Verwaltungsrecht

VGH München: AufenthG, VereinsG, Öffentliches Interesse, Vereinsverbot, Streitwertkatalog, ZAR, Ausländer, Streitwert, Beschwerdegegner, Zweck der Ausweisung, Regierungspräsidium, Hoppe, Beschwerdeinstanz, Ausweisungsverfügung, Sofortvollzug, NVwZ-RR, Gefahrenprognose, Vermutung, Rechtmäßigkeit

Aktenzeichen  11 S 46/16

Datum:
1.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG GKG § 52 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ein Vereinsverbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG wird von dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erfasst. (amtlicher Leitsatz)
2. Der Streitwert für eine Ausweisung eines Ausländers, der im Besitz eines Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 war, beläuft sich auf 10.000,– EUR (Änderung der Senatsrechtsprechung unter Aufgabe der Orientierung am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.05.2016 – 11 S 2480/15 (amtlicher Leitsatz)
3. Eine Reduzierung des Streitwerts eines hierauf bezogenen Eilverfahrens kann aufgrund der schon mit dem Vollzug der Ausweisungsverfügung eintretenden Folgen für den Antragsteller nicht angezeigt sein (vgl. näher: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 31.01.2011 – 11 S 2517/10 NVwZ-RR 2011, 341 und vom 17.11.2005 – 11 S 611/05 ZAR 2006, 72 L). (amtlicher Leitsatz)

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 21. Dezember 2015 – 11 K 5021/15 – geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Der Streitwert wird für die Beschwerdeinstanz auf 10.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Auch unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen, die die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung an die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisungsverfügung stellt (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 13.06.2005 – 2 BvR 485/05 -, juris; Discher, in: GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1530 ff. m. w. N.), hat die Beschwerde Erfolg.
Der Sofortvollzug einer Ausweisung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO setzt ein besonderes öffentliches Interesse voraus, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Ein solches besonderes öffentliches Interesse kann dann angenommen werden, wenn – mit Blick auf den spezialpräventiven Zweck der Ausweisung – die begründete Besorgnis besteht, die vom Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon in dem Zeitraum bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung realisieren; der allgemeine Verdacht einer Beeinträchtigung erheblicher Belange der Bundesrepublik genügt nicht. Die das Sofortvollzugsinteresse begründende negative Gefahrenprognose muss auf Tatsachen beruhen, bloße Behauptungen und Vermutungen genügen nicht.
Davon ausgehend begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung in der angegriffenen Verfügung des Antragsgegners keinen Bedenken.
Die Ausweisung des Antragstellers erweist sich nach dem aktuellen Sach- und Streitstand aus den in der ausführlich begründeten Verfügung dargelegten und in tatsächlicher Hinsicht überwiegend unbestritten gebliebenen Umständen ebenso als voraussichtlich rechtmäßig wie die Anordnung des Sofortvollzugs. Die Anordnung des Sofortvollzugs der Ausweisung ist im Bescheid vom 25. September 2015 den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend begründet worden.
Die Ausweisungsverfügung – ursprünglich nach § 54 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG aF – ist nunmehr auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 ) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der letzten Entscheidung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 – 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 – 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
Für den Senat bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Feststellung in der angegriffenen Verfügung, wonach der Antragsteller zu den „Leitern“ eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderliefen oder der Verein sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtete, wie es § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nF und § 54 Nr. 7 AufenthG aF gleichermaßen voraussetzen.
Dass es sich bei den „Red Legion“ um einen Verein in diesem Sinne gehandelt hat und dieser durch das Innenministerium Baden-Württemberg am 22. Mai 2013 und seit 15. Juli 2013 bestandskräftig aus Gründen verboten wurde, die von diesen Vorschriften erfasst werden – nämlich solchen, die nicht nur § 14 Abs. 2 VereinsG, sondern darüber hinaus auch § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG genügen -, kann angesichts der Begründung der Verbotsverfügung nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden.
Soweit der Antragsteller meint, das Vereinsverbot müsse im Ausweisungsverfahren inzident auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft werden, weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass sich der Prüfungsumfang dabei nur auf die vom Betroffenen selbst vorgebrachten Umstände beschränkt (so Discher, in: GK-AufenthG, § 54, August 2009, Rn. 794 zu § 54 Nr. 7 AufenthG aF), die die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung in Zweifel ziehen könnten. Solche trägt der Antragsteller aber nicht vor.
