Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen in BRD erfolgter Konversion zum Christentum eines Afghanen

Aktenzeichen  W 1 K 17.31954

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6634
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3a, § 3e
EU-GRCharta Art. 10
QRL Art. 9 Abs. 1a

 

Leitsatz

1. Die erforderliche Schwere einer Verfolgungshandlung bzgl. einer Verletzung der Religionsfreiheit hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab. (Rn. 17 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Afghanistan sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können, weil dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar ist. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 12. Dezember 2016 ist daher, soweit er noch Gegenstand der Klage ist und der Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegensteht, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben droht ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG. Für den Kläger besteht auch keine Möglichkeit des internen Schutzes im Sinne des § 3e AsylG.
Eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 a) Qualifikationsrichtlinie (QRL), der durch § 3a Abs. 1 AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wurde, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – BayVBl. 2013, 234, juris Rn. 57 ff.) sowie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 21 ff.; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 23 ff.) auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG a.a.O. Rn. 21). Zur Qualifizierung eines Eingriffs in das Recht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta als „erheblich“ kommt es nicht auf die im Rahmen des Art. 16a Abs. 1 GG sowie des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 maßgebliche Unterscheidung an, ob in den Kernbereich der Religionsfreiheit, das „religiöse Existenzminimum“ (forum internum) eingegriffen wird oder ob die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit (forum externum) betroffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.2004 – 1 C 9/03 – BVerwGE 120, 16/20 f., juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Vielmehr kann ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (EuGH a.a.O. Rn. 62 f.; BVerwG a.a.O. Rn. 24 ff.; VGH BW a.a.O. Rn. 43; OVG NRW a.a.O. Rn. 29 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher abzustellen auf die Art der Repressionen und deren Folgen für den Betroffenen (EuGH a.a.O. Rn. 65 ff.), mithin auf die Schwere der Maß-nahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (BVerwG a.a.O. Rn. 28 ff.; VGH BW a.a.O.; OVG NRW a.a.O.). Dieser Rechtsprechung hat sich das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. VG Würzburg, U.v. 21.2.2018 – W 1 K 16.32723; U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31087 – juris; U.v. 26.4.2016 – W 1 K 16.30268 – juris; U.v. 19.12.2014 – W 1 K 12.30183 – juris Rn. 23; U.v. 25.2.2014 – W 1 K 13.30164 – juris Rn. 23; U.v. 7.2.2014 – W 1 K 13.30044 und W 1 K 13.30045, juris Rn. 19; U.v. 27.8.2013 – W 1 K 12.30200 – juris Rn. 19).
Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 ff.).
Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere – aber nicht nur – dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 m.w.N.).
Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 29; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 48; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; VGH BW a.a.O.). Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 a.a.O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG a.a.O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG a.a.O.; VGH BW a.a.O. Rn. 49).
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 30; B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; OVG NRW, B.v. 11.10.2013 – 13 A 2041/13.A – juris Rn. 7; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 13). Dabei ist das Gericht nicht an kirchliche Bescheinigungen und Ein-schätzungen gebunden (BayVGH, 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – juris Rn. 5; OVG Lüneburg, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – juris Rn. 6). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG v. 20.2.2013 a.a.O. Rn. 31; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 50).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im Falle des Klägers die erforderliche objektive (1.) und subjektive (2.) Schwere der ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vor. Ihm droht deshalb aufgrund eines anzuerkennenden subjektiven Nachfluchtgrundes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne des §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
1. Nach der Überzeugung des Gerichtes sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar (OVG NRW, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886/05.A – juris Rn. 25 ff.; VG Würzburg, U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 27.8.2013 – W 1 K 12.30200 – juris Rn. 25; U.v. 24.9.2012 – W 2 K 11.30303 – UA S. 11 ff.; U.v. 16.2.2012 – W 2 K 11.30264 – UA S. 8 ff.; VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – Au 6 K 13.30004 – juris Rn. 24 ff.; U.v. 9.6.2010 – Au 6 K 10.30098 – juris Rn. 39 ff.; VG Saarland, U.v. 21.3.2012 – 5 K 1037/10 – juris Rn. 33 ff.). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar wird den Angehörigen anderer Religions-gemeinschaften das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Somit gewährleistet die Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Dieses Grundrecht umfasst jedoch nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren, und schützt somit nicht die freie Religionswahl (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004 Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, September 2012, S. 18). Vielmehr kommt im Fall des Wechsels vom Islam zu einer anderen Religion Scharia-Recht zur Anwendung. Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (sog. Apostasie). Die Todesstrafe wegen Konversion wurde allerdings nach Kenntnissen des Auswärtigen Amtes bisher nie vollstreckt (Lagebericht a.a.O. S. 11). Konvertiten drohen jedoch Gefahren oft auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, da der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird (Lagebericht a.a.O.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, zusammenfassende Übersetzung vom 24.3.2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan – Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 8 ff.; Dr. M. D., Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig, S. 1 ff.). Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Der Betroffene hat dann drei Tage Bedenkzeit. Widerruft er bis dahin seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt (IGFM, Stellungnahme vom 27.2.2008, S. 8; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6). Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten, und sie können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Dr. M. D. a.a.O., S. 2 f.). Es wäre Christen auch nicht möglich, sich der Teilnahme an muslimischen Riten wie dem fünf Mal täglichen Gebet, dem Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten zu entziehen (Dr. M. D. a.a.O., S. 6 f.). Im Februar 2014 wurde durch die Taliban ein Anschlag auf ein „Guesthouse“ verübt, in welchem auch christliche Gottesdienste stattfanden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17/18). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM a.a.O., S. 1, 5, 8 f.; Dr. M. D. a.a.O., S. 1 f., 3 ff.). Dieses Ergebnis wird auch durch die aktuellen Erkenntnismittel bestätigt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 10 f.; UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 53 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, S. 26; EASO, Country of Origin Information Report – Individuals targeted under societal and legal norms. Dezember 2017, S. 23 ff.).
