestehenden Bedingungen für Rückkehrer geklärt haben will, fehlt schon eine explizite Benennung derjenigen Vorschrift der Europäischen Menschenrechtskonvention, für die (i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG) die begehrte Klärung begehrt wird – schon aus diesem Grund genügt die Antragsbegründung nicht den Darlegungsanforderungen.
Doch selbst wenn zugunsten des Klägers unterstellt wird, dass die Antragsbegründung mit ihrer Formulierung auf Art. 3 EMRK (i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG) abstellt, wäre im Hinblick auf die besagten Anforderungen des Art. 3 EMRK (sog. erhöhte Schwelle; schwerwiegende, schnelle und irreversible Gesundheitsverschlechterung mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung; siehe 1.3.2.2.2.) nicht hinreichend dargelegt, weshalb es in einem Berufungsverfahren auf die aufgeworfene Fragestellung ankommen sollte, wobei dahinstehen kann, inwieweit die von Art. 3 EMRK vorgegebene Einzelfallprüfung überhaupt zu einer verallgemeinerungsfähigen – über den individuellen Fall des jeweiligen Asylbewerbers hinausgehenden – Fragestellung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG führen kann.
1.3.3.2.3. Soweit der Kläger bezüglich § 60 Abs. 7 AufenthG die Frage einer Gefahr für Leib und Leben unter den während der Corona-Pandemie im Iran bestehenden Bedingungen für Rückkehrer geklärt haben will, findet weder eine Auseinandersetzung mit § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG noch mit den Anforderungen einer verfassungskonformen Auslegung (unmittelbare, extreme und alsbaldige Gefahrenlage für alle Rückkehrer; siehe 1.3.2.2.3.) statt, weswegen auch insoweit § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG im Hinblick auf die Klärungsfähigkeit und -bedürftigkeit nicht genügt ist.
1.3.3.3. Schließlich ist unabhängig davon die aufgeworfene Frage (Gefahren für „Rückkehrer“) so weit gefasst, dass sie in dieser Weite in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähig wäre (vgl. OVG NW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris Rn. 9).
2. Die Berufung ist nicht wegen eines Gehörsverstoßes (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
2.1. Die geltend gemachte Aufklärungsrüge, das Verwaltungsgericht habe die Echtheit der vom Kläger vorgelegten Kopien mit dem Hinweis bezweifelt, man gelange im Iran relativ leicht an gefälschte Dokumente oder echte Dokumente unrichtigen Inhalts, und weder die Vorlage der Originaldokumente verlangt, die sich – wie von der Prozessbevollmächtigten ausdrücklich mitgeteilt – im Besitz des Klägers befänden, noch eine Überprüfung mittels Auskunft oder Sachverständigengutachten verlasst, worin die Antragsbegründung eine Verletzung des Amtsaufklärungsgrundsatzes sieht, beschreibt schon thematisch keinen Gehörsverstoß.
Verstöße gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO gehören nicht zu den Verfahrensmängeln, auf die der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG gestützt werden kann (SächsOVG, B.v. 16.6.2009 – A 3 A 310/07 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 12.1.2012 – 14 ZB 11.30140 – juris Rn. 4; B.v. 29.8.2017 – 11 ZB 17.31081 – juris Rn. 4 m.w.N.). Denn die Aufklärungspflicht als solche gehört nicht zum Regelungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG und vermittelt deswegen auch grundsätzlich nicht den Zulassungsgrund einer Verletzung rechtlichen Gehörs (BVerfG, B.v. 18.2.1988 – 2 BvR 1324/87 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 19.10.1998 – 27 ZB 98.30836 – juris Rn. 4).
Zwar kann die Ablehnung eines Beweisantrags zu einem Gehörsverstoß führen, wenn sie keine Stütze im Prozessrecht (§ 86 Abs. 2 VwGO) findet (BVerfG, B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141/143 f.; B.v. 27.1.1995 – 1 BvR 1430/94 – NJW 1995, 1417; OVG Bremen, B.v. 29.12.2011 – 2 A 216/10.A – juris Rn. 3 m.w.N.). Allerdings wurde ein Beweisantrag i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO klägerseits in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts ausweislich der diesbezüglichen Niederschrift nicht gestellt. Beweisangebote in vorbereitenden Schriftsätzen sind dem im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 86 Abs. 2 VwGO nicht gleichzustellen.
2.2. Nichts anderes gilt für die im Kontext der zweiten Grundsatzrüge (siehe 1.3.) geäußerte Kritik, das Verwaltungsgericht habe die aktuelle Corona-Situation im Iran und deren Auswirkungen auf den Kläger überhaupt nicht geprüft. Auch insoweit betrifft dies § 86 Abs. 1 VwGO, nicht aber das rechtliche Gehör, zumal weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass insoweit erstinstanzlich ein Beweisantrag i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO gestellt worden wäre.
Es ist dabei auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht insoweit einen erstinstanzlichen klägerischen Sachvortrag zur Corona-Problematik übergangen haben könnte, so dass die Berufung insoweit auch nicht wegen eines Gehörsverstoßes in Form übergangenen Sachvortrags (vgl. dazu BVerfG, B.v. 1.2.1978 – 1 BvR 426/77 – BVerfGE 47, 182/187 m.w.N.; B.v. 12.10.1988 – 1 BvR 818/88 – BVerfGE 79, 51/61 m.w.N.; B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/145; BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – NVwZ 2009, 580 Rn. 9 m.w.N.; B.v. 17.4.2020 – 1 BvR 2326/19 – juris Rn. 11 m.w.N.) zuzulassen ist.
2.3. Schließlich ist die Berufung auch nicht zuzulassen, soweit sich die klägerische Kritik gegen die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung richtet. Denn die Grundsätze der Beweiswürdigung sind in der Regel schon nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 – 10 B 19.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Nr. 67 Rn. 4 m.w.N.), wofür § 78 AsylG keinen Berufungszulassungsgrund vorsieht, und selbst wenn die Beweiswürdigung ausnahmsweise wegen schwerer Mängel verfahrensfehlerhaft i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein sollte, weil sie objektiv willkürlich ist, gegen Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO nur bei spezifisch auf das rechtliche Gehör bezogenen Fehlern vor, etwa wenn bei einer Entscheidung ein aktenwidriger Vortrag zugrunde gelegt wird (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.1987 – 4 C 30.85 – NJW 1988, 275) oder wenn sich das Gericht einer sachlichen Auseinandersetzung mit entscheidungserheblichem Vorbringen entzieht (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 3 B 40.14 u.a. – LKV 2015, 30 Rn. 4). Derartiges ist vorliegend aber weder dargelegt noch ersichtlich (siehe 2.1., 2.2.).
3. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

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