Seine Zweifel beziehen sich überwiegend nicht auf die dem Vereinsverbot zugrunde gelegten Tatsachen, sondern auf rechtliche Fragen, die sich jedoch – entgegen der Auffassung des Antragstellers – so nicht stellen.
Dies gilt zunächst schon, wenn der Antragsteller davon ausgeht, ein Vereinsverbot im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG setze einen eingetragenen Verein und förmlich gewählte Vertreter voraus. § 2 Abs. 1 VereinsG geht vielmehr von einem weiten Vereinsbegriff aus („….ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“), was dem gefahrenabwehrrechtlichen Zweck des Vereinsgesetzes entspricht und durch diesen seine Rechtfertigung erfährt (BVerwG, Urteil vom 14.05.2014 – 6 A 3.13 -, juris Rn. 24, m. w. N.). Erforderlich ist danach ein Zusammenschluss von Personen, wenn diese sich durch einen konstitutiven Akt verbunden haben, wobei an die Qualität dieses Aktes keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Eine stillschweigende Übereinkunft reicht aus. Hinsichtlich des gemeinsamen Zwecks genügt eine faktische Übereinstimmung über die wesentlichen Ziele des Zusammenschlusses, gleichviel worin diese Ziele bestehen. Die vom Willen der einzelnen Mitglieder losgelöste und organisierte Gesamtwillensbildung, der die Mitglieder kraft der Verbandsdisziplin untergeordnet sein müssen, erfordert weder eine Satzung noch spezifische Vereinsorgane. Ausreichend ist eine Organisationsstruktur, die faktisch auf eine organisierte Willensbildung schließen lässt. Das Vorliegen sämtlicher Begriffsmerkmale kann aus Indizien hergeleitet werden (so BVerwG, a. a. O. Rn. 25). Daran knüpft § 3 VereinsG als die das Verbot solcher Vereine regelnde Vorschrift ebenso an wie § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG.
Gründe, die es fraglich erscheinen lassen könnten, dass ein Verbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG von § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erfasst wird, sind nicht ersichtlich, nachdem die tatbestandlichen Voraussetzungen in beiden Vorschriften gleichlautend formuliert sind und § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG das Vereinsverbot unstreitig flankiert bzw. absichert (Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 54 AufenthG Rn. 42). Die vom Antragsteller formulierten verfassungsrechtlichen Bedenken, die dieser etwa in einem Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sehen will, teilt der Senat nicht. Dafür ist nichts ersichtlich. Der Antragsteller wird nicht ernsthaft argumentieren wollen, er könne sich hinsichtlich der von ihm oder anderen Mitgliedern der „Red Legion“ entfalteten Aktivitäten auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen. Der dahingehende Vortrag befremdet umso mehr, als der Antragsteller die in der Ausweisungsverfügung im Einzelnen dargestellten, teilweise schweren Straftaten und Machtdemonstrationen aus der Vereinigung heraus schon nicht substantiell in Frage gestellt hat. Da zudem jede Ausweisungsverfügung unabdingbar voraussetzt, dass eine konkrete Gefahr für ein Ausweisungsinteresse im Sinne des 53 Abs. 1 AufenthG besteht, vermag der Senat die vom Antragsteller formulierten Einwände gegen 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht zu teilen wie er im Übrigen auch nicht dessen Rechtsauffassung teilt, dass sämtliche vor dem Vereinsverbot entfalteten Vereinsaktivitäten in Ermangelung eines Verbot umfassend und ohne Einschränkung als erlaubt zu betrachten seien.
Ebenso wenig vermag der Senat die Bedenken des Antragstellers hinsichtlich seiner Einstufung als Leiter des verbotenen Vereins zu teilen. Angesichts der vom Antragsgegner dargelegten und im Einzelnen belegten, zahlreichen Indizien, hat der Senat keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Antragsteller „Präsident“ der „Red Legion“ war und damit Leiter eines inzwischen verbotenen Vereins, und dies in einem Zeitraum vor der Verbotsverfügung in dem durch Mitglieder der „Red Legion“ schwere Straftaten begangen wurden, deren Ursache gerade in dem Zusammenschluss zur „Red Legion“ angelegt waren. Darüber hinaus belegen die Erkenntnisse aus einer Telefon- und Kommunikationsüberwachung in dem Verfahren 221 Js 14504/14 im Zeitraum November und Dezember 2014, dass der Antragsteller sich mitnichten von der „Red Legion“ und seinem Führungsanspruch in der Gruppierung distanziert hat.