2. Im Falle des Klägers liegt auch die erforderliche subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit vor, weil es nach Überzeugung des Gerichts ein unverzichtbarer Bestandteil seiner religiösen Identität ist, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn offen auszuüben, insbesondere an Gottesdiensten teilzunehmen, aktiv im Gemeindeleben mitzuwirken sowie in geeigneten Fällen zu versuchen, andere Landsleute mit in seine Kirchengemeinde zu nehmen und sie zum christlichen Glauben zu bekehren. Überdies ist es zentraler Glaubensbestandteil für den Kläger, seinen Glauben durch regelmäßige christliche Gebete zu vertiefen.
Der formale Glaubenswechsel des Klägers ist durch den bereits vollzogenen Akt der Taufe am 5. Februar 2017 belegt. Darüber hinaus ist jedoch für die Annahme einer Verfolgungsgefahr und damit für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass der Glaubenswechsel, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr die religiöse Identität des Betroffenen prägt (BayVGH, B.v. 20.4.2015 – 14 ZB 13.30257 – juris Rn. 4; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – juris Rn. 7; HessVGH, U.v. 26.7.2007 – 8 UE 3140/05.A – juris Rn. 20 ff.; B.v. 26.6.2007 – 8 ZU 1463/06.A – juris Rn. 12 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 37 ff.). Auf eine solche echte Glaubensüberzeugung kommt es nur dann nicht an, wenn im Herkunftsland bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde (HessVGH a.a.O.; OVG NRW a.a.O.). Letzteres ist in Afghanistan nach der Erkenntnislage und der Rechtsprechung (vgl. z.B. HessVGH a.a.O.; OVG NRW a.a.O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch nicht der Fall.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive seines Glaubenswechsels zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können, wobei bei dem Kläger zu berücksichtigen war, dass dieser Analphabet ist und keine Bildung genossen hat, so dass nach Überzeugung des Gerichts aus diesem Grunde gewisse Abstriche hinsichtlich des Umfangs und der Art und Weise der Darstellung zu seiner Konversion zu machen waren. Das Gericht hat unter Berücksichtigung dessen den Eindruck gewonnen, dass der Kläger sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis zum islamischen Glauben gelöst und in einem längeren Wandlungsprozess dem Christentum zugewandt hat. So hat der Kläger zu seinem diesbezüglichen Werdegang nachvollziehbar dargelegt, dass er, solange er in Afghanistan gelebt habe, die islamischen Glaubensregeln nach außen hin befolgt habe. Er hat jedoch weiter erklärt, dass der Islam für ihn auch in Afghanistan bereits nicht glaubhaft gewesen sei; er habe vieles für sich nicht akzeptiert. Allerdings habe er dort aus Angst vor Bestrafung oder gar Tötung seine Unzufriedenheit für sich behalten. Es habe ihm zum Beispiel missfallen, dass Menschen für die Nichteinhaltung der Glaubensregeln regelmäßig streng bestraft worden seien, etwa wenn man nicht gebetet oder den Ramadan nicht eingehalten habe. Darüber hinaus habe er viele andere schlechte Dinge im Islam erlebt, so etwa, dass Frauen und Männer, die sich nicht kennen, nicht miteinander sprechen dürften. Wenn sie es dennoch täten, so würde die Frau hierfür geschlagen oder sogar gesteinigt. Ein besonders einschneidendes Erlebnis sei für ihn gewesen, dass er vor zehn Jahren mit eigenen Augen gesehen habe, wie Dorfbewohner, eine Frau und einen Mann, jeweils anderweitig verheiratet, gesteinigt hätten, die sich verbotenerweise miteinander unterhalten hätten.
