Steuerrecht

USt-IdNr. als formelle Voraussetzung für die Steuerfreiheit

Aktenzeichen  14 K 2913/16

Datum:
9.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2017, 877
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
UStG § 3 Abs. 1a, § 6a Abs. 2
rl77/388/EWG vom 17 Art. 28a Abs. 5 lit. b
MwStSystRL Art. 32 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid vom 13. November 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2014 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens, einschließlich des Vor-abentscheidungsverfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.
Im Streitjahr (2006) erwarb der Kläger, ein Einzelunternehmer, der mit Baumaschinen handelt, einen neuen Pkw für sein Unternehmen, den er diesem zuordnete. Da er mit dem Fahrzeug nicht zufrieden war, entschied er sich, dieses wieder zu verkaufen. Das neue Fahrzeug versandte er am 20. Oktober 2006 an einen spanischen Kfz-Händler, um den Pkw in Spanien zu verkaufen. Nachdem ein Käufer gefunden worden war, veräußerte der Kläger das Fahrzeug am 11. Juli 2007 an das spanische Unternehmen D.
Der Kläger hatte für diesen Vorgang im Jahr 2006 keinen Umsatz und im Jahr 2007 eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung des Pkw an D erklärt. In seinen Aufzeichnungen hielt er fest, dass das Fahrzeug am 20. Oktober 2006 nach Spanien an den Kfz-Händler versandt (CMF-Frachtbrief) und im Jahr 2007 an D verkauft wurde (Rechnung vom 11. Juli 2007). Der Kläger zeichnete keine eigene spanische UmsatzsteuerIdentifikationsnummer auf. In Spanien erklärte er keinen Umsatz. Seine Steuererklärung für 2006 stand einer Festsetzung der Umsatzsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
Im Rahmen einer Außenprüfung aufgrund einer Meldung der Veranlagungsstelle vertrat der Prüfer die Auffassung, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Jahr 2007 lägen nicht vor; es sei in Deutschland eine steuerpflichtige Lieferung im Jahr 2007 zu versteuern. Der Prüfer hatte sich während der Außenprüfung an das Bundeszentralamt für Steuern (BZA) mit der Bitte gewandt, die spanischen Finanzbehörden zu befragen. Das BZA teilte am 17. Dezember 2009 mit, nach den Angaben der „beigefügten Wirtschaftsauskunft“ vom 8. Mai 2009 sei D zwar ein in Spanien registriertes, wirtschaftlich jedoch inaktives Unternehmen. Diese Wirtschaftsauskunft liegt nicht vor.
Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) erließ am 30. März 2010 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2007. Diesen hob das FA im anschließenden Klageverfahren vor dem Finanzgericht -FG- (14 K 2320/13) auf, weil das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass sich das Fahrzeug im Jahr 2007 bereits in Spanien befunden hatte.
Nunmehr vertrat das FA die Auffassung, das Verbringen des Fahrzeugs im Jahr 2006 nach Spanien sei steuerbar und steuerpflichtig und änderte mit Bescheid vom 13. November 2013 gem. § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) die Festsetzung für das Jahr 2006.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2014 als unbegründet zurückwies. Der Kläger habe das Fahrzeug im Jahr 2006 mit Verkaufsabsicht und daher nicht nur vorübergehend vom Inland nach Spanien verbracht. Der Umsatz sei nicht steuerbefreit, weil der Kläger keine eigene spanische UmsatzsteuerIdentifikationsnummer aufgezeichnet und damit den erforderlichen Buchnachweis nicht geführt habe.
Am 10. Juni 2014 erhob der Kläger u. a. mit der Begründung Klage, selbst dann, wenn das Verbringen steuerbar sei, sei es steuerfrei.
Der Kläger beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid vom 13. November 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2014 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es regt an, im Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Der Kläger habe nicht alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen, seine ausländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer dem Finanzamt mitzuteilen. Das FA verwies auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 27. September 2012 C-587/10, VSTR (Deutsches Steuerrecht – DStR – 2012, 2014).
In der mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2014 erklärte der Vertreter des Finanzamtes zu Protokoll, „dass er aufgrund des gegebenen Sachverhalts und der insoweit nicht ausreichenden Ermittlungen, die lediglich auf dem Schreiben des Bundeszentralamts für Steuern und einer angeblichen Wirtschaftsauskunft beruhen, nicht davon ausgeht, dass dem Kläger eine Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Verbringen des Pkws nach Spanien vorgeworfen werden kann.“ Das FA gehe aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse von einer Lieferung an D aus.