Die Argumentation des Antragstellers zu seiner Rolle bei der „Red Legion“ überzeugt den Senat schon im Ansatz nicht. Er beschränkt sich dabei auf die Behauptung, einen „Präsidenten“ oder vergleichbare Führungsfiguren habe es bei der „Red Legion“ nicht gegeben und er sei eine solche jedenfalls nicht gewesen. Es ist schon lebensfremd, annehmen zu wollen, bei einer Gruppe wie der „Red Legion“ könne es sich um eine lose Zusammenkunft von Personen gehandelt haben, nachdem diese mehrfach in hohem Maße gewalttätige Auseinandersetzungen mit streng hierarchisch und nicht minder gewaltbereiten Gruppierungen („Black Jackets“, „United Tribuns“, „Hells Angels“) gesucht hat. Die Verbotsverfügung und die im Ausweisungsverfahren dargelegten Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Für den Senat bestehen aufgrund der Aktenlage und der gesammelten Erkenntnisse auch keine Zweifel daran, dass auch die „Red Legion“ eine streng hierarchisch organisierte Gruppierung war, bei der es völlig undenkbar wäre, dass ein einfaches Mitglied sich unzutreffender Weise als „Präsident“ bezeichnen lässt oder als solches von anderen Mitgliedern bezeichnet wird. Wenn es bei derartigen Gruppierungen überhaupt etwas gibt, was den Mitgliedern wichtig ist, dann die Hierarchie in der Gruppe, die einer solchen erst die Durchschlagskraft und damit das hohe Macht- und Drohpotential vermittelt.
Das (teilweise) rechtskräftige Urteil der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart vom 26. Februar 2015 (3 KLs (a) 115 Js 35416/13 Hw., in dem ein Mitglied der „Red Legion“ wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten sowie zwei weitere Mitglieder wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen zu Jugendstrafen von vier Jahren und neun Monaten bzw. vier Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt wurden, nachdem aus nichtigem Anlass am 21. Dezember 2012 ein Streit mit Mitgliedern der „Black Jackets“ in Esslingen provoziert und in dessen Folge ein Mitglied derselben erstochen und zahlreiche weitere Personen teilweise schwer verletzt worden sind, macht beispielhaft den Charakter der Gruppierung und seiner Mitglieder deutlich, der sich durch ein massives und organisiertes Auftreten bei unbedingter Gewaltbereitschaft auszeichnet.
Die in der Verfügung im Einzelnen aufgelisteten und belegten Indizien, die für seine Stellung als „Präsident“ sprechen, hat der Antragsteller nur insoweit konkret in Frage gestellt, als sich aus einem Telefonat verschiedener „Red Legion“-Mitglieder am 28. Dezember 2014 ergeben soll, dass er Einfluss auf die Wahl der Anwälte von Mitgliedern genommen und über die finanzielle Unterstützung hierzu entscheiden haben soll. Diese Umstände sind angesichts der Fülle weiterer unbestrittener Indizien jedoch nicht mehr von entscheidender Bedeutung. Soweit er den Wahrheitsgehalt der Äußerungen des „Präsidenten“ der „United Tribunes“, …, bestreitet, der gegenüber der Polizei angegeben hatte, der Antragsteller sei „Präsident“ und bei der Auseinandersetzung am 29. März 2015 in Ludwigsburg anwesend gewesen, mag dies hinsichtlich letzterer Behauptung dahinstehen. In Bezug auf die Frage der Stellung des Antragstellers innerhalb der Gruppierung kommt es hierauf nicht an. Soweit allerdings die Aussage des … seine Stellung bei den „Red Legion“ als solche betrifft, deckt sich diese mit den weiteren in der angegriffenen Verfügung dargestellten Indizien, die allesamt dafür sprechen, dass dieser „Präsident“ der „Red Legion“ war, er also in der streng hierarchischen Struktur die führende Figur darstellte, die von den übrigen Mitgliedern als solche akzeptiert war. Die Verurteilungen des Antragstellers vom 18. August 2010 und vom 10. Oktober 2012, denen Gewalttaten des Antragstellers, gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der „Red Legion“ gerade im Kontext solcher Gruppenauseinandersetzungen zugrunde lagen und die zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten mit dreijähriger Bewährungszeit und einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe, ohne Bewährung, für diesen führten, machen überdies deutlich, dass der Antragsteller in die kriminellen Aktivitäten der „Red Legion“ tief verstrickt war.