Der Kläger hat darüber hinaus überzeugend darlegen können, dass er sich aus tiefer innerer Überzeugung dem Christentum zugewendet hat. Er hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass er, nachdem er in Deutschland gewesen sei, unmittelbar nicht mehr nach den islamischen Glaubensregeln gelebt habe. Er sei dann in Kontakt mit einem Iraner und einer afghanischen Familie gekommen, die bereits konvertiert gewesen seien. Über diese sei der Kontakt mit dem christlichen Glauben und der evangelischen Kirchengemeinde in Mellrichstadt entstanden. Der Kläger hat nachvollziehbar darlegen können, wie er sich trotz der bestehenden Sprachbarriere mit den Glaubensinhalten hat vertraut machen können, indem die erwähnten bereits konvertierten Personen ihm viel in seiner Heimatssprache über den christlichen Glauben erzählt hätten und für ihn auch bei seinem Taufvorbereitungskurs in der Kirchengemeinde gedolmetscht hätten. Aufgrund der Berichte seiner konvertierten Bekannten habe er sich auch selbst zur Konversion entschlossen. Überzeugend hat der Kläger erklärt, dass er den wesentlichen Grund für seinen Glaubenswechsel und gleichzeitig den entscheidenden Unterschied zwischen Islam und Christentum darin sehe, dass nach seiner Erfahrung aus Afghanistan in der muslimischen Welt ständig Menschen umgebracht würden und man sich dort in der Öffentlichkeit beschimpfe und nicht freundlich miteinander umgehe, während man im Gegensatz dazu in Deutschland freundlich, respektvoll und hilfsbereit zusammenlebe. Diese erheblichen Unterschiede führt der Kläger zentral auf die unterschiedlichen vorherrschenden Religionen zurück, weshalb er sich dann aufgrund seiner lebensgeschichtlichen Erfahrungen und der Berichte seiner Bekannten über den christlichen Glauben dazu entschieden habe, Christ zu werden.
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger einen gewissensgeleiteten, durch religiöse Werte und Normen hervorgerufenen längerfristigen Wandlungsprozess der inneren Umkehr glaubhaft geschildert und hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei seiner Hinwendung zum Christentum um eine Gewissensentscheidung handelt, die von einer echten Glaubensüberzeugung und nicht von asyltaktischen Erwägungen geleitet ist. Diese Einschätzung wird nach Überzeugung des Gerichts bedeutsam auch dadurch gestützt, dass für den Kläger (und seine Kindern) mit Bescheid der Beklagten vom 3. März 2017 ein Abschiebungsverbot zuerkannt wurde, sodass angesichts der familiären Verhältnisse (zumindest für viele Jahre) nicht mit einer Beendigung des Aufenthalts in Deutschland und einer zwangsweisen Rückführung nach Afghanistan zu rechnen ist. Gleichwohl hat der Kläger sein Leben als Christ und seine diesbezüglichen Glaubensbetätigungen weiterhin unbeirrt fortgesetzt, was nicht zu erwarten gewesen wäre, wenn der Glaubenswechsel einen asyltaktischen Hintergrund hätte. Überdies spricht für die Ernsthaftigkeit und Tiefe der Hinwendung zum Christentum auch, dass sich der Kläger mit einem solchen Schritt – gerade in seiner großen Asylbewerberunterkunft – nicht unerheblichen Gefahren durch die muslimischen Mitbewohnern in Form von gewaltsamen Racheakten aussetzt, was zusätzlich auch seine minderjährigen Kinder betrifft. Zwar ist dem Kläger diesbezüglich trotz Kenntnis aller Mitbewohner vom Glaubenswechsel bislang nichts widerfahren, da er sich auch selbst stets bemühe, sehr freundlich und höflich mit seinen Mitbewohnern umzugehen. Jedoch hat er auch versichert, dass er diesbezüglich in Angst lebe, dass muslimische Mitbewohner, wenn die Gelegenheit günstig sei, ihm oder seinen Kindern Probleme bereiten könnten, was das Gericht für durchaus realistisch erachtet, da derartige Fälle in jüngerer Vergangenheit in Deutschland bereits bekannt geworden sind.
