Aktenzeichen XI R 17/11
§ 2 Abs 2 Nr 2 S 1 UStG 2005
§ 4 Nr 2 UStG 2005
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG 2005
§ 15 Abs 2 S 1 Nr 1 UStG 2005
§ 15 Abs 3 Nr 1 Buchst a UStG 2005
§ 15 Abs 4 UStG 2005
§ 124 Abs 1 HGB
§ 161 Abs 1 HGB
§ 161 Abs 2 HGB
Art 2 EWGRL 388/77
Art 4 Abs 4 UAbs 2 EWGRL 388/77
Art 17 Abs 2 Buchst a EWGRL 388/77
Art 17 Abs 5 EWGRL 388/77
Art 29 EWGRL 388/77
Art 9 Abs 1 EGRL 112/2006
Art 11 Abs 1 EGRL 112/2006
Art 168 Buchst a EGRL 112/2006
Art 173 Abs 1 EGRL 112/2006
UStG VZ 2005
Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :
1. Nach welcher Berechnungsmethode ist der (anteilige) Vorsteuerabzug einer Holding aus Eingangsleistungen im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung zum Erwerb von Anteilen an Tochtergesellschaften zu berechnen, wenn die Holding später (wie von vornherein beabsichtigt) verschiedene steuerpflichtige Dienstleistungen gegenüber diesen Gesellschaften erbringt?
2. Steht die Bestimmung über die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG einer nationalen Regelung entgegen, nach der (erstens) nur eine juristische Person –nicht aber eine Personengesellschaft– in das Unternehmen eines anderen Steuerpflichtigen (sog. Organträger) eingegliedert werden kann und die (zweitens) voraussetzt, dass diese juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch (im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses) “in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist”?
3. Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Kann sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen?
Verfahrensgang
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 12. Mai 2011, Az: 16 K 411/07, Urteilnachgehend EuGH, 16. Juli 2015, Az: C-108/14 und C-109/14, Urteilnachgehend BFH, 1. Juni 2016, Az: XI R 17/11, Urteil
Tatbestand
1
I. Streitig ist die Höhe des Vorsteuerabzugs einer Holding aus Eingangsrechnungen im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung, wenn das dadurch eingeworbene Kapital zum Erwerb von Anteilen an Tochtergesellschaften dient und die Holding diesen gegenüber später steuerpflichtige Dienstleistungen erbringt.
2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine “Beteiligungsgesellschaft” in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, war im Streitjahr (2005) als sog. “Dachfonds” an zwei –ebenfalls in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG betriebenen– Tochtergesellschaften als Kommanditistin beteiligt. Ihre Kommanditeinlagen betrugen jeweils über 98 %. Die Tochtergesellschaften waren jeweils Eigentümerinnen eines von ihnen im internationalen Schiffsverkehr betriebenen Vollcontainerschiffes.
3
Die Klägerin schloss mit ihren Tochtergesellschaften am 1. März 2005 einen “Dienstleistungsvertrag”. Danach erbrachte sie gegenüber den Tochtergesellschaften “administrative Leistungen” und stand ihnen als “allgemeiner betriebswirtschaftlicher Berater” zur Seite. Insbesondere übernahm sie die Organisation und Durchführung von Gesellschafterversammlungen, die Beratung bei betrieblichen Abläufen, Beratungen auf dem Gebiet des Chartermarktes, die Beratung in Finanzierungsfragen, die Vermittlung von Kontakten zu Hafen- und anderen in- oder ausländischen Behörden für die Tochtergesellschaften, die Beratung bei anlässlich dieser Vermittlung geführten Gesprächen sowie die Vermittlung von Rechts-, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsleistungen.
4
Für diese Dienstleistungen erhielt sie ab dem Jahr 2006 eine Vergütung in Höhe von jährlich … € zuzüglich Umsatzsteuer. Für die Beratung in der Gründungsphase und für die Beratung zur laufenden Tätigkeit in der Zeit bis zum Ablauf des Streitjahres 2005 erhielt sie eine Pauschalvergütung in Höhe von … € zuzüglich Umsatzsteuer.
5
Die Klägerin warb im Streitjahr 2005 mithilfe der A-GmbH Kapital in Höhe von … € ein, wovon sie … € für die Erbringung ihrer Kommanditeinlage bei den Tochtergesellschaften verwandte.
6
Für Aufwendungen der Klägerin im Zusammenhang mit der Einwerbung des Kapitals durch die A-GmbH und für die Erstellung eines von der B-GmbH erstellten Prospektgutachtens fiel Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt … € an, die die Klägerin in ihrer Umsatzsteuererklärung für 2005 als Vorsteuer geltend machte.
7
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) ließ davon zuletzt nur … € (= 22,31 %) zum Vorsteuerabzug zu. Denn das von der Klägerin insgesamt eingeworbene Kapital in Höhe von … € diene in Höhe von … € (= 77,69 %) ihrem nichtwirtschaftlichen Bereich des Haltens von Anteilen an den Tochtergesellschaften, für den ein Vorsteuerabzug ausscheide.
8
Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 12. Mai 2011 16 K 411/07 ab (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2011, 1751).
9
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, der Streitfall entspreche in allen wesentlichen Punkten den Sachverhaltsgestaltungen der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 27. September 2001 C-16/00 –Cibo Participations– (Slg. 2001, I-6663, BFH/NV Beilage 2002, 6) und vom 29. Oktober 2009 C-29/08 –SKF– (Slg. 2009, I-10413, BFH/NV 2009, 2099). Hieraus folge, dass das Halten von Beteiligungen unmittelbar mit dem entgeltlichen Eingreifen in die Verwaltung der Tochtergesellschaften zusammenhänge, wenn eine Muttergesellschaft anlässlich eines Beteiligungserwerbs Dienstleistungen beziehe, um später gegenüber ihren daraufhin gegründeten bzw. erworbenen Tochtergesellschaften eigene umsatzsteuerpflichtige Leistungen zu erbringen. Dann sei die Holdinggesellschaft im Ganzen wirtschaftlich tätig, so dass bei einem Beteiligungserwerb anfallende Kosten vollumfänglich den allgemeinen Kosten des Unternehmens zuzuordnen und die damit im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge insgesamt abziehbar seien.
10
Hilfsweise bringt die Klägerin im Revisionsverfahren erstmals vor, der von ihr geltend gemachte Vorsteuerabzug stehe ihr jedenfalls unter dem Gesichtspunkt einer mit ihren Tochtergesellschaften bestehenden Organschaft zu. Eine Organschaft –wozu das FG ggf. Feststellungen nachzuholen habe– komme mit Blick auf die EuGH-Urteile vom 9. April 2013 C-85/11 –Kommission/Irland– (Deutsches Steuerrecht –DStR– 2013, 806, Mehrwertsteuerrecht –MwStR– 2013, 238) und vom 25. April 2013 C-480/10 –Kommission/Schweden– (MwStR 2013, 276, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2013, 423) auch mit ihren Tochtergesellschaften als Organgesellschaften in Betracht, obwohl diese als Kommanditgesellschaften die Rechtsform einer Personengesellschaft hätten. Deshalb seien ihr die Umsätze ihrer Tochtergesellschaften zuzurechnen, so dass ihr der Vorsteuerabzug vollumfänglich zu gewähren sei.
11
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG sowie den Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für 2005 vom 24. September 2007 aufzuheben, hilfsweise, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
12
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.