Es liegt daher fern, die Titulierungen des Antragstellers in Telefonadressen verschiedener Mitglieder des Vereins als „President“, die häufigen Besuche durch solche Mitglieder während seiner letzten Inhaftierung, sein in den TKÜProtokollen von solchen geschildertes Auftreten nach seiner Haftentlassung und die insoweit deckungsgleichen Aussagen eines Mitglieds der „United Tribunes“ und eines ehem. Mitgefangenen eines „Red Legion“-Mitglieds als zufällige Koinzidenzen zu bewerten. Insbesondere die Ergebnisse der Telefon-und Kommunikationsverbindungsüberwachung geben für den Senat ein verlässliches Bild von den Machtverhältnissen innerhalb der „Red Legion“, selbst nach deren Verbot. Dem setzt der Antragsteller die nicht näher substantiierte Behauptung entgegen, die abgehörten Gespräche könnten anders interpretiert werden. Dafür spricht hier nichts.
Die in der angegriffenen Verfügung dargestellten Gesprächsinhalte sprechen ohne weiteres für die Führerschaft des Antragstellers bei den „Red Legion“ auch noch nach dem Verbot des Vereins, nach seiner Haftentlassung. Sie widerlegen seine Beteuerungen im Erörterungstermin vor der damaligen Berichterstatterin des Senats am 1. Dezember 2014, in dem er erklärt hatte, er habe sich von dem Verein und seinen früheren Mitgliedern distanziert.
Neben der Sache liegt vor dem Hintergrund der Abhörprotokolle die Behauptung des Antragstellers, „mäßigend“ gewirkt haben zu wollen. Die Protokolle belegen dies nicht. Nach dem Verbot des Vereins und der Haftentlassung gab es keinen nachvollziehbar anderen Anlass für den Antragsteller, sich Ende 2014 mit seinen ehemaligen Mitgliedern zu besprechen, als den, seinen Machtanspruch innerhalb der Gruppe erneut zu bekräftigen. Genau dies entspricht auch dem zitierten Inhalt der abgehörten Gespräche. Soweit der Antragsteller seinen „mäßigenden“ Einfluss darin sehen wollte, dass er ausweislich der abgehörten Gespräche die Benutzung von Messern kritisiert und statt dessen auf die Möglichkeit hingewiesen hat, sich der antrainierten Kampfsporttechniken zu bedienen, ergibt sich daraus kein Gewaltverzicht, allenfalls könnte dies als taktisches Manöver in Bezug auf die Außenwirkung in der Öffentlichkeit interpretiert werden.
Daher bestehen für den Senat auch keine Zweifel daran, dass der Antragsteller selbst durch sein nach seiner Haftentlassung fortgeführtes Handeln Gründe für die Annahme eines weiterhin bestehenden hohen Sicherheitsrisikos gesetzt hat. Mögen die ehemaligen Mitglieder der „Red Legion“ nach deren Verbot auch nicht mehr unter deren Namen auftreten, so spricht doch alles dafür, dass die tatsächlichen Machtverhältnisse bei diesen Personen weiterhin bestehen und der Antragsteller sich mitnichten hiervon distanziert hat. Die aus der Akte zu entnehmenden aktuellen Erkenntnisse über fortgesetzte Aufmärsche, Gewalttaten und Ankündigungen hierzu in „sozialen“ Netzwerken machen bei verständiger Würdigung auch deutlich, dass alleine durch das Vereinsverbot diese Gefahren nicht gebannt sind, zumal sich aus dem Aktenvermerk der Polizei vom 15. April 2016 ergibt, dass etwa im Rahmen einer Pro-türkischen Demonstration am 10. April 2016 auch pro-kurdische Gegendemonstranten anzutreffen waren, die zuvor der „Red Legion“ angehörten. Wenn der Antragsteller nun behauptet, dass sein polizeilich festgestellter Aufenthalt in der Innenstadt von Stuttgart in der Nähe dieser Demonstration nur so zu deuten sei, dass er die Demonstrationen nur habe „beobachten“ wollen, kann ihm der Senat dies schon vor dem Hintergrund seiner bewusst unwahren Behauptung, er habe sich nach seiner Inhaftierung distanziert, nicht mehr glauben.