Der Glaubhaftigkeit der Konversion des Klägers steht überdies nicht entgegen, dass dieser vor dem Bundesamt hierzu noch nichts vorgetragen hat. Zum einen hat die Taufe des Klägers, die landläufig als Zeitpunkt der Annahme des christlichen Glaubens angesehen wird, erst ca. drei Monate nach der Bundesamtsanhörung stattgefunden. Unmittelbar nach der Taufe hat der Kläger dann auch über seinen Bevollmächtigten die Taufurkunde vorlegen lassen. Zum anderen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung das dortige Schweigen nachvollziehbar erklären können, indem er ausgeführt hat, dass er seinerzeit Angst gehabt habe, davon zu berichten. Insbesondere habe er dem paschtunischen Dolmetscher nicht getraut und diesbezüglich Probleme für sich befürchtet; in der heutigen mündlichen Verhandlung fühle er sich dagegen wohl und könne darüber sprechen. Dies erscheint durchaus nachvollziehbar, da der Abfall vom Islam nach Auffassung der Muslime einen außerordentlich verachtungswürdigen und zu bestrafenden Akt darstellt, so dass die Befürchtung des Klägers sicherlich nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist und insbesondere im Falle des ungebildeten und seinerzeit erst rund sieben Monaten in Deutschland lebenden Klägers verständlich erscheint. Das Verhalten des Klägers stellt sich damit als erklärbar dar und die später erfolgte Berufung auf die Konversion zum Christentum nicht als unglaubhafte erhebliche Steigerung des Sachvortrages.
Schließlich steht der Ernsthaftigkeit der Konversion des Klägers auch nicht entgegen, dass dieser seiner Familie gegenwärtig noch nicht von seinem Glaubenswechsel berichtet hat. Auch dies hat der Kläger authentisch und überzeugend damit erklären können, dass sein weiterer minderjähriger Sohn noch bei der Großmutter in Afghanistan lebe und er Angst habe, dass ihm dort durch seine Familie etwas angetan werde. Er habe jedoch vor, der Familie von der Konversion zu berichten, wenn sein Sohn in Deutschland sei. Nach Überzeugung des erkennenden Einzelrichters hat der Kläger damit einen sehr gewichtigen und nachvollziehbaren Grund, seinen Glaubenswechsel bis auf weiteres vor seiner Familie geheim zu halten, da die Erkenntnismittellage zu Afghanistan in Übereinstimmung mit dem klägerischen Vortrag darauf hinweist, dass Konvertiten und auch deren Familienangehörige immer wieder Diskriminierungen und schwerwiegenden Angriffen bis hin zu Tötungen ausgesetzt sind (vgl. etwa: EASO Report AFGHANISTAN: Individuals targeted under societal and legal norms, Dezember 2016, S. 25 ff.). Schließlich erscheint es auch realistisch, dass der Sohn des Klägers seiner Familie als Faustpfand dienen könnte, um den Kläger zur Rückkehr nach Afghanistan zu bewegen, um ihn dort für seine Konversion zu bestrafen. Eine Gefahr kann dabei durchaus auch von aktuell im Iran befindlichen Familienmitgliedern ausgehen, da allgemein- und gerichtsbekannt ist, dass afghanische Staatsangehörige immer wieder zwischen beiden Ländern pendeln bzw. Afghanen durch die iranischen Behörden sehr kurzfristig nach Afghanistan abgeschoben werden.
Der Kläger machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung insgesamt einen sehr glaubwürdigen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Seine Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass der Kläger in seinen Aussagen inhaltlich übertrieben, sondern stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet hat. Der Kläger erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig.