Mit Beschluss vom 4. Dezember 2014 (DStR 2015, 358) setzte das Gericht das Verfahren aus und legte dem EuGH das Verfahren zur Vorabentscheidung vor.
Im Rahmen des EuGH-Verfahrens reichte das FA seine Stellungnahme vom 27. April 2015 ein (Bl. 143 ff. der Finanzgerichts-Akte), in dem es u. a. ausführte, der Kläger habe den Pkw nach Spanien verbracht, um dort einen gewerblichen Handel mit Pkw zu betreiben und zu gründen (S. 14, 16 des Schriftsatzes). D sei ein inaktives Unternehmen (S. 14). Der Betriebsprüfer habe bei den spanischen Finanzbehörden nachgefragt, ob die Zahlung durch D erfolgt sei. Die spanische Finanzbehörde habe die Zahlung verneint und habe mitgeteilt, dass es sich um ein wirtschaftlich inaktives Unternehmen handele.
Mit weiterem Schreiben an den EuGH vom 14. August 2015 (Bl. 209 ff. der FinanzgerichtsAkte) trug das FA vor, es konkretisiere sein Vorbringen dahingehend, dass im konkreten Einzelfall keine Anhaltspunkte für ein „doloses“ Handeln des Klägers vorlägen. Die Ausführungen zur Gefährdung der steuerlichen Neutralität unter II. des Schreibens vom 27. April 2015 (S. 11 ff.) sollten in erster Linie – unter Weiterentwicklung des vorliegenden Sachverhalts – eine abstrakte Gefährdungslage beschreiben: Die ursprüngliche Vermutung, der Kläger beabsichtige, in Spanien einen gewerblichen Kfz-Handel zu betreiben, habe sich im weiteren Verfahren nicht bestätigt. Auch die Annahme, D sei ein wirtschaftlich inaktives Unternehmen, habe in der mündlichen Verhandlung nicht nachgewiesen werden können. Da aus Sicht der Finanzverwaltung aber ohnehin keine Steuerhinterziehung im Raum stehe, komme es hierauf nicht an. Es liege eine Auskunft der spanischen Finanzbehörden vom 15. Dezember 2009 vor. Die spanische Finanzverwaltung habe darauf hingewiesen, dass D zwar im Verdacht stehe, an Umsatzsteuerbetrugsfällen beteiligt zu sein, aber zum Zeitpunkt der Abfrage des Klägers über eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügt habe. Aufgrund eines Büroversehens des FA sei dieses Schreiben bislang nicht in das Verfahren eingeführt worden.
Mit Urteil vom 20. Oktober 2016 (C-24/15, Plöckl, ECLI:ECLI:EU:C:2016:791, DStR 2016, 2525) entschied der EuGH:
„Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2005/92/EG des Rates vom 12. Dezember 2005 geänderten Fassung in seiner Fassung des Art. 28h der Sechsten Richtlinie sowie Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 und Buchst. d dieser Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie es der Finanzverwaltung des Herkunftsmitgliedstaats verwehren, eine Mehrwertsteuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Verbringung mit der Begründung zu versagen, der Steuerpflichtige habe keine vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bestehen, der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat verbracht worden ist und auch die übrigen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen.“
Mit Schreiben vom 17. Januar 2017 teilte das FA mit, eine Änderung des streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheides werde abgelehnt. Denn das FG gehe in seinem Vorlagebe-schluss in DStR 2015, 358 von einem Sachverhalt aus, der keine Steuerhinterziehung begründe. In seiner Stellungnahme an den EuGH vom 27. April 2015 sei das FA dagegen von einer Gefährdung des Steueraufkommens ausgegangen und bringe konkret vor, dass im Streitfall eine Steuerhinterziehung vorliege, da es in Spanien zu einem Steuerausfall gekommen sei. Zur weiteren Begründung werde auf die S. 11 bis 14 dieses Schriftsatzes verwiesen. Der in Spanien aufgetretene Steuerausfall in Spanien sei bei der Entscheidungsfin-dung des FG zu berücksichtigen. Dieser wesentliche Aspekt sei vom FA in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2014 nicht vorgebracht worden.