Eine nennenswerte und daher in vorliegendem Kontext möglicherweise relevante Verringerung der vom Antragsteller auch aktuell ausgehenden Gefahr kann der Senat angesichts dessen nicht erkennen. Das schon in Bezug genommene Strafverfahren wegen des Mordes in Esslingen macht im Übrigen deutlich, dass die von einer grundsätzlich gewaltbereiten Gruppierung ausgehenden Gefahren auch dann hoch sind, wenn der Einsatz von Waffen im konkreten Einzelfall nicht allen an einer Auseinandersetzung beteiligten Gruppenmitgliedern strafrechtlich zugerechnet werden kann.
Die von Antragsteller vorgelegte Therapiebescheinigung ist nicht geeignet, den Wegfall einer fortwirkende Gefahr zu begründen, nachdem diese, unbeschadet ihrer inhaltlichen Vagheit, von einer tatsächlich nicht festzustellenden veränderten Einstellung des Antragstellers und einem tatsächlich nicht erfolgten Abstandnehmen von seiner früheren Rolle bei den „Red Legion“ ausgeht.
Diese Gefahr genügt auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der im Falle des Besitzes einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung eine Ausweisung nur zulässt, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses „unerlässlich“ ist (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 – C-371/08 -; BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 – 1 C 20.11 -, InfAuslR 2013, 169 und vom 15.01.2013 – 1 C 10.12 -, InfAuslR 2013, 217; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 – 11 S 1361/11 -, juris Rn. 64 ff.). In Anbetracht des differenzierten, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkten Grads der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (BVerwG, Urteile vom 15.01.2013 – 1 C 10.12 -, juris und vom 02.09.2009 – 1 C 2.09 – In-fAuslR 2010, 3) liegt eine fortwirkenden hohe Gefährlichkeit des Antragstellers in Bezug auf hochrangige Rechtsgüter vor.
Die Ausweisung verstößt auch nicht gegen die aus Art. 13 ARB 1/80 folgende Stand-Still-Klausel, da hier eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Rede steht, die auch schon nach dem 1965 geltenden Ausländergesetz ohne Weiteres einen Ausweisungsgrund darstellte. Die Leitung eines Vereins, der in Mord, Totschlag, gefährliche Körperverletzungen und schweren Landfriedensbruch verstrickt ist, stellt eine solche Gefahr dar. Unbeschadet dessen wäre eine unterstellte Gesetzesverschärfung auch aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 – 11 S 889/15 -, DVBl 2016, 387 ff.).
Dem nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland seit seiner Geburt, der Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und dem gemeinsamen minderjährigen ledigen deutschen Kind (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG) ein ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Antragstellers entgegen.
Bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG notwendigen Gesamtabwägung aller den Fall prägenden Umstände und unter Berücksichtigung der Rechtsstellung des Antragstellers sowie seiner Familienangehörigen überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse nach aktuellem Sach- und Streitstand aufgrund der hohen und weiterhin aktuellen Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die von dem Antragsteller ausgeht. Auch angesichts des seit vielen Jahren konsequent gewalttätigen Verhaltens des Antragstellers, von dem dieser sich auch durch zahlreiche Verurteilungen und Inhaftierungen nicht hat abhalten lassen, ist der Gesellschaft nicht zuzumuten, die vom Antragsteller ausgehende Gefahr hinzunehmen. Die persönlichen und familiären Belange haben im konkreten Fall zurückzutreten, auch wenn dies aufgrund des anzunehmenden Verbleibs der Frau und des gemeinsamen noch kleinen Kindes in Deutschland zunächst zu einer durchaus erheblichen Beeinträchtigung der familiären Bindungen führen werden. Denn es ist dabei in Rechnung zu stellen, dass der Antragsgegner mit Blick auf die Geburt des gemeinsamen Kindes das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf ein Jahr befristet hat, womit den familiären Belangen angesichts der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr genügt wird. Diese Frist kann allerdings nach § 11 Abs. 4 Satz 3 AufenthG auch verlängert werden, wenn sich beim Antragsteller keine nachhaltige Verhaltensänderung abzeichnen sollte.