Der Kläger konnte schließlich auch darlegen, dass er seinen neuen Glauben in Deutschland offen praktiziert und dies auch in Afghanistan würde tun wollen. Er hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, dass er regelmäßig sonntags den Gottesdienst in seiner Kirchengemeinde besuche und sich ebenso regelmäßig aktiv im Gemeindeleben einbringe, indem er etwa bei den Veranstaltungen der Kirchengemeinde mithelfe. Zudem bete er regelmäßig, um seinen Glauben zu stärken. Darüber hinaus habe er auch einen weiteren afghanischen Landsmann zur Kirche mitgenommen und versucht, diesen zur Annahme des christlichen Glaubens zu bewegen. Der Kläger hat überdies sehr klar und deutlich bekräftigt, dass er auch in Afghanistan seinen christlichen Glauben würde leben und praktizieren wollen. Es sei egal, ob er in Deutschland oder Afghanistan sei – er habe sich für das Christentum entschieden und bleibe Christ, solange er lebe. Die Glaubensbetätigungen, die er in Deutschland ausführe, wolle er auch in Afghanistan praktizieren, da das Christentum für ihn die richtige Religion sei. Eine Rückkehr zum Islam und einem Leben nach den islamischen Glaubensgeboten könne er sich nicht mehr vorstellen. Er habe den Islam von Anfang an nicht gemocht und habe mittlerweile für sich im Christentum eine gute und richtige Religion gefunden, die er auch behalten wolle. Es sei ihm nicht möglich, in einem Jahr die eine und im nächsten Jahr eine andere Religion auszuüben. Damit hat der Kläger überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass er sich zwar vor Verlassen seines Heimatlandes notgedrungen an die islamischen Glaubensriten gehalten hat, ihm dies aber nunmehr aufgrund seiner Erfahrungen in Deutschland und seiner Hinwendung zum christlichen Glauben ohne schwerwiegende Verletzung seiner religiösen Identität als Christ nicht mehr möglich ist. Damit hat er glaubhaft gemacht, auch in Afghanistan unter Inkaufnahme von Risiken als Christ leben zu wollen. Es steht somit fest, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 1 und 3 AsylG ausgesetzt zu sein.
Selbst wenn man abweichend von vorstehenden Ausführungen davon ausgehen wollte, dass die notwendige Tiefe der Hinwendung zum christlichen Glauben bei dem Kläger noch nicht gegeben ist, so hat dieser doch in jedem Falle – insbesondere aufgrund seiner überzeugenden lebensgeschichtlichen Erfahrungen – das Gericht (auch) davon überzeugen können, dass er vom islamischen Glauben abgefallen ist und diese Apostasie mittlerweile dergestalt identitätsprägend für den Kläger ist, dass davon auszugehen ist, dass er seine nunmehrige Weltanschauung bei einer Rückkehr in sein Heimatland leben und praktizieren wird. Denn der Kläger hat sich entsprechend seiner glaubhaften Ausführungen dauerhaft, ernsthaft und mit innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und lebt nunmehr eine nicht muslimische religiöse Grundhaltung. Auch dies reicht in Afghanistan für eine begründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Religion aus, da der maßgebliche Anknüpfungspunkt von Verfolgungsmaßnahmen nicht die Hinwendung zum Christentum ist, sondern die Apostasie, das heißt der Abfall vom muslimischen Glauben (vgl. VG Magdeburg, U.v. 30.9.2014 – 5 A 193/13 MD – juris). Diese Einschätzung wird auch durch die aktuellen Erkenntnismittel bestätigt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.7.2017, S. 9; UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 61; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, S. 26; EASO, Country of Origin Information Report – Individuals targeted under societal an legal norms. Dezember 2017, S. 23 ff.).
Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die oben (unter 1.) geschilderten Gefahren für vom Glauben abgefallene Muslime drohen in Afghanistan landesweit, auch in der Stadt Kabul. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten seien. Selbst dort würde aber ein vom Glauben abgefallener Muslim unweigerlich auffallen und selbst im privaten, familiären Umfeld bedroht sein (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 13.5.2012 im Verfahren W 2 K 11.30269). Schutz vor Übergriffen ist jedoch in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22.12.2004, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 19; IGFM, a.a.O., S. 1). In der Rechtsprechung wird diese Einschätzung teilweise geteilt (z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886705.A – InfAuslR 2008, 411, juris Rn. 33 ff., dort auch explizit zu Kabul; VG Würzburg, U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris Rn. 36 m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – AU 6 K 13.30004 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 18.1.2011 – AU 6 K 10.30647 – juris Rn. 46; eine Fluchtalternative in Kabul bejahend VG Augsburg, U.v. 22.6.2012 – AU 6 K 11.30345 – juris Rn. 20 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 12.4.2013 – 13 A 2819/11.A – juris Rn. 26). Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage, soweit ersicht-lich, in Bezug auf Konvertiten offen gelassen (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2013 – 13a ZB 12.30297 – juris Rn. 3 f.); in der genannten Entscheidung war dies nicht entscheidungserheblich. Das erkennende Gericht schließt sich im vor-liegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Moslems in Afghanistan ausscheidet, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen (vgl. VG Würzburg, U.v. 21.2.2018 – W 1 K 16.32723; U.v. 9.1.2018 – W 1 K 16.32453; U.v. 24.2.2017 – W 1 K 16.30673; U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31087 – juris; U.v. 26.4.2016 – W 1 K 16.30268 – juris; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris; U.v. 19.12.2014 – W 1 K 12.30183 – juris). Ein derartiges Verhalten wäre dem Kläger nicht zumutbar, da es, wie in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, seine religiöse Identität verletzen würde.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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