In der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2017 trug das FA vor, es liege eine Steuerhinterziehung des Klägers vor. Er hätte den Verkauf des Pkw in Spanien dort erklären müssen. Dass der Vorgang in Spanien steuerbar und steuerpflichtig sei, habe er spätestens seit dem Vorlagebeschluss des Senats in DStR 2015, 358 gewusst. Auf Nachfrage des Gerichts erklärte das FA, es habe die spanischen Finanzbehörden bis heute nicht darüber informiert, dass ein in Spanien steuerbarer Verkauf vorliege. Auf mehrfache Nachfrage des Gerichts, ob das FA seine Tatsachenbehauptungen im Schreiben vom 27. April 2015 wiederhole, gab das FA keine eindeutige Antwort. Es legte erstmals eine Kopie eines Auskunftsersuchens an die spanischen Finanzbehörden aus dem Jahr 2009 mit der entsprechenden Antwort vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze, die vorgelegten Behördenakten, den Vorlagebeschluss in DStR 2015, 358, auf das daraufhin ergangene Urteil des EuGH in ECLI:ECLI:EU:C:2016:791 sowie die Niederschriften zu den mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2014 und 9. März 2017 Bezug genommen.
II.
Die Klage ist begründet. Das steuerbare Verbringen des Fahrzeugs nach Spanien ist steuerfrei.
1. Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres (UStG) unterliegen der Umsatzsteuer Lieferung und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt ausführt. Nach § 3 Abs. 1a Satz 1 UStG gilt als Lieferung gegen Entgelt das Verbringen eines Gegenstands des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat. Der Unternehmer gilt gem. Satz 2 dieser Vorschrift als Lieferer.
Steuerfrei sind gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG die innergemeinschaftlichen Lieferungen. Hierzu gehört auch das nach § 3 Abs. 1a UStG steuerbare innergemeinschaftliche Verbringen (§ 6a Abs. 2 UStG). Zum Nachweis der Befreiung (vgl. § 6 Abs. 3 UStG) soll der Unternehmer u.a. die Anschrift und die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des im anderen Mitgliedstaat belegenen Unternehmensteils aufzeichnen (§ 17c Abs. 3 Nr. 2 der UmsatzsteuerDurchführungsverordnung in der Fassung des Streitjahrs -UStDV-).
Unionsrechtlich unterliegt nach Art. 28a Abs. 5 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates 77/388/EWG vom 17. Mai 1977 (Richtlinie 77/388/EWG) die von einem Steuerpflichtigen vorgenommene Verbringung eines Gegenstands seines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat. Als in einen anderen Mitgliedstaat verbracht gilt gem. Satz 2 dieser Bestimmung jeder körperliche Gegenstand, der vom Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung nach Orten außerhalb des Inlands, aber innerhalb der Gemeinschaft für andere Zwecke seines Unternehmens als für die Zwecke einer der näher genannten Umsätze versandt oder befördert wird. Unter anderem ist im Folgenden als Ausnahme die Lieferung dieses Gegenstands durch den Steuerpflichtigen im Inland unter den Bedingungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung genannt. Nach Art. 28c Teil A Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG ist ein solches Verbringen steuerfrei, für das die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen gem. Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG gelten würde, wenn es für einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt worden wäre.
Ein steuerfreies innergemeinschaftliches Verbringen liegt vor, wenn die betreffenden Gegenstände vom Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung nach Orten außerhalb eines Mitgliedstaats, aber innerhalb der Union versandt oder befördert werden, und die Verbringung an diesen Steuerpflichtigen bewirkt wird, der als solcher in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt (vgl. EuGH in ECLI:ECLI:EU:C:2016:791, Rz 29).
Gem. Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen.
2. Im Streitfall liegen nach nationalem Recht und nach dem Unionsrecht die Voraussetzungen für ein steuerbares und steuerfreies Verbringen vor, weil der Kläger das von ihm erworbene Fahrzeug seinem Unternehmen in Deutschland zugeordnet hat und dieses dann nach Spanien versandt worden ist, um von dem Kläger dort weiterhin unternehmerisch, nämlich zum Verkauf, genutzt zu werden (vgl. EUGH-Urteil in ECLI:ECLI:EU:C:2016:791, Rz 32, 33, 49).