Keine ausschlaggebende Bedeutung kommt der vom Antragsteller behaupteten Betreuungsbedürftigkeit seiner Eltern zu, bei denen dieser im Übrigen auch nicht mehr wohnt. Weder ist eine Betreuungsbedürftigkeit der Eltern konkret ersichtlich noch ist für den Senat erkennbar, dass der Antragsteller solche von erheblichem Gewicht tatsächlich geleistet hätte oder dies gar noch täte. Schon nach seinem eigenen Vortrag erschöpfte sich seine Unterstützung in gelegentlichen Einkäufen und dem Ausführen des Kleinsthundes.
Nach all dem bestehen auch für den Senat keine Zweifel daran, dass die für die Begründung eines besonderen Sofortvollzugsinteresses notwendigen Voraussetzungen vorliegen, da vom Antragsteller weiterhin eine erhebliche und aktuelle Gefahr ausgeht, die sich schon vor rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens in der Hauptsache realisieren kann, hinter die das Aufschubinteresse des Antragstellers zurückzutreten hat.
Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG. Danach ist der Streitwert in der Beschwerdeinstanz auf 10.000,– EUR festzusetzen.
Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,– Euro anzunehmen, § 52 Abs. 2 GKG.
Ausgehend hiervon bestimmt der Senat – in Änderung seiner bislang ständigen Rechtsprechung – den Streitwert für die Beschwerdeinstanz auf 10.000,- EUR.
Der Senat erachtet die Orientierung an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57), der bei Klagen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln und bei Klagen gegen Ausweisungen ohne weitere Differenzierung auf den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG verweist, nach Überprüfung seiner eigenen Rechtsprechung für nicht zutreffend und hält nicht mehr an ihr fest. Denn die Bedeutung der genannten Klagen für den Kläger ist – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – regelmäßig durchaus zu bestimmen; es gibt also Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts. Es liegt weiter auf der Hand, dass die Bedeutung einer Klage gegen eine Ausweisungsverfügung für den Kläger davon abhängt, ob und gegebenenfalls welches Aufenthaltsrecht mit ihr beendet (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) werden soll. Bei der Klage auf Erteilung von Aufenthaltstiteln hängt das in Geld zu bemessende Interesse vom Aufenthaltszweck ab. Wird die Aufenthaltserlaubnis unmittelbar zum Zweck der Erwerbstätigkeit begehrt, kann eine Orientierung an einem Bruchteil (etwa ein Viertel) des zu erwartenden Jahresbruttogehalts in Betracht kommen. Im Unterschied zu den gesetzlich speziell geregelten Streitwerten in dienstrechtlichen Streitigkeiten (§ 52 Abs. 6 GKG) kann hier nicht auf das gesamte zu erwartende Jahreseinkommen (vgl. § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG) oder die Hälfte (§ 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG) abgestellt werden, weil im Streit um den Aufenthaltstitel nur um eine Vorbedingung für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit gestritten wird. Hingegen steht nicht das Dienst- oder Arbeitsverhältnis selbst im Streit (vgl. VGH Bad.,-Württ., Beschluss vom 25.05.2016 – 11 S 2480/15 -, im Falle einer Ausweisung eines Ausländers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war). Davon ausgehend ist hier der Streitwert – wie im Falle der Niederlassungserlaubnis – für beide Instanzen auf 10.000,- EUR festzusetzen, nachdem der Antragsteller im Besitz eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 gewesen ist.
Eine Reduzierung des Streitwerts dieses Eilverfahrens ist aufgrund der schon mit dem Vollzug der Ausweisungsverfügung eintretenden Folgen für den Antragsteller nicht angezeigt (vgl. näher: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 31.01.2011 – 11 S 2517/10 -, NVwZ-RR 2011, 341 und vom 17.11.2005 – 11 S 611/05 -, ZAR 2006, 72 L).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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