Eine innergemeinschaftliche Lieferung an D, welche ein Verbringen gem. Art. Art. 28a Abs. 5 Buchst. b Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG ausschlösse, liegt nicht vor, weil die Lieferung an D in keinem hinreichenden zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Versendung nach Spanien stand (vgl. hierzu: EuGH-Urteil vom 2. Oktober 2014 C-446/13, Fonderie 2A, ECLI:ECLI:EU:C:2014:2252, Mehrwertsteuerrecht – MwStR – 2014, 770, Rn. 29). Denn zum einen lieferte der Kläger an D erst knapp 10 Monate nach der Versendung und der Erwerber stand beim Verbringen nach Spanien noch nicht fest (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Henrik Saugmandsgaard Oe vom 6. April 2016 C-24/15, ECLI:ECLI:EU:C:2016:204, Rn. 47). Dieser im Vorlagebeschluss in DStR 2015, 358, unter II.2. vertretenen Auffassung des Senats hat sich der EuGH durch die Bejahung des Verbringens inzident angeschlossen.
3. Gem. dem EuGH-Urteil in ECLI:ECLI:EU:C:2016:791 (Leitsatz, Rz 29, 39, 41 f., 46 ff.) kommt es aufgrund des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität für die Befreiung des Verbringens nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige seine ausländische UmsatzsteuerIdentifikationsnummer aufgrund der vom Mitgliedstaat im Rahmen des Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG aufgestellten Pflichten aufgezeichnet hat, wenn – wie hier – feststeht, dass er es für sein Unternehmen verbracht hat.
4. Allerdings kann sich der Steuerpflichtige nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen, wenn er sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat (EuGH-Urteil in ECLI:ECLI:EU:C:2016:791, Rz 44, 45).
a) Im Streitfall liegen jedoch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung vor. Der Kläger erfasste den Vorgang des Verbringens und den späteren Verkauf als innergemeinschaftliche Lieferung in seinen Aufzeichnungen, so dass er gegenüber dem Finanzamt keine falschen tatsächlichen Angaben machte; vielmehr ging er lediglich rechtsirrig von einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung an D aus. Zwar hätte der Kläger einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Spanien (vgl. Art. 28a Abs. 1, 6, Art. 28b Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG) und die Lieferung an D in Spanien (vgl. Art. 32 Abs. 1 MwStSystRL) versteuern müssen. Allerdings ist die unterlassene Erwerbsbesteuerung in Spanien schon deswegen keine Steuerhinterziehung, weil dem Kläger zugleich ein Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG zustand (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 21. Mai 2014 V R 34/13, BStBl. II 2014, 914, Rn. 51, 52; im Ergebnis ebenso: EuGH-Urteil vom 11. Dezember 2014 C-590/13, Idexx, ECLI:ECLI:EU:C:2014:2429, Mehrwertsteuer-Recht -MwStR- 2015, 57). Ferner fehlt dem Kläger insofern und in Bezug auf die in Spanien nicht erklärte Lieferung an D der erforderliche Vorsatz. Er ging nach seiner Steuererklärung für das Jahr 2007 davon aus, dass der gesamte Vorgang eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an D sei. Diese Auffassung war auch nicht von vornherein so fernliegend, dass dies den Schluss zuließe, er habe die Nichtversteuerung in Spanien billigend in Kauf genommen. Denn auch das FA hat zunächst angenommen, der Vorgang sei als eine in Deutschland steuerbare Lieferung im Jahr 2007 zu erfassen und setzte eine entsprechende Steuer fest; erst im Klageverfahren änderte es auf Hinweis des Gerichts seine Rechtsauffassung (vgl. Vorlagebeschluss in DStR 2015, 358, unter II.3.).
Der EuGH hat diese Sichtweise des Senats nicht beanstandet. Es liegt keiner der Fälle vor, in denen die Möglichkeit besteht, die Mehrwertsteuerbefreiung wegen der Nichterfüllung einer formellen Anforderung zu versagen (EuGH-Urteil in ECLI:ECLI:EU:C:2016:791, Rz 45, 50).
b) Die Einwände des FA hiergegen verfangen nicht:
Das FA hat in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2014 bestätigt, dass auch seiner Ansicht nach keine Steuerhinterziehung vorliege. Seine Stellungnahme vom b27. April 2015 an den EuGH stellte das FA mit Schreiben vom 14. August 2015 dahingehend klar, dass keine Anhaltspunkte für ein „doloses“ Verhalten des Klägers vorlägen, und führte aus, es komme auf das Auskunftsersuchen der spanischen Behörden, welches dem FG nicht vorgelegt worden sei, nicht an, weil das FA nicht von einer Steuerhinterziehung ausgehe. Ferner führte es an, dass u.a. seine Behauptung im Schreiben vom 27. April 2015, der Kläger habe das Fahrzeug nach Spanien verbracht, um dort einen gewerblichen Handel mit Pkw zu betreiben und zu gründen, unzutreffend sei.
Im Widerspruch hierzu behauptet das FA nunmehr mit Schreiben vom 17. Januar 2017 unter Berufung auf das Schreiben vom 27. April 2015, es liege eine Steuerhinterziehung vor, da es in Spanien zu einem Steuerausfall gekommen sei. Dieser wesentliche Aspekt sei vom FA in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2014 nicht vorgebracht worden. In der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2017 ergänzte es, der Kläger habe spätestens seit dem Vorlagebeschluss in DStR 2015, 358 gewusst, dass sein Verkauf im Jahr 2007 in Spanien steuerbar und steuerpflichtig sei.
Wie sich aus den Ausführungen unter II.3. des Vorlagebeschlusses in DStR 2015, 358 (ebenso II.4.a. dieses Urteils) ergibt, hat der Senat von sich aus das Problem aufgeworfen, ob eine Steuerhinterziehung darin zu sehen ist, dass der Kläger seinen Verkauf in Spanien im Jahr 2007 nicht erklärt hat, und dies mit den dort genannten Argumenten abgelehnt. Diese Sichtweise hat der EuGH nicht beanstandet. Insofern handelt es sich auch nicht um einen neuen Gesichtspunkt, der bisher nicht in das Verfahren eingeführt war; vielmehr war dies Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens. Das gilt auch für den in der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2017 vorgebrachten Einwand, der Kläger habe spätestens seit dem Vorlagebeschluss in DStR 2015, 358 gewusst, dass sein Verkauf im Jahr 2007 in Spanien steuerbar und steuerpflichtig sei. Der Senat weist darauf hin, dass auch die Verwaltung gem. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) an die Vorabentscheidungen des EuGH gebunden ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Oktober 2001 V R 106/98, BStBl II 2002, 551, unter 11.2.).
Darüber hinaus ist für den Senat nicht erkennbar, inwiefern für den Kläger vor Abschluss des gesamten Verfahrens, in dem auch von Bedeutung ist, ob ein Verbringen in 2006 oder eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorlag (vgl. Vorlagebeschluss in DStR 2015, 358, unter II.2. und hier unter II.2.), Veranlassung für eine weitere Steuererklärung in Spanien bestand, zumal der Beklagte nach Art. 1, 13, 15 der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (Verordnung 904/2010) ab dem 1. Januar 2012 (Art. 62 der Verordnung 904/2010) selbst verpflichtet war, die spanischen Behörden auf die Gefahr eines Steuerausfalls hinzuweisen. Dieser kam er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht nach. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2017 geäußerten Auffassung des FA ist in Art. 16 der Verordnung 904/2010 auf Wunsch der mitteilenden Behörde grundsätzlich eine Rückmeldung vorgesehen.
Das nunmehr vorgelegte Auskunftsersuchen der deutschen Finanzverwaltung und die Antwort der spanischen Finanzverwaltung aus dem Jahr 2009 führen zu keinem anderen Ergebnis. Hieraus ergibt sich bereits nicht hinreichend, dass D eine Steuerhinterziehung begangen hat. Zudem ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass – wenn eine Steuerhinterziehung des D vorläge – der Kläger hiervon Kenntnis hatte oder haben musste. Das Auskunftsersuchen ist auch keine hinreichende Mittelung an die spanischen Finanzbehörden darüber, dass ein in Spanien steuerbarer Vorgang vorliegt, weil das FA darin – soweit dies das Gericht aufgrund der schlechten Lesbarkeit der übermittelten Kopie beurteilen kann -lediglich angab, es liege eine innergemeinschaftliche Lieferung nach Spanien vor und nicht mitteilte, dass das Fahrzeug bereits im Jahr 2006 nach Spanien transportiert wurde.
Der Senat geht zu Gunsten des FA davon aus, dass es die im Schreiben vom 27. April 2015 aufgestellten unwahren Tatsachenbehauptungen, die es mit Schreiben vom 14. August 2015 richtig gestellt hatte, nicht wiederholen wollte.

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